BFH IX. Senat
EStG § 24 Nr 1 Buchst a, EStG § 34 Abs 1, EStG § 34 Abs 2 Nr 2
vorgehend FG Münster, 04. May 2011, Az: 3 K 4151/08 E
Leitsätze
Gibt der Arbeitnehmer mit seinem Interesse an einer Weiterführung der ursprünglichen Vereinbarung auf Arbeitnehmererfindervergütung im Konflikt mit seinem Arbeitgeber nach und nimmt dessen Abfindungsangebot an, so entspricht es dem Zweck des von der Rechtsprechung entwickelten Merkmals der Zwangssituation, nicht schon wegen dieser gütlichen Einigung in konfligierender Interessenlage einen tatsächlichen Druck in Frage zu stellen .
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über Arbeitnehmererfindervergütungen als außerordentliche Einkünfte.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war seit 1967 als Techniker bei einer GmbH tätig, die sich mit systemgebundenen Produkten für Hoch- und Tiefbau beschäftigt. Die GmbH entwickelte technische Geräte und Verfahren, woran der Kläger wesentlich beteiligt war. Er machte für die GmbH zahlreiche Erfindungen, die auch patentiert worden sind. Die GmbH erarbeitete zusammen mit dem Kläger über jede einzelne Erfindung ein Konzept zur Abrechnung der Erfindervergütungen, die jeweils bis zum Ende der Laufzeit des Patents ‑‑in der Regel jährlich‑‑ bezahlt wurden.
Nach seinem Eintritt in den Ruhestand schlossen der Kläger und die GmbH am 31. Mai 2006 eine Abfindungsvereinbarung. Darin lösten sie die zwischen ihnen bestehende Vereinbarung über Arbeitnehmererfindervergütungen zum 31. Mai 2006 auf. Als Ausgleich für den Verlust zurückliegender und zukünftiger Ansprüche auf Arbeitnehmererfindervergütung erhielt der Kläger eine einmalige Abfindung in Höhe von 518.250 €. Die Vertragsparteien ermittelten die Abfindungsvergütung, indem sie die Patentlaufzeit und einen Abzinsungsfaktor berücksichtigten. Bei einer Vergütungshöhe von 925.875 € ergab sich ein abgezinster Wert in Höhe der Abfindung.
Der Kläger erklärte den Abfindungsbetrag im Rahmen der Veranlagung des Streitjahres (2006) als sonstige Einkünfte und beantragte, die Versteuerung nach § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorzunehmen. Dies lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) auch im Einspruchsverfahren ab.
Auch die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) sah in der Abfindung keine Vergütung für mehrjährige Tätigkeit (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG) und folgte insoweit dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. Januar 2005 VI R 43/00 (BFH/NV 2005, 888). Es lehnte überdies die Voraussetzungen einer Entschädigung (§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG) ab, weil es an einer Zwangssituation fehle.
Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers. Die Vereinbarung sei abweichend vom Sachverhalt, über den der BFH in BFH/NV 2005, 888 entschieden habe, nicht auf eine Vergütung nach § 9 des Gesetzes über Arbeitnehmererfindungen zu reduzieren. Außerdem habe sich der Kläger in einer Zwangssituation befunden, indem er dem tatsächlichen Druck der GmbH frühzeitig nachgegeben habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den geänderten Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 8. April 2011 zu ändern, indem die Zahlung von 503.250 € nach § 34 EStG begünstigt besteuert wird.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Der BFH entscheidet in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) und gibt der Klage statt. FA und FG haben die Abfindung unzutreffend nicht nach § 34 Abs. 1 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG einer ermäßigten Besteuerung unterworfen.
1. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG ist auf alle im Veranlagungszeitraum bezogenen außerordentlichen Einkünfte die Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz (§ 34 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 EStG) zu berechnen. Außerordentliche Einkünfte sind gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 EStG.
a) Die Abfindung, um die es hier geht, erfüllt die Voraussetzungen des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG. Entschädigungen sind Leistungen, die "als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen" gewährt werden, d.h. an die Stelle weggefallener oder wegfallender Einnahmen treten. Der Steuerpflichtige muss einen Schaden durch Wegfall von Einnahmen erlitten haben und die Zahlung muss unmittelbar dazu bestimmt sein, diesen Schaden auszugleichen (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 11. Januar 2005 IX R 67/02, BFH/NV 2005, 1044, und vom 9. Juli 2002 IX R 29/98, BFH/NV 2003, 21).
