BFH IX. Senat
EStG § 3c Abs 2, EStG § 17 Abs 1, EStG § 17 Abs 4
vorgehend FG Düsseldorf, 29. June 2010, Az: 15 K 1566/09 E
Leitsätze
NV: Die Kreditunwürdigkeit einer GmbH kann sich auch daraus ergeben, dass die für die Geschäftsführung der GmbH erforderlichen Kreditaufnahmen ohne zusätzliche selbstschuldnerische Bürgschaften der Gesellschafter nicht möglich sind.
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten über die Höhe eines Auflösungsverlustes i.S. von § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war alleiniger Gesellschafter der GmbH. Insgesamt wandte er originäre Anschaffungskosten von 127.823 € für diese Beteiligung auf.
Die X-Bank hatte der GmbH im Februar 1995 einen Kontokorrentkredit über 2.000.000 DM gewährt. Zur Absicherung hatte die GmbH ihre Ansprüche aus dem Generalübernehmervertrag A-Straße vom Dezember 1994 (19.156.940 DM) in Höhe von 2.000.000 DM abgetreten; auch hatten der Kläger sowie Z ‑‑zu der Zeit der weitere Gesellschafter‑‑ im Januar 1995 selbstschuldnerische Bürgschaften von je 2.000.000 DM erteilt. Darüber hinaus hatte die X-Bank einen weiteren Kredit über 8.300.000 DM (Juni 1995) gewährt, zu dessen Absicherung die GmbH Grundschulden an ihrem Objekt K-Straße (7) eingeräumt (8.300.000 DM) und der Kläger sowie Z Bürgschaften von jeweils 3.300.000 DM (Juli 1995) eingegangen waren. Über diese beiden Bürgschaften hinaus gewährte der Kläger der X-Bank im Juni 1999 eine weitere Bürgschaft von 150.000 DM zur Sicherung des Geschäftskontos.
Am 1. März 2004 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Die X-Bank kündigte schon im Januar 2004 die Geschäftsverbindung fristlos und nahm den Kläger in der Folge aus den Bürgschaften auf Zahlung von 1.100.000 € in Anspruch; dieser Betrag wurde im Streitjahr (2006) entrichtet.
Im Verfahren 15 K 3952/06 E des Finanzgerichts (FG) verständigten sich die Beteiligten dahin, den Auflösungsverlust i.S. von § 17 EStG zeitlich im Streitjahr zu berücksichtigen.
Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) den Auflösungsverlust mit ./. 92.176 € an, auf den Einspruch hin nur noch mit ./. 82.386 €. Die Bürgschaften wurden nur mit 2,75 % berücksichtigt.
Der hiergegen gerichteten Klage gab das FG mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1502 veröffentlichten Urteil statt. Das FA habe die im Jahr 1995 hingegebenen Bürgschaften des Klägers zu Unrecht nicht in die Berechnung des Auflösungsverlusts nach § 17 EStG einbezogen.
Die GmbH habe sich im Zeitpunkt der Übernahme der beiden Bürgschaften vom Januar und Juli 1995 bereits in der Krise befunden. Zwar habe die GmbH in jener Zeit (Februar und Juni 1995) Kredite der X-Bank über 2.000.000 DM und 8.300.000 DM erhalten. Indes seien die Darlehen nur unter der Voraussetzung der Bürgschaftsübernahmen u.a. durch den Kläger gewährt worden.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der dieses die Verletzung materiellen Rechts (§ 17 EStG) rügt. Eine Krise i.S. des § 17 EStG liege nur dann vor, wenn ein unabhängiger Dritter nach Würdigung der Gesamtumstände die Firma in der Krise sehen würde. Diese Voraussetzung sei im Streitfall nicht erfüllt.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Zutreffend hat das FG die Aufwendungen des Klägers aus der Inanspruchnahme aus den streitbefangenen Bürgschaften aus dem Jahr 1995 als nachträgliche Anschaffungskosten bei der Berechnung des Auflösungsverlusts des Klägers berücksichtigt.
1. Nach § 17 Abs. 1 und 4 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb ‑‑unter weiteren hier nicht problematischen Voraussetzungen‑‑ auch der Gewinn aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft; Entsprechendes gilt für aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft entstehende Verluste (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 26. Januar 1999 VIII R 50/98, BFHE 188, 295, BStBl II 1999, 559, unter II.2.a, m.w.N.). Auflösungsverlust i.S. von § 17 Abs. 1, 2, 4 EStG ist der Betrag, um den die im Zusammenhang mit der Auflösung der Gesellschaft vom Steuerpflichtigen (persönlich) getragenen Kosten (Auflösungskosten entsprechend § 17 Abs. 2 EStG) und seine Anschaffungskosten den gemeinen Wert des zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens der Kapitalgesellschaft übersteigen (s. BFH-Urteile vom 3. Juni 1993 VIII R 23/92, BFH/NV 1994, 459; vom 12. Dezember 2000 VIII R 22/92, BFHE 194, 108, BStBl II 2001, 385).
