BFH I. Senat
EStG § 34 Abs 1, EStG § 36 Abs 2 S 2 Nr 2, EStG § 38 Abs 1, EStG § 38 Abs 3 S 1, EStG § 39b Abs 3 S 9, EStG § 39d, EStG § 42d Abs 1 Nr 1, EStG § 42d Abs 3 S 1, EStG § 42d Abs 3 S 2, EStG § 42d Abs 3 S 4, EStG § 46 Abs 2 Nr 8, EStG § 49 Abs 1 Nr 4 Buchst a, EStG § 50 Abs 1 S 3, EStG § 50 Abs 5 S 1, EStG § 50 Abs 5 S 2 Nr 2, GG Art 3 Abs 1, AO § 233a Abs 1 S 1, AO § 233a Abs 1 S 2, AO § 233a Abs 3
vorgehend FG Köln, 17. March 2010, Az: 11 K 459/09
Leitsätze
1. NV: Durch einen Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid gegenüber dem Arbeitnehmer werden Steuerabzugsbeträge festgesetzt und im Falle der späteren Aufhebung des Lohnsteuer-Nachforderungsbescheids Steuerabzugsbeträge erstattet, sodass eine Verzinsung gemäß § 233a Abs. 1 Satz 2 AO ausgeschlossen ist .
2. NV: Der ausnahmslose Ausschluss der Steuerabzugsbeträge aus der Vollverzinsung des § 233a AO verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG .
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war als leitender Angestellter einer inländischen Versicherungsgesellschaft tätig. Seit Mitte 2001 übte er diese Tätigkeit in Irland aus und hatte dort seinen Wohnsitz. Aus im Jahr 1997 zugesagten Aktienoptionen flossen ihm im Jahr 2002 geldwerte Vorteile zu. Der Arbeitgeber unterwarf diese dem Lohnsteuerabzug gemäß § 39b Abs. 3 Satz 9 i.V.m. § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002).
Nach einer Lohnsteueraußenprüfung setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) unter Berufung auf § 50 Abs. 1 Satz 3 EStG 2002 mit Nachforderungsbescheid vom 24. Februar 2004 unmittelbar gegenüber dem Kläger Lohnsteuer in Höhe von 37.804 € fest. Der Kläger zahlte diesen Betrag am 29. März 2004. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob er Klage. Während dieses Klageverfahrens änderte der Gesetzgeber § 50 Abs. 1 Satz 3 EStG 2002 dahingehend, dass die Einschränkungen hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 34 EStG 2002 entfielen, und zwar für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union auf Antrag auch für Veranlagungszeiträume vor 2008. Daraufhin hob das FA den Nachforderungsbescheid mit Schreiben vom 20. Juni 2008 auf und erstattete den nachgeforderten Betrag.
Der Kläger beantragte daraufhin vergeblich, für diesen Betrag Erstattungszinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO) festzusetzen. Die deswegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) Köln mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1386 veröffentlichtem Urteil vom 18. März 2010 11 K 459/09 ab.
Der Kläger stützt seine Revision auf eine Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und Zinsen gemäß § 233a AO für den Zeitraum vom 29. März 2004 bis 30. September 2006 in Höhe von 5.670 € festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die an den Kläger erstattete Lohnsteuer nicht gemäß § 233a AO zu verzinsen ist.
1. Nach § 233a Abs. 1 Satz 1 AO ist der Unterschiedsbetrag, der sich nach § 233a Abs. 3 AO u.a. bei der Festsetzung der Einkommensteuer ergibt, zu verzinsen. Dies gilt nach § 233a Abs. 1 Satz 2 AO jedoch nicht bei der Festsetzung von Vorauszahlungen und Steuerabzugsbeträgen. Der Gesetzgeber hat Vorauszahlungen und Steuerabzugsbeträge aus dem sachlichen Anwendungsbereich des § 233a AO ausgenommen, weil eine Verzinsung "in aller Regel ins Leere gehen (würde), da die Steuerfestsetzungen bzw. Steueranmeldungen insoweit zeitnah, d.h. innerhalb der vorgesehenen Karenzzeit von 15 Monaten, erfolgen und nach der Steuerfestsetzung oder Steueranmeldung das geltende Zins- und Säumnisrecht eingreift" (BTDrucks 11/2157, S. 195). Darüber hinaus würde eine eigenständige Verzinsung dieser Beträge eine erhebliche Verkomplizierung der Vollverzinsung mit sich bringen (Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 233a AO Rz 20). Von der Verzinsung ausgeschlossen sind sowohl erstattete als auch nachgeforderte Vorauszahlungen und Steuerabzugsbeträge.
