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Urteil vom 29. Juni 2011, IX R 63/10

Teilentgeltlichkeit bei Erwerb durch Vermächtnis

BFH IX. Senat

EStG § 23 Abs 1 S 1 Nr 1, EStG § 23 Abs 1 S 3

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 19. May 2010, Az: 12 K 1737/07

Leitsätze

Der Erwerb eines Grundstücks in Erfüllung eines Vermächtnisses ist ein teilentgeltlicher und damit im Rahmen der Besteuerung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 22 Nr. 2 EStG aufteilbarer Vorgang, wenn der Vermächtnisnehmer für den Erwerb des vermachten Gegenstandes eine Gegenleistung erbringen muss, deren Wert die vermächtnisweise Zuwendung nicht ausgleicht.

Tatbestand

I.

  1. Die Beteiligten streiten um die Steuerbarkeit der Veräußerung eines von Todes wegen erworbenen Grundstücks. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute.

  2. Die Klägerin und ihre Schwester sind aufgrund notariellen Testaments die alleinigen Erbinnen zu gleichen Teilen ihrer verstorbenen Mutter (Erblasserin). In § 3 des Testaments räumte die Erblasserin der Klägerin das Recht ein, nach ihrem Tod ihren gesamten Grundbesitz (Grundstück mit Wohnhaus und Landwirtschaftsflächen) zu übernehmen. Hierfür sollte die Klägerin an ihre Schwester einen Betrag von 25 % des auf den Tod der Erblasserin festzustellenden Verkehrswerts des Grundbesitzes bezahlen.

  3. Nach dem Tod der Erblasserin am 5. Mai 2002, die keine weiteren Vermögenswerte hinterließ, nahm die Klägerin das Übernahmerecht mit Schreiben vom 12. Februar 2003 wahr und bot ihrer Schwester mit notariellem Angebot vom 16. April 2003 den Abschluss eines Grundstücksübertragungsvertrags an. Hierin war u.a. bestimmt, dass die Klägerin 25 % des geschätzten Verkehrswertes von 238.800 € an ihre Schwester bezahlen sollte, was "einem Übernahmepreis von 50 % des Verkehrswerts bei hiermit erfolgter sofortiger Aufteilung unter den beiden Erben im Wege der Teilerbauseinandersetzung entspricht" (§ 1 Nr. 5 des Grundstücksübertragungsvertrags). Die Schwester der Klägerin nahm das Angebot an und die Klägerin leistete vereinbarungsgemäß 59.700 € an ihre Schwester.

  4. Mit notariellem Vertrag vom 7. April des Streitjahres (2004) veräußerte die Klägerin den Grundbesitz zu einem Preis von insgesamt 240.000 €. In ihrer Einkommensteuererklärung erfasste die Klägerin den Veräußerungsvorgang nicht.

  5. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) ging ‑‑veranlasst durch eine Veräußerungsmitteilung‑‑ davon aus, dass die Klägerin die nicht auf ihren eigenen Erbanteil entfallende Grundstückshälfte entgeltlich von ihrer Schwester erworben habe und sah in der Weiterveräußerung ein privates Veräußerungsgeschäft. Den Gewinn ermittelte er, indem er vom erzielten Grundstücksveräußerungspreis 120.000 € der Grundstückshälfte der Schwester zurechnete und hiervon die Anschaffungskosten von 59.700 € abzog. Den Differenzbetrag, vermindert um die Veräußerungskosten (2.642 €), unterwarf das FA in Höhe von 57.658 € als Veräußerungsgewinn der Besteuerung.

  6. Mit dem dagegen eingelegten Einspruch begehrte die Klägerin, lediglich einen Veräußerungsgewinn von 300 € anzusetzen, weil sie das Grundstück lediglich zu einem Viertel entgeltlich erworben habe. Sie habe ein Viertel des Grundstücks durch die Ausgleichszahlung angeschafft.

  7. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 706 veröffentlichten Urteil zur Begründung aus, im Streitfall sei ein Vorausvermächtnis (§ 2150 des Bürgerlichen Gesetzbuches ‑‑BGB‑‑) und keine Erbauseinandersetzung anzunehmen. Es handele sich um ein Kaufrechtsvermächtnis, dessen Gegenstand das Übernahmerecht als solches sei. Das Grundstück werde zur Hälfte (nämlich die Hälfte der Schwester) entgeltlich erworben. Soweit einem Wirtschaftgut Anschaffungskosten zugeordnet würden, werde es angeschafft.

