BFH VII. Senat
ZK Art 202, ZK Art 215 Abs 1, UStG § 11 Abs 1, UStG § 11 Abs 3 Nr 2, UStG § 21 Abs 2, TabStG § 19 S 1, EWGV 2913/92 Art 202, EWGV 2913/92 Art 215 Abs 1, TabStG § 19 S 2
vorgehend FG Bremen, 22. March 2011, Az: 4 K 120/08 (2)
Leitsätze
1. Wurden in der Bundesrepublik Deutschland sichergestellte in das Zollgebiet der Union geschmuggelte Zigaretten über einen nicht bekannten anderen Mitgliedstaat in das deutsche Steuergebiet verbracht, hat die deutsche Zollverwaltung neben dem auf die Tabakwaren entfallenden Zoll und der Tabaksteuer auch die Einfuhrumsatzsteuer festzusetzen .
2. In diesem Fall ist die deutsche Einfuhrumsatzsteuer erst nach dem unzulässigen Verbringen der Tabakwaren in das deutsche Steuergebiet entstanden mit der Folge, dass die entstandene Tabaksteuer der Bemessungsgrundlage für die Einfuhrumsatzsteuer hinzuzurechnen ist .
Tatbestand
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) mietete Ende 2004 einen Kleintransporter, mit dem ein weiterer Tatbeteiligter (S) aus der Ukraine eingeschmuggelte und später nach Deutschland verbrachte 460.920 Zigaretten zum Zweck ihres Weiterverkaufs innerhalb Deutschlands transportieren wollte. Nachdem S die Zigaretten wie geplant mit dem Fahrzeug zu dem vereinbarten Übergabeort transportiert hatte, der Weiterverkauf jedoch fehlgeschlagen und die angeblichen Käufer den Kleintransporter gewaltsam in ihren Besitz gebracht hatten, wurde dieser von der Polizei angehalten und die darin befindlichen Zigaretten sichergestellt.
Gegen S setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑) die auf die Zigaretten entfallenden Einfuhrabgaben in Höhe von 72.329,22 € (3.982,35 € Zoll, 10.930,07 € Einfuhrumsatzsteuer und 57.416,80 € Tabaksteuer) fest.
Den Kläger, der wegen Beihilfe zur Steuerhehlerei zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt wurde, nahm das HZA mit Steuerhaftungsbescheid vom 29. August 2006 für die vorgenannten Einfuhrabgaben als Haftenden in Anspruch.
Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen ab. Die Haftungssumme wurde lediglich um einen bereits entrichteten Betrag in Höhe von 500 € reduziert. Die Zollschuld sei gemäß Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a des Zollkodex (ZK) entstanden, weil die Zigaretten aus der Ukraine vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Union verbracht worden seien. Da sie über einen unbekannten Mitgliedstaat nach Deutschland weitertransportiert worden seien, sei die deutsche Zollverwaltung gemäß Art. 215 Abs. 1 Anstrich 2 ZK für die Erhebung des Zolls zuständig. Dies gelte nach § 13 Abs. 2 und § 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) auch für die Einfuhrumsatzsteuer. Die Höhe der Einfuhrumsatzsteuer sei unter Berücksichtigung der Tabaksteuer zu ermitteln. Die Tabaksteuer sei nach § 19 des Tabaksteuergesetzes in der seinerzeit geltenden Fassung (TabStG) mit dem Verbringen der Zigaretten in das deutsche Steuergebiet zu gewerblichen Zwecken ohne Verwendung von Steuerzeichen entstanden.
Für die entstandenen Einfuhrabgaben habe das HZA den Kläger gemäß § 71 i.V.m. § 191 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) zu Recht als Haftenden in Anspruch genommen, weil dieser Beihilfe zur Steuerhehlerei des S geleistet habe, indem er das für den Transport der geschmuggelten Zigaretten vorgesehene Fahrzeug gemietet und dabei auch gewusst habe, wofür das Fahrzeug habe benutzt werden sollen.
Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, die Haftungsinanspruchnahme sei ermessensfehlerhaft, weil das HZA es unterlassen habe, seine schwierigen Einkommensverhältnisse sowie den nicht schwer wiegenden Schuldvorwurf und den geringen ihm aus der Tat erwachsenen Vorteil in die Ermessenserwägungen einzubeziehen. Er habe keine Vorteile aus der Tat gezogen und sei nach dem damaligen Tatplan auch nur geringfügig beteiligt gewesen. Außerdem sei die im Zeitpunkt des vorschriftswidrigen Verbringens der Zigaretten in das Zollgebiet noch nicht entstandene Tabaksteuer zu Unrecht in die Bemessungsgrundlage der Einfuhrumsatzsteuer einbezogen worden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Haftungsbescheid ist ‑‑soweit er Gegenstand des Revisionsverfahrens ist‑‑ rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Nach den vom FG getroffenen Feststellungen und der darauf beruhenden zutreffenden rechtlichen Würdigung des FG hat der Kläger Beihilfe zu einer Steuerhehlerei geleistet. Nach § 71 AO haftet er daher für die verkürzten Steuern.