2. Das FG hat zutreffend angenommen, dass durch einen Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid, der gemäß § 42d Abs. 3 Sätze 1 und 4 EStG 2002 gegenüber dem Arbeitnehmer ergeht, Steuerabzugsbeträge i.S. von § 233a Abs. 1 Satz 2 AO festgesetzt und im Falle der späteren Aufhebung des Lohnsteuer-Nachforderungsbescheids Steuerabzugsbeträge erstattet werden.
a) Der Kläger, der im Jahr 2002 im Inland weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, unterlag mit seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, die er im Jahr 2002 aus seiner früheren im Inland ausgeübten Tätigkeit bezog, gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a EStG 2002 der inländischen beschränkten Steuerpflicht. Die Einkommensteuer wird bei beschränkt steuerpflichtigen Einkünften i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a EStG 2002 im Wege des Steuerabzugs erhoben (§ 39d i.V.m. § 38 EStG 2002). Kommt der Arbeitgeber seiner Pflicht, die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten (§ 38 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG 2002), nicht nach, haftet er für die Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002). Das FA kann jedoch auch den Arbeitnehmer nach Maßgabe des § 42d Abs. 3 Sätze 1 und 4 EStG 2002 durch Nachforderungsbescheid in Anspruch nehmen. Einen solchen Nachforderungsbescheid hat das FA gegen den Kläger erlassen.
b) Das FA hat damit einen Steuerabzugsbetrag i.S. des § 233a Abs. 1 Satz 2 AO festgesetzt (gl.A. Heuermann in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 233a AO Rz 20; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 233a AO Rz 9; Kögel in Beermann/Gosch, § 233a AO Rz 5.17; Koenig in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 233a Rz 15).
aa) Steuerabzugsbetrag ist derjenige Betrag, der nach dem Gesetz vom Steuerabzugsverpflichteten für fremde Rechnung einzubehalten und an das FA abzuführen ist. Hat der Arbeitgeber den Steuerabzug nicht entsprechend den gesetzlichen Vorgaben in § 39d i.V.m. § 38 EStG 2002 vorgenommen und macht das FA den Anspruch gegenüber dem Arbeitnehmer durch Nachforderungsbescheid gemäß § 42d Abs. 3 Sätze 2 und 4 EStG 2002 geltend, ändert sich der Charakter der Lohnsteuer als Abzugssteuer nicht. Es handelt sich ebenso wenig wie das Erstattungsverfahren nach § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 EStG 2002 (vgl. Senatsbeschluss vom 18. September 2007 I R 15/05, BFHE 219, 1, BStBl II 2008, 332) um eine Veranlagung zur Einkommensteuer, sondern um ein verlängertes Steuerabzugsverfahren. Denn Maßstab ist allein die vom Arbeitgeber vorschriftswidrig nicht einbehaltene Lohnsteuer. Dieser nicht einbehaltene Steuerabzugsbetrag und nicht die bei einer Einkommensteuerveranlagung tatsächlich festzusetzende Einkommensteuer wird nachgefordert. Dementsprechend wird die beim Arbeitnehmer nacherhobene Lohnsteuer bei einer Veranlagung zur Einkommensteuer nur gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG 2002 angerechnet. Bei beschränkt Einkommensteuerpflichtigen ‑‑wie dem Kläger‑‑ hat die nachgeforderte Lohnsteuer ebenso wie die vom Arbeitgeber einbehaltene Lohnsteuer abgeltende Wirkung (§ 50 Abs. 5 Satz 1 EStG 2002).
