BFH VII. Senat
ZK Art 32 Abs 1 Buchst a Ziff ii, ZK Art 32 Abs 1 Buchst b Ziff i, ZK Art 220 Abs 2 Buchst b, EWGV 2913/92 Art 32 Abs 1 Buchst a Ziff ii, EWGV 2913/92 Art 32 Abs 1 Buchst b Ziff i, EWGV 2913/92 Art 220 Abs 2 Buchst b
vorgehend FG Hamburg, 26. October 2009, Az: 4 K 166/08
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) führte 2003 und 2004 Gemüsekonserven aus China ein. Dabei legte sie als Zollwert die von den chinesischen Verkäufern in Rechnung gestellten Kaufpreise zugrunde, ohne die Kosten für die Behältnisse (Gläser und Metalldrehverschlüsse) hinzuzurechnen, die sie zuvor aus dem freien Verkehr der Gemeinschaft erworben, zwischen dem 27. Februar und dem 30. September 2002 ausgeführt und den chinesischen Verkäufern der Konserven unentgeltlich zur Verfügung gestellt hatte. Diese Art der Zollwertermittlung war in der Vergangenheit unbeanstandet geblieben, weil es der früheren Dienstanweisung (DA) für die deutsche Zollverwaltung entsprach, Kosten für vom Käufer zur Verfügung gestellte Umschließungen aus dem freien Verkehr des Zollgebiets der Union dem tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis nicht hinzuzurechnen (Abs. 7 Buchst. b Unterabs. 1 DA, Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung ‑‑VSF‑‑ Z 53 14), um zum Zweck der abgabenfreien Wiedereinfuhr der Umschließungen zu bewilligende passive Veredelungsverkehre zu vermeiden. Diese Regelung enthält die im Dezember 2002 in der VSF bekannt gegebene Neufassung der Dienstvorschrift Zollwertrecht (DV) jedoch nicht mehr (vgl. Abs. 42 DV, VSF Z 51 01). Dementsprechend wurde in den VSF-Nachrichten vom 27. Februar 2003 darauf hingewiesen, dass wegen der geänderten zollwertrechtlichen Behandlung von Umschließungen auch eine entsprechende Änderung der Dienstvorschrift zur passiven Veredelung erforderlich sei. Über Änderungen bei der Zollwertermittlung sowie bei der Bewilligung passiver Veredelungsverkehre von Umschließungen wies der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑) die Klägerin mit Schreiben vom 2. April 2003 hin.
Wegen der geänderten Zollpraxis erließ die Zollverwaltung aufgrund eines Erlasses des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 13. Januar 2005 Steueränderungsbescheide für nach dem 27. Februar 2002, aber vor dem Wirksamwerden rückwirkend bewilligter passiver Veredelungen ausgeführte und nach dem 27. Februar 2003 wieder eingeführte Umschließungen. Hiervon betroffen waren auch die Einfuhrsendungen der Klägerin. Nachdem im Rahmen einer Prüfung festgestellt worden war, dass die Klägerin die Kosten der unentgeltlich zur Verfügung gestellten Behältnisse bei der Zollwertermittlung nicht berücksichtigt hatte, erhob das HZA mit Einfuhrabgabenbescheid vom 19. Juni 2006 die Einfuhrabgaben unter Zugrundelegung des erhöhten Zollwerts nach.
Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Das dem FG-Urteil entsprechende in einem Parallelverfahren ergangene Urteil ist in der Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern (ZfZ) 2010, Beilage 1, 4 veröffentlicht.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, dass von der Nacherhebung der Einfuhrabgaben gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex (ZK) abzusehen sei. Wegen der langjährigen und anlässlich von Betriebsprüfungen immer wieder bestätigten damaligen Verwaltungspraxis sei von einem Irrtum des HZA im Sinne vorgenannter Vorschrift auszugehen. Den Verlautbarungen der Zollverwaltung im Jahr 2003 habe lediglich entnommen werden können, dass künftig auszuführende Umschließungen in passive Veredelungsverkehre zu überführen seien, nicht aber, dass die bisherige Verfahrensweise auch für bereits ausgeführte Umschließungen nicht mehr gelten solle. Sie (die Klägerin) sei daher bei Abgabe der Zollanmeldungen gutgläubig gewesen und habe den Zollwert so angegeben, wie es von ihr vernünftigerweise habe erwartet werden können. Auch wenn man ihr die Unkenntnis von der Änderung der DV vorhalten wollte, so hätte sie doch jedenfalls ihr Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Verwaltungspraxis bereits vor dieser Änderung durch die Ausfuhr der Umschließungen ohne Überführung in den passiven Veredelungsverkehr betätigt gehabt.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen aufzuheben.
