BFH II. Senat
BewG § 14 Abs 1, BewG § 15 Abs 3, BewG § 16, BewG § 138 Abs 5 S 1, BewG § 146, ErbStR R 17 Abs 5 S 3 Halbs 2, ErbStG § 7 Abs 1 Nr 1, ErbStG § 11
vorgehend FG München, 22. January 2008, Az: 4 K 4101/05
Leitsätze
1. Bei der Berechnung des Höchstwerts i.S. des § 16 BewG ist bei einem bebauten Grundstück auf die Gesamtregelung des § 146 BewG einschließlich der Mindestwertregelung des § 146 Abs. 6 BewG abzustellen.
2. Eine gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts für Zwecke des § 16 BewG ist entbehrlich, wenn aufgrund eines bereits gesondert festgestellten Grundbesitzwerts eine weitere gesonderte Feststellung für den Stichtag denselben Grundbesitzwert ergäbe.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und ihre beiden Geschwister erhielten von ihrer Mutter aufgrund notarieller Urkunde vom 28. Dezember 2002 zu gleichen Teilen ein vermietetes bebautes Grundstück geschenkt. Die Mutter behielt sich ein lebenslanges, unentgeltliches Nießbrauchsrecht an dem Grundstück, das eine durchschnittliche Jahreskaltmiete von 88.732 € erzielte, vor.
Ein von der Klägerin zum Nachweis eines geringeren gemeinen Werts vorgelegtes Sachverständigengutachten bewertete das Grundstück unter Berücksichtigung der Nießbrauchsbelastung von 916.000 € mit 850.000 €. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) übernahm diesen vom FA M im Bescheid vom 22. Oktober 2003 gesondert festgestellten (Bedarfs-)Wert im Schenkungsteuerbescheid vom 21. Januar 2004 und setzte gegen die Klägerin die Steuer für den Erwerb des Grundstücks auf 17.391 € fest. Der Grund und Boden hat laut Feststellungsbescheid vom 22. Oktober 2003 allein als unbebautes Grundstück einen Wert von 1.682.500 €.
Am 15. Juli 2004 verzichtete die 70-jährige Mutter der Klägerin auf den vorbehaltenen Nießbrauch gegen eine monatliche Zahlung von 3.000 €, die bei einem Mehrbedarf insbesondere wegen Pflegebedürftigkeit abänderbar war (Wertsicherungsklausel). Das FA sah in dem Nießbrauchsverzicht eine gemischte Schenkung und setzte mit Bescheid vom 15. Juli 2005 gegen die Klägerin die Schenkungsteuer auf 32.619 € fest. Dabei übernahm es den Verkehrswert des aufgegebenen Nießbrauchs aus dem Sachverständigengutachten (916.000 €). Den Verkehrswert der dauernden Last (323.640 €) ermittelte es nach § 14 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (BewG). Bei der Berechnung des Steuerwerts des aufgegebenen Nießbrauchs begrenzte das FA den Jahreswert der Nutzung gemäß § 16 BewG ‑‑ausgehend vom Mindestwert des Grundstücks‑‑ auf 90.456 €.
