BFH III. Senat
EStG § 66 Abs 1 S 2, EStG § 74 Abs 1 S 4, EStG § 66 Abs 1 S 2, EStG VZ 2009
vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt , 28. December 2010, Az: 4 K 305/10
Leitsätze
Der im Jahr 2009 gewährte Einmalbetrag nach § 66 Abs. 1 Satz 2 EStG von 100 € (sog. Kinderbonus) konnte nicht an den Sozialleistungsträger abgezweigt werden .
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die Sozialagentur, leistete für den geistig behinderten, in einer Betreuungseinrichtung lebenden S Eingliederungshilfe nach § 54 des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII). Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) setzte gegenüber der Beigeladenen, der Mutter des S, Kindergeld für diesen fest. Das Kindergeld wurde ab Januar 2009 in Höhe von 118 € an die Klägerin abgezweigt. Im Juli 2009 zahlte die Familienkasse den Einmalbetrag nach § 66 Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung (EStG) von 100 € (sog. Kinderbonus) an die Beigeladene aus.
Die Klägerin begehrte mit Schreiben vom 28. September 2009, den Kinderbonus an sie abzuzweigen. Dies lehnte die Familienkasse durch Bescheid vom 8. Oktober 2009 ab, da der Einmalbetrag direkt an den Kindergeldberechtigten zu zahlen sei. Dagegen wandte sich die Klägerin mit ihrem Einspruch, den die Familienkasse als unbegründet zurückwies.
Die anschließend erhobene Klage hatte keinen Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1007). Das Finanzgericht (FG), das die Beigeladene am Verfahren beteiligt hatte, führte zur Begründung aus, der Kinderbonus sei durch Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland vom 2. März 2009 (BGBl I 2009, 416) in § 66 Abs. 1 EStG eingefügt worden. Nach Art. 5 dieses Gesetzes sei der Kinderbonus bei Sozialleistungen, deren Zahlung von anderen Einkommen abhängig sei, nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Aus der Gesetzesbegründung ergebe sich, dass der Kinderbonus den Privathaushalten für Konsumzwecke zur Verfügung stehen sollte und es nicht beabsichtigt gewesen sei, ihn den öffentlichen Kassen im Wege der Abzweigung zukommen zu lassen.
Zur Begründung ihrer Revision trägt die Klägerin vor, durch den Kinderbonus sollten nicht Belange der Eltern gefördert werden, sondern die des Kindes. Den Bedarfsgemeinschaften sollte ein Mehreinkommen zur Verfügung stehen. Bei einer Fremdunterbringung erfülle sich diese Zweckbestimmung jedoch nicht. Darauf, dass der Kinderbonus auf die Leistungen nach dem SGB XII nicht angerechnet werde, komme es nicht an.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil, den Ablehnungsbescheid vom 8. Oktober 2009 sowie die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 26. Januar 2010 aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, den Kinderbonus an sie abzuzweigen.
Die Familienkasse beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Der Bescheid vom 8. Oktober 2009, mit dem es die Familienkasse abgelehnt hat, den Einmalbetrag nach § 66 Abs. 1 Satz 2 EStG an die Klägerin abzuzweigen, ist rechtmäßig.
1. Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG kann das für ein Kind festgesetzte Kindergeld an das Kind selbst ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt; dies gilt auch, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder nur Unterhalt in Höhe eines Betrags zu leisten braucht, der geringer ist als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld (§ 74 Abs. 1 Satz 3 EStG). Das Kindergeld kann nach § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG auch an die Person oder Stelle abgezweigt werden, die dem Kind Unterhalt gewährt. Zum Kindergeld gehört der im Jahr 2009 gezahlte Einmalbetrag von 100 € nach § 66 Abs. 1 Satz 2 EStG (sog. Kinderbonus).
2. Eine Abzweigung des Kinderbonus an die Klägerin scheidet im Streitfall bereits deshalb aus, weil der entsprechende Anspruch der Beigeladenen nach den Feststellungen des FG erfüllt ist.
Der Senat hat bereits entschieden, dass die Auszahlung von Kindergeld an einen Dritten nicht zum Festsetzungs-, sondern zum Auszahlungsverfahren gehört, das dem Erhebungsverfahren entspricht (Senatsurteile vom 26. August 2010 III R 21/08, BFHE 231, 520, BFH/NV 2011, 474, und vom 27. Oktober 2011 III R 16/09, BFH/NV 2012, 720). Sie betrifft nicht die Anspruchs-, sondern die Empfangsberechtigung (Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 30. Januar 2001 VI B 272/99, BFH/NV 2001, 898). Dementsprechend kann Kindergeld, das bereits an einen Elternteil ausgezahlt worden ist, nicht mehr an den Sozialleistungsträger abgezweigt werden (s. Senatsurteile in BFHE 231, 520, BFH/NV 2011, 474, sowie in BFH/NV 2012, 720; Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 74 Rz 72; Felix in Kirchhof, EStG, 11. Aufl., § 74 Rz 3; Wendl in Herrmann/Heuer/Raupach ‑‑HHR‑‑, § 74 EStG Rz 14). Das gilt auch für den im Jahr 2009 gewährten Einmalbetrag von 100 € nach § 66 Abs. 1 Satz 2 EStG.
3. Darüber hinaus ist die Rechtsansicht des FG und der Familienkasse zutreffend, wonach der mit der Gewährung des Einmalbetrags verfolgte gesetzgeberische Zweck eine Abzweigung an die Klägerin ausschließt. Bei der nach § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG anzustellenden Ermessensentscheidung ist zu berücksichtigen, dass der Kinderbonus einkommensschwachen Familien zugutekommen und deshalb nicht auf Sozialleistungen angerechnet werden sollte (BTDrucks 16/11740, S. 21, 27). Dementsprechend ist der Einmalbetrag nach dem Gesetz zur Nichtanrechnung des Kinderbonus (BGBl I 2009, 417) bei Sozialleistungen, deren Zahlung von anderen Einkommen abhängig ist, nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Eine Abzweigung an die Klägerin als Sozialleistungsträgerin widerspräche den Intentionen des Gesetzgebers und wäre nicht ermessensgerecht (i.E. ebenso Pust in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 66 Rz 28; HHR/Wendl, § 66 EStG Rz 12; Dürr in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 66 Rz 11).