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Beschluss vom 09. März 2012, VII B 185/11

Kein vorläufiger Rechtsschutz bei Vorrang öffentlicher Interessen am Gesetzesvollzug

BFH VII. Senat

GG Art 19 Abs 4, GG Art 105 Abs 2, GG Art 106, BVerfGG § 32 Abs 1, KernbrStG § 5 Abs 1, FGO § 69 Abs 2 S 2

vorgehend FG München, 03. October 2011, Az: 14 V 2155/11

Leitsätze

1. NV: Trotz bestehender ernstlicher Zweifel an der Rechtsmäßigkeit einer angefochtenen Steuerfestsetzung kann in Ausnahmefällen eine beantragte Aufhebung der Vollziehung abgelehnt werden.

2. NV: In den Fällen, in denen die Zweifel an der Rechtsmäßigkeit auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift beruhen, setzt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers voraus.

3. NV: Im Rahmen der vorzunehmenden Interessensabwägung ist auch das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung zu berücksichtigen.

4. NV: Einer Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Rechtsnorm bedarf es grundsätzlich nicht.

5. NV: Diese Grundsätze finden auch in den Fällen Anwendung, in denen nicht die materielle, sondern die formelle Verfassungsmäßigkeit der Rechtsnorm in Frage steht.

Tatbestand

  1. I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) betreibt als Mitgesellschafterin der Kernkraftwerk GmbH (Betreibergesellschaft) ein Kernkraftwerk. Im Mai 2011 setzte die Betreibergesellschaft in den Kernreaktor Brennelemente ein und löste anschließend eine selbsttragende Kettenreaktion aus, was zur Steuerentstehung nach § 5 Abs. 1 des Kernbrennstoffsteuergesetzes (KernbrStG) führte. Die verwendeten Brennelemente enthielten … Gramm Uran 235. In ihrer für den Monat Mai 2011 abgegebenen Steueranmeldung vom 14. Juni 2011 berechnete die Antragstellerin eine Steuer von … €, die der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑) dahingehend änderte, dass die Antragstellerin die Kernbrennstoffsteuer als Gesamtschuldnerin neben der Kernkraft GmbH und der weiteren Mitgesellschafterin schuldete. Daraufhin hat die Antragstellerin Sprungklage erhoben, der das HZA nicht zustimmte. Nach Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung durch das HZA hat die Antragstellerin Kernbrennstoffsteuer in Höhe von … € entrichtet. Den Restbetrag der angemeldeten Steuer entrichtete ein anderes Unternehmen. Antragsgemäß hob das Finanzgericht (FG) die Vollziehung der Steueranmeldung in Höhe des von der Antragstellerin gezahlten Betrags auf.

  2. In der Begründung seiner Entscheidung äußert das FG Bedenken, ob die Kernbrennstoffsteuer als Verbrauchsteuer i.S. des Art. 106 des Grundgesetzes (GG) angesehen werden könne, so dass dem Bund nach Art. 105 Abs. 2 GG eine Gesetzgebungskompetenz zustehe. Insbesondere bestünden erhebliche Zweifel, ob die Kernbrennstoffsteuer auf Abwälzbarkeit angelegt sei. In der Begründung zum Gesetzentwurf habe der Gesetzgeber ausgeführt, eine Überwälzung der den Stromerzeugern entstehenden zusätzlichen Kosten werde nur in geringem Umfang möglich sein (BTDrucks 17/3054 S. 1 und 2). An dieser Einschätzung müsse sich der Gesetzgeber festhalten lassen. Inwieweit für den Betreiber eines Kernkraftwerks in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit einer kalkulatorischen Überwälzung im Wege einer Preiserhöhung, Umsatzsteigerung oder Senkung der sonstigen Kosten bestehe, lasse sich im summarischen Verfahren anhand der vorgelegten Unterlagen nicht abschließend beurteilen. Das Kriterium der Abwälzbarkeit sei auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Ein Steuerfindungsrecht zur Schaffung einer beliebigen über Art. 106 Abs. 1 GG hinausgehenden Steuerart stehe dem Bund nicht zu.

  3. Einer Aufhebung der Vollziehung stehe nicht entgegen, dass dadurch letztlich die Anwendung des KernbrStG vorübergehend unterbleiben müsse. Ob die Antragstellerin ein (besonderes) berechtigtes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes habe, könne dahinstehen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in solchen Fällen bestehe der Geltungsanspruch eines Gesetzes nur dann, wenn es formell verfassungsgemäß zustande gekommen sei. Daran habe das FG jedoch erhebliche Zweifel.