Das HZA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es ist der Ansicht, dass sich die Klägerin nicht auf Vertrauensschutz berufen könne. Sie habe sich nicht darauf verlassen können, dass bei Umschließungen, die teilweise mehr als ein Jahr nach ihrer Ausfuhr in Drittländer befüllt wieder eingeführt werden, die alte DA noch Anwendung finde. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Klägerin angesichts des Hinweisschreibens vom 2. April 2003 gehindert gewesen sein sollte, in den streitgegenständlichen Anmeldungen für Gemüsekonserven die Kosten für Umschließungen aufzuführen. Jenes Schreiben beziehe sich eindeutig auf Umschließungen, welche ab dem 1. Mai 2003 für die Ausfuhr vorgesehen seien; es treffe hingegen keine Aussage über zum Zeitpunkt des Schreibens bereits in ein Drittland verbrachte Umschließungen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie des angefochtenen Einfuhrabgabenbescheids vom 19. Juni 2006 (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Dieser Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Ob die Kosten der dem chinesischen Hersteller zur Verfügung gestellten Behältnisse gemäß Art. 32 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii ZK in den Zollwert der Einfuhrwaren einzubeziehen sind ‑‑was zwischen den Beteiligten nicht im Streit ist‑‑ oder ob diese Behältnisse nicht eher als Beistellungen anzusehen sind, deren Wert gemäß Art. 32 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i ZK dem Transaktionswert hinzuzurechnen ist, kann offenbleiben. Der Nacherhebung der daraus resultierenden höheren Einfuhrabgaben steht jedenfalls Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK entgegen.
Nach der vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in ständiger Rechtsprechung verwendeten Zusammenfassung der Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift hat die Zollbehörde von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung von Einfuhrabgaben abzusehen, wenn drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Die Nichterhebung muss auf einem Irrtum der zuständigen Behörden beruhen; es muss sich um einen Irrtum handeln, der für einen gutgläubigen Abgabenschuldner nicht erkennbar war, und dieser muss alle geltenden Vorschriften über seine Zollerklärung eingehalten haben (vgl. EuGH-Urteil vom 3. März 2005 C-499/03 P ‑‑Biegi Nahrungsmittel, Commonfood‑‑, Slg. 2005, I-1751, ZfZ 2005, 228, m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.
1. Anders als das FG meint, ist die zutreffende buchmäßige Erfassung der Einfuhrabgaben aufgrund eines Irrtums des HZA unterblieben. Zwar begründet nur ein solcher Irrtum, der auf ein Handeln der zuständigen Behörde zurückzuführen ist (sog. aktiver Irrtum), einen Anspruch auf Absehen von der Nacherhebung der Einfuhrabgaben, nicht jedoch ein Irrtum, dem die Zollbehörde im Zeitpunkt der Abgabenerhebung wegen unzutreffender oder unvollständiger Angaben des Abgabenschuldners unterlag (EuGH-Urteile vom 27. Juni 1991 C-348/89 ‑‑Mecanarte‑‑, Slg. 1991, I-3277, ZfZ 1992, 388; vom 14. November 2002 C-251/00 ‑‑Ilumitrónica‑‑, Slg. 2002, I-10433, ZfZ 2003, 46). Gleichwohl lässt sich im Streitfall das Vorliegen eines aktiven Irrtums des HZA bei der Einfuhrabfertigung nicht mit der Begründung verneinen, dass die 2003 und 2004 abgegebenen Zollanmeldungen der Klägerin insoweit unvollständig waren, als sie keinen Hinweis auf die dem chinesischen Hersteller unentgeltlich zur Verfügung gestellten Behältnisse enthielten.
Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK verlangt lediglich eine Kausalität zwischen dem behördlichen Irrtum und der unterbliebenen buchmäßigen Erfassung der Einfuhrabgaben, nicht aber, dass der Irrtum im direkten zeitlichen Zusammenhang mit der betreffenden Zollanmeldung unterlaufen sein muss. Dementsprechend hat der EuGH mit Urteil vom 19. Oktober 2000 C-15/99 ‑‑Sommer‑‑ (Slg. 2000, I-8989, ZfZ 2001, 13) einen Irrtum i.S. des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK auch in einem Fall angenommen, in dem anlässlich einer früheren Außenprüfung die Nichteinbeziehung bestimmter Kosten in den Zollwert von der Zollbehörde nicht beanstandet worden war und diese Kosten dementsprechend bei späteren, gleichartige Kaufgeschäfte betreffenden Einfuhren mit der Zollwertanmeldung des Einführers nicht angegeben wurden (vgl. zum Sachverhalt den vorangegangenen Vorlagebeschluss des FG Bremen vom 4. August 1998 296052K 2, ZfZ 1999, 93). Des Weiteren hat der EuGH mit Urteil in Slg. 1991, I-3277, Rz 25, ZfZ 1992, 388 ausgeführt, dass Vertrauensschutz gewährt werden kann, wenn die Unrichtigkeit der Erklärungen des Abgabenschuldners nur die Folge falscher Auskünfte ist, die von den zuständigen Behörden erteilt wurden und diese Behörden binden, und hat in ähnlicher Weise das Vorliegen eines Irrtums der zuständigen Behörde bejaht, wenn diese irrige Auskünfte erteilt hat, auf die der Zollbeteiligte vertrauen durfte (EuGH-Urteil vom 26. November 1998 C-370/96 ‑‑Covita AVE‑‑, Slg. 1998, I-7711, ZfZ 1999, 86).
Ob sich danach ein aktiver Irrtum der Behörde allein in einer bestehenden und in Verwaltungsanweisungen dokumentierten Praxis der Behörde ‑‑wie im Streitfall‑‑ äußern kann, auf die sich der Abgabenschuldner verlassen hat (so Senatsurteil vom 20. Juli 1999 VII R 83/98, BFH/NV 2000, 247, 250), oder ob diese behördliche Praxis auch gegenüber dem jeweiligen Zollschuldner konkret bestätigt worden sein muss, kann im Streitfall offenbleiben. Denn wenn auch das FG keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen hat, dass Zollwertanmeldungen der Klägerin, welche Kosten für Umschließungen nicht beinhalteten, bei früheren Prüfungen unbeanstandet geblieben sind, so ergibt sich dieser Umstand doch aus dem vom FG sinngemäß in Bezug genommenen, im Anlagenband zur FG-Akte vorhandenen Prüfungsbericht vom 18. Januar 1999 (S. 4 Rz 14). Auch im Streitfall ist daher die damalige durch Betriebsprüfungen bei der Klägerin bestätigte Praxis der Zollverwaltung als ursächlich dafür anzusehen, dass die Klägerin mit ihren Zollanmeldungen für die hier streitigen Einfuhrsendungen keine Angaben zu dem chinesischen Hersteller unentgeltlich zur Verfügung gestellten Behältnissen machte und die Kosten für diese Behältnisse somit nicht in den Zollwert einbezogen wurden.
Anders als das HZA offenbar meint, kann das Vorliegen eines behördlichen Irrtums auch nicht mit der Begründung verneint werden, die deutsche Zollverwaltung habe nicht etwa irrtümlich angenommen, dass die Umschließungskosten nicht zum Zollwert gehörten, sondern sei vielmehr bewusst ‑‑allerdings mit Duldung der Kommission‑‑ von den rechtlichen Vorgaben abgewichen. Zweifelhaft ist insoweit bereits, ob die deutsche Zollverwaltung seinerzeit das Unionsrecht tatsächlich vorsätzlich verletzen wollte oder sie nicht vielmehr geglaubt hat, aus einem als übergeordnet angesehenen Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung die Hinzurechnungsvorschriften des Art. 32 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii bzw. Buchst. b Ziff. i ZK einschränkend im Wege der in die DA aufgenommenen Ausnahme auslegen zu dürfen, um nicht allein wegen der bezüglich des Zollwerts der Gemüsekonserven relativ unbedeutenden Kosten der Umschließungen passive Veredelungsverkehre in großer Anzahl abwickeln zu müssen. Jedenfalls erfasst aber der Begriff des Irrtums i.S. des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK jedwede unrichtige Auslegung oder Anwendung der anwendbaren Rechtsvorschriften (EuGH-Urteil in Slg. 1991, I-3277, Rz 20, ZfZ 1992, 388). Der Irrtums-Begriff dient in der Rechtsprechung des EuGH der Unterscheidung zwischen einer die Abgabenerhebung betreffenden unzutreffenden Rechtsanwendung oder -auslegung, die auf ein Handeln der zuständigen Behörde zurückzuführen ist, und einer solchen, deren Ursache in der Sphäre des Zollbeteiligten liegt und deshalb nicht vor einer Nacherhebung schützt. Im Streitfall liegt es aber auf der Hand, dass die jahrelange den Hinzurechnungsvorschriften des Art. 32 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii bzw. Buchst. b Ziff. i ZK nicht entsprechende Praxis der deutschen Zollverwaltung keinesfalls der Sphäre der Klägerin zuzuordnen ist, unabhängig davon, ob die Zollverwaltung ihre Praxis für rechtlich vertretbar hielt oder nicht.
