BFH XI. Senat
UStG § 1b Abs 3 Nr 1, EWGRL 388/77 Art 28a Abs 1 Buchst b, EWGRL 388/77 Art 28a Abs 2
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 05. October 2010, Az: 14 K 5036/08
Leitsätze
NV: Im Rahmen der Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs neuer Fahrzeuge gilt ein PKW als neu, wenn er nicht mehr als 6000 km zurückgelegt hat oder wenn seine erste Inbetriebnahme im Zeitpunkt des Erwerbs nicht mehr als sechs Monate zurückliegt. Danach ist der Zustand des Fahrzeugs - z.B. ob es beschädigt ist - unerheblich .
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat keinen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) kaufte die Klägerin am 3. Dezember 2007 in Belgien ein dort am 4. Juni 2007 erstmals zugelassenes Fahrzeug (Opel Vivaro) mit einem Kilometerstand von 11 400 km für 14.999 €. Das Fahrzeug wurde am 3. Dezember 2007 in der Bundesrepublik Deutschland beim Landratsamt A zugelassen. Einige Tage später zeigte die Klägerin dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ‑‑FA‑‑) den Erwerb des Fahrzeugs in einer Mitteilung über den innergemeinschaftlichen Erwerb eines neuen Kraftfahrzeugs an und gab als den "Tag der Lieferung" den "22.12.2007" an.
Das FA setzte mit Bescheid vom 16. Juli 2008 gegen die Klägerin Umsatzsteuer in Höhe von (15.000 € x 19 % =) 2.850 € fest, weil es davon ausging, der Erwerb unterliege der Fahrzeugeinzelbesteuerung nach § 1b des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Das FG wies die Klage gegen diesen Bescheid als unbegründet ab.
2. Die Revision der Klägerin kann nicht wegen eines Verfahrensfehlers gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassen werden.
Verfahrensmängel im Sinne dieser Vorschrift sind nur Verstöße gegen das Gerichtsverfahrensrecht, die das FG bei der Handhabung seines Verfahrens begeht und die zur Folge haben, dass eine ordnungsgemäße Grundlage für die Entscheidung im Urteil fehlt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 30. November 2010 VI B 100/10, BFH/NV 2011, 574, m.w.N.).
Die Klägerin macht als Verfahrensfehler geltend, das Urteil des FG sei widersprüchlich. Es kann offenbleiben, ob damit überhaupt ein Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gerügt wird. Jedenfalls liegt der von der Klägerin behauptete Widerspruch nicht vor.
Soweit das FG auf S. 3 seines Urteils im Tatbestand ausgeführt hat, die Klägerin habe gegenüber dem FA als Tag der Lieferung den 22. Dezember 2007 angegeben, hat es damit lediglich den entsprechenden Sachverhalt geschildert. Bei seiner Entscheidung ist das FG dagegen davon ausgegangen, der Erwerb habe (bereits) am 3. Dezember 2007 ‑‑und damit innerhalb des für eine Besteuerung nach § 1b UStG für einen innergemeinschaftlichen Erwerb eines neuen Fahrzeuges maßgeblichen Zeitraums von sechs Monaten‑‑ stattgefunden, da der Klägerin an diesem Tag die Verfügungsmacht an dem Fahrzeug verschafft worden sei (Urteil, S. 7). Darin liegt kein Widerspruch zur Sachverhaltsschilderung auf S. 3 des Urteils (vgl. auch BFH-Beschluss vom 11. Februar 2011 XI S 1/11, BFH/NV 2011, 829, unter 2.b).
Soweit die Klägerin ferner vorträgt, das FG habe übersehen, dass der Kaufvertrag erst am 22. Dezember 2007 abgeschlossen worden sei und erst an diesem Tag die Lieferung erfolgt sei, wendet sie sich im Kern (lediglich) gegen die Würdigung des FG, macht aber keinen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 14. Oktober 2009 IX B 105/09, BFH/NV 2010, 443).
3. Die Revision kann auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen werden.
a) Die Klägerin macht insoweit geltend, das FG habe bei seiner Entscheidung den Zustand des von ihr erworbenen Fahrzeuges rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt. Das Fahrzeug sei Opfer eines massiven Vandalismus geworden und deshalb beim Erwerb kein Neufahrzeug i.S. von § 1b UStG gewesen. Der ‑‑soweit ersichtlich noch nicht entschiedenen‑‑ Frage, ob der Zustand des Fahrzeuges bei der Beurteilung, ob es sich um ein Neufahrzeug i.S. von § 1b UStG handele, zu berücksichtigen sei, komme grundsätzliche Bedeutung zu.
b) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärbar sein (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 24. Juli 2008 VI B 7/08, BFH/NV 2008, 1838, m.w.N.). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn sich die Antwort auf die streitige Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 2. November 1999 I B 163/98, BFH/NV 2000, 692; vom 18. Januar 2005 V B 24/04, nicht veröffentlicht, juris). Allein der Umstand, dass zu der Rechtsfrage noch keine Entscheidung des BFH vorliegt, begründet noch nicht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 21. September 2009 VI B 31/09, BFHE 226, 329, BStBl II 2011, 382).
c) Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung und bedarf keiner Klärung in dem von ihr angestrebten Revisionsverfahren, weil nach dem klaren Wortlaut des § 1b UStG unerheblich ist, ob ein Fahrzeug beschädigt ist.
Nach § 1b Abs. 3 Nr. 1 UStG gilt ein Landfahrzeug als neu, wenn es nicht mehr als 6 000 km zurückgelegt hat oder wenn ‑‑wie im Streitfall‑‑ seine erste Inbetriebnahme im Zeitpunkt des Erwerbs nicht mehr als sechs Monate zurückliegt. Danach ist der Zustand des Fahrzeuges unerheblich. Dasselbe ergibt sich aus Art. 28a Abs. 1 Buchst. b und Abs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern, auf denen § 1b UStG beruht.
d) Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang mit ihrem Vorbringen, das FG habe keinen Gebrauch von der ihm angebotenen Inaugenscheinnahme des zur mündlichen Verhandlung mitgeführten Fahrzeugs gemacht, möglicherweise zusätzlich einen Verfahrensfehler geltend machen will, liegt dieser nicht vor.
Nach der für die Prüfung eines Verfahrensmangels maßgeblichen ‑‑und wie dargelegt zutreffenden‑‑ materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des FG (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 20. Mai 2010 I B 13/10, BFH/NV 2010, 1837) kam es auf diese Inaugenscheinnahme nicht an.