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Urteil vom 06. Juni 2012, I R 99/10

Rückstellungen wegen zukünftiger Betriebsprüfung bei Großbetrieben - Mitwirkungspflichten des § 200 AO - Ermessensentscheidung über den Erlass einer Betriebsprüfungsanordnung

BFH I. Senat

AO § 196, AO § 200, EStG § 5 Abs 1 S 1, HGB § 249 Abs 1 S 1, KStG § 8 Abs 1 S 1, BpO 2000 § 3, BpO 2000 § 4, BpO 2000 § 32, AO § 162, FGO § 96 Abs 1 S 1, FGO § 118 Abs 2, EStG § 6 Abs 1 Nr 3a

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 13. October 2010, Az: 3 K 2555/09

Leitsätze

In der Steuerbilanz einer als Großbetrieb i.S. von § 3 BpO 2000 eingestuften Kapitalgesellschaft sind Rückstellungen für die im Zusammenhang mit einer Außenprüfung bestehenden Mitwirkungspflichten gemäß § 200 AO, soweit diese die am jeweiligen Bilanzstichtag bereits abgelaufenen Wirtschaftsjahre (Prüfungsjahre) betreffen, grundsätzlich auch vor Erlass einer Prüfungsanordnung zu bilden.  

Tatbestand

I.

  1. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, ist durch formwechselnde Umwandlung zum 1. Dezember 2005 aus einer KG hervorgegangen; ihr vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr endete am 30. November 2006. Die Klägerin handelt mit Waren aller Art ... und war gemäß § 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für die Betriebsprüfung vom 15. März 2000 (Betriebsprüfungsordnung ‑‑BpO 2000‑‑) als Großbetrieb eingestuft, der zum Konzern ihrer beiden Gesellschafter gehörte.

  2. In ihrem Jahresabschluss für das Wirtschaftsjahr 2005/2006 vom 31. Januar 2007 bildete die Klägerin eine Rückstellung für die Kosten einer zu erwartenden Betriebsprüfung betreffend die Jahre 2004 bis 2006 in Höhe von 25.100 €. Die Rückstellung wurde bei den zunächst für das Streitjahr (2006) ergangenen Bescheiden zur Festsetzung der Körperschaftsteuer sowie des Gewerbesteuermessbetrags berücksichtigt. Alle Bescheide standen gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

  3. Auf Ersuchen des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt ‑‑FA‑‑) führte das FA für Groß- und Konzernbetriebsprüfung X im Jahre 2008 eine die Jahre 2004 bis 2006 betreffende Betriebsprüfung durch. Der Prüfer vertrat die Auffassung, die von der Klägerin gebildete Rückstellung für künftige Betriebsprüfungskosten sei nicht anzuerkennen, weil am Bilanzstichtag (30. November 2006) lediglich die die Jahre 2001 bis 2003 betreffende Betriebsprüfung abgeschlossen gewesen sei und es im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung (31. Januar 2007) an einer Prüfungsanordnung für die Jahre 2004 bis 2006 gefehlt habe; letztere Prüfung sei erst im Mai 2008 verfügt worden.

  4. Das FA schloss sich dem an und erließ geänderte Bescheide zur Festsetzung der Körperschaftsteuer sowie des Gewerbesteuermessbetrags.

  5. Der daraufhin erhobenen Klage hat das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 14. Oktober 2010  3 K 2555/09 stattgegeben (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 339).

  6. Mit der vom FG zugelassenen Revision beantragt das FA, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

  7. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

  8. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Es hat zwar keinen Antrag gestellt, jedoch in der Sache unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 24. August 1972 VIII R 21/69 (BFHE 107, 202, BStBl II 1973, 55) geltend gemacht, dass die Mitwirkungsverpflichtungen im Rahmen einer Betriebsprüfung erst durch die Prüfungsanordnung hinreichend konkretisiert würden. Hieran ändere auch die Einstufung der Klägerin als Großbetrieb nichts, da der Erlass einer solchen Anordnung im Ermessen der Behörde stehe und diese insbesondere befugt sei, eine verkürzte Betriebsprüfung oder eine sog. Schwerpunktprüfung anzuordnen. Gleiches gelte für den Rückgriff der Vorinstanz auf die vom BMF veröffentlichten Prüfungsquoten. Abgesehen davon, dass hiernach rund 20 % der Großbetriebe nicht geprüft würden, sei zu berücksichtigen, dass auch in Fällen routinemäßiger Außenprüfungen dem FA ein pflichtgemäß auszuübendes Auswahlermessen zustehe. Zum anderen müsse die Abgrenzung der rückstellungsfähigen Außenverpflichtung gegenüber der nicht passivierbaren Aufwandsrückstellung beachtet werden. Angesichts des Ermessens der Behörde, auch einen Großbetrieb vom Prüfungsplan zu streichen, fehle es bis zum Erlass der Prüfungsanordnung an einer öffentlich-rechtlichen Außenverpflichtung gegenüber einem Träger hoheitlicher Gewalt.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision bleibt ohne Erfolg. Das FG hat zu Recht entschieden, dass bei Großbetrieben i.S. von § 3 BpO 2000 Rückstellungen für die im Zusammenhang mit einer Außenprüfung bestehenden Mitwirkungspflichten gemäß § 200 AO ‑‑soweit diese die am jeweiligen Bilanzstichtag bereits abgelaufenen Wirtschaftsjahre (Prüfungsjahre) betreffen‑‑ grundsätzlich auch vor Erlass einer Prüfungsanordnung zu bilden sind. Die hiernach gebotene Schätzung des zu passivierenden Aufwands gehört zu den tatsächlichen Feststellungen, an die der erkennende Senat im Streitfall gebunden ist. Die Revision ist deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