  8. Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger, die sie auf Verletzung materiellen Rechts (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres ‑‑EStG‑‑) stützen. Es müsste das Verhältnis der Ausgleichsleistung zum übernommenen Vermögen angesetzt werden. Es komme darauf an, ob das Kaufrechtsvermächtnis einkommensteuerrechtlich im Rahmen der Erbauseinandersetzung wie eine Ausgleichszahlung behandelt werde oder ob außerhalb der Erbauseinandersetzung ein eigener Tatbestand vorliege. Die Erfüllung von Erbfallschulden stelle normalerweise keinen Anschaffungs- und Veräußerungsvorgang dar.

  9. Die Kläger beantragen sinngemäß,

    das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 23. März 2010 insoweit zu ändern, als keine Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften der Besteuerung zugrunde gelegt werden.

  10. Das FA beantragt,

    die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, die Klägerin hätte die Hälfte des Grundstücks entgeltlich erworben, und verletzt damit § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG.

  2. 1. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7, § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG sind Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften bei Grundstücken steuerbar, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Im Streitfall hatte die Klägerin das Grundstück nur zu einem Viertel entgeltlich erworben und deshalb keinen Veräußerungsgewinn realisiert. Ist der Klägerin für den unentgeltlichen Erwerb zu drei Viertel nämlich die ‑‑außerhalb der Veräußerungsfrist gelegene‑‑ Anschaffung der Rechtsvorgängerin zuzuordnen, steht den Anschaffungskosten für den entgeltlich erworbenen Grundstücksteil von 59.700 € lediglich ein Veräußerungspreis von 60.000 € gegenüber, so dass sich nach Abzug der Veräußerungskosten kein Gewinn ergibt.

  3. Die Klägerin hat das Grundstück aufgrund des testamentarisch eingeräumten Vermächtnisses zu drei Viertel unentgeltlich ‑‑und damit nur zu einem Viertel entgeltlich‑‑ erworben.

  4. a) Der Senat pflichtet dem FG und den Beteiligten dahin bei, dass Rechtsgrundlage für den Erwerb des Grundstücks das testamentarisch eingeräumte Übernahmerecht ist.

  5. Wenn die Erblasserin in § 3 des notariellen Testaments der Klägerin das Recht einräumt, das Grundstück zu übernehmen, so ordnet sie ein Vorausvermächtnis (§ 2150 BGB) an. Aufgrund dessen erwirbt die bedachte Klägerin mit dem Tod der Erblasserin eine aufschiebend bedingte Forderung gemäß § 2174 BGB gegen den Beschwerten (hier die Erbengemeinschaft) auf Übertragung des Grundstücks gegen Zahlung des von der Erblasserin festgelegten Preises (vgl. zu Kaufrechtsvermächtnissen eingehend die Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 13. August 2008 II R 7/07, BFHE 222, 71, BStBl II 2008, 982, und vom 8. Oktober 2008 II R 15/07, BFHE 222, 93, BStBl II 2009, 245). Da die Erblasserin der Klägerin als begünstigter Miterbin über ihren Erbteil hinaus etwas zuwenden will (nämlich das gesamte Grundstück zu einem Preis, der unter dem Verkehrswert der Kaufsache liegt; vgl. dazu BFH-Urteil vom 6. Juni 2001 II R 76/99, BFHE 195, 415, BStBl II 2001, 605), erschöpft sich die Regelung nicht in einer Verteilung der Nachlassgegenstände im Rahmen der Erbteile (hier zu je 1/2) und es handelt sich damit nicht um eine Teilungsanordnung (§ 2048 BGB), sondern um ein Vermächtnis (vgl. zur Abgrenzung BFH-Urteil vom 15. März 1994 IX R 84/89, BFH/NV 1994, 847).

  6. b) Der Erwerb von Vermögen aufgrund eines Vermächtnisses ist zwar regelmäßig ein unentgeltlicher Vorgang. Etwas anderes gilt indes dann, wenn der Vermächtnisnehmer für den Erwerb des vermachten Gegenstandes eine Gegenleistung erbringen muss (BFH-Urteil vom 13. November 2002 I R 110/00, BFH/NV 2003, 820; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 14. März 2006, BStBl I 2006, 253, Tz 63; aus dem Schrifttum vgl. z.B. Reiß in Kirchhof, EStG, 10. Aufl., § 16 Rz 92). So liegt ein in vollem Umfang entgeltliches Geschäft vor, wenn der Vermächtnisnehmer für den Erwerb des vermachten Gegenstandes eine Gegenleistung erbringen muss, deren Wert die vermächtnisweise Zuwendung annähernd ausgleicht (so BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 820). Ist das aber nicht der Fall, muss also der Vermächtnisnehmer den Wert der Zuwendung nicht voll ausgleichen, handelt es sich um ein teilentgeltliches Erwerbsgeschäft, das in einen entgeltlichen und in einen unentgeltlichen Teil aufzuteilen ist (vgl. BFH-Urteil vom 31. Mai 2000 IX R 50, 51/97, BFH/NV 2000, 1396; vgl. dazu die h.M. im Schrifttum, z.B. Musil in Herrmann/Heuer/Raupach ‑‑HHR‑‑, § 23 EStG Rz 236; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 30. Aufl., § 23 Rz 43; Blümich/Glenk, § 23 EStG Rz 98, jeweils m.w.N.).

