BFH IX. Senat
EStG § 24 Nr 1 Buchst a, EStG § 34 Abs 2 Nr 2, FGO § 118 Abs 2, BGB § 133, BGB § 157, UStG § 4 Nr 7, UStG § 15 Abs 3 Nr 1 Buchst a
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 31. August 2010, Az: 2 K 306/08
Leitsätze
§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG erfasst Entschädigungen, die "entgangene oder entgehende Einnahmen" ersetzen (Einnahmenersatz), nicht aber solche, die Ausgaben ausgleichen .
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erzielte im Streitjahr (2006) u.a. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus dem Gesamt-Objekt Q 41 mit neun Reihenhäusern. Diese waren seit Juli 2001 für zehn Jahre an die Bundesrepublik Deutschland vermietet; sie wurden von niederländischen Streitkräften bewohnt. Die Vermietung der Reihenhäuser erfolgte umsatzsteuerfrei gemäß § 4 Nr. 7 des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Der Vorsteuerabzug aus den Baukosten in Höhe von insgesamt 131.805,18 € wurde im Jahr der Erstattung (vgl. § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG) von der Klägerin als Einnahme versteuert.
Die Mietverträge wurden im Streitjahr zu unterschiedlichen Terminen mit jeweiligen Aufhebungsverträgen einvernehmlich aufgehoben. Sämtliche gegenseitigen Ansprüche waren mit der Unterzeichnung abgegolten (§ 1 Satz 2 der Verträge). Nach § 3 der (wortgleichen) Aufhebungsverträge erhielt die Klägerin pro Einzel-Objekt "für die vorzeitige Auflösung des Mietverhältnisses und der sich daraus für den Vermieter (die Klägerin) ergebenden finanziellen Nachteile (z.B. Umsatzsteuerrückzahlung) und Risiken (z.B. Anschlussvermietung) ... eine einmalige Zahlung" in Höhe von insgesamt 147.918 € "als Abgeltungsbetrag". Die Abgeltung für das Gesamt-Objekt betrug danach:
Risiko der Anschlussvermietung 93.950 €
Umsatzsteuerrückzahlung 52.233 €
Schadensersatzleistung 1.735 €
Gesamtsumme: 147.918 €
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) erfasste im geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr nur den Betrag von 93.950 € nach § 24 Nr. 1 i.V.m. § 34 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG). Die Zahlung in Höhe von 52.233 € behandelte das FA als laufende Einnahme.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wies das Finanzgericht (FG) die Klage ab (Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1066). Es war der Ansicht, dass die Zahlung des noch streitigen Betrages in Höhe von 52.233 € als ‑‑von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG nicht erfasstem‑‑ Ersatz von möglichen Aufwendungen erfolgte und nicht als Ersatz für entgehende Einnahmen. Nach der Zweckbestimmung der Aufhebungsverträge sei die Abgeltungszahlung der drohenden Vorsteuerrückzahlung geschuldet. Daher sei auch unbeachtlich, dass die zuvor wegen umsatzsteuerfreier Vermietung erhaltene Vorsteuerrückerstattung bei der Kalkulation der Höhe der Miete eingepreist worden sei. Es komme auch nicht darauf an, wie im späteren Verlauf die Objekte vermietet worden seien. Jedenfalls habe die konkrete Möglichkeit der Rückforderung der Vorsteuerbeträge nach § 15a UStG bestanden.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 34 EStG). Die Würdigung des FG sei fehlerhaft und berücksichtige weder den Wortlaut der Verträge noch den Willen der Vertragsparteien. Die Entschädigung sei nämlich nicht zum Ausgleich des entstehenden (umsatz-)steuerlichen Nachteils gezahlt worden, sondern "für die vorzeitige Auflösung der Mietverträge und der sich daraus für den Vermieter ergebenden finanziellen Nachteile und Risiken". Die strittige Zahlung sei daher als Entschädigung für entgehende Einnahmen bzw. als Schadensersatz für das Risiko zurückzuzahlender Einnahmen anzusehen. Die Einnahmen aus der Vermietung der Reihenhäuser setzten sich zusammen aus der Vorsteuererstattung (wegen umsatzsteuerbefreiter Vermietung nach § 4 Nr. 7, § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG), die wirtschaftlich als eine Mietsonderzahlung anzusehen sei, und den erzielten Mietzinsen. Auch die Wortwahl "Umsatzsteuerrückzahlung" mache deutlich, dass eben keine zukünftig drohenden Vorsteuerberichtigungen, sondern das Risiko der Rückzahlung der bereits vereinnahmten und versteuerten Vorsteuererstattungen ersetzt werden sollten. Entgegen der Ansicht des FG sei die Entschädigung als abstrakte Zahlung (Abgeltungsbetrag) ohne Bezug zu etwaigen tatsächlichen zukünftigen Aufwendungen vereinbart worden; dem stehe die centgenaue Berechnung nicht entgegen. Dafür spreche auch, dass bis heute keine Rückzahlung der vereinnahmten Vorsteuererstattungen erfolgt sei.