  2. 1. Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) sind in der Handelsbilanz u.a. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Die daraus folgende Passivierungspflicht gehört zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) und war gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG 2002) i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 2002) auch für die Steuerbilanz der Klägerin zu beachten (ständige Rechtsprechung, Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2009 I R 43/08, BFHE 227, 469, BFH/NV 2010, 552).

  3. 2. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten setzen entweder das Bestehen einer nur ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach voraus, deren Höhe zudem ungewiss sein kann. Gegenstand der Verbindlichkeit können nicht nur Geldschulden, sondern neben Werk- und Dienstleistungspflichten auch Sachleistungsverpflichtungen sein (Senatsurteile vom 26. Oktober 1977 I R 148/75, BFHE 123, 547, BStBl II 1978, 97; vom 8. November 2000 I R 6/96, BFHE 193, 399, BStBl II 2001, 570). Der Umstand, dass der Steuerpflichtige in seiner Steuerbilanz nur Verbindlichkeiten ausweisen darf, die ihn wirtschaftlich belasten (z.B. Senatsurteil vom 30. November 2011 I R 100/10, BFHE 235, 476, BStBl II 2012, 332; BFH-Urteil vom 12. Dezember 1991 IV R 28/91, BFHE 167, 334, BStBl II 1992, 600), schließt zwar Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen, die auf öffentlich-rechtlichen Vorschriften beruhen, nicht aus. Voraussetzung hierfür ist jedoch ‑‑bei rechtlich noch nicht entstandenen Verbindlichkeiten (z.B. Senatsurteil in BFHE 193, 399, BStBl II 2001, 570)‑‑ nicht nur ihre wirtschaftliche Verursachung in den bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahren; neben der Kenntnis des Anspruchsgläubigers muss hinzukommen, dass die auf öffentlichen Vorschriften beruhende Verpflichtung sowohl inhaltlich hinreichend bestimmt als auch in zeitlicher Nähe zum Bilanzstichtag zu erfüllen sowie sanktionsbewehrt, d.h. mit Zwangsmitteln durchsetzbar ist (z.B. BFH-Urteile in BFHE 167, 334, BStBl II 1992, 600; vom 19. Oktober 1993 VIII R 14/92, BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891). Ob diesen Anforderungen entsprochen wird, ist nicht nach der subjektiven Einschätzung des Steuerpflichtigen, sondern nach den objektiv und aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns zu würdigenden Gegebenheiten des Einzelfalls am Bilanzstichtag zu entscheiden (BFH-Urteil vom 19. Mai 1983 IV R 205/79, BFHE 139, 41, BStBl II 1983, 670; Senatsbeschlüsse in BFHE 227, 469, BFH/NV 2010, 552; vom 30. November 2011 I R 83/10, juris). Eine hiernach gebildete Rückstellung mindert schließlich nur dann den Gewinn (Einkommen), wenn sie nicht durch eine außerbilanzielle Hinzurechnung zu neutralisieren ist, weil die in Frage stehenden Aufwendungen einem steuerrechtlichen Abzugsverbot unterliegen und deshalb nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden können (vgl. z.B. Senatsurteile vom 9. Juni 1999 I R 64/97, BFHE 189, 75, BStBl II 1999, 656; vom 8. November 2000 I R 10/98, BFHE 193, 406, BStBl II 2001, 349; BFH-Urteil vom 6. April 2000 IV R 31/99, BFHE 192, 64, BStBl II 2001, 536; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 31. Aufl., § 5 Rz 368, m.w.N.).

