BFH X. Senat
EStG § 3 Nr 12, EStG § 10 Abs 3, EStG § 20 Abs 1 Nr 7
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 25. August 2005, Az: 16 K 465/02
Leitsätze
1. NV: Die sog. Kostenpauschale für Abgeordnete können nur Abgeordnete in Anspruch nehmen.
2. NV: Der Gesetzgeber ist für Veranlagungszeiträume vor 2005 zu einer "Nachbesserung" des Sonderausgabenabzugs nicht verpflichtet.
3. NV: Die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG ist nicht verfassungswidrig.
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr 2000 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. In dem entsprechenden Einkommensteuerbescheid berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) verschiedene Aufwendungen nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit bzw. bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. In ihrem nach erfolglosem Vorverfahren vor dem Finanzgericht (FG) geführten Rechtsstreit machten die Kläger unter anderem geltend, ein Drittel ihrer Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit sei entsprechend der Regelung über die für Bundestagsabgeordnete geltende Kostenpauschale steuerfrei zu lassen. Alternativ seien entsprechend in § 1 Abs. 2 des Strafbefreiungserklärungsgesetzes (StraBEG) 40 % ihrer einkommensteuerpflichtigen Einnahmen unberücksichtigt zu lassen. Ferner seien die Beiträge für die Altersversorgung in voller Höhe als Werbungskosten anzuerkennen. Das FG wies die Klage ab.
Mit ihrer Revision machen die Kläger geltend, das angefochtene Urteil sei aufzuheben. Zur Begründung der Revision tragen sie vor, der Rechtsstreit betreffe die Anerkennung von pauschalen Werbungskosten im Zusammenhang mit den Berufseinnahmen der Kläger und die unbeschränkte Berücksichtigung von Krankenversicherungsbeiträgen und Altersvorsorgeaufwendungen. Der Sachverhalt ergebe sich aus der angefochtenen Entscheidung ab Seite 7 ff. Abschnitt B und C. Darauf werde zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Die von den Klägern begehrten Kostenpauschalen in Höhe von 33,33 % ("adäquat Bundestagsabgeordnete") wie auch in Höhe von 40 % ("analog StraBEG") seien ebenso wie die offenbar verfassungswidrige Beschränkung des Sonderausgabenabzugs von Krankenversicherungsbeiträgen und Beiträgen zur Altersversorgung Gegenstand obergerichtlicher Entscheidungen.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
das Urteil der Vorinstanz und die Einspruchsentscheidung des FA vom 12. September 2002 aufzuheben sowie den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2000 (zuletzt) vom 9. März 2006 in der Weise abzuändern, dass die Einkommensteuer 2000 auf 50 930 DM (26 040 €) herabgesetzt wird.
Das FA beantragt sinngemäß,
die Revision zu verwerfen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 18. Januar 2007 X R 43/05 das Ruhen des Verfahrens angeordnet, bis die von den Klägern in ihrem Schriftsatz vom 1. Februar 2006 genannten beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängigen Verfahren VI R 63/04, X R 20/04 (vgl. hierzu Vorlagebeschluss des erkennenden Senats an das Bundesverfassungsgericht ‑‑BVerfG‑‑ vom 14. Dezember 2005, BFHE 211, 350, BStBl II 2006, 312) und die beim BVerfG anhängigen Verfahren 2 BvR 2299/04 und 2 BvL 14/05 abgeschlossen seien.