2. Ausgehend von seiner Ansicht, dass ein behördlicher Irrtum i.S. des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK nicht vorliege, hat das FG nicht geprüft, ob die Klägerin gutgläubig gehandelt hat. Seinen Feststellungen lassen sich allerdings keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Klägerin bei Abgabe der Zollanmeldungen von der Neufassung der DV und der darin nicht mehr enthaltenen Ausnahmeregelung Kenntnis hatte und somit wusste, dass sie Angaben zu den dem chinesischen Verkäufer unentgeltlich überlassenen Behältnissen hätte machen müssen.
Das an die Klägerin gerichtete Schreiben des HZA vom 2. April 2003 ändert daran nichts. Sein Inhalt rechtfertigt nicht die Annahme, dass die Klägerin mit seinem Zugang hinsichtlich der in den Zollanmeldungen nicht angegebenen Behältnisse nicht mehr in gutem Glauben sein konnte, denn das genannte Schreiben befasst sich so gut wie gar nicht mit dem Zollwert, sondern nahezu ausschließlich mit den für Umschließungen nunmehr zu beantragenden passiven Veredelungsverkehren. Das Schreiben gibt keinen Hinweis darauf, dass die Kosten für bereits ausgeführte und jetzt wieder befüllt eingeführte Umschließungen von nun ab in den Zollwertanmeldungen anzugeben sind, sondern lässt sich ohne Weiteres dahin verstehen, dass von nun ab, jedenfalls für ab dem 1. Mai 2003 auszuführende Umschließungen passive Veredelungsverkehre erforderlich sind, anderenfalls diese bei späterer Einfuhr nicht abgabenfrei belassen werden können. Dass dieses Erfordernis auch für bereits ausgeführte Umschließungen gelten sollte, wird hingegen nicht deutlich, denn es gibt keinen Hinweis auf einen für bereits ausgeführte Umschließungen möglichen rückwirkenden passiven Veredelungsverkehr. Diese Möglichkeit erwähnt (soweit ersichtlich) erstmals der BMF-Erlass vom 13. Januar 2005.
3. Der Irrtum konnte von der gutgläubigen Klägerin vernünftigerweise auch nicht erkannt werden. Ausgehend von seiner Rechtsauffassung, dass ein behördlicher Irrtum nicht vorliege, hat zwar das FG auch diese Voraussetzung ungeprüft gelassen; die vom FG getroffenen Feststellungen erlauben jedoch eine entsprechende Prüfung durch den erkennenden Senat.
Die Erkennbarkeit des Irrtums ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH (und des erkennenden Senats) unter Berücksichtigung seiner Art, d.h. unter Berücksichtigung der Komplexität der betreffenden Regelung, sowie der Berufserfahrung des betroffenen Wirtschaftsteilnehmers und der von ihm aufgewandten Sorgfalt zu beurteilen. Von Bedeutung ist insoweit allerdings auch die Länge des Zeitraums, in dem die Behörden in ihrem Irrtum verharrten (EuGH-Urteil in Slg. 2002, I-10433, Rz 54-56, ZfZ 2003, 46). Hinsichtlich der zollwertrechtlichen Behandlung vom Käufer zur Verfügung gestellter Umschließungen darf daher nicht außer Betracht bleiben, dass sich die deutsche Praxis, Umschließungen aus dem freien Verkehr der Union von der eigentlich gebotenen Einbeziehung in den Zollwert auszunehmen, auf die bereits in der VSF Z 53 14 vom 15. März 1993 enthaltene DA zur damaligen Zollwertverordnung (Verordnung (EWG) Nr. 1224/80 des Rates vom 28. Mai 1980 über den Zollwert der Waren, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 134/1) zurückgeht, diese zollwertrechtliche Ausnahme mithin bis zu ihrer Streichung fast zehn Jahre lang Grundlage für die deutsche Verwaltungspraxis war, wobei es sich überdies nicht allein um die Praxis des beklagten HZA handelte, sondern aufgrund der vom BMF erlassenen DA die Praxis aller deutschen Zollstellen war. Sie wurde nicht nur bei Betriebsprüfungen stets bestätigt, sondern zudem vom BMF mit Schreiben an den Waren-Verein der Hamburger Börse vom 16. August 2000 bekräftigt, wobei darauf hingewiesen wurde, dass die deutsche Rechtspraxis auf einer Duldungsabsprache mit der Europäischen Kommission beruhe.
Auch wenn die Klägerin ‑‑wie das HZA meint‑‑ als ein erfahrener Importeur anzusehen sein mag, durfte sie doch in Anbetracht der seitens der Zollverwaltung ‑‑sogar von deren oberster Bundesbehörde‑‑ immer wieder bestätigten Auffassung vernünftigerweise annehmen, dass es sich bei der der DA zu entnehmenden einschränkenden Auslegung des Art. 32 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii bzw. Buchst. b Ziff. i ZK um eine allseits als vertretbar gebilligte Auslegung handelte, und ihr weiteres Handeln danach ausrichten. Es hieße zu viel von der Klägerin zu verlangen, wenn man ihr vorhielte, sie hätte sich seinerzeit gegen die gängige Praxis der Zollwertermittlung wenden und die Einbeziehung der Umschließungskosten in den Zollwert durch die Eröffnung passiver Veredelungsverkehre vermeiden müssen. Ob das HZA unter der Geltung der alten DA, der zufolge die Anmeldung von Umschließungen zum passiven Veredelungsverkehr nicht erforderlich war, die Bewilligungsvoraussetzungen des Art. 86 Anstrich 2 ZK als erfüllt angesehen hätte, darf bezweifelt werden.
Der Ansicht des HZA, die Klägerin hätte bei Lektüre der VSF-Nachrichten vom 27. Februar 2003 die Möglichkeit der rückwirkenden Bewilligung passiver Veredelungsverkehre für die Umschließungen erkennen und nutzen müssen, ist nicht zu folgen. Zwar kann sich ein Wirtschaftsbeteiligter nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des erkennenden Senats nicht auf die Unkenntnis der im Amtsblatt veröffentlichten Rechtsvorschriften berufen; eine Pflicht zur Kenntnis von Verwaltungsvorschriften, deren Adressat allein die Verwaltung ist, besteht jedoch grundsätzlich nicht. Es bestand für die Zollbeteiligten auch kein Grund, der es nahe gelegt hätte, den VSF-Nachrichten dieser Zeit eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Im Übrigen ist in den VSF-Nachrichten vom 27. Februar 2003 von der Möglichkeit einer rückwirkenden Bewilligung der passiven Veredelung für bereits ausgeführte Umschließungen nicht die Rede.
4. Nach alledem scheitert der der Klägerin zu gewährende Vertrauensschutz auch nicht daran, dass sie in ihren Zollanmeldungen für die streitigen Einfuhrwaren die unentgeltliche Lieferung der Behältnisse an den chinesischen Hersteller nicht erwähnte. Soweit Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK für ein Absehen von der Nacherhebung der Einfuhrabgaben auch fordert, dass der Zollschuldner alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten hat, genügt er dieser Forderung auch bei gegenüber den zuständigen Behörden angegebenen unrichtigen oder unvollständigen Daten, sofern er diese in gutem Glauben abgegeben hat und vernünftigerweise nur diese Daten kennen oder sich beschaffen konnte (EuGH-Urteile in Slg. 1991, I-3277, Rz 29, ZfZ 1992, 388; und vom 14. Mai 1996 C-153/94 und C-204/94 ‑‑Faroe Seafood‑‑, Slg. 1996, I-2465, Rz 109, ZfZ 1997, 12). Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, war die Klägerin gutgläubig und durfte in Anbetracht der bisherigen Verwaltungspraxis vernünftigerweise annehmen, dass Angaben in den Zollanmeldungen zu den dem chinesischen Hersteller unentgeltlich zur Verfügung gestellten Behältnissen entbehrlich waren.