  4. 3. Im Schrifttum wird teilweise vertreten, dass Kosten einer zukünftigen Außenprüfung erst ab dem Erlass der Prüfungsanordnung passiviert werden dürfen (z.B. Horlemann, Betriebs-Berater 1984, 2162; Plewka in Lademann, EStG, § 5 EStG Rz 1574; Tonner in Bordewin/Brandt, § 5 EStG Rz 750 "Betriebsprüfung"; Kozikowski/Schubert in Beck Bil-Komm., 8. Aufl., § 249 Rz 100 "Betriebsprüfungskosten"; H 5.7 Abs. 3 "Rückstellungen für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen" Amtliches Einkommensteuer-Handbuch 2006 ‑‑EStH 2006‑‑; heute: H 5.7 Abs. 4 EStH 2011). Nach anderer Auffassung sind hingegen (jedenfalls) bei Großbetrieben, die nach § 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 BpO 2000 der sog. Anschlussprüfung unterliegen, Rückstellungen für die zukünftigen Betriebsprüfungskosten zu bilden, die am jeweiligen Bilanzstichtag auf die bis dahin abgelaufenen Wirtschaftsjahre entfallen (z.B. Gürtzgen, Der Betrieb 1984, 369; Langer, Finanz-Rundschau 2008, 1007; Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., § 5 Rz 550 "Betriebsprüfung"; Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 920 "Außenprüfung"; Frotscher, EStG, § 5 Rz 458 "Außenprüfung"; weiter gehend: Kleine/Werner, Deutsches Steuerrecht ‑‑DStR‑‑ 2006, 1954).

  5. 4. Der Senat schließt sich nach Maßgabe der folgenden Ausführungen der zuletzt genannten Ansicht an.

  6. a) Allerdings war die Klägerin am Bilanzstichtag des Streitjahrs (30. November 2006) noch nicht gemäß § 200 AO zur Mitwirkung an der Außenprüfung betreffend die Wirtschaftsjahre 2004 bis 2006 verpflichtet, da die Betriebsprüfung für diese Zeiträume erst im Jahre 2008 angeordnet wurde.

  7. aa) Nach § 200 Abs. 1 AO hat der Steuerpflichtige im Rahmen einer Außenprüfung bei der Feststellung der Sachverhalte, die für die Besteuerung erheblich sein können, mitzuwirken (Satz 1) und hierbei insbesondere Auskünfte zu erteilen, Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden zur Einsicht und Prüfung vorzulegen sowie die zum Verständnis der Aufzeichnungen erforderlichen Erläuterungen zu geben (Satz 2). Die Unterlagen sind nach § 200 Abs. 2 AO regelmäßig in den Geschäftsräumen des Steuerpflichtigen vorzulegen (Satz 1); darüber hinaus hat er einen zur Durchführung der Außenprüfung geeigneten Raum oder Arbeitsplatz sowie die erforderlichen Hilfsmittel unentgeltlich zur Verfügung zu stellen (Satz 2).

  8. bb) Nach der Rechtsprechung des BFH ergänzen und modifizieren die Regelungen des § 200 AO für den Fall einer Außenprüfung die allgemeinen Vorschriften über die Mitwirkung der Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren (§§ 90 ff. AO; BFH-Urteil vom 4. November 2003 VII R 28/01, BFHE 204, 15, BStBl II 2004, 1032, m.w.N.). Die Mitwirkungspflichten des § 200 AO entstehen deshalb ‑‑wovon auch die Beteiligten ausgehen‑‑ erst mit der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung gemäß § 196 AO; Letztere bildet sowohl im Hinblick auf das Prüfungssubjekt als auch den Prüfungsumfang sowie den Prüfungszeitraum den Rahmen für die dem Steuerpflichtigen nach § 200 AO auferlegten Pflichten (Schallmoser in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 196 AO Rz 104, § 200 Rz 15, jeweils m.w.N.; vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 204, 15, BStBl II 2004, 1032).

  9. b) Zutreffend hat das FG jedoch angenommen, dass im Streitfall die Voraussetzungen für die Rückstellung einer dem Grunde und der Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit vorlagen.

  10. aa) Der Erlass einer Prüfungsanordnung betreffend die Wirtschaftsjahre 2004 bis 2006 gegenüber der Klägerin und damit auch deren Verpflichtung zur Mitwirkung nach § 200 AO, war am 30. November 2006 (Bilanzstichtag) wahrscheinlich.

  11. aaa) Maßstab hierfür ist die Prognose dazu, ob am Bilanzstichtag mehr Gründe für als gegen das Entstehen dieser Verpflichtung in der Zukunft sprachen (BFH-Urteil vom 19. Oktober 2005 XI R 64/04, BFHE 211, 475, BStBl II 2006, 371; Senatsurteil vom 30. November 2005 I R 110/04, BFHE 212, 83, BStBl II 2007, 251; zur Kritik s. Blümich/Buciek, § 5 Rz 796). Hiervon kann zwar regelmäßig ‑‑d.h. ohne Hinzutreten weiterer Umstände‑‑ nicht allein aufgrund des Umstands ausgegangen werden, dass am Bilanzstichtag Steuern unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt worden sind. Für den Streitfall hat die Vorinstanz jedoch zu Recht darauf abgestellt, dass nach den Monatsberichten des BMF (Juni 2008, Juni 2009 sowie April 2010) bei Betrieben, die ‑‑wie die Klägerin‑‑ gemäß § 3 BpO 2000 als Großbetriebe eingestuft waren und deshalb nach § 4 Abs. 2 BpO 2000 ohne zeitliche Zäsur geprüft werden sollten (sog. Anschlussbetriebsprüfung), die Wahrscheinlichkeit, dass der einzelne Veranlagungszeitraum geprüft wird, in den Jahren 2007 bis 2009 bei rund 80 % lag. Demgemäß musste auch die Klägerin mit zumindest überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass ihr gegenüber für die Jahre 2004 bis 2006 eine Betriebsprüfungsanordnung ergeht, die ohne zeitlichen Abstand an die vorangegangene Außenprüfung (betreffend die Jahre 2001 bis 2003 gegenüber der KG) anschließt.

