BFH VI. Senat
EStG § 9 Abs 1 S 1, EStG § 19 Abs 1, EStG § 12 Nr 1 S 2, BGB § 779
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz , 08. September 2009, Az: 2 K 2772/08
Leitsätze
Es spricht regelmäßig eine Vermutung dafür, dass Aufwendungen für aus dem Arbeitsverhältnis folgende zivil- und arbeitsgerichtliche Streitigkeiten einen den Werbungskostenabzug rechtfertigenden hinreichend konkreten Veranlassungszusammenhang zu den Lohneinkünften aufweisen. Dies gilt grundsätzlich auch, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer über solche streitigen Ansprüche im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs einigen.
Tatbestand
I. Streitig ist, ob aufgrund eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs von einem Arbeitnehmer an seinen früheren Arbeitgeber erbrachte Zahlungen Werbungskosten sind.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), Eheleute, wurden im Streitjahr (2007) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war seit 1996 alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der in W ansässigen Firma X GmbH (GmbH). Weiter war der Kläger ab 1. Juli 1996 für die Firma Y GmbH (Y) als angestellter Gebietsverkaufsleiter mit einem monatlichen Festgehalt von 15.000 DM zzgl. einer monatlichen Garantieprovision von 2.000 DM und einer weiteren umsatzabhängigen Verkaufsprovision tätig. Der Kläger sollte für die Y "alle vertrieblichen Interessen" in dem ihm zugeteilten Verkaufsgebiet (u.a. Skandinavien) wahrnehmen und die Vertriebsorganisation weiter aufbauen. Er unterlag unter Bewehrung mit einer Vertragsstrafe und unter Vorbehalt von Schadenersatz einer im Einzelnen im Arbeitsvertrag geregelten Schweigepflicht und einem Nebentätigkeitsverbot. Die Fortführung seiner bisherigen GmbH war ihm allerdings in beschränktem Umfang gestattet.
Nachdem zum 30. September 2003 das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Y beendet worden war, erhob die Y im Oktober 2005 vor dem Arbeitsgericht Klage auf Schadenersatz in Höhe von 929.648 €. Der frühere Arbeitgeber des Klägers führte zur Begründung an, der Kläger habe gegen Entgelt konkrete Geschäftschancen an Konkurrenten verraten und daher gegen die arbeitsvertraglich vereinbarte Schweigepflicht verstoßen. Der Kläger habe im Jahre 2003 einer anderen Firma geheime Angebotsdaten und Zeichnungen der Y mitgeteilt, so dass nicht der Y, sondern der anderen Firma der Auftrag erteilt worden sei. Das arbeitsgerichtliche Verfahren wurde im Streitjahr mit einem Vergleich beendet, der alle Ansprüche jeglicher Art zwischen der Y und dem Kläger erledigte. Danach verzichtete zum einen die GmbH auf bereits anhängig gemachte und verglichene Ansprüche gegen die Y in Höhe von 60.000 €. Zum anderen verpflichtete sich der Kläger, weitere 60.000 € an die Y zu zahlen. Diese Zahlung leistete der Kläger im Streitjahr.
Die Kläger machten im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr bei den Lohneinkünften des Klägers die Schadenersatzzahlung von 60.000 € sowie den von der Rechtsschutzversicherung der GmbH einbehaltenen Selbstbehalt von 127,80 € als nachträgliche Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) ließ diese Aufwendungen dagegen unberücksichtigt.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hat das Finanzgericht (FG) die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1308 veröffentlichten Gründen abgewiesen. Schadenersatzansprüche gegen einen früheren Arbeitnehmer, die darauf gestützt seien, dass dieser Betriebsgeheimnisse gegen Entgelt weitergegeben habe, gingen letztlich auf eine Handlung zurück, die außerhalb der beruflichen Aufgabenerfüllung liege. Dabei sei es für die Abzugsfähigkeit der Aufwendungen unerheblich, ob der Kläger das behauptete Fehlverhalten tatsächlich begangen habe. Entscheidend sei vielmehr, dass der Klageanspruch darauf gründete und der Kläger letztlich die hier streitbefangenen Zahlungen ‑‑wenn auch im Vergleichsweg‑‑ in Teilerfüllung dieses Klageanspruchs geleistet habe und diese daher außerhalb der konkreten beruflichen Aufgabensphäre des Klägers bei der Y lägen.
