BFH I. Senat
GewStG § 8 Nr 1, GewStG § 12 Abs 2 Nr 1
vorgehend FG München, 08. November 2010, Az: 6 K 2523/08
Leitsätze
NV: Die vom Versicherungsvermittler erlangten Kreditmittel aus dem Verkauf von Provisionsforderungen gegenüber der Versicherung im Rahmen unechter Provisions-Factoringverträge mit einer Laufzeit von 36 Monaten sind als Dauerschulden dem Gewerbekapital hinzuzurechnen. Ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit laufenden Geschäftsvorfällen besteht nicht, wenn der Versicherungsvermittler über die Kredite frei verfügen kann und nicht gebunden ist, die Auszahlungen zur Finanzierung der Vertriebsaufwendungen zu verwenden .
Tatbestand
I. Streitig ist, ob Kreditmittel aus Provisions-Factoringverträgen als sog. Dauerschulden zu behandeln sind.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Aktiengesellschaft, betrieb im Streitjahr 1997 die Vermittlung von Versicherungen aller Art. Dabei arbeitete sie auf der Grundlage einer Rahmenvereinbarung mit einer Beratungs-GmbH (X) und einer Provisions-Factoring-GmbH (Y) zusammen.
Die Klägerin bot als Vertriebsgesellschaft über ihre Vermittler ihren Kunden Versicherungsprodukte der X an. Für die erfolgreiche Vermittlung stand ihr eine Vergütung zu, die in der Regel auf die Beitragsraten der ersten drei Versicherungsjahre in 36 Monatsraten von X zu zahlen war. Diese Vergütungen gab die Klägerin zum Teil als Provisionen an die Vermittler weiter.
Zur Vorfinanzierung ihrer Vergütung verkaufte die Klägerin ihre Provisionsforderungen an Y. Diese Vorfinanzierung umfasste die gesamten Provisionen (einschließlich der den Vermittlern zustehenden Teilbeträge). Deshalb schlossen auch diese Vermittler Provisions-Factoring-Rahmenverträge mit Y ab. Auf dieser Basis kam es zum Abschluss sog. Einzelkaufverträge zwischen Y und der Klägerin über konkrete Vergütungsansprüche, die nach bestimmten Kriterien (z.B. Vertragsbeginn, Versicherungsprodukt, Land) zusammengefasst waren, sowie sog. Sammelkaufverträge zwischen den Vermittlern und Y, die mehrere Vermittler mit sämtlichen Provisionsansprüchen betrafen. Dabei wurde für jeden Vergütungsanspruch das zugrunde liegende Vermittlungsgeschäft mit dem Kunden dokumentiert.
Den Kaufpreis berechnete Y nach einem sog. Ausschüttungstableau (Sicherheitsabschlag im Streitjahr: 24,5 %). Die Klägerin trat im Rahmen der Vereinbarung alle künftigen Provisionsansprüche aus den dem Factoringvertrag zugrunde liegenden Vermittlungsgeschäften an Y ab. Ebenso übertrugen die Vermittler ihre Provisionsansprüche gegenüber der Klägerin auf Y. Vertragsgemäß trug die Klägerin das Bonitätsrisiko. Die Klägerin haftete zusätzlich für den rechtlichen Bestand der Provisionsforderungen und für den fristgerechten Zahlungseingang der Provisionen bei Y. Y erstellte bis zur vollständigen Tilgung der Darlehen monatliche Factoringabrechnungen, die auch die zugrunde liegenden Grundgeschäfte erkennen ließen. In der Bilanz zum 31. Dezember 1996 erfasste die Klägerin aufgrund der Factoringverträge (eigene Provisionsansprüche) eine Verbindlichkeit in Höhe von 400.914 DM.
Die Klägerin berücksichtigte die Kreditmittel aus den Factoringverträgen in ihrer Gewerbesteuererklärung zunächst teilweise als sog. Dauerschulden (Dauerschulden: 400.914 DM; Dauerschuldzinsen [Factoringgebühren]: 362.253 DM). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) erließ auf dieser Grundlage den Gewerbesteuermessbescheid 1997. Im Bescheid auf den 1. Januar 1997 über den Einheitswert des Betriebsvermögens setzte er u.a. den Betrag von 400.914 DM als Schuldposten an.
