BFH IX. Senat
EStG § 17 Abs 1, EStG § 17 Abs 4, HGB § 255 Abs 1 S 2, GmbHG § 32a, AktG § 57
vorgehend Hessisches Finanzgericht , 21. July 2010, Az: 13 K 3546/07
Leitsätze
NV: Ein Aktionär ist, nachdem er einen Teil seiner Aktien veräußert hat und der ihm verbliebene Teil keine Sperrminorität sichert, grundsätzlich auch dann nicht mehr unternehmerisch an einer AG beteiligt, wenn der Erwerber ihm bindend angeboten hat, die Aktien zum Einkaufspreis (zurück) zu verkaufen .
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war seit ihrer Gründung im Jahre 2001 an der G-AG beteiligt. Sein Anteil umfasste zunächst 40 %. Aufgrund des Kauf- und Übertragungsvertrags vom 10. Januar 2002 übertrug der Kläger 9800 Namensaktien der G-AG für einen Euro pro Aktie auf einen Mitaktionär, so dass sich seine Beteiligung auf 20,4 % verringerte. Zugleich bot der Käufer der Aktien dem Kläger diese Aktien zum Preis von einem Euro pro Aktie wiederum zum Kauf an und war bis zum 9. Januar des Streitjahres (2004) an dieses Angebot gebunden. Am 11. Januar 2002 vereinbarten die G-AG und der Kläger eine typisch stille Beteiligung des Klägers als stiller Gesellschafter an der G-AG. Der Kläger verpflichtete sich ‑‑in Verbindung mit dem Ergänzungsvertrag vom 15. Mai 2002‑‑ zu einer Bareinlage von 77.657 €, die im Mai 2002 auch tatsächlich geleistet wurde.
Die G-AG durfte nach § 3 des Vertrages die folgenden Entscheidungen nicht ohne Zustimmung des Klägers durchführen:
- Änderungen des Gegenstandes des Unternehmens und der Unternehmensform, - Erwerb von oder Beteiligung an anderen Unternehmen sowie deren Veräußerung, - Veräußerung oder Verpachtung des Unternehmens oder eines Teils des Unternehmens, - Errichtung von Zweigniederlassungen, - Abschluss, Änderung oder Aufhebung von Gewinn- und Verlustübernahmeverträgen, - vollständige oder teilweise Einstellung des Gewerbebetriebs, - Ausgaben, die das von den stillen Gesellschaftern genehmigte Budget überschreiten. Mit gerichtlichem Beschluss vom 14. Mai 2003 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der G-AG eröffnet. Am 21. Mai 2003 wurde die Auflösung der Gesellschaft im Handelsregister eingetragen. Im Jahr 2007 wurde das Insolvenzverfahren beendet und der Kläger aus der Quote nicht bedient.
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger, der zusammen mit der Klägerin zur Einkommensteuer veranlagt wurde, einen Verlust aus dieser Beteiligung in Höhe von 87.857 € geltend. Dieser setzt sich zusammen aus dem Nennkapital der Aktien von 10.200 € sowie der Einlage als stiller Beteiligter in Höhe von 77.657 €.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) berücksichtigte nur einen Verlust in Höhe von 10.200 €, den er dem Halbeinkünfteverfahren unterwarf.
Mit Einspruch und Klage begehrten die Kläger, einen Verlust i.S. von § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) von nunmehr insgesamt 81.985 € (Anschaffungskosten für Aktien von 10.200 € und Einlage als stiller Gesellschafter 71.985 €) zu berücksichtigen. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und bejahte einen Veräußerungsverlust nach § 17 EStG in Höhe von 81.985 € unter Berücksichtigung des Halbeinkünfteverfahrens. Die Grundsätze des Eigenkapitalrechts seien hier auch auf Finanzierungshilfen des Klägers als Aktionär anzuwenden. Zwar habe er im Zeitpunkt der Einlage nicht über eine Sperrminorität von 25 % verfügt. Sein Einfluss auf die Unternehmensleitung folge auch nicht allein aus den Zustimmungsvorbehalten, wohl aber daraus, dass er zudem auf der Grundlage des Angebots seine veräußerten Aktien hätte zurückerwerben und damit unternehmerische Entscheidungen hätte beeinflussen können.
Hiergegen richtet sich die auf Verletzung materiellen Rechts (§ 17 Abs. 1, 2 und Abs. 4 EStG) gestützte Revision des FA. Wenn das FG argumentiere, der Kläger habe eine der Sperrminorität vergleichbare Stellung durch das Angebot des Erwerbers seiner Aktien, so verletze dies materielles Recht; denn die Besteuerung knüpfe an den tatsächlich verwirklichten Sachverhalt an. Allein die Möglichkeit des Rückerwerbs reiche nicht aus, entsprechende Folgen zu ziehen.
Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Abweisung der Klage in der Sache selbst zu entscheiden.
1. Das FG hat unzutreffend nachträgliche Anschaffungskosten des Klägers durch seine Einlage als typisch stiller Gesellschafter angenommen und damit § 17 Abs. 1, 2 und Abs. 4 EStG verletzt.
a) Nach § 17 Abs. 1 und 4 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb ‑‑unter weiteren hier nicht problematischen Voraussetzungen‑‑ auch der Gewinn aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft; Entsprechendes gilt für einen Auflösungsverlust als den Betrag, um den die im Zusammenhang mit der Auflösung der Gesellschaft vom Steuerpflichtigen persönlich getragenen Kosten (entsprechend den Veräußerungskosten nach § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG) sowie seine Anschaffungskosten den gemeinen Wert des dem Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens der Kapitalgesellschaft übersteigen (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑, vgl. das Urteil vom 9. Juni 2010 IX R 52/09, BFHE 230, 326, BStBl II 2010, 1102, m.w.N.).
Anschaffungskosten sind nach § 255 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben. Dazu gehören nach § 255 Abs. 1 Satz 2 HGB auch die nachträglichen Anschaffungskosten. Zu den nachträglichen Anschaffungskosten einer Beteiligung zählen neben (verdeckten) Einlagen auch nachträgliche Aufwendungen auf die Beteiligung, wenn sie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind und weder Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen noch Veräußerungs- oder Auflösungskosten sind. Zu in diesem Sinne funktionellem Eigenkapital werden Finanzierungshilfen oder Finanzierungsmaßnahmen, wenn der Gesellschafter der Gesellschaft in der Krise der Gesellschaft (§ 32a des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung i.d.F. des Streitjahres ‑‑GmbHG a.F.‑‑) ein Darlehen gewährt (§ 32a Abs. 1 GmbHG a.F.), eine Bürgschaft übernimmt, eine Sicherheit bestellt (§ 32a Abs. 2 GmbHG a.F.) oder eine andere Rechtshandlung i.S. des § 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG a.F. unternimmt und diese Finanzierungsmaßnahmen eigenkapitalersetzenden Charakter haben. Maßgebend dafür ist, ob ein Gesellschafter der Gesellschaft in einem Zeitpunkt, in dem ihr die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute Eigenkapital zugeführt hätten (Krise der Gesellschaft), stattdessen ein Darlehen gewährt oder eine dem Darlehen wirtschaftlich entsprechend andere Rechtshandlung ausführt, § 32a Abs. 1 und 3 GmbHG a.F. (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 4. März 2008 IX R 78/06, BFHE 220, 446, BStBl II 2008, 575, und vom 4. März 2008 IX R 80/06, BFHE 220, 451, BStBl II 2008, 577, jeweils m.w.N.).
b) Ist der Gesellschafter ‑‑wie hier der Kläger‑‑ Aktionär (vgl. dazu § 57 Abs. 1 des Aktiengesetzes), so sind die Grundsätze des Eigenkapitalrechts auf seine Finanzierungshilfen nur dann sinngemäß anzuwenden, wenn er mehr als 25 % der Aktien der Gesellschaft hält oder ‑‑bei geringerer, aber nicht unbeträchtlicher Beteiligung‑‑ verbunden mit weiteren Umständen über gesellschaftsrechtlich fundierte Einflussmöglichkeiten in der Gesellschaft als Grundlage für eine (innergesellschaftliche) Finanzierungsverantwortung verfügt, die einer Sperrminorität vergleichbar sind. Eine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat oder eine Vorstandsfunktion genügen dafür nicht (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes vom 9. Mai 2005 II ZR 66/03, Deutsches Steuerrecht 2005, 1416, und vom 26. März 1984 II ZR 171/83, BGHZ 90, 381; vgl. auch Bayer in Münchner Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Aufl. 2008, § 57 Rz 180 ff., m.w.N.; Hüffer, Aktiengesetz, 8. Aufl., § 57 Rz 18; Henze in AktG, Großkommentar, 4. Aufl., § 57 Rz 123 ff.; Junker, Das eigenkapitalersetzende Aktionärsdarlehen, in Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht ‑‑ZHR‑‑ Bd. 156 ‑‑1992‑‑, S. 394, 404 f.: weitergehend Habersack, Eigenkapitalersatz im Gesellschaftsrecht, ZHR 162 ‑‑1998‑‑ S. 201, 220 f.). Da Finanzierungsmaßnahmen nur unter diesen Voraussetzungen als funktionelles Eigenkapital zu beurteilen sind, führen sie folgerichtig nur dann zu nachträglichen Anschaffungskosten gemäß § 255 Abs. 1 Satz 2 HGB, wenn der Aktionär an der Aktiengesellschaft im vorgenannten Sinne unternehmerisch beteiligt ist (BFH-Urteil vom 2. April 2008 IX R 76/06, BFHE 221, 7, BStBl II 2008, 706).
