BFH X. Senat
FGO § 115 Abs 2, FGO § 116 Abs 3 S 3, FGO § 76 Abs 1
vorgehend FG Münster, 25. May 2010, Az: 13 K 4404/05 E
Leitsätze
NV: Wird ein Urteil kumulativ auf mehrere Begründungen gestützt, die jede für sich das Entscheidungsergebnis tragen, kommt eine Zulassung der Revision nur dann in Betracht, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungsstränge ein Zulassungsgrund schlüssig geltend gemacht wird und vorliegt.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) benannten Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen nicht vor.
1. Gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn das Finanzgericht (FG) mit einem das angegriffene Urteil tragenden und entscheidungserheblichen abstrakten Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz einer anderen Gerichtsentscheidung abgewichen ist.
a) Ein Rechtssatz ist dann nicht entscheidungserheblich, wenn das Urteil kumulativ auf mehrere Begründungen gestützt ist, die jede für sich nach Auffassung des FG das Entscheidungsergebnis tragen. Eine Zulassung der Revision kommt dann nur in Betracht, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungsstränge ein Zulassungsgrund (schlüssig) geltend gemacht wird und vorliegt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. April 2008 X B 64/07, BFH/NV 2008, 1345; vom 5. Oktober 2010 X B 72/10, BFH/NV 2011, 273, und vom 13. Juli 2011 X B 117/10, BFH/NV 2011, 2075; Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 28 sowie § 115 Rz 60, m.w.N.).
b) Nach diesen Maßstäben kommt im vorliegenden Fall eine Zulassung der Revision wegen Divergenz nicht in Betracht. Das FG hat seine Entscheidung auf zwei Begründungen gestützt. Zum einen führt es unter Bezugnahme auf die BFH-Urteile vom 24. Juni 2004 III R 50/01 (BFHE 206, 551, BStBl II 2005, 80) und vom 27. Juni 2006 IX R 63/04 (BFH/NV 2006, 2225) aus, dass die X-KG nicht bis zum 31. Dezember 2002 wirtschaftlicher Eigentümer des Grundstücks Z (Grundstück) gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung geworden und damit eine Anschaffung im Sinne des § 6b Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht erfolgt sei. Wirtschaftlicher Eigentümer sei derjenige, der die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise ausübe, dass er den Eigentümer für den Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von den Einwirkungen auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen könne. Diese Möglichkeit habe die X-KG bis zum 31. Dezember 2002 nicht gehabt. Die formunwirksame Einigung im Dezember 2002 vermittele der X-KG keine entsprechende dem Vollrecht angenäherte Position oder Anwartschaft.
In diesem Erfordernis des Ausschlusses des bisherigen Eigentümers sehen die Kläger einen Widerspruch zum Urteil des BFH vom 13. Oktober 1972 I R 213/69 (BFHE 107, 418, BStBl II 1973, 209). In dem dortigen Fall reichte es für die Überführung eines Grundstücks aus dem Gesamthandsvermögen einer OHG in das Bruchteilseigentum der Gesellschafter aus, dass die Parteien ‑‑trotz der fehlenden erforderlichen notariellen Form‑‑ die von ihnen vereinbarten Wirkungen des Vertrages am Bilanzstichtag hatten eintreten lassen.
Die Kläger übersehen aber, dass das FG in einer zusätzlichen Begründung auf S. 12 und 13 seiner Entscheidungsgründe ausgeführt hat, es komme im Streitfall zu keinem anderen Ergebnis, selbst, wenn es davon ausginge, dass wirtschaftliches Eigentum dann begründet worden sei, wenn die Vertragsparteien die in einem formunwirksamen Vertrag getroffenen Vereinbarungen ‑‑unabhängig von der vertraglichen Gestaltung‑‑ tatsächlich durchführten. Die Parteien hätten nämlich die Rechtswirkungen der Vereinbarungen aus dem Dezember 2002 gerade nicht unabhängig von dem Kaufvertrag eintreten lassen, da insbesondere der Kaufpreis als wesentliche Gegenleistung noch nicht entrichtet worden sei. Auch stelle sich die Nutzung des Grundstücks durch A und die B-GmbH nicht als Vollzug der Vereinbarungen aus dem Dezember 2002 dar, sondern diese seien bereits vorher mit dem Insolvenzverwalter abgestimmt gewesen.