Entscheidungsgründe
II. 1. Die Gründe für das Ruhen sind entfallen, so dass das Verfahren fortgesetzt werden kann.
a) Mit Urteil vom 11. September 2008 VI R 63/04 (BFH/NV 2008, 2018) hat der BFH entschieden, dass die Kostenpauschale für Abgeordnete nicht auf andere Steuerpflichtige übertragen werden könne. Die Verfassungsbeschwerde gegen diese Entscheidung ist nicht zur Entscheidung angenommen worden (BVerfG-Beschluss vom 26. Juli 2010 2 BvR 2227/08, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 2010, 1108).
b) Das BVerfG hat mit Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06 (BVerfGE 120, 125) entschieden, dass § 10 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) eine hinreichende steuerliche Entlastung nicht gewährleiste (dort unter D.IV.2.c der Gründe); das BVerfG hat aber unter E.II. der Gründe die bis zum 31. Dezember 2009 befristete Fortgeltung der angegriffenen Normen angeordnet, so dass im Streitjahr 1997 kein weiterer Abzug von Vorsorgeaufwendungen in Betracht komme. Der erkennende Senat ist dieser Beurteilung im Beschluss vom 26. November 2008 X R 20/04 (BFH/NV 2009, 382) gefolgt; die Verfassungsbeschwerde gegen diesen Beschluss wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG-Beschluss vom 9. Juli 2009 2 BvR 92/09, nicht veröffentlicht).
c) Mit Beschluss vom 25. Februar 2008 2 BvL 14/05 (HFR 2008, 756) hat das BVerfG die Vorlage des FG Köln gegen die Besteuerung der Kapitaleinkünfte in den Jahren 2000 bis 2002 als unzulässig verworfen. Ebenso hat das BVerfG die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 2299/04 durch Beschluss vom 25. September 2009 verworfen; eine erneute Vorlage an das BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit des Abzugs von Vorsorgeaufwendungen vor 2005 sei nicht zulässig.
2. Das angefochtene Urteil ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da der Einkommensteuerbescheid 2000 mit Bescheid vom 9. März 2006 während des Revisionsverfahrens geändert wurde. Gemäß § 68 Satz 1 FGO wird, wenn der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt wird, der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Damit liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr existierender Bescheid zu Grunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil insoweit keinen Bestand haben kann (siehe dazu BFH-Urteil vom 23. Januar 2003 IV R 71/00, BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43). Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind; sie bilden daher nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats (BFH-Urteil in BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43). Da sich durch den Steuerbescheid 2000 vom 9. März 2006 der bisherige Streitstoff nicht verändert hat und weil keine weiteren tatsächlichen Feststellungen notwendig sind (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 127 Rz 2 f.), bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache an das FG gemäß § 127 FGO. Der Senat entscheidet in der Sache selbst.
3. Die Klage, die sich nunmehr gegen den im Laufe des Revisionsverfahrens ergangenen geänderten Bescheid richtet, wird als unbegründet abgewiesen.
a) Die Beschränkung des Sonderausgabenabzugs können die Kläger nicht mit Erfolg geltend machen.
Nach der Rechtsprechung sowohl des BVerfG und als auch des BFH (vgl. u.a. BVerfG-Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvR 1220/04, 2 BvR 410/05, BVerfGE 120, 169, unter B.I.1.c; Senatsurteile vom 8. November 2006 X R 45/02, BFHE 216, 47, BStBl II 2007, 574 ‑‑dazu BVerfG-Beschluss vom 25. Februar 2008 2 BvR 325/07‑‑; vom 21. Juli 2004 X R 72/01, BFH/NV 2005, 513; BFH-Bescheidungen vom 19. Mai 2004 III R 55/03, BFHE 206, 260, BStBl II 2006, 291; vom 17. März 2004 IV B 185/02, BFH/NV 2004, 1245 ‑‑dazu BVerfG-Beschluss in BVerfGE 120, 169‑‑; vom 14. März 2006 IV B 2/05, BFH/NV 2006, 1283) kommt eine verfassungsrechtliche Überprüfung der steuerlichen Behandlung der Altersvorsorgebeiträge nicht mehr im Betracht. Der Gesetzgeber ist für Veranlagungszeiträume vor 2005 zu einer "Nachbesserung" des die Altersvorsorge betreffenden Sonderausgabenabzugs nicht verpflichtet. Das BVerfG hat zwar in Bezug auf die Abziehbarkeit von Krankenversicherungsbeiträgen mit Beschluss in BVerfGE 120, 125 entschieden, dass § 10 Abs. 3 EStG eine hinreichende steuerliche Entlastung nicht gewährleiste; das BVerfG hat aber zugleich die bis zum 31. Dezember 2009 befristete Fortgeltung der angegriffenen Normen angeordnet, so dass auch im Streitjahr 2000 kein weiterer Abzug von Vorsorgeaufwendungen in Betracht kommt.