bb) Die vom Kläger befürwortete Auslegung des § 233a AO dahingehend, dass unter Steuerabzugsbeträgen nur solche Beträge zu verstehen sind, die der Abführungsverpflichtete selbst an das FA geführt hat, ist nicht sachgerecht. Sie widerspricht dem Willen des Gesetzgebers. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich eindeutig, dass gegenüber dem Steuerschuldner nachgeforderte Abzugssteuern unverzinst bleiben sollen (BTDrucks 11/2157, S. 195). Auch die vom Steuerschuldner nachgeforderte Abzugssteuer ist demnach als "Steuerabzugsbetrag" i.S. des § 233a AO zu verstehen. Dies mag zwar darin begründet sein, dass die Unterlassung des Lohnsteuerabzugs regelmäßig nicht in den Verantwortungsbereich des Arbeitnehmers fällt und es dem Gesetzgeber daher nicht angezeigt schien, in diesen Fällen eine Verzinsung anzuordnen. Der Gesetzgeber hat den Ausschluss der Vorauszahlungen und der Steuerabzugsbeträge von der Verzinsung aber in Kenntnis dessen, dass Steuerabzugsbeträge auch an den Steuerpflichtigen erstattet werden können, bewusst ausnahmslos angeordnet; eine zwischen Erstattung und Nachforderung von Steuerabzugsbeträgen differenzierende Auslegung des Begriffs "Steuerabzugsbetrag" in § 233a Abs. 1 Satz 2 AO ist daher mangels einer Gesetzeslücke nicht möglich. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) wiederholt entschieden hat, besteht kein Anspruch auf Verzinsung sämtlicher Steuererstattungsbeträge. Verzinsungslücken sind vielmehr hinzunehmen (BFH-Urteile vom 23. Februar 2006 III R 66/03, BFHE 212, 386, BStBl II 2006, 741; vom 20. April 2006 III R 64/04, BFHE 212, 416, BStBl II 2007, 240; Senatsurteil vom 26. April 2006 I R 122/04, BFHE 212, 426, BStBl II 2006, 737; Senatsbeschluss in BFHE 219, 1, BStBl II 2008, 332; bestätigt durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ‑‑BVerfG‑‑ vom 3. September 2009 1 BvR 1098/08, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 2010, 66).
3. Der ausnahmslose Ausschluss der Steuerabzugsbeträge aus der Vollverzinsung des § 233a AO verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes. Der Gesetzgeber hielt sich vielmehr im Rahmen seines ihm im Steuerrecht eröffneten Gestaltungs- und Pauschalierungsspielraums (BVerfG-Beschluss in HFR 2010, 66). § 233a AO will einen Ausgleich für Liquiditätsvorteile herstellen, die dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung widersprechen (Senatsurteil in BFHE 212, 426, BStBl II 2006, 737; Senatsbeschluss in BFHE 219, 1, BStBl II 2008, 332). Dies rechtfertigt es, den sachlichen Anwendungsbereich auf Veranlagungssteuern zu beschränken. Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, eine Verzinsung von Steuerabzugsbeträgen für die Fälle anzuordnen, in denen es doch zu einem Liquiditätsvorteil ‑‑sei es des FA, sei es des Steuerpflichtigen‑‑ kommt. Er kann sich vielmehr am Regelfall orientieren, bei dem zeitnah an den Steuerabzug eine Veranlagung zur Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer folgt (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 10. April 1997 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1, BStBl II 1997, 518; vom 9. Dezember 2008 2 BvL 1, 2/07, 1, 2/08, BVerfGE 122, 210, BFH/NV 2009, 338). Zwar kommt es bei beschränkt Einkommensteuerpflichtigen, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen haben, häufig nicht zu einer Veranlagung, weil die Einkommensteuer durch den Lohnsteuerabzug als abgegolten gilt (§ 50 Abs. 5 Satz 1 EStG 2002). Beschränkt Einkommensteuerpflichtige aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union können jedoch gemäß § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 i.V.m. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG 2002 ebenfalls die Veranlagung zur Einkommensteuer wählen und damit eine Verzinsung von zu Unrecht nacherhobenen Abzugssteuern erreichen.