  12. bbb) Soweit das BMF vorträgt, dass ‑‑trotz der Soll-Vorgabe des § 4 Abs. 2 BpO 2000‑‑ dem FA auch für die Prüfung von Großbetrieben ein Auswahlermessen zustehe, berechtigt dieser Einwand weder zu der Annahme, das Entstehen der Verbindlichkeit sei nicht im Sinne der vorbezeichneten Rechtsprechung wahrscheinlich, noch lässt er den Schluss zu, dass bis zum Erlass einer Prüfungsanordnung lediglich die Voraussetzungen einer nur handelsrechtlich passivierbaren Aufwandsrückstellung (vgl. § 249 Abs. 3 HGB a.F.) vorlägen. Der Vortrag lässt nicht nur außer Acht, dass das Auswahlermessen der Finanzbehörden in die statistischen Erhebungen des BMF Eingang gefunden haben und deshalb auch die Klägerin ‑‑trotz des Auswahlermessens des FA‑‑ mit einer weit überwiegenden Wahrscheinlichkeit damit rechnen musste, einer Anschlussbetriebsprüfung unterzogen zu werden. Hinzu kommt, dass dann, wenn ‑‑wie vorliegend‑‑ Rückstellungen für dem Grunde nach ungewisse Verpflichtungen im Streit sind, die Frage einer steuerrechtlich nicht anzuerkennenden Aufwandsrückstellung mit Rücksicht auf die rechtliche Qualität der in der Zukunft (wahrscheinlich) entstehenden Verbindlichkeit zu prüfen ist (vgl. Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 792). Hiernach kann aber nicht fraglich sein, dass die aufgrund einer ‑‑im Streitfall für die Jahre 2004 bis 2006 zu erwartenden‑‑ Prüfungsanordnung begründeten Mitwirkungsverpflichtungen gemäß § 200 AO nicht als innerbetriebliche Obliegenheit, sondern als öffentlich-rechtliche Außenverpflichtungen zu qualifizieren sind.

  13. ccc) Soweit das FA geltend macht, dass bei der Entscheidung über eine Anschlussprüfung nach § 4 Abs. 4 BpO 2000 grundsätzlich auf die Größenklasse im Zeitpunkt der Prüfungsanordnung abzustellen sei, vermag auch dieser Einwand ‑‑jedenfalls für das anhängige Verfahren‑‑ keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Da die Einschätzung, ob die ungewisse Verbindlichkeit in der Zukunft wahrscheinlich entstehen, d.h. zu einer zumindest dem Grunde nach gewissen Verbindlichkeit erstarken wird, an den objektiven Verhältnissen am Bilanzstichtag auszurichten ist (s. oben zu II.2.), könnte der Hinweis auf § 4 Abs. 4 BpO 2000 nur dann die Prognose über das Entstehen der Mitwirkungspflichten gemäß § 200 AO beeinflussen, wenn ‑‑was auch vom FA nicht behauptet wird‑‑ spätestens bei Aufstellung des Jahresabschlusses 2005/2006 (31. Januar 2007) konkrete Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass die Klägerin vor Erlass der Prüfungsanordnung betreffend die Jahre 2004 bis 2006 (18. Prüfungsturnus; vgl. BMF-Schreiben vom 19. August 2003, BStBl I 2003, 403) die für die Qualifikation als Großbetrieb (i.S. des § 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 BpO 2000) maßgeblichen Merkmale nicht mehr erfüllen werde.

  14. Hinzu kommt, dass ‑‑was das FA offensichtlich übersehen hat‑‑ nach § 32 Abs. 4 und 5 BpO 2000 die Betriebe nach den auf einen bestimmten Stichtag festgestellten und aus den Veranlagungsergebnissen sowie den Steuererklärungen abgeleiteten Merkmalen in der Betriebskartei zu erfassen sind und eine hiernach gegebene Einstufung als Großbetrieb bis zur nächsten (stichtagsbezogenen) Größenklassenzuordnung unverändert bleibt (vgl. auch BFH-Urteil vom 23. Juli 1985 VIII R 197/84, BFHE 144, 9, BStBl II 1986, 36). Demnach konnte ‑‑wovon offensichtlich auch die Vorinstanz ausging‑‑ bereits am Bilanzstichtag (30. November 2006) keinerlei Zweifel darüber bestehen, dass die Klägerin auch die nach dem BMF-Schreiben vom 21. September 2006 (BStBl I 2006, 530) für den 19. Prüfungsturnus (2007 bis 2009) ab dem 1. Januar 2007 geltenden Kriterien eines Großbetriebs erfüllen werde und deshalb mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit dem Erlass einer Prüfungsanordnung für die Jahre 2004 bis 2006 rechnen musste.

  15. ddd) Anderes ergibt sich nicht aus dem Hinweis des BMF, dass § 194 Abs. 1 Satz 2 AO die Möglichkeit einer sog. Schwerpunktprüfung eröffne und die Finanzämter auch bei Großbetrieben befugt seien, eine abgekürzte Außenprüfung (§ 203 AO) anzuordnen (vgl. zu Letzterem auch BMF vom 2. Januar 2008, Anwendungserlass zur Abgabenordnung, BStBl I 2008, 27, dort zu § 203). Der Vortrag ist ‑‑entgegen den Folgerungen des BMF‑‑ weder geeignet, die Höhe der Rückstellungen zu begrenzen, noch vermag er im Streitfall die Wahrscheinlichkeit einer umfassenden Prüfung der Jahre 2004 bis 2006 dem Grunde nach in Frage zu stellen. Zum einen deshalb, weil die vom FG in Bezug genommenen Monatsberichte des BMF keinerlei Anhalt dafür geben, dass solche sachlichen Prüfungsbeschränkungen bei Großbetrieben in nennenswertem Umfang zum Tragen kommen. Zum anderen lässt der Vortrag unberücksichtigt, dass die Außenprüfung nach § 194 Abs. l und § 199 Abs. l AO grundsätzlich auf eine umfassende und zusammenhängende Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen angelegt ist (BFH-Urteil vom 5. April 1984 IV R 244/83, BFHE 140, 518, BStBl II 1984, 790; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Vor §§ 193 bis 203 AO Rz 123). Demgemäß ist ‑‑jedenfalls bei Großbetrieben‑‑ auch im Rahmen der am Bilanzstichtag gebotenen Wahrscheinlichkeitserwägungen grundsätzlich von der Anordnung einer umfassenden Prüfung (sog. Vollprüfung) und nur ausnahmsweise dann von der Beschränkung des Prüfungsumfangs gemäß § 194 Abs. 1 Satz 2 AO oder § 203 AO auszugehen, wenn hiermit im Einzelfall ‑‑beispielsweise aufgrund von Erklärungen im Zusammenhang mit den für die Vorjahre durchgeführten Betriebsprüfungen‑‑ gerechnet werden muss.

  16. bb) Der Erlass der Prüfungsanordnung für die Jahre 2004 bis 2006 war nicht nur wahrscheinlich, sondern auch in diesen Jahren wirtschaftlich verursacht.

  17. aaa) Ein solcher Vergangenheitsbezug erfordert, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale für das Entstehen der Verbindlichkeit bereits am Bilanzstichtag erfüllt sind und das rechtliche Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt. Maßgeblich hierfür ist die wertende Betrachtung des Einzelfalls vor dem Hintergrund der rechtlichen Struktur des Tatbestands, mit dessen Erfüllung die Verbindlichkeit entsteht (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsurteile vom 27. Januar 2010 I R 103/08, BFHE 228, 91, BStBl II 2010, 614; vom 30. November 2011 I R 83/10, juris; Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 800, jeweils m.w.N.).

  18. bbb) Im Streitfall kann nicht zweifelhaft sein, dass die den Rückstellungen zugrunde liegenden Mitwirkungspflichten des § 200 AO insoweit einen Vergangenheitsbezug aufweisen, als die Klägerin ‑‑nach Maßgabe der Einzelregelungen dieser Vorschrift‑‑ an der Feststellung der Sachverhalte mitzuwirken hatte, die für die Besteuerung der bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahre (Wirtschaftsjahr 2003/2004 bis einschließlich Wirtschaftsjahr 2005/2006) von Bedeutung sein konnten.