Mit dieser Begründung wendet das FG die Grundsätze des von den Klägern zitierten BFH-Urteils in BFHE 107, 418, BStBl II 1973, 209 an, kommt jedoch im Streitfall mit einer nachvollziehbaren Begründung zu einem anderen Ergebnis. Eine Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO liegt aber nicht vor, wenn das FG erkennbar von den in der Rechtsprechung des BFH entwickelten und auch den (mutmaßlichen) Divergenzentscheidungen zugrunde liegenden Rechtsgrundsätzen ausgeht, unabhängig davon, ob es sie zutreffend auf die Besonderheiten des Streitfalls angewendet hat (Senatsbeschluss vom 13. Januar 2010 X B 113/09, BFH/NV 2010, 600).
c) Es liegt ebenfalls keine Abweichung zum Urteil des BFH vom 29. Januar 2003 III R 53/00 (BFHE 202, 57, BStBl II 2003, 565) vor, da das angefochtene FG-Urteil und die (vorgebliche) Divergenzentscheidung dieselbe Rechtsfrage betreffen und zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sein müssen (Senatsbeschluss vom 17. März 2010 X B 51/09, BFH/NV 2010, 1291).
In dem Urteil in BFHE 202, 57, BStBl II 2003, 565 war die Frage zu beantworten, wann eine Anschaffung vorliegt, wenn ein formgültiger Vertrag abgeschlossen worden ist und erst danach Besitz, Nutzen und Lasten übergehen. Der BFH hat dazu ausgeführt, weder der Abschluss des schuldrechtlichen Kaufvertrages noch die Auflassung nach §§ 873, 925 des Bürgerlichen Gesetzbuchs führten als solche zum Übergang des wirtschaftlichen Eigentums, maßgebend sei allein, wann der Erwerber nach dem Willen beider Vertragsparteien wirtschaftlich über das Wirtschaftsgut verfügen könne.
Das FG hatte im Streitfall dagegen die Frage zu beantworten, ob trotz fehlender Formwirksamkeit des Vertrages die vertragschließenden Parteien die von ihnen vereinbarten Wirkungen ihres (unwirksamen) Vertrages eintreten ließen (siehe BFH-Urteil vom 17. Februar 2004 VIII R 26/01, BFHE 205, 204, BStBl II 2004, 651). Unter Bezugnahme auf die BFH Rechtsprechung hat das FG diese Frage mit vertretbaren Argumenten (siehe oben unter 1.b) abgelehnt.
2. Die von den Klägern gerügten gravierenden Rechtsanwendungsfehler, die ebenfalls zur Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO führen könnten, liegen nicht vor. Voraussetzung ist dabei das Vorliegen besonders schwerwiegender Fehler des FG bei der Auslegung revisiblen Rechts, die geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. In diesem Sinne greifbar gesetzwidrig ist eine Entscheidung dann, wenn sie objektiv willkürlich und unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 17. August 2011 X B 225/10, BFH/NV 2011, 2083, m.w.N.).
a) Die Kläger sind der Auffassung, die Einkommensteuer für das Streitjahr 2002 habe durch den Einkommensteuerbescheid vom 28. Oktober 2004 nicht mehr geändert werden dürfen. In dem bestandskräftigen Feststellungsbescheid für die X-KG über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen vom 23. Juli 2004 seien die Erklärungen der Feststellungsbeteiligten über die Entstehung der X-KG am 4. Oktober 2002 sowie die Ergänzungsbilanz des Klägers zum 31. Dezember 2002 und die darin erfolgte Rücklagenübertragung gemäß § 6b EStG vollständig anerkannt worden. Das FG habe die Bindungswirkung des bestandskräftigen Bescheides in offensichtlich rechtsfehlerhafter Weise übergangen.