Nach erfolglosem Einspruch setzte das Finanzgericht (FG) die Steuer auf 30.029 € herab. Bei der Berechnung der Bereicherung ging das FG von einem Verkehrswert des aufgegebenen Nießbrauchs gemäß § 14 Abs. 1 BewG i.V.m. der Anlage 9 zu § 14 BewG in Höhe von 797.700 € (Jahresmiete 88.732 € x 8,990) aus, wovon auf die Klägerin 265.900 € entfielen. Den Verkehrswert der dauernden Last bestimmte das FG ebenfalls nach § 14 Abs. 1 BewG auf 323.640 € (Anteil der Klägerin: 107.880 €). Die Wertsicherungsklausel blieb mangels Pflegebedürftigkeit der Mutter unberücksichtigt. Das FG bejahte auch den subjektiven Tatbestand der freigebigen Zuwendung, weil der vom FG als Zeugin vernommenen Mutter der Klägerin nach deren Angaben das deutliche Missverhältnis zwischen den Verkehrswerten des aufgegebenen Nießbrauchs (797.700 €) und der dauernden Last (323.640 €) bekannt gewesen sei. Das Urteil ist in Deutsches Steuerrecht/ Entscheidungsdienst 2009, 1111 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt die Klägerin fehlerhafte Anwendung von § 7 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG), § 11 ErbStG, § 16 BewG und § 138 Abs. 5 Satz 1 BewG. Sie sei durch den Nießbrauchsverzicht der Mutter bereits objektiv nicht bereichert worden. Zum einen sei der vom FG angesetzte Verkehrswert des aufgegebenen Nießbrauchs zu hoch. Das FG habe den Jahreswert der Nutzung von 88.732 € (Jahreskaltmiete) zu Unrecht nicht nach § 16 BewG begrenzt. Für das Eingreifen eines Mindestwerts nach § 146 Abs. 6 BewG bestünden keine Anhaltspunkte. Außerdem sei eine gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts nach § 138 Abs. 5 Satz 1 BewG auf den Zeitpunkt des Nießbrauchsverzichts zu Unrecht unterblieben. Zum anderen sei der Verkehrswert der Gegenleistung vom FG zu niedrig angesetzt worden, weil es den möglichen Mehrbedarf der Mutter infolge Pflegebedürftigkeit nicht mit einbezogen habe. Das FG habe ferner den subjektiven Schenkungsteuertatbestand unter Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) festgestellt. Die Beweisaufnahme habe eindeutig ergeben, dass die Mutter mit der Aufhebung des Nießbrauchs weder bewusst noch gewollt etwas zugewendet habe. Sie sei davon ausgegangen, dass sie auch nach ihrem Nießbrauchsverzicht über gleichviel Geld verfügen könne.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und den Schenkungsteuerbescheid vom 15. Juli 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Oktober 2005 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zutreffend im Verzicht auf den Nießbrauch gegen die Übernahme einer dauernden Last eine steuerpflichtige gemischte Schenkung gesehen und auch die Bereicherung der Klägerin richtig bestimmt.
1. Der Schenkungsteuertatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG setzt objektiv eine Vermögensverschiebung voraus, d.h. eine Vermögensminderung auf der Seite des Zuwendenden und eine Vermögensmehrung auf der Seite des Bedachten, und subjektiv den Willen des Zuwendenden zur Freigebigkeit.
a) Im Falle der so genannten gemischten Schenkung ist der objektive Tatbestand einer freigebigen Zuwendung erfüllt, wenn gemessen am Verkehrswert einer höherwertigen Leistung eine Gegenleistung von geringerem Wert gegenübersteht und die höherwertige Leistung neben Elementen der Freigebigkeit auch Elemente eines Austauschvertrages enthält, ohne dass sich die höherwertige Leistung in zwei selbständige Leistungen aufteilen lässt (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 19. Dezember 2007 II R 22/06, BFH/NV 2008, 962, m.w.N.).
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Der Verkehrswert des aufgegebenen Nießbrauchs war erheblich höher als der Verkehrswert der von der Klägerin und ihren Geschwistern übernommenen Zahlungen. Dies zeigt sich unabhängig von der genauen Berechnung der Verkehrswerte von Leistung und Gegenleistung (dazu nachfolgend 2.) bereits darin, dass die von der Mutter noch als Nießbraucherin vereinnahmte Miete (jährlich 88.732 €) deutlich höher war als der nach dem Nießbrauchsverzicht bestehende Versorgungsanspruch (jährlich 36.000 €).
b) Da die Jahresmiete die jährlichen Versorgungsleistungen um etwa das Zweieinhalbfache überstieg, ist ferner davon auszugehen, dass die Mutter der Klägerin das auffallend grobe Missverhältnis erkannt hat, so dass sie in dem Bewusstsein handelte, für den Nießbrauchsverzicht keine gleichwertige Gegenleistung zu erhalten.