1. Das FG hat zu Recht entschieden, dass mit dem vorschriftswidrigen Verbringen der Zigaretten aus der Ukraine in das Zollgebiet der Union bzw. ihrem Weitertransport nach Deutschland die Zollschuld gemäß Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a ZK sowie die Einfuhrumsatzsteuer in sinngemäßer Anwendung dieser Vorschrift (§ 21 Abs. 2 UStG) und die Tabaksteuer nach § 19 Satz 1 TabStG entstanden sind und die Berechtigung der deutschen Zollbehörden, den auf die geschmuggelten Zigaretten entfallenden Zoll und die Einfuhrumsatzsteuer zu erheben, aus Art. 215 Abs. 1 Anstrich 2 ZK (für die Einfuhrumsatzsteuer i.V.m. § 21 Abs. 2 UStG) folgt, weil nicht festgestellt werden konnte, über welchen Mitgliedstaat die Zigaretten aus der Ukraine in das Zollgebiet der Union gelangt sind. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit, weshalb insoweit auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil verwiesen werden kann.
2. Die Höhe des durch den Zigarettenschmuggel hinterzogenen Abgabenbetrags, für den der Kläger haftet, ist richtig ermittelt worden. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Tabaksteuer in die Bemessungsgrundlage der Einfuhrumsatzsteuer einzubeziehen ist.
Nach § 11 Abs. 3 Nr. 2 UStG sind die aufgrund der Einfuhr im Zeitpunkt des Entstehens der Einfuhrumsatzsteuer auf den Gegenstand entfallenden Beträge an (u.a.) Verbrauchsteuern der Bemessungsgrundlage für die Einfuhrumsatzsteuer hinzuzurechnen. Da es sich hierbei um eine Vorschrift zur Bestimmung der Bemessungsgrundlage für die deutsche Einfuhrumsatzsteuer handelt, ist insoweit auch allein der Zeitpunkt des Entstehens der deutschen Einfuhrumsatzsteuer maßgeblich. Daher kommt nicht der davor liegende Zeitpunkt der Einfuhr der Zigaretten in einen anderen Mitgliedstaat (welcher dies im Streitfall war, hat sich nicht feststellen lassen) in Betracht (a.A. zu einem entsprechenden Fall: FG München, Urteil vom 28. Mai 2009 14 K 335/07, nicht veröffentlicht). Trotz des vorschriftswidrigen Verbringens der Zigaretten über einen anderen Mitgliedstaat ist die Einfuhrumsatzsteuer im Streitfall nach Art. 215 Abs. 1 Anstrich 2 ZK i.V.m. § 21 Abs. 2 UStG in Deutschland entstanden. Der Zeitpunkt des Entstehens der deutschen Einfuhrumsatzsteuer i.S. des § 11 Abs. 3 Nr. 2 UStG ist somit der Zeitpunkt, in dem die Voraussetzungen des Art. 215 Abs. 1 Anstrich 2 ZK erfüllt waren, d.h. der Zeitpunkt, in dem die unversteuerten Zigaretten in Deutschland sichergestellt wurden. Zu diesem Zeitpunkt waren die Zigaretten bereits in das deutsche Steuergebiet eingeführt und damit die Tabaksteuer gemäß § 19 Satz 1 TabStG entstanden.
3. Die hinsichtlich der Inanspruchnahme des Klägers als Haftenden nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO erforderliche Ermessensentscheidung ist ‑‑wie das FG zutreffend ausgeführt hat‑‑ rechtlich nicht zu beanstanden.
Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats ist im Fall einer Beihilfe zur Steuerhinterziehung bzw. Steuerhehlerei eine Haftungsinanspruchnahme nach den §§ 191, 71 AO auch ohne nähere Darlegung der Ermessenserwägungen im Haftungsbescheid oder in der Einspruchsentscheidung als ermessensgerecht nach § 102 FGO anzusehen (Senatsurteil vom 26. Februar 1991 VII R 3/90, BFH/NV 1991, 504; ebenso Urteil des Bundesfinanzhofs vom 8. September 2004 XI R 1/03, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2005, 293). Eine solche Vorprägung der Ermessensentscheidung im Fall einer vorsätzlichen Steuerverkürzung oder einer Beihilfe hierzu besteht nicht nur für die Inanspruchnahme dem Grunde nach, sondern auch für die Inanspruchnahme der Höhe nach. Im Rahmen der Betätigung des Auswahl- und Entschließungsermessens gibt es daher ‑‑insbesondere im Hinblick auf den Schadensersatzcharakter der Haftungsnormen‑‑ keinen Grund, Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die sich aus der Größenordnung der Haftungsschuld im Vergleich zu den finanziellen Möglichkeiten des Haftungsschuldners ergeben (Senatsbeschluss vom 29. August 2001 VII B 54/01, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2002, 55, m.w.N.).
4. Da der Kläger als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird, bedarf es keiner Entscheidung, ob der vom Bundesgerichtshof (BGH) vertretenen Auffassung gefolgt werden kann, Schuldner der Tabaksteuer gemäß § 19 Satz 2 TabStG könne nur derjenige "Empfänger" der Tabakwaren sein, der den Besitz an diesen im Rahmen des Verbringungs- bzw. Versendungsvorgangs selbst erlangt habe (BGH-Urteil vom 2. Februar 2010 1 StR 635/09, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2010, 644).