BFH VI. Senat
EStG § 33 Abs 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 76 Abs 1, FGO § 76 Abs 2, FGO § 155, ZPO § 295, GG Art 103 Abs 1, FGO § 96 Abs 2
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 18. May 2010, Az: 14 K 2851/08
Leitsätze
1. NV: Genügt dem FG ein ärztliches Attest als Nachweis der medizinischen Indikation von Aufwendungen deshalb nicht, weil die Ausführungen nicht hinreichend konkret sind, ist das FG verpflichtet, von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufzuklären .
2. NV: Unterlässt ein nicht rechtskundig vertretener Kläger eine Rüge wegen mangelnder Sachverhaltsaufklärung, liegt darin kein konkludenter Rügeverzicht, wenn dem Kläger mangels richterlichen Hinweises nicht erkennbar war, dass sein bisheriger Sachvortrag unzureichend war .
Gründe
Die Beschwerde ist begründet. Die Vorentscheidung beruht auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das angefochtene finanzgerichtliche Urteil wird gemäß § 116 Abs. 6 FGO aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
1. Das Finanzgericht (FG) hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt und damit gegen § 76 Abs. 1 und Abs. 2 FGO verstoßen.
a) Im Klageverfahren hat das FG zur Erfüllung seiner Sachaufklärungspflicht den entscheidungserheblichen Sachverhalt so vollständig wie möglich und bis zur Grenze des Zumutbaren, also unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel, aufzuklären (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 15. Dezember 1999 X R 151/97, BFH/NV 2000, 1097; BFH-Beschluss vom 17. Oktober 2003 II B 109/02, BFH/NV 2004, 156).
Unabhängig von Beweisanträgen der Beteiligten muss das FG im Zweifel auch von sich aus Beweise erheben. Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht liegt jedenfalls dann vor, wenn das FG Tatsachen oder Beweismittel außer Acht lässt, deren Ermittlung sich ihm hätten aufdrängen müssen (BFH-Urteil vom 25. Mai 2004 VII R 8/03, BFH/NV 2004, 1498).
b) Nach diesen Rechtsgrundsätzen hätte das FG den Sachverhalt bezüglich der medizinischen Indikation der Besuchsfahrten weiter aufklären müssen. Dies war nach der Rechtsauffassung des FG entscheidungserheblich.
aa) Nach § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind Aufwendungen außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind, sind aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen (BFH-Urteil vom 10. Mai 2007 III R 39/05, BFHE 218, 136, BStBl II 2007, 764). Zu den abziehbaren Krankheitskosten zählen solche Aufwendungen, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel geleistet werden, die Krankheit erträglich zu machen (BFH-Urteile vom 22. August 1980 VI R 138/77, BFHE 131, 381, BStBl II 1981, 23, und vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711). Keine außergewöhnliche Belastung wird dagegen durch die mit einer Krankheit verbundenen Folgekosten begründet (BFH-Urteile vom 1. Dezember 1978 VI R 149/75, BFHE 126, 302, BStBl II 1979, 78, und vom 2. Dezember 1981 VI R 167/79, BFHE 135, 37, BStBl II 1982, 297). Deshalb können Aufwendungen für Besuchsfahrten zu einem in einem Krankenhaus liegenden Ehegatten nur ausnahmsweise als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, wenn die Besuche nicht lediglich einem privaten Bedürfnis entspringen, sondern unmittelbar der Heilung oder Linderung der Krankheit dienen. Die medizinische Indikation der Besuche muss nachgewiesen werden. Das bedeutet, dass nach ärztlichem Urteil gerade die Besuche durch Ehegatten oder Kinder zur Heilung oder Linderung einer bestimmten Krankheit entscheidend beitragen müssen. Dies kann regelmäßig nur der behandelnde Arzt im Krankenhaus beurteilen (Senatsurteil vom 2. März 1984 VI R 158/80, BFHE 140, 556, BStBl II 1984, 484).
bb) Nach diesen Rechtsgrundsätzen, die das FG seiner Entscheidung zutreffend zu Grunde gelegt hat, kam es im Streitfall entscheidend darauf an, ob die Besuche der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) sowie der Kinder beim Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) während seines stationären Klinikaufenthaltes medizinisch angezeigt und damit unmittelbare Krankheitskosten waren. Das FG hätte den Sachverhalt zur medizinischen Indikation der Besuchsfahrten weiter aufklären müssen. Ausweislich der Entscheidungsgründe genügte dem FG ein von den Klägern vorgelegtes Attest des behandelnden Arztes nicht, weil es nicht konkret genug sei. Damit aber hätte sich dem FG eine weitere Aufklärung zur Konkretisierung aufdrängen müssen. Wie die Kläger in der Beschwerdeschrift zutreffend vortragen, wäre sowohl eine weitere Stellungnahme des Arztes als auch dessen Vernehmung als Zeuge möglich gewesen. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Arzt auf Nachfrage sämtliche Fahrten für medizinisch indiziert erklären würde, ist eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes auch notwendig.
c) Die Kläger haben nicht wirksam auf ihr Rügerecht gemäß § 155 FGO, § 295 der Zivilprozessordnung verzichtet. Mangels richterlichen Hinweises (§ 76 Abs. 2 FGO) durften sie davon ausgehen, dass ihr bisheriger Sachverhaltsvortrag umfassend war. Es musste sich ihnen daher gerade nicht aufdrängen, eigene Beweisanträge zu stellen oder in der mündlichen Verhandlung zu rügen, dass das FG nicht von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufgeklärt hat. Erst in den Entscheidungsgründen des Urteils war erkennbar, dass das vorgelegte Attest dem FG nicht aussagekräftig genug war. In einer solchen Konstellation führt der Verstoß des FG gegen seine Hinweispflicht dazu, dass die Kläger, die in der mündlichen Verhandlung vor dem FG zudem nicht rechtskundig vertreten waren, ihr Rügerecht nicht konkludent verloren haben.
2. Der Senat hält es für ermessensgerecht, im Rahmen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens gemäß § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren. Er hebt deshalb das Urteil der Vorinstanz auf und verweist die Sache an das FG zurück, damit dieses die erforderlichen Feststellungen nachholen kann.
3. Von einer weiteren Begründung des Beschlusses wird abgesehen (§ 116 Abs. 5 Satz 2 2. Halbsatz FGO; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 59, m.w.N.).