BFH X. Senat
AO § 158, AO § 162 Abs 2 S 2, FGO § 76 Abs 1 S 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 116 Abs 3 S 3
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz , 22. March 2011, Az: 2 K 2184/10
Leitsätze
1. NV: Hat das FG sein Urteil kumulativ begründet, d.h. auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so muss wegen jeder der Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden und vorliegen.
2. NV: Das FG muss einem Beweisantrag nur dann nachkommen, wenn dieser substantiiert ist. Das setzt voraus, dass das Beweisthema und das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme in Bezug auf einzelne konkrete Tatsachen genau angegeben werden.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen zur Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen entweder nicht vor oder sind nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Form dargelegt worden.
1. Soweit die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) rügen, das Finanzgericht (FG) habe durch das Unterlassen der Vernehmung des angebotenen Zeugen A gegen seine Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen, rechtfertigt dies nicht die Zulassung der Revision.
a) Das FG hat seine Entscheidung ‑‑neben dem Fehlen einer ordnungsgemäßen Buchführung aufgrund des Führens eines Kassensystems, in dem ein Manipulationsmodul integriert ist‑‑ kumulativ auf die fehlende Ordnungsmäßigkeit der Buchführung gestützt, die sich allein aus den Differenzen zwischen den festgestellten Tagesendsummen aus dem vom Kläger eingesetzten Computer-Kassen-System B und den Kassenaufzeichnungen ergebe. Bezüglich dieses Begründungsstrangs haben die Kläger etwaige Zulassungsgründe nicht erfolgreich dargelegt, so dass insoweit ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht ausscheidet.
aa) Hat das FG sein Urteil kumulativ begründet, d.h. auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so muss wegen jeder der Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden und vorliegen (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑, z.B. Senatsbeschluss vom 22. April 2008 X B 64/07, BFH/NV 2008, 1345; vgl. Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 28, m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung).
bb) Das FG hat in seiner Entscheidung ausgeführt, dass die festgestellten Tagesendsummen aus dem vom Kläger eingesetzten Computer-Kassen-System B und die Kassenaufzeichnungen, die der Kläger seinen eingereichten Gewinnermittlungen zu Grunde gelegt hat, erhebliche Differenzen aufwiesen. Insoweit sei die Zuschätzung der gewerblichen Gewinne gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) dem Grunde nach und ‑‑mit Ausnahme des Rechenfehlers im Jahr 2003‑‑ auch der Höhe nach berechtigt gewesen. Die Kassenführung des Klägers sei ‑‑unbeschadet der Frage, ob das vom Kläger eingesetzte Programm B das Manipulationsmodul enthalten bzw. ob er dieses verwendet habe‑‑ nicht ordnungsgemäß i.S. von § 158 AO. Die weitere Zuschätzung von jeweils 4.000 € netto für die Jahre 2002 und 2003 sei dadurch gerechtfertigt, dass in beiden Streitjahren an mehreren Arbeitstagen überhaupt keine Kassenregistrierung im Programm B erfolgt sei.
Hinsichtlich dieses Begründungsstrangs haben die Kläger jedoch nicht die Voraussetzungen eines Zulassungsgrundes i.S. von § 115 Abs. 2 FGO erfolgreich dargelegt. Sie hatten in ihrer Klagebegründung vom 6. Oktober 2010 die Zeugenvernehmung von A, dem Geschäftsführer der das Computer-Kassen-System B vertreibenden D-GmbH, als Beweis für die Tatsachen angeboten, dass der Kläger das streitgegenständliche Manipulationsmodul nicht erworben habe und dass eine Umsatzverkürzung durch den Kläger auf der Grundlage der vom Zeugen überprüften Software nicht möglich gewesen sei. Das Bezeugen dieser Tatsachen war hinsichtlich des genannten Begründungsstrangs ‑‑bei Zugrundelegung des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG‑‑ für seine Entscheidung nicht erheblich.
b) Im Übrigen kann der von den Klägern gerügte Verfahrensfehler der mangelnden Sachaufklärung auch deshalb nicht zur Zulassung der Revision führen, da der Mangel im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht mehr geltend gemacht werden kann.
aa) Ein Verfahrensmangel kann nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er eine Verfahrensvorschrift betrifft, auf deren Beachtung die Prozessbeteiligten verzichten können und verzichtet haben (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung). Zu diesen verzichtbaren Mängeln gehört auch das Übergehen eines Beweisantrages, wie die im Streitfall beantragte Zeugenvernehmung. Bei solchen Verfahrensmängeln geht das Rügerecht nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge; ein Verzichtswille ist dafür nicht erforderlich. Der Verfahrensmangel muss in der nächsten mündlichen Verhandlung gerügt werden, in der der Rügeberechtigte erschienen ist; verhandelt er zur Sache, ohne den Verfahrensmangel zu rügen, obwohl er den Mangel kannte oder kennen musste, verliert er das Rügerecht (BFH-Entscheidungen vom 31. Januar 1989 VII B 162/88, BFHE 155, 498, BStBl II 1989, 372, und vom 15. Mai 1996 X R 252, 253/93, BFH/NV 1996, 906; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 100 ff.). Eine Rüge des vermeintlichen Verfahrensmangels vor dem FG ist jedenfalls dann erforderlich, wenn die Kläger ‑‑wie im Streitfall‑‑ im finanzgerichtlichen Verfahren durch einen Prozessbevollmächtigten sachkundig vertreten waren (z.B. BFH-Beschluss vom 16. Februar 1998 VIII B 46/97, BFH/NV 1998, 875; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 103).
bb) Nach dem Sitzungsprotokoll hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger das Übergehen des Beweisantrags hinsichtlich der Zeugenvernehmung in der mündlichen Verhandlung am 23. März 2011 nicht gerügt, obwohl der Zeuge A nicht zu der mündlichen Verhandlung geladen war und damit zu einer Vernehmung erkennbar nicht zur Verfügung stand. Der Prozessbevollmächtigte konnte und musste daher davon ausgehen, dass das FG dem Beweisantrag nicht nachkommen werde.