Anschaffungskosten sind nach § 255 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben. Dazu gehören nach § 255 Abs. 1 Satz 2 HGB auch die nachträglichen Anschaffungskosten. Zu den nachträglichen Anschaffungskosten einer Beteiligung zählen neben (verdeckten) Einlagen auch nachträgliche Aufwendungen auf die Beteiligung, wenn sie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind und weder Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen noch Veräußerungs- oder Auflösungskosten sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 4. März 2008 IX R 78/06, BFHE 220, 446, BStBl II 2008, 575, und IX R 80/06, BFHE 220, 451, BStBl II 2008, 577, jeweils m.w.N.). Dazu rechnen Finanzierungshilfen, z.B. durch Übernahme einer Bürgschaft oder durch andere Rechtshandlungen i.S. des § 32a Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) in der im Streitfall anzuwendenden Fassung, wenn sie eigenkapitalersetzenden Charakter haben (vgl. BFH-Urteil vom 12. Dezember 2000 VIII R 52/93, BFHE 194, 120, BStBl II 2001, 286). Maßgebend dafür ist, ob ein Gesellschafter der Gesellschaft in einem Zeitpunkt, in dem ihr die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute Eigenkapital zugeführt hätten (Krise der Gesellschaft), stattdessen ein Darlehen gewährt oder eine dem Darlehen wirtschaftlich entsprechende andere Rechtshandlung ausführt (§ 32a Abs. 1 und 3 GmbHG; BFH-Urteil vom 6. Juli 1999 VIII R 9/98, BFHE 189, 383, BStBl II 1999, 817).
Ob die Gesellschaft in eine Krise geraten ist, hat das FG aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (BFH-Urteil vom 9. Oktober 2008 IX R 60/05, BFH/NV 2009, 896).
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Einordnung der streitbefangenen Bürgschaften seitens des FG als in der Krise hingegeben und damit als funktionales Eigenkapital revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Das FG hat in möglicher, mit schlüssigen Verfahrensrügen im Übrigen nicht angegriffener und damit den Senat bindender Weise (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, dass die streitbefangenen Bürgschaften in einer Situation gewährt wurden, in der bei objektiver Betrachtung ex ante ein ordentlicher Kaufmann angesichts der Risikobehaftung der Rückzahlung der gesicherten Bankdarlehen durch die GmbH dieser Eigenkapital zugeführt hätte. Dass das FG die Kreditunwürdigkeit der GmbH daraus folgert, dass die für die Geschäftsführung der GmbH erforderlichen Kreditaufnahmen ohne die Bürgschaftsübernahmen der Kläger nicht möglich gewesen wären, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Diese Tatsachenwürdigung des FG ist weder deshalb unschlüssig, weil die GmbH sich nur bei ihrer Hausbank um die entsprechenden Finanzmittel bemüht hat, noch deshalb, weil die GmbH nicht vorrangig nach einem weniger kapitalintensiven Geschäftsfeld gesucht hat. Die die Krise verursachende Kreditwürdigkeit der Gesellschaft erweist sich im Streitfall darin, dass sich die GmbH aus eigener Kraft die für ihre gesellschaftsintern geplante und abgestimmte Geschäftsführung erforderlichen Mittel nicht verschaffen konnte. Dass insoweit eine andere Tatsachenwürdigung, wie sie das FG vorgenommen hat, möglich gewesen wäre, verhilft der Revision insoweit nicht zum Erfolg, als die Würdigung des FG nicht widersprüchlich ist oder gegen Denk- bzw. Erfahrungssätze verstößt.
3. Da im Streitfall bereits der hälftige Ansatz der zum Auflösungsverlust des Klägers führenden Anschaffungskosten zu einer Steuer von 0 € führt, kommt es im vorliegenden Verfahren nicht darauf an, dass diese Aufwendungen nicht dem Halbabzugsverbot des § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG unterliegen, weil der Kläger keine dem Halbeinkünfteverfahren unterliegenden Einnahmen aus der Beteiligung an der GmbH erhalten hat (vgl. BFH-Urteil vom 6. April 2011 IX R 28/10, BFHE 233, 439, BStBl II 2011, 814).