BFH III. Senat
EStG § 9 Abs 1 S 1, EStG § 9 Abs 1 S 3 Nr 4, EStG § 9 Abs 2 S 1, EStG § 32 Abs 4 S 5, DA-FamEStG 2009 Abschn 63.4.3.1 Abs 2, FGO § 118 Abs 2, EStG § 12 Nr 1, DA-FamEStG 2004 Abschn 63.4.2.8 Abs 2, EStG § 8 Abs 3, EStG § 12 Nr 5
vorgehend FG Düsseldorf, 15. April 2008, Az: 9 K 4245/07 Kg
Leitsätze
Die zur Aufnahme oder Fortsetzung des Studiums verpflichtend zu entrichtenden Semestergebühren sind keine Mischkosten, sondern grundsätzlich insgesamt als abziehbarer ausbildungsbedingter Mehrbedarf zu qualifizieren, auch wenn der Studierende durch deren Entrichtung privat nutzbare Vorteile (z.B. Semesterticket) erlangt (entgegen Abschn. 63.4.3.1. Abs. 2 DA-FamEStG 2009) .
Tatbestand
I.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) beantragte im September 2006 für seinen im November 1979 geborenen Sohn M Kindergeld für das Kalenderjahr 2004 (Streitzeitraum).
M besuchte während des Streitzeitraums eine Universität. Er trug ‑‑was zwischen den Beteiligten unstreitig ist‑‑ besondere Ausbildungskosten in Höhe von 2.132,83 €. In diesem Betrag sind Fahrtkosten für die Wege zwischen Wohnung und Universität in Höhe von 1.680 € enthalten. Zudem bezahlte er im Streitzeitraum zweimal Semestergebühren (2 x 120,28 €) in Höhe von insgesamt 240,56 €. Bei Nichtentrichtung dieser Gebühren hätte M sein Studium nicht fortsetzen können. Zudem bestand für die Studenten bei der Rückmeldung keine Wahl, ob sie eine in diesen Gebühren ggf. enthaltene Nutzungsmöglichkeit für den öffentlichen Nahverkehr miterwerben wollten. Daneben erzielte M Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 11.902,72 € (Bruttoeinnahmen: 13.288,72 €; Werbungskosten: 1.386 €). Nach Berücksichtigung der von ihm geleisteten Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung und den vorstehend genannten Ausbildungskosten in Höhe von 2.132,83 € beliefen sich seine Einkünfte im Streitzeitraum ‑‑ohne Abzug der Semestergebühren‑‑ auf 7.816,97 €.
Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte den Antrag auf Gewährung von Kindergeld mit Bescheid vom 14. März 2007 ab, da die Einkünfte und Bezüge des M den Jahresgrenzbetrag von 7.680 € überschritten hätten. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2009, 8). Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die von M erzielten Einkünfte hätten die schädliche Grenze von 7.680 € nicht überschritten, weil der Betrag von 7.816,97 € noch um die entrichteten Semestergebühren in Höhe von 240,56 € zu reduzieren sei. Bei diesen Gebühren handele es sich um ausbildungsbedingten Mehrbedarf gemäß § 32 Abs. 4 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung (EStG). Ein Student könne sein Studium nur bei Entrichtung dieser Gebühren fortsetzen. Der Abzugsfähigkeit stehe auch nicht entgegen, dass der Student durch Zahlung der Semestergebühr ggf. eine Nutzungsmöglichkeit für den Nahverkehr erhalte. Dies ergebe sich schon daraus, dass sich der Student diesem Vorteil nicht entziehen könne. Die Auffassung des Richtliniengebers in Abschn. 63.4.2.8. Abs. 2 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes ‑‑DA-FamEStG‑‑ (Stand August 2004, BStBl I 2004, 743, 786), wonach ein Abzug der Semester- oder Rückmeldegebühren -anders als der Studiengebühren- ausscheide, sei abzulehnen.
Mit der Revision rügt die Familienkasse die unzutreffende Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG. Zur Begründung verweist sie auf die eben genannte Regelung in Abschn. 63.4.2.8. Abs. 2 DA-FamEStG 2004, wonach die Semester- oder Rückmeldegebühren nicht als besondere Ausbildungskosten zu beurteilen seien. Man habe sich hierbei von der Überlegung leiten lassen, dass diese Gebühren Mischkosten seien. Eine steuerliche Berücksichtigung darin enthaltener Einzelpositionen sei nur dann möglich, wenn die erhebende Institution diese getrennt ausweise. Hieran fehle es im Streitfall. Im Übrigen sei ein in der Semestergebühr enthaltener Aufwand für ein Semesterticket ohnehin nicht abziehbar, weil er bereits über die Entfernungspauschale berücksichtigt sei. Gleiches gelte für einen in der Semestergebühr enthaltenen ‑‑als Sozialaufwand zu qualifizierenden‑‑ Beitrag an das Studentenwerk.