Dem später erhobenen Begehren der Klägerin, die Verbindlichkeiten aus den Factoringgeschäften mit Y sowie die Factoringzinsen nicht mehr hinzuzurechnen, da es sich um Verbindlichkeiten des laufenden Geschäftsverkehrs handele, folgte das FA nicht. Nach einem Verböserungshinweis erhöhte das FA in seiner Einspruchsentscheidung den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag 1997. Dabei setzte es neben der Hinzurechnung der Verbindlichkeiten gegenüber Y weitere Verbindlichkeiten (sog. Stornorückbehalte gegenüber den Vermittlern) als Dauerschulden an. Der Gewerbeertrag (unter Hinzurechnung von Entgelten für Dauerschulden in Höhe von 50 % von 362.253 DM = 181.126 DM) betrug ./. 903.292 DM; der Steuermessbetrag nach dem Gewerbeertrag lautete auf 0 DM. Der einheitliche Messbetrag ermittelte sich damit allein auf der Grundlage eines Messbetrags nach dem Gewerbekapital. Die Klage gegen den Gewerbesteuermessbescheid (ein Bescheid zur Feststellung des vortragsfähigen Fehlbetrags war nicht Gegenstand des Verfahrens) blieb erfolglos (Finanzgericht ‑‑FG‑‑ München, Außensenate Augsburg, Urteil vom 9. November 2010 6 K 2523/08, Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 825).
Die Klägerin macht mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts geltend und beantragt sinngemäß, den Gewerbesteuermessbetrag unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Einspruchsentscheidung in der Weise festzusetzen, dass die bisher als Dauerschulden berücksichtigten Kreditverbindlichkeiten aus dem Provisions-Factoring in Höhe von 400.914 DM und die damit zusammenhängenden Dauerschuldentgelte in Höhe von 362.253 DM außer Ansatz bleiben, und die Zuziehung von Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären sowie "das Urteil hinsichtlich der Kosten für vollstreckbar zu erklären".
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat die Mittel aus den Provisions-Factoringverträgen ohne Rechtsfehler als sog. Dauerschulden berücksichtigt.
1. Das Begehren der Klägerin, im hier anhängigen Rechtsstreit um die Rechtmäßigkeit der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages 1997 eine Hinzurechnung von Dauerschuldentgelten in Höhe von 50 % von 362.253 DM, d.h. von 181.126 DM bei der Ermittlung des Gewerbeertrages außer Ansatz zu lassen, bleibt ohne Erfolg. Denn der Steuermessbetrag nach dem Gewerbeertrag beträgt 0 DM; der Gewerbeertrag ist negativ. Die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts auf den 31. Dezember 1997 ist nicht Gegenstand des angefochtenen Urteils.
2. Im Hinblick auf die Hinzurechnung der Kreditverbindlichkeiten bei der Ermittlung des Gewerbekapitals hat das FG die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen.
a) Nach § 8 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes 1991 in der für den streitigen Erhebungszeitraum geltenden Fassung (GewStG 1991) wird zur Ermittlung des Gewerbeertrages dem Gewinn aus Gewerbebetrieb die Hälfte der bei seiner Ermittlung abgezogenen Entgelte für Schulden hinzugerechnet, die (u.a.) der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen. Zur Ermittlung des Gewerbekapitals werden dem Einheitswert des Gewerbebetriebs u.a. die Verbindlichkeiten, die den Entgelten i.S. des § 8 Nr. 1 GewStG 1991 entsprechen, in Höhe der Hälfte des 50.000 DM übersteigenden Betrags hinzugerechnet, soweit sie bei der Feststellung des Einheitswerts abgezogen worden sind (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG 1991).