2. Auch die Rüge der Kläger, das FG habe durch die Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung vom 23. März 2011 von ihrem Prozessbevollmächtigten gestellten Antrags, ein Sachverständigengutachten zur Überprüfung des Programms B einzuholen, gegen seine Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen, greift mangels Vorliegens eines solchen Verstoßes nicht durch.
a) In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass das FG einem Beweisantrag nur dann nachkommen muss, wenn dieser substantiiert ist (BFH-Beschlüsse vom 17. März 2003 VII B 269/02, BFH/NV 2003, 825; vom 12. Dezember 2007 I B 134/07, BFH/NV 2008, 736, und vom 14. Juli 2008 II B 5/08, BFH/NV 2008, 1815). Das setzt voraus, dass das Beweisthema und das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme in Bezug auf einzelne konkrete Tatsachen genau angegeben werden (BFH-Beschlüsse vom 21. November 2002 VII B 58/02, BFH/NV 2003, 485; in BFH/NV 2008, 736, und in BFH/NV 2008, 1815).
b) Das FG hat danach den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag zu Recht abgelehnt. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat ausweislich der Sitzungsniederschrift weder das Beweisthema noch das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme in Bezug auf einzelne konkrete Tatsachen genau angegeben. Er hat vielmehr lediglich beantragt, "einen Sachverständigen zu bestellen, der das Programm von B überprüft".
3. Schließlich rechtfertigt die (sinngemäße) Rüge der Kläger, das FG sei ‑‑selbst ohne die gestellten Beweisanträge‑‑ verpflichtet gewesen, den Sachverhalt weiter aufzuklären, nicht die Zulassung der Revision wegen einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht, da sie nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entspricht.
a) Eine schlüssige Rüge, das FG habe gegen seine Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung ‑‑auch ohne entsprechenden Beweisantritt seitens des Beschwerdeführers‑‑ verstoßen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), erfordert die Darlegung, zu welchen konkreten Tatsachen weitere Ermittlungen geboten waren, welche Beweise zu welchem Beweisthema das FG von Amts wegen hätte erheben müssen, aus welchen Gründen sich ihm die Notwendigkeit einer weiteren Sachverhaltsaufklärung oder einer Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung oder Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern die unterlassene Ermittlungsmaßnahme oder Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 19. Januar 2005 VII B 61/04, BFH/NV 2005, 921; vom 10. April 2006 X B 209/05, BFH/NV 2006, 1461, und vom 21. November 2008 IV B 150/07, BFH/NV 2009, 358; Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz 69, 70, m.w.N.).
b) An einem solchen Vorbringen fehlt es. Die Kläger haben insbesondere nicht schlüssig vorgetragen, warum sich dem FG die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen oder einer Beweisaufnahme auch ohne einen entsprechenden Beweisantrag hätte aufdrängen müssen. Auch fehlt es an der gebotenen, schlüssigen und substantiierten Darlegung, welches Ergebnis eine weitere Sachaufklärung oder Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte und inwiefern diese zu einer anderen Entscheidung des FG hätte führen können.
4. Soweit die Kläger eine fehlerhafte bzw. nicht vollständige Darstellung des der Entscheidung des FG zu Grunde liegenden Sachverhalts rügen, kann dies keinen Verfahrensmangel begründen. Einwendungen gegen die Richtigkeit des im FG-Urteil festgestellten Tatbestandes können nicht als Verfahrensmangel nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren gerügt werden, sondern müssen gegebenenfalls zum Gegenstand eines Antrags auf Tatbestandsberichtigung (§ 108 FGO) gemacht werden (z.B. Senatsbeschluss vom 15. Oktober 2008 X B 120/08, BFH/NV 2009, 41). Dies gilt auch für entscheidungserhebliche Tatsachen, die in den Entscheidungsgründen des Urteils mitgeteilt werden (z.B. BFH-Beschluss vom 24. April 2007 XI B 35/06, BFH/NV 2007, 1268; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 108 Rz 3).
Im Übrigen hat das FG im Rahmen seiner Entscheidungsfindung ‑‑entgegen der Auffassung der Kläger‑‑ nicht Beurteilungen aus den Jahren 1998 bis 2001 übertragen. Es hat ‑‑wie bereits dargestellt‑‑ maßgeblich auf die Differenzen zwischen den Tagesendsummen aus B und den Kassenaufzeichnungen in den Jahren 2002 und 2003 und auf die Tatsache abgestellt, dass in beiden Jahren an mehreren Arbeitstagen überhaupt keine Kassenregistrierung im Programm B erfolgte sowie ‑‑kumulativ‑‑ darauf, dass das Programm B in beiden Jahren zumindest zeitweise das Manipulationsmodul enthielt.
5. Versteht man das Vorbringen der Kläger, das FG habe nicht objektiv geurteilt, dahingehend, die Tatsachen- und Beweiswürdigung sei willkürlich, so lässt sich auch damit eine Revisionszulassung nicht rechtfertigen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO). Voraussetzung hierfür wäre, dass die Entscheidung des FG in einem solchen Maße fehlerhaft ist, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung wiederhergestellt werden könnte, also wenn etwa das FG eine offensichtlich einschlägige entscheidungserhebliche Vorschrift übersehen hätte oder wenn das Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehren oder auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruhen würde (Senatsbeschluss vom 22. März 2011 X B 151/10, BFH/NV 2011, 1165, m.w.N.). Dies ist nicht erkennbar.