Auch bestehe ‑‑entgegen der Ansicht des FG, das stattdessen auf den Begriff der Zweckbestimmung abhebe‑‑ eine kausale Verknüpfung zwischen den Aufhebungsverträgen und dem Risiko einer etwaigen Verpflichtung zur Rückzahlung der vereinnahmten Vorsteuern. Zukünftige Vorteilsnahmen seien ‑‑zumal nicht vorhersehbar‑‑ unerheblich, insbesondere solche steuerlichen Konsequenzen aus evtl. neu abzuschließenden Mietverträgen (s.a. die spätere umsatzsteuerpflichtige Vermietung eines der Reihenhäuser an eine Anwaltspraxis). Auf die tatsächliche zukünftige Entwicklung (Vorsteuerberichtigung) sei es den Parteien daher nie angekommen.
Im Übrigen müssten im Zuge einer möglichen Vorsteuerkorrektur nach § 15a UStG die von der Klägerin vereinnahmten und versteuerten Vorsteuerbeträge wieder an das FA zurückgezahlt werden. Dabei handele es sich nicht um Aufwendungen, sondern um negative Einnahmen. § 9b Abs. 2 EStG stehe dem nicht entgegen; die Vorschrift diene lediglich (als Fiktion) der vereinfachten Behandlung der einkommensteuerrechtlichen Konsequenzen einer Vorsteuerkorrektur.
Der Abgeltungsbetrag sei daher zum Ausgleich für entgehende Einnahmen der Klägerin in Gestalt möglicher Vorsteuerrückzahlungen bestimmt und daher ermäßigt zu besteuern.
Die Klägerin beantragte,
das FG-Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2006 i.d.F. des letzten Änderungsbescheids vom 30. März 2010 dahingehend zu ändern, dass eine weitere Zahlung in Höhe von 52.233,12 € als Entschädigung nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG i.V.m. § 34 EStG ermäßigt besteuert und die Einkommensteuer für 2006 entsprechend herabgesetzt wird.
Das FA pflichtet der Ansicht des FG bei und beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Im Ergebnis zu Recht hat das FG für den Abgeltungsbetrag von 52.233 € die ermäßigte Besteuerung als Entschädigung gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG versagt.
1. Nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 EStG unterliegen Entschädigungen als außerordentliche Einkünfte einem besonderen (ermäßigten) Steuersatz.
a) Nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG sind Entschädigungen Leistungen, die "als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen" gewährt werden, d.h. an die Stelle weggefallener oder wegfallender Einnahmen treten (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 24. Oktober 2007 XI R 33/06, BFH/NV 2008, 361, m.w.N.). Entsprechend seinem Wortlaut zählen dazu nicht Ersatzleistungen für jede beliebige Art von Schadensfolgen, sondern lediglich solche zur Abgeltung von erlittenen oder zu erwartenden Ausfällen an Einnahmen (vgl. BFH-Urteile vom 10. Juli 1991 X R 79/90, BFHE 165, 75; vom 27. November 1991 X R 10/91, BFH/NV 1992, 455; vom 21. September 1993 IX R 32/90, BFH/NV 1994, 308, m.w.N.). Erfasst werden daher nur Entschädigungen, die Einnahmen ersetzen, nicht aber solche, die Ausgaben ausgleichen (vgl. BFH-Urteile vom 26. Oktober 1972 I R 229/70, BFHE 107, 265, BStBl II 1973, 121, unter II.1.; vom 27. Juli 1978 IV R 153/77, BFHE 126, 165, BStBl II 1979, 69; so auch die h.M. in der Literatur: Hildesheim in Bordewin/Brandt, EStG, § 24 Rz 17; Geserich in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 24 Rz B 42; Jacobs-Soyka in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar § 24 Rz 24). Der Ersatz "für entgangene oder entgehende Einnahmen" setzt aber vom Wort- und Sinnverständnis voraus, dass Einnahmen gar nicht erst angefallen, sondern ausgefallen sind oder der Ausfall (künftig) entgehender Einnahmen zu erwarten ist (vgl. Horn in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 24 Rz 33; ähnlich Blümich/Stuhrmann, EStG, § 24 Rz 7, 12; Jacobs-Soyka, a.a.O., § 24 Rz 9); der Steuerpflichtige hat also die entsprechenden Einnahmen nicht oder noch nicht erhalten. Daher werden zunächst erhaltene (zugeflossene) und danach zurückzuzahlende oder zurückgezahlte Einnahmen ebenso wenig von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG erfasst wie Ausgaben bzw. Aufwendungen oder als solche zu behandelnde negative Einnahmen (vgl. etwa BFH-Urteile vom 17. September 2009 VI R 17/08, BFHE 226, 317, BStBl II 2010, 299; vom 26. Januar 2000 IX R 87/95, BFHE 191, 274, BStBl II 2000, 396).
b) Ob die Entschädigung im konkreten Fall als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen, für zurückgezahlte Einnahmen oder für andere Nachteile als Ausgabenausgleich gezahlt wird, ist grundsätzlich aus der Sicht der Vertragsparteien vom FG als Tatsacheninstanz zu beurteilen; dazu ist der Inhalt der Entschädigungsvereinbarung, erforderlichenfalls im Wege der Auslegung, heranzuziehen (vgl. BFH-Urteile vom 9. August 1974 VI R 142/72, BFHE 113, 239, BStBl II 1974, 714; vom 11. Januar 2005 IX R 67/02, BFH/NV 2005, 1044, unter II.1.a bb). Die Vertragsauslegung gehört zu den tatsächlichen, den BFH grundsätzlich bindenden Feststellungen des FG i.S. des § 118 Abs. 2 FGO (vgl. BFH-Urteile vom 11. Januar 2005 IX R 15/03, BFHE 209, 77, BStBl II 2005, 477, unter II.2.b aa; vom 5. September 2000 IX R 33/97, BFHE 192, 559, BStBl II 2000, 676, unter II.2.a (3).
2. Diesen Maßstäben entspricht die Vorentscheidung. Dass das FG für die erhaltene Zahlung in Höhe von 52.233 € die ermäßigte Besteuerung als Entschädigung gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG abgelehnt hat, lässt im Ergebnis keine Rechtsfehler erkennen.
a) Das FG hat die getroffenen (wortgleichen) Aufhebungsverträge ‑‑soweit hier streitig‑‑ dahin ausgelegt, dass sie ‑‑jedenfalls aus Sicht der Klägerin‑‑ dem drohenden Anfall von Aufwendungen dienen sollten, nicht aber als Ausgleich für entgangene oder entgehende Einnahmen gedacht waren. Nach Wortlaut und Zweckbestimmung der Verträge erfolgte die Abgeltung ausdrücklich auch zum Ausgleich der sich aus der Auflösung der Mietverhältnisse "ergebenden" finanziellen Nachteile wie z.B. einer (möglichen) Umsatzsteuerrückzahlung. Dass das FG hier vom Ausgleich des "entstehenden" (umsatz-)steuerlichen Nachteils spricht, ist unter Auslegungsgesichtspunkten unschädlich, zumal an die ‑‑aufgrund der Auflösung der Mietverträge‑‑ drohende Vorsteuerrückzahlung angeknüpft wird.