b) Eine Schuld dient nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) grundsätzlich der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals, wenn ihr Gegenwert das Betriebskapital länger als ein Jahr verstärkt (z.B. Senatsurteile vom 31. Mai 2005 I R 73/03, BFHE 211, 43, BStBl II 2006, 134; vom 29. April 2009 I R 93/08, BFH/NV 2009, 2002; BFH-Urteile vom 16. Dezember 2009 IV R 48/07, BFHE 228, 408, BStBl II 2010, 799; vom 16. Dezember 2009 IV R 49/07, BFH/NV 2010, 945). Nicht der dauernden Verstärkung des Betriebskapitals dienen allerdings trotz einer Laufzeit von mehr als einem Jahr Schulden, die in wirtschaftlichem Zusammenhang mit laufenden Geschäftsvorfällen stehen und in der nach Art des jeweiligen Geschäftsvorfalls üblichen Frist getilgt werden. Dabei handelt es sich insbesondere um Kredite, die ein Unternehmen zur Finanzierung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines bestimmten Wirtschaftsguts des Umlaufvermögens aufnimmt und die aus dem bei der Veräußerung dieses Wirtschaftsguts erzielten Erlös zu tilgen sind (z.B. BFH-Urteile in BFHE 228, 408, BStBl II 2010, 799; vom 21. Juli 2010 IV R 2/08, BFH/NV 2011, 44). Ihnen gleichgestellt werden Verbindlichkeiten zur Finanzierung von Gegenständen, die einen Grenzfall zwischen Anlage- und Umlaufvermögen darstellen und deren Anschaffung bzw. Herstellung zu den immer wiederkehrenden, den Gegenstand des Unternehmens ausmachenden üblichen Geschäftsvorfällen gehört (z.B. BFH-Urteile vom 13. Dezember 2006 VIII R 51/04, BFHE 215, 276, BStBl II 2008, 137; vom 15. Mai 2008 IV R 77/05, BFHE 221, 248, BStBl II 2008, 767). Insoweit kann aus einer über ein Jahr hinausgehenden Laufzeit allein noch nicht auf den Charakter als Dauerschuld geschlossen werden (BFH-Urteil vom 19. August 1998 XI R 9/97, BFHE 186, 447, BStBl II 1999, 33). Ob im Einzelfall nach Maßgabe vorstehender Auslegungsgrundsätze die Finanzierung laufender Geschäftsvorfälle oder eine Dauerschuld vorliegt, obliegt der von der Tatsacheninstanz vorzunehmenden Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse (BFH-Urteil vom 11. Dezember 1986 IV R 185/83, BFHE 149, 248, BStBl II 1987, 443).
c) Das FG hat die Voraussetzungen für die Annahme von sog. Dauerschulden ohne Rechtsfehler als erfüllt angesehen. Die Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber Y aus den sog. Factoringausschüttungen ‑‑denen nach übereinstimmender Ansicht der Beteiligten wegen des bei der Klägerin verbliebenen Bonitätsrisikos eine sog. unechte Factoringvereinbarung als Darlehensvertrag mit über einjähriger Laufzeit zur vorschussweisen Vergütung der Provisionsansprüche zugrunde liegt (s. allgemein z.B. BFH-Urteil vom 4. September 2003 V R 34/99, BFHE 203, 209, BStBl II 2004, 667; Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. Oktober 1981 VIII ZR 149/80, BGHZ 82, 50, 61)‑‑ sind sog. Dauerschulden und nicht Verbindlichkeiten des laufenden Geschäftsverkehrs.
aa) Das FG hat ausgehend von den o.a. Rechtsgrundsätzen die Factoringausschüttung dahingehend gewürdigt, dass die Klägerin über die erlangten Mittel frei verfügen konnte, da eine enge wirtschaftliche oder rechtliche Verknüpfung zwischen den Krediten und den einzelnen Geschäften (Versicherungsvermittlungen) gefehlt habe. Wegen fehlender konkreter Zuordnung zu den einzelnen Versicherungsverträgen könne auch nicht von einer Verwendung für bereits angefallene vertriebsbezogene Kosten (einschließlich der Provisionsvorschüsse an die Vermittler) ausgegangen werden. Die Abtretung der Provisionsansprüche berühre als Maßnahme der Kreditsicherung den Schuldcharakter nicht. Vielmehr folge auch aus der Rahmenvereinbarung zum Provisionsfactoring, dass der Klägerin durch die dauernde Geschäftsbeziehung und das immer wiederkehrende Factoringverfahren ständig Mittel (als allgemeiner Geschäftskredit) zur Verfügung stehen sollten.
bb) Diese Würdigung ist möglich, sie verletzt Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze nicht. Sie beruht auch nicht auf einer rechtlichen Verkennung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung erarbeiteten Auslegungsgrundsätze zur Abgrenzung der Dauerschulden gegen Schulden aus laufendem Geschäftsbetrieb. Die Besonderheiten der Dienstleistungsbranche, in der die Klägerin tätig ist, führen nicht zu einer Modifizierung der Abgrenzungskriterien im Sinne der Revision.