b) Ebenso scheidet ein Abzug von Rentenversicherungsbeiträgen als vorweggenommene Werbungskosten aus. Mit Urteil vom 18. November 2009 X R 45/07 (BFH/NV 2010, 421) hat der erkennende Senat entschieden, dass die gesetzliche Zuweisung der Altersvorsorgeaufwendungen zu den Sonderausgaben in § 10 EStG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, obwohl die Altersvorsorgeaufwendungen ihrer Rechtsnatur nach in erster Linie vorweggenommene Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften i.S. des § 22 EStG seien.
c) Auch können die Kläger nicht die sog. Kostenpauschale für Abgeordnete in Anspruch nehmen. Mit Urteil in BFH/NV 2008, 2018 hat der BFH entschieden, dass die Kostenpauschale für Abgeordnete nicht auf andere Steuerpflichtige übertragen werden könne. Die Verfassungsbeschwerde gegen diese Entscheidung ist nicht zur Entscheidung angenommen worden (BVerfG-Beschluss in HFR 2010, 1108). Der Tatbestand des § 3 Nr. 12 EStG ist daher im Falle der Kläger nicht anwendbar.
d) Mit Beschluss in HFR 2008, 756 hat das BVerfG die Vorlage des FG Köln vom 22. September 2005 10 K 1880/05 (Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2005, 1398) mit der u.a. gerügt worden war, dass steuerehrlichen Steuerpflichtigen gleichheitswidrig die Begünstigungen des StraBEG vorenthalten worden seien, für unzulässig erklärt.
In dem Urteil vom 7. September 2005 VIII R 90/04 (BFHE 211, 183, BStBl II 2006, 61) hat der VIII. Senat des BFH die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG auch in den Veranlagungszeiträumen seit 1994 für nicht verfassungswidrig gehalten. In diesem Urteil hat der BFH an seiner bisherigen Rechtsprechung und den darin dargestellten verfassungsrechtlichen Maßstäben ausdrücklich festgehalten. Das BVerfG hat in der Entscheidung in HFR 2008, 756 mehrfach auf dieses Urteil Bezug genommen; ebenso hat der BFH unter mehrfacher Bezugnahme auf dieses Urteil seine Rechtsprechung in der Folgezeit in mehreren Beschlüssen (z.B. vom 8. November 2007 VIII B 170/06, BFH/NV 2008, 580) fortgeführt und inhaltlich bestätigt.
Entgegen der Auffassung der Kläger sind daher ‑‑in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung des FG‑‑ nicht 40 % ihrer Einnahmen nach § 1 Abs. 2 StraBEG als steuerfrei zu behandeln. § 1 Abs. 2 StraBEG setzt auf seiner Tatbestandsseite voraus, dass einkommensteuerpflichtige Einnahmen auf Grund unrichtiger, unvollständiger oder unterlassener Angaben zu Unrecht bei der Festsetzung der Einkommensteuer der Veranlagungszeiträume 1993 bis 2002 nicht einbezogen worden sind. Die Einnahmen der Kläger sind bei der Einkommensteuerveranlagung 2000 jedoch vollständig erfasst worden, so dass § 1 Abs. 2 StraBEG nicht zum Zuge kommt (vgl. dazu BFH-Urteil vom 31. August 2010 VIII R 11/08, Der Betrieb 2010, 2427).
4. Auch im Übrigen ist der Sache nach die Entscheidung des FG nicht zu beanstanden. Die Saldierung geltend gemachter Werbungskosten und weiterer Kosten durch das FG haben die Kläger nicht angegriffen.