Auch das Argument des centgenau berechneten "Abgeltungsbetrags" kann die Klägerin nicht zwingend für ihre abweichende Vertragsauslegung heranziehen.
Des Weiteren kann dahinstehen, ob die von der Klägerin behauptete kausale Verknüpfung zwischen den Einnahmen aus der Vorsteuererstattung nach Abschluss der ursprünglichen Mietverträge und der Verpflichtung zur Rückzahlung der vereinnahmten Vorsteuern wegen zukünftig neu abzuschließender Mietverträge gegeben ist. Jedenfalls hat das FG die kausale Verknüpfung nicht durch den Begriff der Zweckbestimmung ersetzt; vielmehr hat es diesen Begriff im Rahmen der Vertragsauslegung bemüht, um die Einpreisung der (zuvor erhaltenen) Vorsteuererstattung in den (dadurch niedrigeren) Mietzins als unbeachtlich anzusehen. Insoweit korrespondieren die nach Erstattung vereinnahmten Vorsteuerbeträge mit der bei den Baukosten in Rechnung gestellten und von der Klägerin bezahlten Umsatzsteuer. Überdies wurde durch die Aufhebungsverträge eine neue Rechts- und Billigkeitsgrundlage (vgl. BFH-Urteile vom 13. Dezember 2005 XI R 55/04, BFH/NV 2006, 2042; in BFH/NV 2005, 1044, m.w.N.) geschaffen, die eine mögliche Verknüpfung unterbrochen hat; insoweit besteht allenfalls eine Verknüpfung zwischen den von der Klägerin erhaltenen Abgeltungsbeträgen und den nach Maßgabe der Verträge in dieser Höhe zu erwartenden Vorsteuerrückzahlungen. Entsprechend ist es unerheblich, ob die Reihenhäuser im späteren Verlauf umsatzsteuerpflichtig oder umsatzsteuerfrei vermietet wurden.
Danach ist die Würdigung des FG zwar nicht zwingend, aber zumindest möglich. Sie entspricht den allgemeinen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) und verstößt nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Sie ist daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
b) Zudem stellt sich nach den vorstehenden Maßstäben (unter II.1.a) die hier streitige Zahlung an die Klägerin nicht als Ersatz "für entgangene und entgehende Einnahmen" dar. Denn weder sind der Klägerin Einnahmen entgangen, die sie ansonsten erzielt hätte, noch war der Ausfall künftiger Einnahmen zu besorgen. Vielmehr sind der Klägerin die Vorsteuererstattungen (nach § 4 Nr. 7, § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG) als Einnahmen zugeflossen, die sie nach Beendigung der Mietverhältnisse aufgrund der Aufhebungsverträge möglicherweise z.T. wieder hätte zurückzahlen müssen. Dieses Risiko sollte der Betrag von 52.233 € vertragsgemäß abgelten. Dann handelt es sich aber um den Ausgleich evtl. zurückzuzahlender Einnahmen, die sich bei der Klägerin als Ausgaben (Werbungskosten) auswirken, also um einen von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG nicht erfassten Ausgabenausgleich.
c) Entsprechend wurden unter Beachtung der vorstehenden (s. II.1.) Grundsätze die der Klägerin zugeflossenen Abgeltungsbeträge hinsichtlich der "Umsatzsteuerrückzahlung" im Ergebnis zu Recht nicht als Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG beurteilt. Denn diese Beträge sollten gemäß den Aufhebungsverträgen aus der Sicht der Klägerin zu erwartende Aufwendungen (Werbungskosten) abgelten, und zwar unabhängig vom tatsächlichen späteren Anfall solcher Aufwendungen. Einen solchen Ausgleich von Ausgaben in Gestalt zurückbezahlter Einnahmen erfasst § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG indes nicht.