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Urteil vom 12. Januar 2011, I R 35/10

Kein negativer Progressionsvorbehalt für nach § 2a EStG 2002 nicht zu berücksichtigende Auslandsverluste - Ziel des § 32b EStG

BFH I. Senat

EStG § 2a Abs 1 S 1 Nr 6 Buchst a, EStG § 32b Abs 1 Nr 3, EStG § 32b Abs 2 S 1 Nr 2, DBA USA Art 6, DBA USA Art 23 Abs 3 Buchst a

vorgehend FG Hamburg, 25. April 2010, Az: 3 K 234/09

Leitsätze

Nach einem DBA steuerfreie negative ausländische Einkünfte i.S. des § 2a EStG 2002 sind auch nach dem Übergang von der sog. Schattenveranlagung zur sog. Hinzurechnungsmethode nicht im Wege des negativen Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen .

Tatbestand

I.

  1. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hatte im Streitjahr 2007 ‑‑zwischen den Beteiligten unstreitig‑‑ ein zu versteuerndes Einkommen von 242.817 €. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) erließ antragsgemäß am 5. Januar 2010 einen Einkommensteuerbescheid 2007. Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein und beantragte, Verluste aus Vermietung und Verpachtung aus dem Projekt A in den USA in Höhe von umgerechnet 669.454 € zu berücksichtigen. Diese Verluste könnten zwar gemäß § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) nicht mit den übrigen positiven Einkünften ausgeglichen werden. Jedoch sei auf ihr zu versteuerndes Einkommen der besondere Steuersatz gemäß § 32b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 1 Nr. 3 EStG 2002 i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2878, BStBl I 2007, 28) i.V.m. Art. 6 und Art. 23 Abs. 3 Buchst. a des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und einiger anderer Steuern vom 29. August 1989 (BGBl II 1991, 355, BStBl I 1991, 95) i.d.F. vor Inkrafttreten des Protokolls vom 1. Juni 2006 zur Änderung des am 29. August 1989 unterzeichneten Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und einiger anderer Steuern (BGBl II 2006, 1186, BStBl I 2008, 767) ‑‑DBA-USA 1989 a.F.‑‑ anzuwenden.

  2. § 2a Abs. 1 EStG 2002 gelte im Rahmen dieses negativen Progressionsvorbehalts nicht. Zwar habe der Bundesfinanzhof (BFH) mehrfach entschieden, dass die Beschränkungen des § 2a EStG auch beim negativen Progressionsvorbehalt gälten. Diese Entscheidungen seien jedoch alle zu der bis 1995 geltenden Rechtslage ergangen, als für den negativen Progressionsvorbehalt noch das Prinzip der sogenannten "Schattenveranlagung" gegolten habe. Diese Schattenveranlagung sei durch den Gesetzgeber mit Wirkung ab 1996 abgeschafft worden. Für die neue Rechtslage passten die Argumente des BFH nicht mehr. Im Wortlaut fänden sich weder bei § 2a EStG 2002 noch bei § 32b Abs. 1 EStG 2002 Anhaltspunkte für eine solche Beschränkung. Seit 1996 werde daher der negative Progressionsvorbehalt durch § 2a EStG nicht mehr eingeschränkt.

  3. Das Finanzgericht (FG) Hamburg wies die Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 1322 veröffentlichtem Urteil vom 26. April 2010  3 K 234/09 ab.

  4. Die Klägerin rügt mit ihrer Revision eine Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt, das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung vom 12. Oktober 2009 aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheids vom 5. Januar 2010 die Einkommensteuer auf 0 € festzusetzen.

  5. Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist zulässig. Die Klägerin hat deutlich gemacht, welche Rechtsnormen das FG ihres Erachtens verletzt hat, und hat dies im Einzelnen dargelegt. Die Begründung genügt daher den Anforderungen des § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Revision ist aber unbegründet. Das FG hat zu Recht angenommen, dass die Anwendung des negativen Progressionsvorbehalts gemäß § 32b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG 2002 wegen der Regelung in § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a EStG 2002 ausgeschlossen ist.