  4. Mit seiner Beschwerde begehrt das HZA die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und die Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung. Es hält das KernbrStG für verfassungsgemäß; am Verbrauchsteuercharakter der Kernbrennstoffsteuer, die auf Abwälzung angelegt sei, und an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes bestünden keine Zweifel. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes würde zur vorläufigen Nichtanwendung des KernbrStG und damit zu Steuerausfällen in Milliardenhöhe führen. Allein für den Zeitraum Januar bis September 2011 beliefen sich die Einnahmen aus der Kernbrennstoffsteuer auf über 875 Mio. €. Im Jahr 2011 sei mit einem Aufkommen von 1,3 Mrd. € und in den Folgejahren mit einem ähnlich hohen Aufkommen zu rechnen. Das öffentliche Interesse des Bundes an einer geordneten Haushaltsführung sei höher zu gewichten als das Individualinteresse der Antragstellerin.

  5. Die Antragstellerin ist der Beschwerde entgegengetreten. Sie schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen des FG an. Aus haushaltsrechtlicher Sicht bestehe kein besonderes Schutzbedürfnis des Bundes. Da die Kernbrennstoffsteuer nur zeitlich befristet erhoben würde, bestehe auch kein Anlass für einen Haushaltsvorbehalt. Im Übrigen habe sich der Bund durch den Ausstieg aus der Kernkraft freiwillig um zuvor errechnete Steuereinnahmen gebracht.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Beschwerde des HZA ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der Vollziehung. Dem öffentlichen Interesse am Vollzug des KernbrStG kommt nach den Umständen des Streitfalls der Vorrang gegenüber dem Interesse der Antragstellerin an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu.

  2. 1. Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts, hat das FG im Regelfall dessen Vollziehung auszusetzen oder im Falle eines bereits vollzogenen Verwaltungsakts die Vollziehung wieder aufzuheben (§ 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung

    ‑‑FGO‑‑). Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen kann trotz Vorliegens solcher Zweifel die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt werden.

  3. a) Ein solcher atypischer Fall kommt in Betracht, wenn die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift beruhen (BFH-Beschluss vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454). Ist dies der Fall, setzt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein (besonderes) berechtigtes Interesse des Antragstellers voraus (BFH-Beschlüsse vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; vom 27. August 2002 XI B 94/02, BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18; vom 6. November 2001 II B 85/01, BFH/NV 2002, 508; vom 30. Januar 2001 VII B 291/00, BFH/NV 2001, 1031, und vom 17. März 1994 VI B 154/93, BFHE 173, 554, BStBl II 1994, 567).

  4. b) Bei der Prüfung, ob ein solches berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen besteht, ist dieses mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an (BFH-Beschlüsse in BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18; vom 20. Juli 1990 III B 144/89, BFHE 162, 542, BStBl II 1991, 104, und vom 20. Mai 1992 III B 100/91, BFHE 168, 174, BStBl II 1992, 729). Dem bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bestehenden Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes ist dann der Vorrang einzuräumen, wenn die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Steuerbescheids im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen würde, die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids im Einzelfall eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen sind und der Eingriff keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen hat (BFH-Beschluss in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558, a.A. offenbar Seer, Vorläufiger Rechtsschutz bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines Steuergesetzes, Deutsches Steuerrecht ‑‑DStR‑‑ 2012, 325).

  5. c) Wie das BVerfG entschieden hat, verstößt eine solche Interessensabwägung ‑‑die eine geordnete öffentliche Haushaltswirtschaft in den Blick nimmt‑‑ nicht grundsätzlich gegen den aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Anspruch auf einen umfassenden und effektiven gerichtlichen Schutz, zumindest solange der sofortige Vollzug des Verwaltungsakts die Ausnahme bleibt; in Ausnahmefällen können jedoch überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen (BVerfG-Beschluss vom 6. April 1988  1 BvR 146/88, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Finanzgerichtsordnung, § 69, Rechtsspruch 283).

  6. d) Entgegen der Auffassung des FG können diese Grundsätze nicht nur dann Geltung beanspruchen, wenn es um die Frage der materiellen Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm geht, sondern sie sind auch auf Fälle anzuwenden, in denen die formelle Verfassungsmäßigkeit einer Norm in Frage steht (zur fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes vgl. BFH-Beschluss in BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454). Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn ein Verfassungsverstoß offensichtlich wäre, so dass das Gesetz die formelle Verfassungswidrigkeit auf der Stirn trüge. In solchen Ausnahmefällen könnte Anlass bestehen, im Rahmen eines Aussetzungs- bzw. Aufhebungsverfahrens den Geltungsanspruch des Gesetzes in Frage zu stellen. So liegt es im Streitfall jedoch nicht (zur Verfassungsmäßigkeit des KernbrStG vgl. Wernsmann, Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Kernbrennstoffsteuer, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2011, 1367, und Jatzke, Die Kernbrennstoffsteuer - ein Exot im deutschen Verbrauchsteuerrecht, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern ‑‑ZfZ‑‑ 2010, 278, Waldhoff, Die Kernbrennstoffsteuer als Verbrauchsteuer und die steuerrechtliche Typenlehre, zur Veröffentlichung in der ZfZ 3/12 vorgesehen; a.A. Seer, DStR 2012, 325).

  7. 2. Zu Unrecht hat das FG im Streitfall die Aufhebung der Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung angeordnet. Die im Streitfall gebotene Abwägung des für eine Aufhebung der Vollziehung sprechenden individuellen Interesses der Antragstellerin und des einer solchen Maßnahme entgegenstehenden öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung sowie die gebotene Beachtung der Verwerfungskompetenz des BVerfG führen zu dem Ergebnis, dass vorläufiger Rechtsschutz nicht gewährt werden kann.

  8. a) In der praktischen Auswirkung käme die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes einem einstweiligen Außerkraftsetzen des KernbrStG gleich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass allein dem BVerfG nach § 32 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes die Kompetenz zusteht, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen. Von dieser Möglichkeit ist nach Auffassung des BVerfG nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch zu machen, denn der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen ein Gesetz stellt stets einen erheblichen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers dar, so dass die Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen, ein besonderes Gewicht haben müssen (BVerfG-Beschluss vom 22. Mai 2001  2 BvQ 48/00, BVerfGE 104, 23, 27 f.).

  9. b) Nach Auffassung des beschließenden Senats liegt ein überwiegendes besonderes berechtigtes Interesse der Antragstellerin nicht vor. Eine faktische Außerkraftsetzung des KernbrStG würde zu Einnahmeausfällen in Milliardenhöhe führen. Ausweislich des Referentenentwurfs rechnete die Bundesregierung in den Jahren 2011 bis 2016 mit einem jährlichen Aufkommen in Höhe von ca. 2,3 Mrd. €, das ohne gesetzlich festgelegte Zweckbindung zur Konsolidierung des Bundeshaushalts beitragen sollte (BTDrucks 17/3054 S. 1). Auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Lisa Paus u.a. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BTDrucks 17/4609) hat die Bundesregierung mitgeteilt, im Rahmen der Verhandlungen zum Förderfondsvertrag habe unter den Vertragspartnern ein Konsens bestanden, nach dem bei einem Steuersatz von 145 €/g Kernbrennstoff von einem durchschnittlichen Aufkommen der Kernbrennstoffsteuer von 2,3 Mrd. € auszugehen sei, wobei im Falle eines gemeinsamen Kalkulationsirrtums über die Höhe des zu erzielenden Aufkommens eine korrigierende Erhöhung des Steuersatzes erfolgen könne (BTDrucks 17/4832 S. 4 f.). Von vornherein war die Einführung der neuen Steuer darauf angelegt, dem Bund Steuereinnahmen in Milliardenhöhe zu verschaffen. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Aufkommenserwartungen im ersten Jahr der Erhebung der Kernbrennstoffsteuer nicht vollständig erfüllt worden sind. Im Jahr 2011 betrug das Gesamtaufkommen lediglich 922 Mio. €. Nach den Ergebnissen des Arbeitskreises Steuerschätzungen wird in den Folgejahren mit einem durchschnittlichen Aufkommen von ca. 1,3 Mrd. € gerechnet (Monatsbericht des Bundesministeriums der Finanzen

    ‑‑BMF‑‑, November 2011).

