BFH II. Senat
FGO § 115 Abs 2 Nr 1, GG Art 4 Abs 1, GG Art 20 Abs 2, GG Art 38 Abs 1 S 2, GG Art 110 Abs 2 S 1
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 05. June 2011, Az: 10 K 1128/09
Leitsätze
NV: Das Grundrecht der Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs 1 GG) wird durch die Pflicht zur Steuerzahlung nicht berührt. Die auf der Budgetverantwortung des Parlaments und dem demokratischen Prinzip beruhende haushaltsrechtliche Verwendungsentscheidung über die vereinnahmten Steuern unterliegt keinem Vorbehalt der Gewissensentscheidung des Einzelnen zu der Frage, wie Steuern zu verwenden sind.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) herausgestellte Frage, ob individuelle Gewissensgründe die Stundung der Einkommensteuer bis zur Schaffung einer gewissensneutralen Steuerzahlungsmöglichkeit rechtfertigen, hat keine grundsätzliche Bedeutung.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), wenn die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage bereits durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage erforderlich machen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 28, m.w.N.). So liegt es im Streitfall.
a) Nach der Rechtsprechung sowohl des BFH (z.B. Entscheidungen vom 6. Dezember 1991 III R 81/89, BFHE 166, 315, BStBl II 1992, 303, und vom 16. Oktober 2003 IV B 46/02, BFH/NV 2004, 311) als auch des Bundesverfassungsgerichts ‑‑BVerfG‑‑ (z.B. Beschlüsse vom 18. April 1984 1 BvL 43/81, BVerfGE 67, 26; vom 9. Oktober 1986 1 BvR 1013/86, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Abgabenordnung, § 3, Rechtsspruch 2; vom 26. Februar 1991 1 BvR 752/87, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 1991, 722; vom 26. August 1992 2 BvR 478/92, Neue Juristische Wochenschrift ‑‑NJW‑‑ 1993, 455; vom 2. Juni 2003 2 BvR 1775/02, NJW 2003, 2600; vom 2. Mai 2007 2 BvR 475/02, HFR 2007, 900) kann sich der Steuerbürger nicht der Mitfinanzierung von Staatstätigkeiten, die er aus Gewissensgründen ablehnt, entziehen.
Der Schutzbereich des Grundrechts der Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes ‑‑GG‑‑) ist durch die Pflicht zur Steuerzahlung nicht berührt und kann daher auch keinen Anspruch auf gewissenskonforme Verwendung der Steuern begründen. Vielmehr sind der Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) von vornherein Schranken durch die Grundrechte Dritter sowie durch andere grundlegende Verfassungsprinzipien gesetzt. Zu letzteren gehören auch die Budgetverantwortung des Parlaments (Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG) und das demokratische Prinzip (Art. 20 Abs. 2 i.V.m. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG). Diese grundlegenden Verfassungsprinzipien und die auf ihnen beruhende haushaltsrechtliche Verwendungsentscheidung über die vereinnahmten Steuern unterliegen demgemäß keinem Vorbehalt der Gewissensentscheidung des Einzelnen zu der Frage, wie die staatlichen Einnahmen aus Steuern zu verwenden sind.
b) Das Beschwerdevorbringen zeigt keine Gesichtspunkte auf, aus denen sich ein weiterer Klärungsbedarf ergibt.
aa) Entgegen der Meinung des Klägers bietet das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 21. Juni 2005 2 WD 12/04 (BVerwGE 127, 302) keinen Anlass zu einer gänzlichen Neubeurteilung der die Steuerverweigerung aus Gewissensgründen betreffenden Rechtsgrundsätze. Die in der Beschwerdebegründung herausgestellten Ausführungen (insbesondere unter III.4.1.4.) betreffen die Gewissensentscheidung eines Soldaten in Bezug auf die Nichtbefolgung eines ihm erteilten Befehls und der sich daraus ergebenden unmittelbaren Handlungsanweisung. In einer vergleichbaren Konfliktsituation befindet sich ein Steuerpflichtiger, der eine Mitfinanzierung von Staatstätigkeiten aus Gewissensgründen ablehnt, nicht. In der Pflicht zur Steuerzahlung liegt ‑‑wegen der davon zu trennenden haushaltsrechtlichen Verwendungsentscheidung‑‑ kein unmittelbar eigenhändiges Handeln, das für den Steuerpflichtigen zu einem unüberwindbaren Gewissenskonflikt führen kann.
bb) Der Kläger zieht auch zu Unrecht den Verfassungsrang des Budgetrechts des Parlaments in Zweifel. Dieses Recht ist ein grundlegender Teil der demokratischen Selbstgestaltungsfähigkeit im Verfassungsstaat (vgl. z.B. BVerfG-Urteil vom 7. September 2011 2 BvR 987/10 u.a., NJW 2011, 2946) und umfasst auch das Recht des Parlaments, bei der Verabschiedung des Haushaltsplans der verfassungsrechtlichen Grundentscheidung für eine militärische Verteidigung Rechnung zu tragen (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss in HFR 1991, 722, m.w.N.).
cc) Schließlich gibt das BVerwG-Urteil in BVerwGE 127, 302 auch keinen Anlass zur Prüfung, ob und wie die Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) eines Steuerpflichtigen mit dem Budgetrecht des Parlaments im Wege "praktischer Konkordanz" harmonisiert werden kann. Das BVerwG-Urteil (unter III. 4.1.5.3.2.e) erkennt in Bezug auf die Gewissensfreiheit die Notwendigkeit zur Herstellung "praktischer Konkordanz" nur für den Fall, dass "tatsächlich eine Kollision zwischen den sachlichen Geltungsbereichen mehrerer Verfassungsbestimmungen vorliegt, die es logisch und systematisch zwingend erscheinen lässt, eine wechselseitige Optimierung vorzunehmen". Eine solche Kollisionslage besteht indes ‑‑wie sich aus der unter 1.a angeführten Rechtsprechung des BVerfG und des BFH ergibt‑‑ zwischen der Gewissensfreiheit und dem Budgetrecht des Parlaments nicht.