  19. Ferner bestehen mit Rücksicht auf den Bilanzstichtag (30. November 2006) keine Bedenken dagegen, einen solchen Vergangenheitsbezug auch im Hinblick auf die für das Kalenderjahr 2006 festzusetzende Umsatzsteuer zu bejahen. Die in diesen Besteuerungsperioden verwirklichten Besteuerungsgrundlagen bildeten im Zusammenhang mit der hieraus abgeleiteten fortdauernden Zuordnung der Klägerin zur Gruppe der Großbetriebe die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale für das Entstehen der Mitwirkungspflichten gemäß § 200 AO. Dass die Prüfung auch Auswirkungen für die Besteuerung der sich an den Prüfungszeitraum anschließenden Besteuerungszeiträume haben kann, steht der Annahme, dass die durch § 200 AO begründeten Pflichten in der Zeit bis zum Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht sind, nicht entgegen, da in solchen zukunftsgerichteten Folgen nicht der Anlass und damit auch nicht das wirtschaftlich wesentliche Merkmal der vergangenheitsbezogenen Außenprüfung zu sehen ist.

  20. Anderes ergibt sich nicht daraus, dass auch bei Großbetrieben die Betriebsprüfungsanordnung auf einer Ermessensentscheidung des FA beruht. Dabei kann der Senat offenlassen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Verbindlichkeit einen hinreichenden Vergangenheitsbezug aufweist, wenn sie erst nach Maßgabe von Ermessenserwägungen entsteht, die zumindest auch auf nach dem Bilanzstichtag eingetretenen Umständen beruhen (vgl. auch Senatsurteil vom 30. November 2011 I R 83/10, juris). Hierauf ist im Streitfall deshalb nicht einzugehen, weil die Ermessensentscheidung über den Erlass einer Betriebsprüfungsanordnung auch bei Großbetrieben darauf gerichtet ist, eine Auswahlentscheidung über die Prüfungsbedürftigkeit der verschiedenen (Groß-)Betriebe zu treffen. Diese Fallauswahl orientiert sich jedoch, wie u.a. den sog. Rationalisierungserlassen der Länder zu entnehmen ist (vgl. Wiedergabe bei Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Vor §§ 193 bis 203 AO Rz 107), nicht an zukunftsbezogenen Maßstäben, sondern ‑‑jedenfalls primär‑‑ daran, ob und bei welchem Betrieb für den fraglichen Prüfungszeitraum mit wesentlichen Berichtigungen oder Steuernacherhebungen zu rechnen ist. Demnach kann auch dem Umstand, dass diese Ermessensentscheidung erst nach dem Bilanzstichtag getroffen wird, bei der gebotenen wertenden Betrachtung kein wirtschaftlich wesentliches Gewicht dafür gegeben werden, ob für den einzelnen Betrieb eine die Mitwirkungspflichten des § 200 AO auslösende Prüfungsanordnung ergeht.

  21. ccc) Der Senat weicht mit dieser Würdigung nicht von dem Urteil des BFH in BFHE 107, 202, BStBl II 1973, 55 ab, nach dem die Möglichkeit, dass im Anschluss an eine Betriebsprüfung weitere Buchführungsaufwendungen anfallen können, mangels eines hinreichenden Vergangenheitsbezugs nicht die Bildung von Rückstellungen im Abschluss der geprüften Jahre rechtfertigt. Während dieser Aufwand im damaligen Urteilsfall erst durch die ‑‑am Bilanzstichtag nicht vorhersehbaren‑‑ Beanstandungen des Prüfers ausgelöst wurde, geht es im anhängigen Verfahren um die durch die Durchführung einer Betriebsprüfung veranlassten Aufwendungen. Diese finden aber ihren wirtschaftlich wesentlichen Bezugspunkt allein in den bis zum jeweiligen Bilanzstichtag verwirklichten Besteuerungsmerkmalen.

  22. cc) Die aus § 200 AO sich ergebenden öffentlich-rechtlichen Mitwirkungspflichten waren am Bilanzstichtag sowohl inhaltlich als auch in zeitlicher Hinsicht konkretisiert. Auch sind die auf die Vorschrift gestützten Mitwirkungsverlangen sanktionsbewehrt.

  23. aaa) Da diese Merkmale kein Sonderrecht für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen begründen, sondern lediglich dazu dienen, die Voraussetzungen für das Bestehen einer wirtschaftlichen Belastung des Steuerpflichtigen zu präzisieren (s. oben zu II.2., m.w.N.), erfordert die Konkretisierung in sachlicher Hinsicht nicht, dass das Gesetz selbst die Handlungspflichten im Einzelnen vorschreibt. Ausreichend ist vielmehr, dass das Gesetz das Ziel der Verpflichtung in dem Sinne hinreichend konkret benennt, dass der Betroffene mit einer Inanspruchnahme ernsthaft rechnen muss (Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 793c; Heger, Steuerberater-Jahrbuch ‑‑StbJB‑‑ 2005/2006, 233, 244). Wird diesem Erfordernis genügt, ist es unerheblich, dass dem Steuerpflichtigen mehrere ‑‑ihn jeweils wirtschaftlich belastende‑‑ Handlungsmöglichkeiten verbleiben, um der gesetzlichen Verpflichtung zu genügen (vgl. zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen BFH-Urteil vom 19. August 2002 VIII R 30/01, BFHE 199, 561, BStBl II 2003, 131). Ebenso ist es als ausreichend angesehen worden, wenn nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen war, dass die Behörde eine allgemein bestehende Handlungspflicht durch eine den Steuerpflichtigen wirtschaftlich belastende Ermessensentscheidung konkretisieren wird (Senatsurteil vom 19. November 2003 I R 77/01, BFHE 204, 135, BStBl II 2010, 482; gl.A. Blümich/ Buciek, § 5 EStG Rz 793c). Nichts anderes kann für die gesetzlichen Mitwirkungspflichten nach § 200 AO gelten. Auch insofern muss es genügen, dass die in dieser Vorschrift umschriebenen und durch die Prüfungsanordnung begründeten Verpflichtungen im Zuge der Außenprüfung durch die einzelnen Mitwirkungsverlangen des Prüfers ‑‑wie z.B. durch das an die Klägerin gerichtete Verlangen auf Erteilung von Auskünften oder auf Vorlage von Unterlagen‑‑ konkretisiert werden.

