BFH X. Senat
EStG § 10 Abs 1 Nr 1a, EStG § 12 Nr 1, EStG § 22 Nr 1
vorgehend FG Düsseldorf, 08. June 2010, Az: 7 K 4178/08 E
Leitsätze
NV: Veräußert der Vermögensübernehmer das überlassene Vermögen und wendet er den Veräußerungserlös einem Dritten zu, ohne hierfür Gesellschaftsrechte oder einen anderen Gegenwert zu erhalten, sind die wiederkehrenden Leistungen nicht mehr als Sonderausgaben (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG) abziehbar bzw. beim Empfänger als sonstige Einkünfte (§ 22 Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 EStG) steuerbar .
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden in den Streitjahren 2002 bis 2005 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 30. Dezember 1998 übertrugen die Eltern der Klägerin dieser drei in X belegene Grundstücke gegen Übernahme von Verbindlichkeiten in Höhe von 240.322 DM und einer als dauernde Last vereinbarten Zahlungsverpflichtung in Höhe von monatlich 3.500 DM ab dem 1. Januar 1999 bzw. 3.000 DM ab dem 1. Juni 2001. Zur Sicherung der Zahlungsverpflichtung bestellte der Kläger auf in seinem Eigentum stehenden Grundstücken eine Grundschuld in Höhe von 360.000 DM.
Durch notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 22. Januar 1999 veräußerte die Klägerin zwei der ihr von den Eltern zuvor übertragenen Grundstücke für insgesamt 504.680 DM. Den Verkaufserlös überließ sie dem Kläger zur Verwendung in dessen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb. Das dritte ‑‑unbebaute und brachliegende‑‑ Grundstück verkaufte die Klägerin mit notariell beurkundetem Vertrag vom 12. November 1999 für 150.480 DM und überließ auch diesen Betrag dem Kläger zur Verwendung in dessen Betrieb.
Nach einer Außenprüfung kam der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) zu dem Ergebnis, ab dem Zeitpunkt der Veräußerung der ersten beiden Grundstücke sei nicht mehr von einer Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen auszugehen. Die Klägerin habe eine ursprünglich existenzsichernde Wirtschaftseinheit aufgegeben. Der Wert des zunächst zurückbehaltenen Grundstücks betrage weniger als die Hälfte des Barwerts der dauernden Last, so dass insgesamt eine unentgeltliche Zuwendung nach § 12 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorliege, die nicht zum Sonderausgabenabzug berechtige. Das FA erließ unter dem 17. Dezember 2007 bzw. 21. Juli 2008 Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2005, in denen es die Versorgungsleistungen nicht zum Sonderausgabenabzug zuließ. Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften (§§ 22 Nr. 2, 23 EStG) wurden in den Streitjahren nicht angesetzt.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage ab. Werde ‑‑wie im Streitfall‑‑ ein im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragenes Grundstück vom Übernehmer sogleich weiterveräußert, seien die wiederkehrenden Leistungen nicht als Sonderausgaben abziehbar. Dies gelte auch dann, wenn der Verkaufserlös zur Finanzierung anderer Wirtschaftsgüter verwendet werde. Nach der Veräußerung lasse sich ein Zusammenhang der wiederkehrenden Leistungen mit einer weiterzuführenden Wirtschaftseinheit nicht (mehr) herstellen. Hinzu komme, dass die Klägerin mit dem Erlös aus der Veräußerung der Grundstücke kein Wirtschaftsgut erworben habe, das ebenfalls als existenzsichernde Wirtschaftseinheit betrachtet werden könne. Die Klägerin habe den Verkaufserlös in den Betrieb des Klägers "eingelegt", ohne hierfür einen entsprechenden Gegenwert erhalten zu haben. Sie sei weder am Betriebsvermögen noch an den Unternehmenserträgen beteiligt. Eine mittelbare Beteiligung ‑‑z.B. aufgrund eines familienrechtlichen Unterhaltsanspruchs oder aufgrund des Zugewinnausgleichsanspruchs‑‑ reiche für einen weiterhin bestehenden Zusammenhang zwischen der Übertragung der existenzsichernden Wirtschaftseinheit und der monatlichen Zahlungsverpflichtung nicht aus.