  10. c) Im Rahmen der vorzunehmenden Interessensabwägung können die durch die steuerliche Absetzbarkeit der Kernbrennstoffsteuer als Betriebsausgaben zu erwartenden Mindereinnahmen im Bereich der Körperschaft- und Gewerbesteuern zwar nicht völlig außer Acht gelassen werden, jedoch erreichen sie nicht ein solches Ausmaß, dass die verbleibenden Mehreinnahmen ein überwiegendes öffentliches Interesse des Bundes an einer geordneten Haushaltsführung nicht mehr begründen können. In seinem Beschluss vom 26. November 2010 geht der Bundesrat unter Voraussetzung der Nichtabwälzbarkeit der Steuer von Mindereinnahmen bei Ländern und Gemeinden in Höhe von 500 Mio. € aus (BRDrucks 687/10 S. 2). In diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung bestätigt, dass die Mindereinnahmen bei der Körperschaft- und Gewerbesteuer bei allen Gebietskörperschaften zwischen 25 % und 30 % des Aufkommens der Kernbrennstoffsteuer betragen könnten, jedoch zugleich auf die Möglichkeit der Abwälzung der Steuer und auf die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke hingewiesen. Diese führe zu Zusatzgewinnen bei den Betreibern von Kernkraftwerken und damit zu zusätzlichem Aufkommen bei den Ertragsteuern. Deshalb gehe die Bundesregierung davon aus, dass das Steueraufkommen die Steuermindereinnahmen aus dem Betriebsausgabenabzug der Kernbrennstoffsteuer überkompensieren werde (BTDrucks 17/4832 S. 5). Aus der BTDrucks 17/4832 S. 5 lässt sich auf Mindereinnahmen bei der Körperschaft- und Gewerbesteuer von lediglich 690 Mio. € schließen, wobei auf die Länder und Gemeinden ca. 500 Mio. € entfallen. Danach bleibt es für den Bundeshaushalt bei Mehreinnahmen von über 1 Mrd. €.

  11. d) Allerdings sind inzwischen bei insgesamt acht Kernkraftwerken die Berechtigungen zum Leistungsbetrieb mit Ablauf des 6. August 2011 erloschen. Wie die Bundesregierung mitgeteilt hat, kann das erwartete Aufkommen der Kernbrennstoffsteuer durch die dauerhafte Abschaltung dieser Kernkraftwerke jährlich um einen "dreistelligen Millionenbetrag im oberen Bereich" geringer ausfallen (BTDrucks 17/5749 S. 3). Auch die Berücksichtigung der mit der Abschaltung verbundenen Mindereinnahmen führt nicht zu einer derartigen Minderung des Aufkommens der Kernbrennstoffsteuer, dass das berechtigte Interesse des Bundes an einer Haushaltskonsolidierung und geordneten Haushaltsführung vernachlässigt werden könnte. Aufgrund der dauerhaften Stilllegung von acht Kernkraftwerken ist nach den Ergebnissen des Arbeitskreises Steuerschätzungen das geschätzte Aufkommen für das Jahr 2012 um 830 Mio. € und für die folgenden Jahre um jeweils 1 Mrd. € zu korrigieren (Monatsbericht des BMF, November 2011). Danach verbleibt ein prognostiziertes jährliches Steueraufkommen der Kernbrennstoffsteuer von über 1 Mrd. €.

  12. Letztlich können Unsicherheiten bei der exakten Bestimmung des Steuerausfalls bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung auf sich beruhen. Entscheidend ist, dass durch eine Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Bescheids das KernbrStG faktisch mit der Folge von drohenden hohen Einnahmeausfällen außer Kraft gesetzt würde.

  13. e) Dem Vorbringen der Antragstellerin ist nicht schlüssig zu entnehmen, dass durch die sofortige Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung irreparable Nachteile oder eine unzumutbare Härte drohen würden. In diesem Zusammenhang verweist sie lediglich auf den teilweisen Wegfall der kalkulierbaren Gewinne aus der Kernenergiegewinnung und auf ‑‑nicht näher bezifferte‑‑ Kosten für frustrierte Aufwendungen und nutzlos gewordene Anlageninvestitionen sowie umfangreiche Investitionen in alternative Formen der Energiegewinnung. Jedenfalls lässt sich aus diesen Angaben nicht auf eine drohende Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz der Antragstellerin schließen. Nach der Rechtsprechung des BFH setzt eine Aufhebung der Vollziehung wegen unbilliger Härte voraus, dass der Betroffene seine wirtschaftliche Lage im Einzelnen vorträgt und glaubhaft macht (BFH-Beschlüsse vom 29. März 2001 III B 80/00, BFH/NV 2001, 1295, und in BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18). Nach Einschätzung des Senats ist die (vorläufige) Entrichtung der Steuer der Antragstellerin durchaus zumutbar. Dies wird auch durch den Verzicht des FG auf die Anforderung einer Sicherheitsleistung belegt, der darauf hindeutet, dass für das FG Anhaltspunkte für eine Gefährdung des ‑‑im Streitfall sehr hohen‑‑ Steueranspruchs nicht ersichtlich waren.

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