BFH III. Senat
FGO § 155, ZPO § 251 S 1, FGO § 135 Abs 2
vorgehend Sächsisches Finanzgericht , 02. May 2011, Az: 5 K 2234/05 (Kg)
Leitsätze
NV: Die Entscheidung, das Ruhen des Verfahrens für beendet zu erklären und das Verfahren wieder aufzunehmen, ist eine Ermessensentscheidung, die das Gericht jederzeit erlassen kann, wenn es ihm zweckmäßig erscheint.
Tatbestand
I. Die aus Nigeria stammende Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) begehrte für ihre 1999 geborenen Töchter Kindergeld. Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) lehnte den Antrag ab und wies den hiergegen gerichteten Einspruch im November 2005 als unbegründet zurück, da die Klägerin nicht im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung bzw. einer Aufenthaltserlaubnis sei. Im anschließenden Klageverfahren ordnete das Finanzgericht (FG) durch Beschluss vom 23. März 2009 mit Einverständnis der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens an, weil dies zweckmäßig sei, um die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu dem "Vorlagebeschluss des FG Köln (10 K 983/04)" ‑‑gemeint ist offenbar der Vorlagebeschluss des FG Köln vom 9. Mai 2007 10 K 1690/07 (Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2007, 1247)‑‑ abzuwarten.
Unter dem Datum des 3. Mai 2011 erklärte das FG das Ruhen des Verfahrens für beendet. Zur Begründung führte es aus, dass das Ruhen des Verfahrens nicht zweckmäßig sei, da das BVerfG zwischenzeitlich mit Beschluss vom 20. November 2009 ‑‑gemeint ist offenbar: 6. November 2009‑‑ 2 BvL 4/07 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 2010, 174) entschieden habe, dass die Vorlage des FG Köln in EFG 2007, 1247 unzulässig sei. Das Ruhen sei auch nicht im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. Dezember 2009 B 10 EG 5/08 R (juris) zweckmäßig, da es dort nicht um Kindergeld, sondern um Bundeserziehungsgeld gehe.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der ‑‑anwaltlich vertretenen‑‑ Klägerin. Zur Begründung trägt sie vor, dass es in der Vorlage des BSG zwar nicht um Kindergeld, aber um eine wortgleiche Regelung im Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) gehe. Halte das BVerfG die Regelung im BErzGG für verfassungswidrig, gelte dies auch für die entsprechende Regelung im Einkommensteuergesetz (EStG). Zudem gehe es im vorliegenden Fall nicht um den Kindergeldbezug von geduldeten Ausländern, denn die Klägerin sei seit Juni 2003 im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 4 des Ausländergesetzes, die bis zum 12. Juni 2004 erteilt und am 20. September 2004 bis zum 19. September 2006 verlängert worden sei. Das BVerfG habe die seinerzeit geltende Rechtslage in seinem Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97 (BVerfGE 111, 160) für verfassungswidrig erklärt.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Entscheidung des FG, das Verfahren wieder aufzunehmen, ist nicht zu beanstanden.
1. Nach § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 251 Satz 1 der Zivilprozessordnung hat das FG das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn die Beteiligten dies beantragen und anzunehmen ist, dass wegen Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen diese Anordnung zweckmäßig ist. Die Verwendung des Wortes "zweckmäßig" im Gesetzestext bedeutet, dass das FG einen Ermessensspielraum bei seiner Entscheidung hat (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 10. Januar 1995 IV B 69/94, BFH/NV 1995, 802). Die Entscheidung, das Ruhen des Verfahrens für beendet zu erklären und das Verfahren wieder aufzunehmen, ist ebenfalls eine Ermessensentscheidung, die das Gericht jederzeit erlassen kann, wenn es ihm zweckmäßig erscheint (BFH-Beschluss in BFH/NV 1995, 802; Senatsbeschluss vom 20. März 2009 III B 219/08, juris).
2. Im Streitfall hat das FG den ihm zustehenden Ermessensspielraum nicht überschritten.
a) Auch die Klägerin bestreitet nicht, dass das Verfahren, hinsichtlich dessen der Rechtsstreit vor dem FG zum Ruhen gebracht worden war, durch Beschluss des BVerfG in HFR 2010, 174 beendet ist.
b) Zwar könnte die Wiederaufnahme eines ruhenden Verfahrens ermessenswidrig sein, wenn das FG ohnehin gezwungen wäre, die Verfahrensaussetzung entsprechend § 74 FGO wegen der beim BVerfG zwischenzeitlich anhängigen Verfahren 1 BvL 2-4/10 (Vorlagebeschlüsse des BSG vom 3. Dezember 2009 B 10 EG 5/08 R, B 10 EG 6/08 R sowie B 10 EG 7/08 R, juris) anzuordnen. Eine Reduzierung des dem FG in § 74 FGO eingeräumten Ermessens zu einer Pflicht zur Verfahrensaussetzung ist jedoch zu verneinen, weil der BFH bereits im Urteil vom 28. April 2010 III R 1/08 (BFHE 229, 262, BStBl II 2010, 980) entschieden hat, dass die vorgenannten Vorlagebeschlüsse des BSG, die zu der dem § 62 Abs. 2 EStG wortgleichen Regelung der Berechtigung von Ausländern zur Inanspruchnahme von Erziehungsgeld nach § 1 Abs. 6 BErzGG in der Fassung des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltungsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2915) ergangen sind, keine Zweifel an der Verfassungskonformität des § 62 Abs. 2 EStG begründen, da die vom BSG vorgebrachten Bedenken gegen § 1 Abs. 6 BErzGG im steuerrechtlichen Kindergeld nicht zum Tragen kommen, weil das Kindergeld, anders als das Erziehungsgeld (s. § 8 Abs. 1 Satz 1 BErzGG), als Einkommen auf Sozialleistungen angerechnet wird.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO. Die Kosten eines erfolglosen Beschwerdeverfahrens, das die Wiederaufnahme eines ruhenden Verfahrens betrifft, sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (z.B. BFH-Beschluss vom 9. August 2000 VI B 289/98, BFH/NV 2000, 1496; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 143 FGO Rz 7).