c) Nach diesen Grundsätzen hat das FG unzutreffend eine unternehmerische Beteiligung des Klägers bejaht. Es hat zwar im Kern zutreffend nicht schon in den Zustimmungsvorbehalten Einflussmöglichkeiten gesehen, die einer Sperrminorität vergleichbar wären. Hiervon gehen auch die Beteiligten übereinstimmend aus. In der Tat dokumentieren diese Vorbehalte keine Verantwortung für die ordnungsgemäße Finanzierung der Aktiengesellschaft (vgl. zur sog. Patronatserklärung Bayer in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 57 Rz 184, m.w.N.). Sie bleiben aber im Niveau unterhalb der Einflussmöglichkeiten einer ‑‑für die Annahme einer unternehmerischen Beteiligung nicht ausreichenden‑‑ Vorstandsposition.
Es hat indes zu Unrecht kumulativ und vor allem die Rechtsposition des Klägers aufgrund des bis zum 9. Januar des Streitjahres bindenden Angebots des Aktienkäufers, ihm ‑‑dem Kläger‑‑ die Aktien zum Kaufpreis zurückzuverkaufen, als Umstand gewertet, der es dem Kläger ermöglicht habe, Einfluss auf die Unternehmensleitung auszuüben. Es handelt sich dabei nicht um eine mit einem Konsortialvertrag vergleichbare gesellschaftsrechtlich fundierte Sonderlage. Das Angebot berechtigte den Kläger gegenüber dem Erwerber, die Aktien zum Einkaufspreis zu kaufen. Diese Rechtsposition war nicht gesellschaftsrechtlich ‑‑causa societatis‑‑ begründet, sondern beruhte auf der Nebenvereinbarung zum Aktienkaufvertrag. Sie sicherte als solche keine Einflussmöglichkeiten auf die Unternehmensführung. Vielmehr hätte der Kläger, um dies zu erreichen, das Angebot annehmen und die Aktien zurückerwerben müssen. Dies hat er aber gerade nicht getan, so dass seine Stellung ihm allenfalls potentiell oder hypothetisch die Möglichkeit eröffnete, eine Sperrminorität zu erlangen. Dieses Potential ist aber nicht mit einer ‑‑auch faktischen‑‑ Sperrminorität zu vergleichen. Die durch das bindende Angebot vermittelte Anwartschaft stärkte seine Rechtsposition gegenüber dem möglichen Verkäufer, band ihn aber nicht auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage in die Entscheidungsfindung der Aktiengesellschaft aktiv ein.
Mangels entsprechender Feststellungen durch das FG ist auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger etwa zusammen mit dem Käufer-Aktionär Einfluss ausgeübt hatte, weil er in koordinierter Abstimmung mit ihm über eine Sperrminorität verfügte (vgl. dazu Lutter, in KK-AktG, 2. Aufl., § 57 Rz 93, S. 667, m.w.N.).
2. Da es bereits am funktionellen Eigenkapital fehlt und deshalb die Annahme von nachträglichen Anschaffungskosten i.S. des § 255 Abs. 1 Satz 2 HGB scheitert, kann es der Senat dahinstehen lassen, ob die im Streitfall durch eine typisch stille Beteiligung vermittelte Einlage zu Finanzierungshilfen führen kann. Überdies mag offenbleiben, ob die G-AG bereits in der Krise war, als der Kläger die Einlage tätigte. Ob die Gesellschaft in eine Krise geraten ist, hat das FG aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls als Tatfrage (§ 118 Abs. 2 FGO) zu entscheiden (BFH-Urteil vom 9. Oktober 2008 IX R 60/05, BFH/NV 2009, 896). Es fehlen im Streitfall aber Feststellungen des FG, aus denen nachvollziehbar geschlossen werden könnte, die G-AG habe sich schon bei Hingabe der Mittel in der Krise befunden.
3. Da das angefochtene Urteil bereits wegen Verletzung des § 17 Abs. 1 und Abs. 4 EStG aufzuheben ist, kommt es nicht darauf an, welche Folgen es hat, dass das FG ‑‑wie es im Urteil hervorhebt‑‑ über den nach § 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Änderungsbescheid vom 15. Juli 2010 mangels Kenntnisnahme "nicht entschieden" habe, Verfahrensfehler aber nicht geltend gemacht worden sind (vgl. dazu von Groll/Gräber, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 68 Rz 105 f.).
4. Die Sache ist spruchreif: Die Klage ist abzuweisen. Nach den obigen Ausführungen (unter II. 1. c) war der Kläger an der G-AG nicht unternehmerisch beteiligt, so dass die in der Insolvenz ausgefallenen Finanzierungshilfen nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten führen.