BFH VI. Senat
FGO § 116 Abs 3 S 3, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2, EStG § 33
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 10. February 2011, Az: 3 K 599/10
Leitsätze
1. NV: Die Rechtsfrage, ob behinderungsbedingte Umbaukosten auch im Fall einer schleichenden Erkrankung im Hinblick auf die Erlangung eines Gegenwerts als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind, ist nicht klärungsbedürftig .
2. NV: Denn Mehraufwand, der auf einer behindertengerechten Gestaltung des individuellen Wohnumfelds beruht, steht stets so stark unter dem Gebot der sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit, dass die Erlangung eines etwaigen Gegenwerts in Anbetracht der Gesamtumstände regelmäßig in den Hintergrund tritt (Anschluss an BFH-Urteil vom 22. Oktober 2009 VI R 7/09, BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280; entgegen BFH-Urteil vom 10. Oktober 1996 III R 209/94, BFHE 182, 333, BStBl II 1997, 491) .
3. NV: Es ist insbesondere nicht erforderlich, dass die Behinderung auf einem nicht vorhersehbaren Ereignis beruht und deshalb ein schnelles Handeln des Steuerpflichtigen oder seiner Angehörigen geboten ist. Auch die Frage nach zumutbaren Handlungsalternativen stellt sich in solchen Fällen nicht (Fortentwicklung von BFH-Urteil in BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280) .
Tatbestand
I. Streitig ist, ob die Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) die Aufwendungen für einen barrierefreien Hauszugang als außergewöhnliche Belastungen abziehen können.
Die Klägerin ist an Multipler Sklerose erkrankt. Die Krankheit wurde 1993 diagnostiziert, seit 2000 ist die Klägerin zeitweilig, inzwischen dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen. Die Kläger bewohnen ein 1979 errichtetes Einfamilienhaus. Der Eingang des Hauses war ursprünglich über einen von der Garageneinfahrt abzweigenden Weg und eine Treppe erreichbar. Nach einer weiteren Verschlechterung der Krankheit ließen die Kläger einen zusätzlichen, dem Grundstücksniveau angepassten barrierefreien Zugang zum Hauseingang anlegen. In ihrer Einkommensteuererklärung machten sie die ‑‑um einen nicht notwendigen Kostenanteil gekürzten‑‑ Aufwendungen hierfür vergeblich als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Auch der Einspruch blieb ohne Erfolg. Denn die Klägerin sei acht Jahre lang ohne barrierefreien Zugang ausgekommen. Dies zeige, dass die Aufwendungen nicht zwangsläufig seien. Zudem hätten die Kläger durch die Umbaumaßnahmen einen Gegenwert erlangt. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage hingegen statt. Die Revision wurde nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) mit vorliegender Nichtzulassungsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
II. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerde den Begründungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genügt, denn sie ist jedenfalls unbegründet, da der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zukommt noch eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) erforderlich ist.
1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt.
a) Die Rechtsfrage muss im konkreten Fall klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (ständige Rechtsprechung, Beschlüsse des BFH vom 24. Juli 2008 VI B 7/08, BFH/NV 2008, 1838; vom 12. Oktober 2007 VI B 161/06, BFH/NV 2008, 45; vom 10. Oktober 2007 VI B 33/07, BFH/NV 2008, 44; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 23, m.w.N.). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es u.a. dann, wenn die in Rede stehende Rechtsfrage ‑‑wie im Streitfall‑‑ bereits durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, welche eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erfordern (BFH-Beschlüsse vom 13. Juni 2007 X B 34/06, BFH/NV 2007, 1703, und vom 14. Juli 2008 VIII B 179/07, BFH/NV 2008, 1874).
b) Die vom FA aufgeworfene Rechtsfrage, ob behinderungsbedingte Umbaukosten auch im Fall einer schleichenden Erkrankung im Hinblick auf die Erlangung eines Gegenwerts als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG zu berücksichtigen seien, ist nicht mehr klärungsbedürftig. Denn der erkennende Senat hat mit Urteil vom 24. Februar 2011 VI R 16/10 (BFHE 232, 518) im Anschluss an BFH-Urteil vom 22. Oktober 2009 VI R 7/09 (BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280) und entgegen BFH-Urteil vom 10. Oktober 1996 III R 209/94 (BFHE 182, 333, BStBl II 1997, 491) entschieden, dass Mehraufwand, der auf einer behindertengerechten Gestaltung des individuellen Wohnumfelds beruht, stets so stark unter dem Gebot der sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit steht, dass die Erlangung eines etwaigen Gegenwerts in Anbetracht der Gesamtumstände regelmäßig in den Hintergrund tritt. Es ist insbesondere nicht erforderlich, dass die Behinderung auf einem nicht vorhersehbaren Ereignis beruht und deshalb ein schnelles Handeln des Steuerpflichtigen oder seiner Angehörigen geboten ist. Auch die Frage nach zumutbaren Handlungsalternativen stellt sich in solchen Fällen nicht (Fortentwicklung von BFH-Urteil in BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280).
2. Folglich ist vorliegend keine Divergenz, die zur Zulassung der Revision führen könnte, zu beklagen. Eine solche ist anzunehmen, wenn das FG mit einem das angegriffene Urteil tragenden und entscheidungserheblichen abstrakten Rechtssatz von einem ebensolchen Rechtssatz einer anderen Gerichtsentscheidung abgewichen ist. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Denn die angefochtene Entscheidung des FG entspricht der neuen Rechtsprechung des erkennenden Senats zur steuerlichen Berücksichtigung von behinderungsbedingten Umbaumaßnahmen als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG.