BFH III. Senat
EStG § 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst a, EStG § 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst d, EStG § 63 Abs 1 Nr 1, SozDiG § 5 Abs 2, GG Art 3 Abs 1
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 25. November 2008, Az: 4 K 157/06
Leitsätze
NV: Ein Freiwilligendienst ist grundsätzliche keine Berufsausbildung. Ein Dienst, der bei einer nicht nach § 5 Abs. 2 FSJG anerkannten Trägerorganisation abgeleistet wird, ist auch nicht als Freiwilligendienst nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG zu berücksichtigen .
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bezog zunächst Kindergeld für seine im Dezember 1985 geborene Tochter (T), die im Juli 2005 das Abitur ablegte. Ab September 2005 nahm sie bei der Ordensgemeinschaft … einen Dienst als sog. "Missionarin auf Zeit" in Kamerun auf. Dort arbeitete sie bis zum 31. August 2006 unentgeltlich in verschiedenen Einrichtungen (Kindergarten, Internat, Zentrum für außerschulische Aktivitäten, Gesundheitsstation). Sie erhielt freie Unterkunft und Verpflegung. Fahrt- und Flugkosten sowie Versicherungsbeiträge wurden vom Kläger oder von T getragen. Zum Wintersemester 2006/2007 nahm T ein Lehramtsstudium für die Fächer Englisch, Französisch und Theologie auf, das sie allerdings alsbald wieder aufgab. Zum 1. April 2007 begann sie eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin.
Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) hob die Festsetzung des Kindergeldes durch Bescheid vom 29. August 2005 ab August 2005 auf, da ein Dienst als Missionarin auf Zeit nicht als Berufsausbildung anerkannt werden könne.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg (Urteil des Finanzgerichts ‑‑FG‑‑ vom 26. November 2008 4 K 157/06, Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 598). Das FG führte zur Begründung aus, der Dienst als Missionarin auf Zeit sei keine Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes in der für die Jahre 2005 und 2006 geltenden Fassung (EStG), denn er habe nicht der Vorbereitung auf einen konkret angestrebten Beruf gedient. Die Förderung von Fremdsprachenkenntnissen reiche nicht aus. Der Freiwilligendienst habe auch nicht auf Praktika im Rahmen des späteren Studiums angerechnet werden können. Der Umstand, dass der Auslandsaufenthalt im hochschuleigenen Auswahlverfahren der Hochschule X berücksichtigt worden sei, genüge nicht. Ebenso wenig sei ausreichend, dass die Erfahrungen, die T während des Dienstes gemacht habe, (mit-)ursächlich für die spätere Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin gewesen seien. Der Dienst in Kamerun könne auch nicht als freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres (FSJG) angesehen werden, da die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 FSJG nicht erfüllt seien. Erst im April 2008 sei der Trägerverein in das Programm "weltwärts" der Bundesregierung aufgenommen worden. Eine analoge Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 2 Buchst. d EStG sei nicht möglich.
Zur Begründung der Revision trägt der Kläger vor, T habe zur Berufsorientierung, zur Förderung ihrer sozialen Kompetenz in ihrem späteren Beruf und zur Verbesserung ihrer Französischkenntnisse ein freiwilliges soziales Jahr ableisten wollen. Sie habe damals vorgehabt, entweder Sozialpädagogik, Medizin oder für einen Lehrberuf zu studieren. Zumindest bei einer analogen Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG ergebe sich ein Anspruch auf Kindergeld.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil, den Aufhebungsbescheid vom 29. August 2005 sowie die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 12. Mai 2006 aufzuheben.
Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 FGO). Die Familienkasse hat zu Recht die Festsetzung von Kindergeld ab August 2005 aufgehoben.
1. Nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG wird Kindergeld für ein Kind gewährt, das für einen Beruf ausgebildet wird.
a) Der Begriff der Berufsausbildung umfasst jede Ausbildung zu einem künftigen Beruf. In Berufsausbildung befindet sich, wer seine Berufsziele noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet (Senatsurteil vom 24. Juni 2004 III R 3/03, BFHE 206, 413, BStBl II 2006, 294). Einzubeziehen sind alle Maßnahmen, die dem Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen dienen, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 16. April 2002 VIII R 58/01, BFHE 199, 111, BStBl II 2002, 523; vom 18. März 2009 III R 26/06, BFHE 225, 331, BStBl II 2010, 296; vom 26. August 2010 III R 88/08, BFH/NV 2011, 26). Maßgebend für die weite Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ist die Erwägung, dass die steuerliche Leistungsfähigkeit der Eltern auch dann gemindert ist, wenn sich ihr Kind unabhängig von vorgeschriebenen Ausbildungsgängen in Ausbildung befindet und von ihnen unterhalten wird (Senatsurteil vom 2. April 2009 III R 85/08, BFHE 224, 546, BStBl II 2010, 298).
b) Freiwilligendienste sind grundsätzlich keine Berufsausbildung. Sie dienen in der Regel nicht der Vorbereitung auf einen konkret angestrebten Beruf, sondern der Erlangung sozialer Erfahrungen und der Stärkung des Verantwortungsbewusstseins für das Gemeinwohl (BFH-Urteile vom 15. Juli 2003 VIII R 78/99, BFHE 203, 90, BStBl II 2003, 841, sowie in BFHE 206, 413, BStBl II 2006, 294). Auch der Gesetzgeber ging davon aus, dass die Ableistung eines Freiwilligendienstes grundsätzlich keine Berufsausbildung darstellt (vgl. BTDrucks IV/2138, S. 2).
c) Das FG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise (§ 118 Abs. 2 FGO) einen hinreichenden Zusammenhang zwischen dem Freiwilligendienst und einem angestrebten Beruf verneint. Zutreffend hat es auch die mit dem Auslandsaufenthalt verbundene Verbesserung von Sprachkenntnissen nicht für die Annahme einer Berufsausbildung genügen lassen. Der Aufenthalt war nicht von einem theoretisch-systematischen Sprachunterricht begleitet, der mit Rücksicht auf seinen Umfang den Schluss auf eine hinreichend gründliche (Sprach-)Ausbildung rechtfertigt (vgl. BFH-Urteil vom 19. Februar 2002 VIII R 83/00, BFHE 198, 192, BStBl II 2002, 469; Senatsbeschluss vom 14. September 2009 III B 119/08, BFH/NV 2010, 34). Auch hat das FG zu Recht dem Umstand, dass der Freiwilligendienst im Auswahlverfahren der Hochschule als sonstige Leistung zugunsten von T gewertet wurde, keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen.
2. Der von T geleistete Freiwilligendienst ist auch nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG begünstigt. Insbesondere liegt kein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des FSJG vor. Nach den Feststellungen des FG war die Organisation … im streitigen Zeitraum nicht als Trägerorganisation i.S. von § 5 Abs. 2 FSJG zugelassen (s. Senatsurteil vom 17. Dezember 2008 III R 62/06, BFH/NV 2009, 747). Auch eine analoge Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG scheidet aus, da die Vorschrift keine planwidrige Regelungslücke erkennen lässt (Senatsurteil vom 18. März 2009 III R 33/07, BFHE 224, 508, BStBl II 2009, 1010). Es ist verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten, das Existenzminimum eines Kindes, das einen Freiwilligendienst leistet, bei den Eltern von der Einkommensteuer freizustellen. Der Gesetzgeber fördert diese Dienste unter anderem durch die (Weiter-)Gewährung von Kindergeld (vgl. § 4 Nr. 4 FSJG, § 9 Nr. 3 des Gesetzes zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten), um einen Anreiz für die Leistung solcher Dienste zu schaffen und die damit verbundenen Nachteile auszugleichen (vgl. BTDrucks 16/6519, S. 12). Es liegt im Rahmen seines Gestaltungsspielraums, nur anerkannte, bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen genügende Dienste zu fördern.