Dass generell bei Versicherungsgesellschaften und deren Vermittlern wegen der Vielzahl, der Vielfalt und der Vielschichtigkeit der Aufwendungen, die bis zum Abschluss des Versicherungsvertrages anfallen, keine rechtliche, sondern allenfalls eine wirtschaftliche Verknüpfung zwischen dem jeweiligen (Vermittlungs-)Erlös und dem damit zusammenhängenden (Vertriebs-)Aufwand bestehen könne, war vom FG nicht notwendigerweise im Sinne einer ausreichend engen Verknüpfung von Kreditmittelverwendung und Kredittilgung zu würdigen.
Indem das FG darauf abgestellt hat, dass die Factoringausschüttungen der Klägerin allgemein und uneingeschränkt zur Verfügung gestellt und im Betrieb verwendet wurden, hat es auf den eigentlichen Rechtsgrund zurückgegriffen, der die Annahme von Dauerschulden rechtfertigt: Zweck des § 8 Nr. 1 GewStG 1991 ist es, unter dem Gesichtspunkt einer "objektiven Ertragskraft" des Unternehmens eine Gleichstellung von Erträgen aus eigen- und fremdfinanziertem Kapital herbeizuführen (z.B. Senatsurteil in BFHE 211, 43, BStBl II 2006, 134). Dazu sind Verbindlichkeiten als Dauerschulden zu qualifizieren, wenn die Kreditmittel als Teil des betrieblichen Dauerkapitals anzusehen sind, das der Betrieb nach seiner Eigenart ständig zur Verfügung haben muss. Auch wenn damit die Dauerschuld von einer sog. laufenden Verbindlichkeit abzugrenzen ist, die im gewöhnlichen Geschäftsgang eines Unternehmens entsteht, geht es nicht darum, ganz allgemein Finanzierungssysteme, die einen wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem branchentypischen Kerngeschäft ausweisen, aus dem Dauerschuldbegriff auszuklammern.
Dies trifft auch die Situation der Klägerin: Mit einer Zuordnung der Factoringausschüttungen zu den vertriebsbezogenen Aufwendungen (nach der Darlegung der Klägerin: Personalkosten für die Vorstände, Gehälter für die Mitarbeiter der Marketingabteilung, Schulung der Außendienstmitarbeiter, Provisionsvorschüsse der Mitarbeiter, die kein Factoring erhalten oder zur Vorfinanzierung des Factoring) hat die Klägerin zwar einen weitläufigen wirtschaftlichen Zusammenhang hergestellt. Dies wiegt aber den Umstand der freien Verfügbarkeit im Gesamtbereich der betrieblichen (auch der verwaltungsbezogenen) Aufwendungen nicht auf. Die Factoringausschüttungen haben den Finanzierungsbedarf des gesamten Unternehmensbereichs der Klägerin abgedeckt und wurden auch in dieser Breite verwendet. Dabei ist es ohne rechtliche Bedeutung, dass die Interessenlage der Y, wie die Klägerin vorgetragen hat, keinesfalls dahin gegangen sei, den allgemeinen Geschäftsbetrieb der Klägerin zu finanzieren. Der Rechtsbegriff der Dauerschuld ist von der Motivationslage des Gläubigers unabhängig. Nicht zuletzt kann auch die Abtretung der Provisionsansprüche an Y keine andere Beurteilung rechtfertigen. Die Abtretung diente der Berechnung der Kredithöhe sowie der Sicherung der Kredite. Die Sicherung eines Kredites ist aber für die Frage, ob ihm der Charakter einer Dauerschuld zukommt, unerheblich (BFH-Urteil in BFHE 149, 248, BStBl II 1987, 443).
3. Der Antrag, die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, geht angesichts der Belastung der Klägerin mit sämtlichen Kosten des Rechtsstreits ins Leere; im Übrigen ist ein solcher Antrag im Revisionsverfahren unzulässig. Die Entscheidung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO gehört sachlich zum Kostenfestsetzungsverfahren, was die Zuständigkeit des FG als Gericht des ersten Rechtszuges begründet (vgl. u.a. BFH-Urteile vom 28. März 2000 VIII R 68/96, BFHE 191, 505; vom 14. Mai 2009 IV R 47/07, BFHE 225, 116, BStBl II 2009, 900).
4. Der Antrag, "das Urteil hinsichtlich der Kosten für vollstreckbar zu erklären", geht ebenfalls angesichts der Belastung der Klägerin mit sämtlichen Kosten des Rechtsstreits ins Leere.