  7. c) Nur in Bezug auf den entgeltlichen Teil des Erwerbs liegt ein Anschaffungsvorgang vor und erfüllt die bedachte Klägerin mithin die Voraussetzungen eines steuerbaren Veräußerungsgeschäfts. Soweit sie unentgeltlich erworben hat, ist ihr nach § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG die Anschaffung durch den Rechtsvorgänger zuzurechnen. Da der Vermächtnisnehmer nicht Gesamt- oder Einzelrechtsnachfolger des Erblassers ist (BFH-Urteil vom 6. März 1975 IV R 213/71, BFHE 116, 254, BStBl II 1975, 739), ist er Einzelrechtsnachfolger der Erbengemeinschaft, die ihrerseits den Nachlass unentgeltlich erworben und damit nicht angeschafft hat (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 5. Juli 1990 GrS 2/89, BFHE 161, 332, BStBl II 1990, 837; BFH-Beschluss vom 28. Januar 1998 VIII B 9/97, BFH/NV 1998, 959). Selbst wenn die Anschaffung durch den Erblasser gegen die Erbengemeinschaft wirkt (vgl. dazu Wernsmann, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 23 Rz B 81; HHR/Musil, § 23 EStG Rz 236) und die Klägerin nach § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG in diese Position eintritt, ist für eine Veräußerung in laufender Veräußerungsfrist nichts ersichtlich.

  8. 2. Da das angefochtene Urteil den dargelegten Maßstäben nicht entspricht, ist es aufzuheben.

  9. a) Das FG geht unzutreffend davon aus, die Klägerin hätte Anschaffungskosten für die zusätzlich zu ihrem Erbteil erworbene Grundstückshälfte der Schwester getragen. Die Klägerin erwarb aber nicht nur ‑‑wie das FG ausführt‑‑ in Höhe ihres eigenen Anteils am Grundstückswert unentgeltlich. Vielmehr erwarb die Klägerin durch den Erbfall zunächst nur einen Anteil an der Erbengemeinschaft und eben nicht einen Anteil am Grundbesitz. Hinterlässt ein Erblasser mehrere Erben, so geht sein Vermögen mit seinem Tode im Ganzen auf die Erben über und wird bei ihnen zu gemeinschaftlichem Vermögen (§ 1922 Abs. 1, § 2032 Abs. 1 BGB). Das Grundstück, um das es hier geht, ging also auf die Erbengemeinschaft über. Von dieser erwarb es schließlich die Klägerin, und zwar ‑‑wie dargelegt‑‑ zu drei Viertel unentgeltlich. Rechtsgrundlage für diesen Erwerb ist das Vorausvermächtnis, mit dem die Erblasserin die Klägerin bedachte und mit dem sie die Erbengemeinschaft, bestehend aus der Klägerin und ihrer Schwester, belastete. In Erfüllung dieses Vermächtnisses gemäß § 2174 BGB kam sodann der Grundstücksübertragungsvertrag vom 17. April 2003 zustande, mit dem die Erbengemeinschaft der Klägerin ‑‑in einer mit "Teilerbauseinandersetzung" (§ 2 des Vertrags) überschriebenen Klausel‑‑ das Grundstück übertrug.

  10. b) Die Klägerin hat mit der Veräußerung des Grundstücks für 240.000 € ein nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG steuerbares Veräußerungsgeschäft nur insoweit verwirklicht, als sie das Grundstück aufgrund des Grundstücksübertragungsvertrags in Erfüllung des Vermächtnisses entgeltlich erworben hatte. Dies geschah hier in Höhe von 25 %. Denn die Klägerin musste lediglich einen Betrag von 25 % des Verkehrswerts an die Miterbin zahlen. Damit ist den Anschaffungskosten von 59.700 € ein anteiliger Veräußerungspreis von 60.000 € gegenüberzustellen, so dass sich unter Berücksichtigung von unstreitigen Veräußerungskosten kein Gewinn nach § 23 Abs. 3 EStG ergibt.

  11. 3. Die Sache ist spruchreif; der Klage ist stattzugeben. Die Klägerin hat nach den tatsächlichen Feststellungen des FG keinen Veräußerungsgewinn erzielt.

  12. Ob, wie die Klägerin in ihrer Revisionsbegründung vorträgt, darüber hinaus ein Verlust entstanden ist, kann offenbleiben, weil sie explizit den Antrag gestellt hat, keine Einkünfte zu berücksichtigen. Der BFH darf nach § 96 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 121 FGO nicht über diesen Antrag hinausgehen.

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