Die Familienkasse beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Die Entscheidung des FG, die von M entrichteten Semestergebühren seien in voller Höhe von seinen Einkünften abzuziehen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Ein über 18 Jahre altes Kind, das ‑‑wie M im Streitzeitraum‑‑ das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, wird u.a. dann nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 4 Satz 2 EStG berücksichtigt, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird und seine zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmten oder geeigneten Einkünfte und Bezüge 7.680 € im Kalenderjahr nicht übersteigen. Im Streitfall wird die schädliche Grenze von 7.680 € nicht überschritten, weil die von M erzielten Einkünfte nach Abzug der Semestergebühren 7.576,41 € (= 7.816,97 € ./. 240,56 €) betragen.
a) Nach § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG bleiben bei der Ermittlung der schädlichen Grenze von 7.680 € Bezüge außer Ansatz, die für besondere Ausbildungszwecke bestimmt sind bzw. Einkünfte, die für solche Zwecke verwendet werden. Solche besonderen Ausbildungskosten sind alle über die Lebensführung hinausgehenden ausbildungsbedingten Mehraufwendungen (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 14. November 2000 VI R 62/97, BFHE 193, 444, BStBl II 2001, 491). Ausbildungsbedingte Mehraufwendungen, die nicht bereits als Werbungskosten (§ 9 EStG) im Rahmen einer Einkunftsart des Kindes berücksichtigt werden, sind gemäß § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG von der Summe der Einkünfte und Bezüge abzuziehen (BFH-Urteile in BFHE 193, 444, BStBl II 2001, 491; vom 23. Juli 2002 VIII R 63/00, BFH/NV 2003, 24). Dabei erfolgt die Abgrenzung zwischen Kosten der Lebensführung und dem ausbildungsbedingten Mehrbedarf in der Weise, wie dies im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses zwischen den Kosten der Lebensführung und den durch den Beruf veranlassten Kosten (Werbungskosten) geschieht. Es sind die den Abzug der jeweiligen Aufwendung betreffenden steuerlichen Vorschriften dem Grunde und der Höhe nach zu beachten (BFH-Urteile vom 25. Juli 2001 VI R 77/00, BFHE 196, 159, BStBl II 2002, 12; in BFH/NV 2003, 24).
b) Nach diesen Grundsätzen sind die von M entrichteten Semestergebühren jedenfalls als ausbildungsbedingte Mehraufwendungen gemäß § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG zu qualifizieren. Es kann daher dahinstehen, ob diese Aufwendungen ‑‑auch unter der Geltung des § 12 Nr. 5 EStG‑‑ bereits vorab im Rahmen einer Einkünfteermittlung des M als vorweggenommene Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zu berücksichtigen wären (vgl. dazu BFH-Urteil vom 28. Juli 2011 VI R 7/10, BFHE 234, 271, BFH/NV 2011, 1779).
aa) In entsprechender Anwendung der für den Werbungskostenbegriff geltenden Grundsätze (vgl. dazu Beschluss des Großen Senats des BFH vom 21. September 2009 GrS 1/06, BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672) liegt abziehbarer ausbildungsbedingter Mehrbedarf dann vor, wenn das die betreffende Aufwendung "auslösende Moment" der Ausbildungssphäre des Kindes zuzuordnen ist. Dabei bilden -jedenfalls bei willensgesteuerten Handlungen‑‑ die Gründe, die den Steuerpflichtigen bzw. das Kind zu den Aufwendungen bewogen haben, das auslösende Moment (vgl. Pezzer, Deutsches Steuerrecht 2010, 93). Diese Gründe sind anhand der gesamten Umstände des jeweiligen Einzelfalles festzustellen. Das ist grundsätzlich Aufgabe des FG als Tatsacheninstanz (Beschluss des Großen Senats in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672); das Revisionsgericht ist hieran gemäß § 118 Abs. 2 FGO grundsätzlich gebunden (vgl. BFH-Urteil vom 1. Juni 2010 VIII R 80/05, BFH/NV 2010, 1805).