  24. bbb) Da die einzelnen Mitwirkungsverlangen nach der Rechtsprechung des BFH regelmäßig als Verwaltungsakte zu qualifizieren sind (z.B. BFH-Urteile vom 28. Oktober 2009 VIII R 78/05, BFHE 227, 338, BStBl II 2010, 455; vom 24. Juni 2009 VIII R 80/06, BFHE 225, 302, BStBl II 2010, 452; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 200 AO Rz 6), waren sie ‑‑und damit mittelbar auch die gesetzlichen Verpflichtungen gemäß § 200 AO‑‑ ferner sanktionsbewehrt, d.h. mit Zwangsmitteln ‑‑beispielsweise durch die Androhung und Festsetzung von Zwangsgeld (§ 329 i.V.m. §§ 332 f. AO; vgl. dazu z.B. BFH-Urteil in BFHE 227, 338, BStBl II 2010, 455; zum Verzögerungsgeld gemäß § 146 Abs. 2b AO i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2009 vom 19. Dezember 2008, BGBl I 2008, 2794; s. BFH-Beschluss vom 16. Juni 2011 IV B 120/10, BFHE 233, 317, BStBl II 2011, 855)‑‑ durchsetzbar. Einer weiteren Sanktionsandrohung ‑‑etwa in Form eines Bußgeldes‑‑ bedarf es nicht (vgl. BFH-Urteil vom 8. September 2011 IV R 5/09, BFHE 235, 241, BStBl II 2012, 122; Heger, StbJB 2005/2006, S. 246; Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 793c).

  25. ccc) Die Mitwirkungsverpflichtungen des § 200 AO sowie die hierauf fußenden einzelnen Mitwirkungsanforderungen waren auch in zeitlicher Hinsicht konkretisiert. Letzteres erfordert ‑‑entsprechend dem Zweck der Konkretisierungserfordernisse‑‑ weder eine qualifizierte Nähe der geschuldeten Maßnahmen zum Bilanzstichtag noch einen kalendermäßig bestimmten Fälligkeitszeitpunkt. Vielmehr ist es genügend, wenn die in der Zukunft mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entstehende Verpflichtung innerhalb eines bestimmbaren und dem Belieben des Steuerpflichtigen entzogenen Zeitraums zu erfüllen ist (BFH-Urteile in BFHE 167, 334, BStBl II 1992, 600, zu II.2.; vom 25. März 2004 IV R 35/02, BFHE 206, 25, BStBl II 2006, 644; Heger, StbJB 2005/2006, S. 245; Christiansen, DStR 2008, 735, 737; Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 793c und 793e). Nach diesen Maßstäben sind auch die Mitwirkungspflichten des § 200 AO zeitlich hinreichend konkretisiert, weil die sie auslösende Prüfungsanordnung jedenfalls dann nicht mehr ergehen darf, wenn infolge des Ablaufs der allgemeinen Festsetzungs- oder Feststellungsfristen, spätestens jedoch nach Ablauf der aufgrund einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO verlängerten Verjährungsfristen aus einer Außenprüfung keine steuerlichen Folgen mehr gezogen werden können (vgl. zu Einzelheiten z.B. BFH-Urteil vom 10. April 2003 IV R 30/01, BFHE 202, 206, BStBl II 2003, 827; BFH-Beschluss vom 13. Januar 2010 X B 113/09, BFH/NV 2010, 600; Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl., § 193 Rz 20 f., jeweils m.w.N.).

