BFH VI. Senat
EStG § 9 Abs 1 S 1, EStG § 10 Abs 1 Nr 7, EStG § 12 Nr 5, EStG § 19 Abs 1 S 1 Nr 1
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 16. December 2008, Az: 8 K 6331/06 B
Leitsätze
NV: Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung zum Verkehrsflugzeugführer können als vorab entstandene Werbungskosten anzuerkennen sein. Denn der Vorrang des Werbungskosten- bzw. Betriebsausgabenabzugs bleibt durch § 12 Nr. 5 EStG ebenso wie durch § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG unberührt.
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) schloss nach seinem Schulabschluss und nachfolgendem Grundwehrdienst im August 2003 mit der X-GmbH einen Schulungsvertrag über seine fliegerische Grundschulung zum Verkehrsflugzeugführer nach den Standards der A-AG ab. Der Kläger war danach verpflichtet, an allen amtlichen und internen Prüfungen zu den festgesetzten Terminen teilzunehmen; er musste auf eigene Rechnung eine Krankenversicherung abschließen und bei Erkrankung eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. Die Schulungskosten trug die A-AG; der Kläger hatte allerdings einen Eigenanteil in Höhe von … € zu tragen, der 12 Monate nach Beginn der Schulung fällig wurde. Sollte das Schulungsverhältnis aus einem vom Kläger zu vertretenden Grund vorzeitig enden, hatte der Kläger die entstandenen Schulungskosten nach Schulungsstand bis zur Höhe des Eigenanteils in Höhe von … € zu tragen. Schließlich sah der Schulungsvertrag vor, dass dem Kläger nach erfolgreicher Schulung entweder bei der A-AG oder einer unter den Konzerntarifvertrag für das Cockpitpersonal fallenden Gesellschaft ein Arbeitsplatz als Pilot angeboten werde.
Weiter schloss der Kläger im August 2003 mit der A-AG einen Darlehensvertrag zum Schulungsvertrag mit der X-GmbH ab. Danach gewährte die A-AG dem Kläger ein Darlehen in Höhe des Eigenanteils an den Schulungskosten. Dieses Darlehen sollte an den Kläger bei Fälligkeit des Eigenanteils durch Zahlung an die X-GmbH ausgeschüttet werden. Das Darlehen war für die Dauer der Schulung und bis zum Beginn eines Arbeitsverhältnisses im A-Konzern zins- und tilgungsfrei, ab Beginn eines Arbeitsverhältnisses aber zu verzinsen und zu tilgen. Nachdem die X-GmbH Anfang August 2004 dem Kläger dessen Eigenanteil in Rechnung gestellt hatte, wurde entsprechend dem Darlehensvertrag der Eigenanteil des Klägers an die X-GmbH ausgezahlt.
Der Kläger machte in seiner Einkommensteuererklärung für 2004 die Schulungskosten in Höhe seines Eigenanteils als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) folgte dem nicht. Unter Hinweis auf § 12 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) lehnte es die gesonderte Feststellung eines verbleibenden Verlustabzugs zum 31. Dezember 2004 ab.
Das Finanzgericht (FG) wies nach erfolglosem Einspruchsverfahren die dagegen erhobene Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 570 veröffentlichten Gründen ab.
Mit der dagegen eingelegten Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 17. Dezember 2008 aufzuheben und den Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahin abzuändern, dass der verbleibende Verlustvortrag mit Werbungskosten in Höhe von … € berücksichtigt wird.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen hat mit Schriftsatz vom 6. Mai 2011 den Beitritt zum Verfahren nach § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erklärt.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des Klägers ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG hat die Aufwendungen des Klägers für dessen Ausbildung als Berufspilot zu Unrecht vom Abzug als (vorweggenommene) Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG ausgeschlossen. Die Sache ist allerdings nicht entscheidungsreif. Denn das FG hat zur Höhe der dem Kläger im Einzelnen entstandenen Kosten keine Feststellungen getroffen.