  2. 1. Die Verluste der Klägerin aus ihrem in den USA belegenen Grundbesitz sind gemäß Art. 6 i.V.m. Art. 23 Abs. 2 Buchst. a DBA-USA 1989 a.F. im Inland steuerfrei und dürfen deshalb bei der Ermittlung der Einkommensteuer-Bemessungsgrundlage nicht zum Ausgleich steuerpflichtiger Einkünfte verwendet werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 11. März 2008 I R 116/04, BFH/NV 2008, 1161; Senatsurteil vom 17. Juli 2008 I R 84/04, BFHE 222, 398, BStBl II 2009, 630). Nach diesen Vorschriften des DBA-USA 1989 a.F. ist die steuerliche Berücksichtigung von Einkünften aus unbeweglichem Vermögen ausschließlich dem Belegenheitsstaat ‑‑im Streitfall den USA‑‑ zugewiesen.

  3. 2. Diese negativen ausländischen Einkünfte der Klägerin können nicht gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002 im Wege des sog. negativen Progressionsvorbehalts berücksichtigt werden.

  4. a) Hat ein unbeschränkt Steuerpflichtiger Einkünfte, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) steuerfrei sind, so ist auf das nach § 32a Abs. 1 EStG 2002 zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden (§ 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 2002). Der besondere Steuersatz nach Abs. 1 ist der Steuersatz, der sich ergibt, wenn bei der Berechnung der Einkommensteuer das nach § 32a Abs. 1 EStG 2002 zu versteuernde Einkommen um die steuerfreien Einkünfte vermehrt oder vermindert wird (§ 32b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002).

  5. b) § 32b Abs. 2 EStG 2002 hat seine Fassung durch das Jahressteuergesetz 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) erhalten. Nach der bis 1995 geltenden Fassung ermittelte sich der besondere Steuersatz nach Abs. 1 dadurch, dass bei der Berechnung der Einkommensteuer die ausländischen Einkünfte, die nach einem DBA steuerfrei waren, einbezogen wurden. Der Senat hat zu dieser Fassung des § 32b Abs. 2 EStG wiederholt entschieden, dass die Anwendung des Progressionsvorbehalts dazu führen muss, dass die der deutschen Besteuerung unterliegenden Einkünfte derjenigen prozentualen Belastung unterworfen werden, die sich ergäben, wenn das DBA nicht vorhanden wäre (Prinzip der sog. Schattenveranlagung, Senatsurteile vom 17. Oktober 1990 I R 182/87, BFHE 162, 307, BStBl II 1991, 136; vom 13. November 1991 I R 3/91, BFHE 166, 233, BStBl II 1992, 345; vom 20. September 2006 I R 13/02, BFH/NV 2007, 410; BFH-Urteil vom 13. Mai 1993 IV R 69/92, BFH/NV 1994, 100). Wie der Senat in diesen Urteilen ebenfalls entschieden hat, schließt nach dieser Gesetzesfassung § 2a EStG die Berücksichtigung der dort bezeichneten ausländischen Einkünfte im Rahmen des Progressionsvorbehalts aus.

  6. c) Durch die Neufassung des § 32b Abs. 2 EStG mit Wirkung ab 1996, nach der zur Berechnung des Steuersatzes das zu versteuernde Einkommen um die nach einem DBA steuerfreien Einkünfte zu vermehren oder zu vermindern ist (sog. Hinzurechnungsmethode), hat sich an diesem Ergebnis nichts geändert (gl. A. Mössner in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 2a Rz A 28c ff.; Frenz, dortselbst, § 32b Rz A 83 f.; Gosch in Kirchhof, EStG, 9. Aufl., § 2a Rz 48; Blümich/Wagner, § 32b EStG Rz 36; Handzik in Littmann/Bitz/Pust, Einkommensteuerrecht, § 32b Rz 30; a.A. Probst in Herrmann/Heuer/Raupach, § 32b EStG Rz 136 "Verlustausgleich"; Beck, Internationales Steuerrecht 2007, 53). Die Gesetzesänderung diente allein dazu, die als zu aufwendig empfundene Technik der Schattenveranlagung aus Gründen der Vereinfachung des Progressionsvorbehalts abzuschaffen (BTDrucks 13/901, S. 127, 136). Einkünfte, die in einem DBA freigestellt werden, unterliegen jedoch nach wie vor nur dann dem Progressionsvorbehalt, wenn es sich um Einkünfte handelt, die nach deutschem Recht der Besteuerung unterliegen. Unter Einkünften i.S. des § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 2002 sind die in § 2 Abs. 1 und 2 EStG 2002 genannten Einkünfte zu verstehen, die unter Anwendung der einschlägigen Vorschriften des Einkommensteuergesetzes ermittelt werden. Gemäß § 2a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a EStG 2002 dürfen negative Einkünfte aus der Vermietung oder der Verpachtung von unbeweglichem Vermögen, das in einem ausländischen Staat belegen ist, nur mit positiven Einkünften der jeweils selben Art aus demselben Staat ausgeglichen werden; auch ein Abzug nach § 10d EStG 2002 ist ausgeschlossen. Sind ‑‑wie im Streitfall‑‑ positive Einkünfte nicht erzielt worden, handelt es sich nicht um in die Bemessungsgrundlage einzubeziehende Einkünfte und damit auch nicht um Einkünfte i.S. des § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 2002.