Die Kläger wenden sich gegen die finanzgerichtliche Entscheidung mit der Revision und rügen die Verletzung materiellen Rechts.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 9. September 2009 aufzuheben und den streitigen Einkommensteuerbescheid für 2007 in der Fassung vom 2. Februar 2009 dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit weitere Werbungskosten in Höhe von 59.334 € berücksichtigt werden.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Kläger ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
1. Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes ‑‑EStG‑‑) und liegen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) vor, wenn zwischen den Aufwendungen und den Einnahmen ein objektiver Zusammenhang besteht.
a) Ob Aufwendungen der beruflichen Sphäre oder der Lebensführung i.S. von § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG zuzurechnen sind, entscheidet sich dabei unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, ohne dass dabei allerdings schon ein abstrakter Kausalzusammenhang im Sinne einer conditio sine qua non die einkommensteuerliche Zuordnung der Aufwendungen zur Erwerbssphäre rechtfertigt. Aufwendungen sind vielmehr nur dann als durch eine Einkunftsart veranlasst anzusehen, wenn sie hierzu in einem steuerrechtlich anzuerkennenden wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Maßgebend dafür, ob ein solcher Zusammenhang besteht, ist zum einen die wertende Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen auslösenden Moments, zum anderen die Zuweisung dieses maßgebenden Besteuerungsgrundes zur einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre (ständige Rechtsprechung, zuletzt z.B. BFH-Urteile vom 6. Mai 2010 VI R 25/09, BFHE 229, 297, BStBl II 2010, 851; vom 17. September 2009 VI R 24/08, BFHE 226, 321, BStBl II 2010, 198). Danach können Kosten einer Rechtsverfolgung (Beratungs-, Vertretungs- und Prozesskosten) Werbungskosten sein, wenn der Gegenstand des Prozesses mit der Einkunftsart zusammenhängt, in deren Rahmen die Aufwendungen geltend gemacht werden. Der Zusammenhang mit der Einkunftsart richtet sich dabei nach objektiven Gesichtspunkten, nicht nach den Vorstellungen des Steuerpflichtigen.
b) Dementsprechend hat die Rechtsprechung auch Strafverteidigungskosten nicht vom Betriebsausgaben- oder Werbungskostenabzug ausgeschlossen, sofern der strafrechtliche Vorwurf, gegen den sich der Steuerpflichtige zur Wehr setzt, durch sein berufliches Verhalten veranlasst gewesen ist (BFH-Beschluss vom 17. August 2011 VI R 75/10, BFH/NV 2011, 2040; BFH-Urteil vom 18. Oktober 2007 VI R 42/04, BFHE 219, 197, BStBl II 2008, 223; Beschluss des Großen Senats des BFH vom 21. November 1983 GrS 2/82, BFHE 140, 50, BStBl II 1984, 160). Eine solche berufliche Veranlassung ist gegeben, wenn die dem Steuerpflichtigen zur Last gelegte Tat in Ausübung der beruflichen Tätigkeit begangen worden ist (BFH-Urteil vom 13. Dezember 1994 VIII R 34/93, BFHE 176, 564, BStBl II 1995, 457, m.w.N.). Die dem Steuerpflichtigen vorgeworfene Tat muss ausschließlich und unmittelbar aus seiner betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit heraus erklärbar sein (BFH-Urteil vom 12. Juni 2002 XI R 35/01, BFH/NV 2002, 1441, m.w.N.). Dann begründen selbst strafbare, aber in Zusammenhang mit einer beruflichen Tätigkeit stehende Handlungen einen einkommensteuerrechtlich erheblichen Erwerbsaufwand, so dass daraus sich ergebende Schadenersatzzahlungen Werbungskosten sind (BFH-Urteil vom 9. Dezember 2003 VI R 35/96, BFHE 205, 56, BStBl II 2004, 641).
c) Ein solcher objektiver steuerrechtlich anzuerkennender wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Aufwendungen des Steuerpflichtigen und dessen einkommensteuerrechtlich relevanter Erwerbssphäre besteht erst recht bei bürgerlich-rechtlichen oder arbeitsrechtlichen Streitigkeiten, die das Arbeitsverhältnis betreffen und deshalb der Einkunftsart der nichtselbständigen Arbeit zuzurechnen sind (BFH-Urteil vom 6. Dezember 1983 VIII R 102/79, BFHE 140, 219, BStBl II 1984, 314). Sind dem Steuerpflichtigen entsprechende Aufwendungen dadurch entstanden, dass allein Zivil- und Arbeitsgerichte mit den streitigen Ansprüchen und Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis befasst worden waren, spricht deshalb regelmäßig eine Vermutung dafür, dass diese Aufwendungen in einem hinreichend konkreten, den Werbungskostenabzug rechtfertigenden Veranlassungszusammenhang zu der Berufstätigkeit des Steuerpflichtigen stehen. Kam es nicht nur zu keinem strafgerichtlichen Verfahren, sondern hat noch nicht einmal die Staatsanwaltschaft als zuständige Strafverfolgungsbehörde strafrechtliche Ermittlungen durchgeführt, kann ohne hinreichend konkreter gegenteiliger Anhaltspunkte nicht davon ausgegangen werden, dass diese Aufwendungen der Lebensführung i.S. des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG zuzurechnen sind.
2. Nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsgrundsätze tragen die bisherigen Feststellungen des FG nicht dessen Würdigung, dass die streitbefangenen Aufwendungen für den arbeitsgerichtlichen Vergleich nicht als Werbungskosten zu berücksichtigen sind. Entgegen der Auffassung des FG schließt nicht allein schon der subjektive Handlungsvorwurf des Arbeitgebers, demzufolge der Kläger gegen seine Schweigepflicht verstoßen und Betriebsgeheimnisse verraten habe, den objektiven Zusammenhang zwischen den Aufwendungen des Klägers und dessen Berufstätigkeit aus. Dies gilt sowohl für die Kosten der Rechtsverteidigung selbst als auch für die Vergleichszahlung.
a) Die Aufwendungen für die Rechtsverteidigung des Klägers stehen insbesondere auch dann in einem objektiven Zusammenhang mit dessen Berufstätigkeit, wenn er sich gegen unberechtigte Anschuldigungen und Vorwürfe seines Arbeitgebers zur Wehr setzt, dessen vermeintliche Schadenersatzansprüche bestreitet und dem Kläger dadurch entsprechende Aufwendungen entstehen. Wenn die zur Begründung des Schadenersatzanspruchs vorgebrachten tatsächlichen Vorwürfe, die einen beruflichen Veranlassungszusammenhang ausschließen könnten, nicht positiv festgestellt sind, fehlt es an hinreichend objektiven Anhaltspunkten, dass der Kläger aus privaten, nicht der Erwerbssphäre zuzurechnenden Motiven gehandelt hatte. Dann greift zu Gunsten des Klägers die Vermutung, dass die Aufwendungen in einem hinreichend konkreten, den Werbungskostenabzug rechtfertigenden Veranlassungszusammenhang stehen.
b) Entsprechendes gilt für die auf den Vergleich hin durch den Kläger geleisteten Zahlungen. Der zwischen dem Kläger und seinem früheren Arbeitgeber abgeschlossene Vergleich gründet letztlich auch in der Ungewissheit darüber, was der Gesetzeslage entspricht, und führte zu dem grundsätzlich jedem Vergleich immanenten gegenseitigen Nachgeben (§ 779 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22. September 2011 IX ZR 1/11, Neue Juristische Wochenschrift 2012, 61, m.w.N.). Deshalb greift auch insoweit zu Gunsten des Klägers die Vermutung, dass dessen Inanspruchnahme vor dem Arbeitsgericht auf Grundlage arbeitsvertraglicher Schadenersatzforderungen einen erwerbsbezogenen Veranlassungszusammenhang zwischen der Vergleichszahlung an dessen früheren Arbeitgeber und der Erwerbstätigkeit des Klägers aufweist. Eine solche erwerbsbezogene Veranlassung kann zwar auch hier ausgeschlossen sein, wenn der Vergleich außerhalb des Arbeitsverhältnisses liegende Rechtsbeziehungen regelte. Solches ist indessen gerade nicht festgestellt. Und entgegen der Auffassung des FG lässt sich die Vergleichszahlung angesichts der von beiden Prozessbeteiligten mit dem Vergleich gleichsam eingeräumten Ungewissheit über das arbeitsrechtliche Rechtsverhältnis oder die Verwirklichung des Anspruchs nicht als ein den Handlungsvorwurf einräumendes (Zu-)Geständnis begreifen. Denn ungeachtet der Frage, ob mit einem solchen Zugeständnis der berufliche Veranlassungszusammenhang überhaupt ausgeschlossen wäre, bliebe damit jedenfalls unberücksichtigt, dass weder ein Strafverfahren durchgeführt worden ist, noch überhaupt strafrechtlich erhebliche Ermittlungen und Feststellungen getroffen worden waren. Wenn schon eine Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a der Strafprozessordnung nicht die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass die zur Last gelegte Straftat verübt worden war (BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 2040), gilt dies erst recht für eine vergleichsweise Erledigung eines rein zivilrechtlichen, nämlich arbeitsgerichtlichen Verfahrens.
3. Das FG wird im zweiten Rechtsgang unter Beachtung der vorgenannten Rechtsgrundsätze zu prüfen haben, ob sich für die streitigen Zahlungen des Klägers tatsächlich private Gründe feststellen lassen, die einen hier zunächst zu vermutenden erwerbsbezogenen Veranlassungszusammenhang gänzlich ausschließen. Insoweit liegt die Feststellungslast beim FA. Lassen sich solche Gründe nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, sind die vom Kläger getragenen Aufwendungen dem Grunde nach als Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen. Insoweit ist allerdings zu beachten, dass Werbungskosten nur insoweit in Betracht kommen, wie der Kläger tatsächlich mit entsprechenden Kosten belastet war. Das FG wird deshalb auch zu prüfen haben, inwieweit der Kläger eigene Aufwendungen hat, wenn die Rechtsschutzversicherung der GmbH einen Selbstbehalt vorsieht.