b) Mit diesem Vorbringen wird jedoch kein Fehler von erheblichem Gewicht geltend gemacht, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Dem Feststellungsbescheid vom 23. Juli 2004 ist ‑‑entgegen der Auffassung der Kläger‑‑ eben nicht zu entnehmen, dass eine Rücklage gemäß § 6b EStG übertragen worden ist; in ihm wurden nur die von der Ergänzungsbilanz unabhängigen Verluste aus dem Gewerbebetrieb festgestellt und aufgeteilt. Da in der Ergänzungsbilanz aber keine Absetzung für Abnutzung (AfA) für das Gebäude geltend gemacht wurde (vgl. zur Pflicht zur Vornahme einer Regel-AfA Schmidt/Kulosa, EStG, 30. Aufl., § 7 Rz 6), konnte sie zwangsläufig keine numerische Auswirkung auf den Feststellungsbescheid haben. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass in dem Feststellungsbescheid die Rücklagenübertragung von dem Finanzamt anerkannt worden sei. Dass das FG insoweit dem Feststellungsbescheid keine Bedeutung beibemessen hat, ist zumindest gut vertretbar. Es liegt darin kein offensichtlicher Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht i.S. einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung.
c) Ein schwerwiegender materieller Fehler liegt auch nicht darin, dass in dem Einheitswertbescheid vom 26. November 2003 das Grundstück der X-KG zum 1. Januar 2003 zugerechnet wurde. Dieser Bescheid ist weder ein Grundlagenbescheid für den Feststellungsbescheid für 2002 noch für den Einkommensteuerbescheid 2002.
3. Die von den Klägern geltend gemachten Verfahrensfehler liegen nicht vor.
a) Die Kläger sind der Auffassung, das FG hätte von sich aus prüfen oder ermitteln müssen, ob eine Berücksichtigung der Übertragung der Rücklage gemäß § 6b EStG bei der Gewinnfeststellung der Mitunternehmerschaft erfolgt sei. Die Rüge mangelnder Sachaufklärung hat keinen Erfolg.
Die Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 FGO erfordert, dass das FG Tatsachen und Beweismitteln nachgeht, die sich ihm in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls hätten aufdrängen müssen. Es darf substantiierte Beweisanträge, die den entscheidungserheblichen Sachverhalt betreffen, grundsätzlich weder ablehnen noch übergehen. Da die Sachaufklärungspflicht dazu dient, die Spruchreife der Klage herbeizuführen, hat das Gericht jedoch nur das aufzuklären, was aus seiner (materiell-rechtlichen) Sicht entscheidungserheblich ist (BFH-Beschluss vom 23. September 2009 IV B 133/08, BFH/NV 2010, 52, m.w.N.).
Das FG war der Auffassung, weder das rechtliche noch das wirtschaftliche Eigentum an dem Grundstück sei im Jahr 2002 auf die X-KG übergegangen. Dem Feststellungsbescheid für das Jahr 2002 war nicht Gegenteiliges zu entnehmen (siehe oben). Warum sich dem FG eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen, ist nicht ersichtlich.
b) Aus demselben Grund war das FG auch nicht verpflichtet, das Verfahren auszusetzen. Es lag ein bestandskräftiger Feststellungsbescheid für das Jahr 2002 vor. Diesem fehlte jedoch eine verbindliche Aussage, dass die Rücklage gemäß § 6b EStG übertragen worden sei. Ein weiteres Feststellungsverfahren war nicht abzuwarten. Ein Feststellungsbescheid mit der verbindlichen Aussage über eine Rücklagenübertragung konnte nicht mehr erlassen werden, da der Feststellungsbescheid vom 23. Juli 2004 bereits bestandskräftig war.