  7. d) Dieses Auslegungsergebnis entspricht dem Zweck der Vorschrift. Ziel des § 32b EStG 2002 ist es, die im Inland steuerpflichtigen Einkünfte entsprechend der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mit dem Steuersatz zu besteuern, der für das Welteinkommen anzuwenden wäre (vgl. Senatsurteil vom 19. Dezember 2001 I R 63/00, BFHE 197, 495, BStBl II 2003, 302). Dieser Absicht liefe es aber zuwider, wenn Verluste in die Berechnung des Progressionsvorbehalts einbezogen würden, die im Fall der Steuerpflicht der Einkünfte nicht zu berücksichtigen wären. Es wäre sinnwidrig, wollte § 2a EStG 2002 zwar den Abzug ausländischer Verluste beschränken, die unter kein DBA oder ein DBA mit Anrechnungsverfahren fallen, den steuermindernden Abzug solcher Verluste bei der Festsetzung des Steuersatzes aber zulassen. In letzterem Fall ist gleichermaßen eine nach dem Gesetzeszweck unerwünschte Steuerersparnis zu besorgen (so bereits Senatsurteil in BFHE 162, 307, BStBl II 1991, 136).

  8. e) Wie das FG zu Recht ausgeführt hat, ist auch der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass Einkünfte, die unter § 2a EStG fallen, durch ein DBA aber freigestellt werden, nicht im Wege des negativen Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen sind. Denn die damalige Bundesregierung hatte im Gesetzgebungsverfahren zu § 2a EStG auf die Befürchtung des Bundesrats, der neue § 2a EStG könne bewirken, dass die entsprechenden nach den jeweiligen DBA steuerfreien Verluste im Wege des Progressionsvorbehalts berücksichtigt würden (BTDrucks 9/2140, S. 124), ausgeführt, eine Klarstellung sei nicht erforderlich, weil § 2a EStG die Ermittlung der Einkünfte bereits im Vorfeld regle. Zwar würden nach § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG (positive und negative) ausländische Einkünfte, die nach dem DBA steuerfrei seien, bei der Berechnung des Tarifs für die übrigen Einkünfte angesetzt. Dies gelte jedoch nur für solche Einkünfte, die nicht bereits nach deutschem Recht ohne Anwendung eines DBA von der Berücksichtigung ausgeschlossen seien (BTDrucks 9/2140, S. 124; vgl. auch BTDrucks 9/2290, S. 8).

  9. f) Unbeachtlich ist schließlich, dass Art. 23 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 DBA-USA 1989 a.F. es Deutschland ermöglicht, die durch das DBA freigestellten Einkünfte im Wege des Progressionsvorbehalts zu erfassen. Dies bedeutet nicht, dass Deutschland verpflichtet wäre, diese Einkünfte in den Progressionsvorbehalt einzubeziehen. Rechtsgrundlage für den negativen Progressionsvorbehalt ist vielmehr ausschließlich § 32b EStG 2002 (Senatsurteil in BFHE 197, 495, BStBl II 2003, 302; Senatsbeschluss vom 4. April 2007 I R 110/05, BFHE 217, 535, BStBl II 2007, 521). Auch wenn ein DBA einen Progressionsvorbehalt vorsieht, setzt dessen Anwendung voraus, dass die betreffenden Verluste nach innerstaatlichem Recht überhaupt zu berücksichtigen sind. Das ist aber nach der im Streitjahr geltenden Fassung des § 2a EStG 2002 nicht der Fall.

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