Diese Bedingungen sind nach dem durch das FG festgestellten Sachverhalt ersichtlich erfüllt; denn durch die Vereinbarung vom 31. Mai 2006 tritt die Abfindung an die Stelle der künftigen Ansprüche aus der Vereinbarung auf Arbeitnehmererfindervergütung, die sich mit der Erfüllung der Abfindungsvereinbarung erledigen.
b) Dass die Entschädigung im konkreten Fall als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gezahlt wurde, ist zwar grundsätzlich aus der Sicht der Vertragsparteien vom FG als Tatsacheninstanz zu beurteilen (BFH-Urteil vom 18. Oktober 2011 IX R 58/10, BFH/NV 2012, 501). Der im Streitfall offenkundige Entschädigungscharakter der Abfindung ist indes zwischen den Beteiligten im Kern gar nicht streitig. Es geht ihnen vielmehr um ein weiteres von der Rechtsprechung entwickeltes Merkmal der Entschädigung, nämlich um die Zwangssituation.
Danach setzt eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG ferner voraus, dass der Ausfall der Einnahmen entweder von dritter Seite veranlasst wurde oder, wenn er vom Steuerpflichtigen selbst oder mit dessen Zustimmung herbeigeführt worden ist, dieser unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck stand. Eine Steuerermäßigung soll danach nur gerechtfertigt sein, wenn der Steuerpflichtige sich dem zusammengeballten Zufluss der Einnahmen nicht hat entziehen können (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile in BFH/NV 2005, 1044, und vom 27. Juli 2004 IX R 64/01, BFH/NV 2005, 191, jeweils m.w.N.).
Davon ist im Streitfall entgegen der Auffassung des FG auszugehen: Der Kläger ist auf das Angebot seines Arbeitgebers, das diesem vom Patentanwalt "nahe gelegt" wurde, aus Gründen der Loyalität und zur Vermeidung weiterer Streitigkeiten eingegangen, obschon ihm weiterhin jährliche Zahlungen lieber gewesen wären. Damit stand der Kläger unter tatsächlichem Druck, dem er frühzeitig nachgegeben hat. Sein Interesse, die ursprüngliche Vereinbarung auf Arbeitnehmererfindervergütung weiterzuführen, stieß auf das damit in Konflikt tretende Interesse seines Arbeitgebers an einer Einmalzahlung, um alle Rechtsbeziehungen zu erledigen. Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer schließlich eine Lösung im Konsens finden, so entspricht es nicht dem Zweck des von der Rechtsprechung entwickelten Merkmals der Zwangssituation, würde man bei dieser gütlichen Einigung einer konfligierenden Interessenslage einen tatsächlichen Druck negieren. Das würde ‑‑worauf die Revision zutreffend hinweist‑‑ geradezu dazu anhalten, es auf einen ‑‑an sich vermeidbaren‑‑ Rechtsstreit ankommen zu lassen. Es reicht vielmehr aus, wenn der Steuerpflichtige sich dem Ansinnen des Arbeitgebers an einer Einmalzahlung nicht mehr widersetzt - und sich dem Zufluss der Abfindung deshalb nicht entziehen kann.
c) Die Abfindung führt auch zu einem zusammengeballten Zufluss im Streitjahr. Außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 EStG werden in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nur bejaht, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen (eingehend dazu BFH-Urteil vom 26. Januar 2011 IX R 20/10, BFHE 232, 471). Nach den Feststellungen, die den erkennenden Senat nach § 118 Abs. 2 FGO binden, liegt im Streitfall eine derartige Ausnahmesituation ersichtlich vor und bedarf keiner weiteren Begründung.
2. Da das angefochtene Urteil diesen Maßstäben nicht entspricht, ist es aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Unter Berücksichtigung der festgestellten Tatsachen erfüllt der Kläger die Voraussetzungen für eine Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG und seiner Klage ist stattzugeben.