bb) Nach diesen Maßstäben gelangte das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis, dass die Semestergebühren in voller Höhe als ausbildungsbedingte Mehraufwendungen zu qualifizieren sind. Nach den Feststellungen des FG liegt der maßgebliche Grund (= auslösendes Moment) für die Entrichtung der Semestergebühr in der Erlangung des Studentenstatus, um die universitäre Ausbildung überhaupt aufnehmen bzw. fortsetzen zu können. Das FG hat diesen Grund allein der Ausbildungssphäre des M, nicht auch dessen Privatsphäre zugeordnet. Als maßgeblich hierfür hat das FG insbesondere angesehen, dass der Studierende nicht frei über den Erwerb solcher in der Semestergebühr enthaltenen Positionen entscheiden kann, die ggf. auch privat nutzbare Vorteile ‑‑wie z.B. ein Semesterticket, das auch für andere Fahrten als solche zwischen Wohnung und Ausbildungsstätte (Universität) genutzt werden kann‑‑ umfassen. Vielmehr hat der Studierende, will er sein Studium aufnehmen oder fortsetzen, verpflichtend den gesamten Betrag zu entrichten. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, dass das FG eine private Mitveranlassung abgelehnt hat. Danach liegen im Streitfall -entgegen der in Abschn. 63.4.3.1. DA-FamEStG (Stand Januar 2009, BStBl I 2009, 1033, 1084) niedergelegten Auffassung‑‑ keine Mischkosten vor. Die Semestergebühren sind insgesamt als ausbildungsbedingter Mehrbedarf zu qualifizieren.
2. Der Abzug der Kosten für ein in der Semestergebühr ggf. enthaltenes Semesterticket ist auch nicht ‑‑selbst wenn es an Ausbildungstagen uneingeschränkt für Fahrten zur Universität genutzt werden kann‑‑ aus anderen Gründen ausgeschlossen.
a) Dem Abzug als ausbildungsbedingter Mehrbedarf steht nicht entgegen, dass bei M die Fahrtkosten zwischen Wohnung und regelmäßiger Ausbildungsstätte (Universität) bereits mit den Pauschbeträgen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG (Entfernungspauschale) berücksichtigt wurden.
Der abziehbare ausbildungsbedingte Mehrbedarf orientiert sich -wie bereits angeführt (vgl. II.1.a)‑‑ sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach an den entsprechend anwendbaren Vorschriften über den Werbungskostenabzug. Für die Bestimmung der abziehbaren Fahrtkosten zwischen Wohnung und Universität sind daher nicht nur die Pauschbeträge des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG heranzuziehen (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 193, 444, BStBl II 2001, 491), sondern es ist auch die Vorschrift in § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG anzuwenden. Danach sind mit der Entfernungspauschale sämtliche Aufwendungen abgegolten, die durch die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Ausbildungsstätte (Universität) veranlasst sind.
Im Streitfall scheidet jedoch eine Abgeltungswirkung gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG aus, weil die Entrichtung eines ggf. in der Semestergebühr mitenthaltenen Betrags für ein Semesterticket auf einem anderen Veranlassungszusammenhang beruht. Maßgeblicher Grund für die Entrichtung der Semestergebühr ist nicht die Erlangung eines Tickets, um die Wege zwischen Wohnung und Universität zurücklegen zu können, sondern ‑‑wie bereits angeführt (vgl. II.1.b)‑‑ die erforderliche Erlangung des Studentenstatus, um das Studium aufnehmen bzw. fortsetzen zu können.
b) Ein Abzug scheitert auch nicht daran, dass ein nur einmal getragener Aufwand nicht doppelt berücksichtigt werden kann. Vielmehr liegen mit den Semestergebühren und den Fahrten zwischen Wohnung und Universität unterschiedliche Aufwandspositionen vor. Die Semestergebühr stellt insgesamt Aufwand für das Betreiben des Studiums dar (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG analog), die Pauschbeträge des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG berücksichtigen hingegen pauschaliert und aufwandsunabhängig die Wege zwischen Wohnung und Ausbildungsstätte.
3. Schließlich ist der bei M für die Fahrten zwischen Wohnung und Universität nach den Pauschbeträgen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG gewährte Abzug auch nicht in entsprechender Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 5 i.V.m. § 8 Abs. 3 EStG zu mindern, weil das Semesterticket schon kein nach § 8 Abs. 3 EStG steuerfreier Sachbezug für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ist (vgl. z.B. Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, § 9 EStG Rz 460). Selbst wenn man die Universität in entsprechender Anwendung vorstehend genannter Vorschriften noch als "Arbeitgeber" des Studierenden betrachten würde, gehörte die Beförderungsleistung nicht zu dem Leistungsumfang der Universität.