  26. dd) Die Passivierung der Mitwirkungspflichten gemäß § 200 AO ist auch nicht nach dem Wesentlichkeitsgrundsatz (vgl. hierzu Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 791b und 259) ausgeschlossen. Der X. Senat des BFH hat hierzu in seinem Urteil vom 19. Juli 2011 X R 26/10 (BFHE 234, 239, BFH/NV 2011, 2147 betreffend die Nachbetreuung von Versicherungsverträgen) ausgeführt, dass sich weder den GoB noch den Regelungen des EStG eine Einschränkung der Pflicht zur Bildung von Rückstellungen auf wesentliche Verpflichtungen entnehmen lasse; zudem hat der X. Senat unter Analyse der einschlägigen Entscheidungen dargelegt, dass er mit dieser Auffassung nicht von der bisherigen Rechtsprechung des BFH abweiche. Der erkennende Senat schließt sich dieser Ansicht an. Im Streitfall kommt ‑‑entsprechend den gleichfalls nur hilfsweise angestellten Erwägungen des Urteils in BFHE 234, 239, BFH/NV 2011, 2147‑‑ hinzu, dass der in Frage stehende Aufwand der Klägerin (25.100 €) bereits nach seinem absoluten Gewicht nicht als vernachlässigbare Bagatellgröße eingestuft werden kann; insbesondere ist er in keiner Weise mit dem in der Entscheidung des X. Senats ‑‑unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 15. November 1960 I 189/60 U (BFHE 72, 126, BStBl III 1961, 48)‑‑ genannten Betrag von 300 DM bzw. 400 DM vergleichbar.

  27. c) Die Gewinnwirksamkeit der für die Erfüllung der Mitwirkungspflichten gebildeten Rückstellungen (betreffend die Betriebsprüfung für die Jahre 2004 bis 2006) wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die hierfür anfallenden Aufwendungen nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden könnten. Soweit das BMF hierzu in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, dass der Aufwand ‑‑soweit er die Prüfung der Körperschaftsteuer betreffe‑‑ nach § 10 Nr. 2 KStG 2002 das Einkommen der Klägerin nicht mindern dürfe, kann dem nicht gefolgt werden. Die Vorschrift erfasst neben der Körperschaftsteuer (Steuern vom Einkommen) die hierauf entfallenden steuerlichen Nebenleistungen, nicht hingegen die Aufwendungen, die einer Kapitalgesellschaft im Rahmen der Erfüllung ihrer Mitwirkungspflichten gemäß § 200 AO entstehen. Letzteres ergibt sich nicht nur aus dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut. Bestätigung findet dieses Gesetzesverständnis zudem darin, dass ‑‑wie der Senat in seinem Beschluss vom 15. Februar 2012 I B 97/11 (BFHE 236, 458, BFH/NV 2012, 882, betreffend Erstattungs- und Nachzahlungszinsen) erneut bekräftigt hat‑‑ Kapitalgesellschaften über keine außerbetriebliche Sphäre verfügen und deshalb ‑‑vorbehaltlich eines gegenläufigen Gesetzesbefehls‑‑ grundsätzlich alle Geschäftsvorfälle Einfluss auf die Höhe ihres Einkommens nehmen; dementsprechend ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch die Bestimmung des § 10 Nr. 2 KStG 2002 "eng" auszulegen. Ob anderes dann gelten könnte, wenn die Betriebsprüfung (auch) darauf gerichtet ist, die für die Festsetzung der Einkommensteuer maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, bedarf im anhängigen Verfahren keiner Entscheidung.  

  28. 5. Die Sache ist spruchreif. Die Vorinstanz hat die Höhe der Rückstellungen entsprechend den von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen im Rahmen der ihr nach § 96 Abs. 1 Satz 1, zweiter Halbsatz FGO i.V.m. § 162 AO zustehenden Befugnis geschätzt. Die gerichtliche Schätzung, die im Falle der Bewertung von Sachleistungen regelmäßig geboten ist (Senatsurteil in BFHE 204, 135, BStBl II 2010, 482) und auch darin bestehen kann, dass das Gericht sich die Schätzung eines Beteiligten zu eigen macht (vgl. BFH-Beschluss vom 12. Oktober 2005 VIII B 241/04, BFH/NV 2006, 326), gehört zu den tatsächlichen Feststellungen des finanzgerichtlichen Urteils, an die das Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2 FGO grundsätzlich gebunden ist. Hiervon ist auch im Streitfall auszugehen. Die Schätzung war erkennbar an den Bewertungsvorgaben des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG 2002 ausgerichtet, nach denen Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen mit den Einzelkosten und den angemessenen Teilen der notwendigen Gemeinkosten zu bewerten sind (Buchst. b) und der sich hiernach ergebene Betrag bei einer erst zukünftig zu erfüllenden Verpflichtung mit einem Zinssatz von 5,5 % (p.a.) abzuzinsen ist (Buchst. e Sätze 1 und 2). Ein Verstoß gegen die Denkgesetze oder die allgemeinen Erfahrungssätze ist weder vom FA noch vom BMF geltend gemacht worden. Vielmehr hat das FA bereits im Verlauf des finanzgerichtlichen Verfahrens erklärt, dass es gegen die vom FG übernommene Schätzung der Klägerin keine Einwendungen erhebe.

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