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts. Der Große Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) habe in seinem Beschluss vom 12. Mai 2003 GrS 1/00 (BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95) ausdrücklich offengelassen, ob er der Rechtsprechung des erkennenden Senats folgen könnte, wonach die Abziehbarkeit der Versorgungsleistungen ende, wenn das übergebene existenzsichernde Vermögen vom Übernehmer später veräußert werde. Zu dieser Aussage habe kein Anlass bestanden. Daher liege die Vermutung nahe, dass der Große Senat die Auffassung vertrete, die wiederkehrenden Leistungen seien auch nach der Veräußerung des übertragenen Vermögens abziehbar, wenn der Veräußerungserlös zum Erwerb einer ertragbringenden Wirtschaftseinheit verwendet werde. Im Übrigen sehe es der Große Senat auch als unschädlich an, wenn dem Übernehmer ertragloses Vermögen übertragen werde, dieser sich aber im Übergabevertrag verpflichte, das ertraglose Vermögen in ertragbringendes umzuschichten, aus dem die Versorgungsleistungen bestritten werden können. Im Streitfall sei der Veräußerungserlös der Grundstücke in das Betriebsvermögen des Klägers umgeschichtet worden, der damit Erträge erwirtschafte, die anschließend zur Erfüllung der Unterhaltsansprüche der Klägerin verwendet würden. Insgesamt liege somit eine unentgeltliche Übertragung vor.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
das FG-Urteil aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2005 dahingehend zu ändern, dass die Zahlungen an die Eltern der Klägerin als weitere Sonderausgaben berücksichtigt werden.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Nach Auffassung des erkennenden Senats im Urteil vom 17. März 2010 X R 38/06 (BFHE 229, 163) sei die Umschichtung einer ausreichend ertragbringenden Wirtschaftseinheit in anderes ausreichend ertragbringendes Vermögen grundsätzlich zulässig. Voraussetzung einer solchen Umschichtung sei lediglich, dass mit dem Reinvestitionsgut genügend Nettoerträge erwirtschaftet würden, um die Versorgungsleistungen zu decken. Veräußere der Vermögensübernehmer dagegen das übertragene Vermögen ohne Anschaffung eines Surrogats, würden die Rechtsfolgen des steuerlich privilegierten Rechtsinstituts der privaten Versorgungsrente enden. Im Streitfall sei der Veräußerungserlös nicht in ein existenzsicherndes Wirtschaftsgut umgeschichtet worden. Die Klägerin sei am Unternehmen des Klägers nicht beteiligt. Sie erziele keine Erträge, aus denen sie die Versorgungsleistungen erbringen könne. Eine mittelbare Beteiligung am Betrieb aufgrund eines familienrechtlichen Unterhalts- oder Zugewinnausgleichsanspruchs reiche für einen weiteren Zusammenhang zwischen der Übertragung einer existenzsichernden Wirtschaftseinheit und der monatlichen Zahlungsverpflichtung nicht aus. Steuersubjekt sei auch im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten der einzelne Steuerpflichtige.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat zu Recht erkannt, dass die wiederkehrenden Leistungen der Klägerin an ihre Eltern in den Streitjahren 2002 bis 2005 nicht als Sonderausgaben abziehbar sind.
1. Gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung sind auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende Renten und dauernde Lasten, die nicht mit Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben, als Sonderausgaben abziehbar. Hauptanwendungsfall der in vollem Umfang abziehbaren dauernden Last und der steuerbaren wiederkehrenden Bezüge sind Versorgungsleistungen, die in sachlichem Zusammenhang mit einem Vermögensübergabevertrag vereinbart worden sind. Der Große Senat des BFH hat in seinen Beschlüssen vom 5. Juli 1990 GrS 4-6/89 (BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847), in BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95, und vom 12. Mai 2003 GrS 2/00 (BFHE 202, 477, BStBl II 2004, 100) zu den Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen umfassend Stellung genommen (vgl. zur Schilderung der Rechtsentwicklung auch den Vorlagebeschluss des erkennenden Senats vom 10. November 1999 X R 46/97, BFHE 189, 497, BStBl II 2000, 188). Die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung ist im sog. "Vierten Rentenerlass" (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 11. März 2010, BStBl I 2010, 227) veröffentlicht.