1. Werbungskosten, nämlich Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG liegen vor, wenn sie durch den Beruf oder durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Sie sind beruflich veranlasst, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Steuerpflichtige gegenwärtig noch keine Einnahmen erzielt. Dann sind die Aufwendungen als vorab entstandene Werbungskosten abziehbar, wenn sie in einem hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren Veranlassungszusammenhang mit späteren Einnahmen stehen. Diese Voraussetzungen können auch bei berufsbezogenen Bildungsmaßnahmen erfüllt sein. Denn § 9 EStG enthält keine Sonderregelung zu Berufsbildungskosten. Entscheidend bleibt, ob die Aufwendungen einen hinreichend konkreten Veranlassungszusammenhang zur nachfolgenden auf die Erzielung von Einkünften gerichteten Berufstätigkeit aufwiesen.
Der Werbungskostenabzug ist gegenüber dem Abzug von Aufwendungen als Sonderausgaben vorrangig. Das ist ein allgemeiner, für alle Sonderausgaben durch den Einleitungssatz zu § 10 Abs. 1 EStG normierter Grundsatz, der nur in Sonderfällen durchbrochen ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 18. November 2009 X R 6/08, BFHE 227, 137, BStBl II 2010, 282). Deshalb steht auch § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG dem Abzug der Berufsbildungskosten als Werbungskosten nicht entgegen. Denn Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Berufsausbildung sind nur dann Sonderausgaben, "wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind".
Dieser vorrangige Werbungskostenabzug gilt unverändert und insbesondere auch nach der Neuregelung des Abzugs der Berufsausbildungskosten und der Einführung des § 12 Nr. 5 EStG durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und weiterer Gesetze vom 21. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1753). Denn auch § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der durch dieses Änderungsgesetz insoweit unveränderten Fassung entfaltet keine Sperrwirkung gegenüber dem Werbungskostenabzug.
Entsprechendes gilt für § 12 Nr. 5 EStG. Denn danach sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung und für ein Erststudium nur insoweit weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen, als "in § 10 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4, 6, 7 und 9, § 10a, § 10b und §§ 33 bis 33c nichts anderes bestimmt ist". § 12 Nr. 5 EStG schließt damit anders als etwa § 4 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 bis 11 EStG i.V.m. § 9 Abs. 5 EStG den Betriebsausgaben- und Werbungskostenabzug nicht kategorisch aus, sondern steht wie § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG unter dem Anwendungsvorbehalt seines Einleitungssatzes. Der ordnet indessen den vorrangigen Sonderausgabenabzug an. Der vorrangige Sonderausgabenabzug steht seinerseits unter dem Vorbehalt des vorrangigen Betriebsausgaben- oder Werbungskostenabzugs. Deshalb sind Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung auch unter Geltung des § 12 Nr. 5 EStG als Werbungskosten abziehbar, sofern ein hinreichend konkreter Veranlassungszusammenhang zwischen den Aufwendungen und der späteren auf Einkünfteerzielung gerichteten Berufstätigkeit besteht. Zur weiteren Begründung verweist der Senat zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf sein Urteil vom 28. Juli 2011 VI R 38/10 (BFHE 234, 279, www.bundesfinanzhof.de, BFH/NV 2011, 1782).
2. Nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsgrundsätze sind die vom Kläger getätigten Aufwendungen für seine Ausbildung zum Berufspiloten auf Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG dem Grunde nach vorweggenommene Werbungskosten. Denn es besteht ein hinreichend konkreter Veranlassungszusammenhang zwischen diesen Aufwendungen und der nachfolgenden Berufstätigkeit des Klägers als Pilot und den daraus erzielten Einkünften. Angesichts dessen konnte für den Streitfall hier dahinstehen, ob die Ausbildung des Klägers zum Berufspilot im Rahmen eines Dienstverhältnisses i.S. des § 12 Nr. 5 2. Halbsatz EStG stattgefunden hat.
3. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Denn das FG hat ‑‑aus seiner Sicht zu Recht‑‑ zu den einzelnen vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen und zu der Frage, inwieweit diese tatsächlich durch die Ausbildung veranlasst waren, noch keine Feststellungen getroffen. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.