2. Hinsichtlich der Art des übergebenen Vermögens, das Grundlage für die Vereinbarung von als dauernde Last anzuerkennenden Versorgungsleistungen sein kann, hatte die frühere Rechtsprechung zwischen der Übergabe von Geldvermögen und den unter der Bezeichnung "existenzsichernd" zusammengefassten Vermögensarten unterschieden. Diese Differenzierung ist seit dem Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95 entfallen, weil nach der jüngeren Rechtsprechung wiederkehrende Leistungen nur dann als Sonderausgaben abziehbar bzw. als wiederkehrende Bezüge i.S. des § 22 Nr. 1 EStG steuerbar sind, wenn sie aus den Nettoerträgen des überlassenen Vermögens bestritten werden können. Seither ist Geldvermögen, das vor der Änderung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG durch das Jahressteuergesetz 2008 vom 20. Dezember 2007 (BGBl I 2007, 3150, BStBl I 2008, 218) übertragen wurde und vom Vermögensübernehmer ertragbringend angelegt wird, den unter der Bezeichnung "existenzsichernd" zusammengefassten Vermögensarten gleichgestellt.
3. Im Urteil in BFHE 229, 163 hat der Senat erkannt, dass neben der bislang von der Rechtsprechung anerkannten Möglichkeit, ertragloses Vermögen in Absprache mit dem Übergeber in ausreichend ertragbringendes Vermögen umzuschichten (vgl. dazu den Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95, unter C.II.6.a), auch die Umschichtung einer ausreichend ertragbringenden Wirtschaftseinheit in anderes ausreichend ertragbringendes Vermögen grundsätzlich zulässig ist. Diese Form der Umschichtung ist nicht an die Zustimmung des Vermögensübergebers, sei es in Form einer generellen Gestattung im Übergabevertrag oder in einer späteren ergänzenden Regelung, gebunden. Dem Prinzip der generationenübergreifenden "Perpetuierung" des Übergebervermögens als Leitgedanken der Vermögensübergabe (Senatsurteil vom 1. März 2005 X R 45/03, BFHE 209, 302, BStBl II 2007, 103) ist genügt, wenn nach der Umschichtung in das Reinvestitionsgut die zugesagten Versorgungsleistungen weiterhin auf der Grundlage des Übergabevertrags an den Übergeber erbracht werden. Voraussetzung einer solchen Umschichtung ist, dass mit dem Reinvestitionsgut genügend Nettoerträge erwirtschaftet werden, um die Versorgungsleistungen zu decken.
4. Wird hingegen, wie im Streitfall, der Veräußerungserlös des überlassenen Vermögens nicht zur Finanzierung anderer Vermögensgegenstände verwendet, sondern lediglich einem Anderen zur Verwendung in dessen Betriebsvermögen überlassen, ohne dass dem Übernehmer hierfür Gesellschaftsrechte oder ein anderer Gegenwert gewährt werden, stehen ‑‑gleichgültig ob es sich um das Betriebsvermögen des Ehegatten des Vermögensübernehmers oder einer dritten Person handelt‑‑ die Versorgungsleistungen bei wertender Betrachtung nicht mehr im Zusammenhang mit der Übertragung des Vermögens. Der Klägerin kann kein Ersatzwirtschaftsgut zugerechnet werden, das als "unentgeltlich erworben" angesehen werden könnte. Vielmehr hat sie, ihrem Ehemann, dem Kläger den Veräußerungserlös der von den Eltern überlassenen Grundstücke unentgeltlich zugewendet. Die Zahlungen der Klägerin sind nach der Veräußerung der Grundstücke Unterhaltsleistungen i.S. von § 12 Nr. 1 EStG, denn die steuerrechtliche Zurechnung der Versorgungsleistungen zu den wiederkehrenden Bezügen und Sonderausgaben beruht auf dem Umstand, dass sich der Vermögensübergeber in Gestalt der Versorgungsleistungen typischerweise Erträge seines Vermögens vorbehält, die nunmehr allerdings vom Vermögensübernehmer erwirtschaftet werden müssen (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847, unter C.II.1.c). Mit der Veräußerung des überlassenen Vermögens endet der Transfer vorbehaltener Erträge, wenn der Übernehmer bei Umschichtung keine ausreichend ertragbringenden Wirtschaftsgüter erhält. Die Leistungen und Bezüge sind folglich nicht mehr als Sonderausgaben (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG) abziehbar und daher beim Berechtigten nicht steuerbar (§ 22 Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 EStG).