Bei einer gemischten Schenkung muss bei einem auffallend groben Missverhältnis zwischen den Verkehrswerten von Leistung und Gegenleistung nach der Lebenserfahrung zunächst davon ausgegangen werden, dass die Vertragsparteien dieses Missverhältnis erkannt haben, ohne dass es auf die Kenntnis des genauen Ausmaßes des Wertunterschiedes ankommt (vgl. dazu auch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. März 1981 IVa ZR 154/80, Neue Juristische Wochenschrift 1981, 1956). In einem solchen Fall muss derjenige, der behauptet, zumindest dem Zuwendenden sei das auffallend grobe Missverhältnis nicht bekannt gewesen, dies durch konkreten Vortrag entkräften (vgl. BFH-Urteile vom 10. September 1986 II R 81/84, BFHE 148, 69, BStBl II 1987, 80; vom 5. Dezember 1990 II R 109/86, BFHE 163, 223, BStBl II 1991, 181; vom 1. Juli 1992 II R 70/88, BFHE 168, 380, BStBl II 1992, 921). An einem solchen Vortrag der Klägerin fehlt es. Die Beweiswürdigung des FG lässt insoweit keinen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO erkennen.
2. Das Ausmaß der Bereicherung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG) bestimmt sich bei einer gemischten Schenkung nach dem Verhältnis des Verkehrswerts der Bereicherung des Beschenkten zum Verkehrswert der Leistung des Schenkers; die Gegenleistung ist entsprechend ihrem Anteil am Verkehrswert der Leistung des Zuwendenden von deren Steuerwert abzuziehen (BFH-Urteil vom 24. November 2005 II R 11/04, BFH/NV 2006, 744, m.w.N.).
a) Der Verkehrswert des Nießbrauchsverzichts beträgt insgesamt 797.700 €, wovon auf die Klägerin 265.900 € entfallen. Der Jahreswert der Nutzung gemäß § 15 Abs. 3 BewG (Jahreskaltmiete von 88.732 €) war nach § 14 Abs. 1 BewG i.V.m. der Anlage 9 zu § 14 BewG entsprechend dem Alter der Mutter (70 Jahre) mit dem Vervielfältiger von 8,990 zu multiplizieren.
Als Verkehrswert der Leistung des Schenkers und der Gegenleistung des Beschenkten ist jeweils der gemeine Wert i.S. des § 9 BewG anzusetzen (BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 744). Bei seiner Feststellung sind (mit Ausnahme ungewöhnlicher oder persönlicher Verhältnisse) alle Umstände zu berücksichtigen, die den Preis beeinflussen können (§ 9 Abs. 2 BewG; BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 962, m.w.N.).
Das FA kann bei der Festsetzung der Schenkungsteuer für eine gemischte Schenkung aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung lebenslängliche Nutzungen und Leistungen mit dem sich aus § 14 Abs. 1 BewG i.V.m. der Anlage 9 zu § 14 BewG ergebenden Kapitalwert ansetzen, wenn nicht der Steuerpflichtige den Ansatz des Verkehrswerts verlangt. Der Verkehrswert entspricht dem Betrag, der auf der Grundlage der bei Rentenbeginn maßgebenden (abgekürzten) Sterbetafel des Statistischen Bundesamtes für die Begründung eines den getroffenen Vereinbarungen entsprechenden Rentenanspruchs zugunsten des Schenkers oder der vertraglich bestimmten Person an ein Lebensversicherungsunternehmen entrichtet werden müsste (vgl. BFH-Urteil vom 8. Februar 2006 II R 38/04, BFHE 213, 102, BStBl II 2006, 475, unter II.3.).
Eine Bewertung anhand der Anlage 9 zu § 14 BewG nach der allgemeinen Lebenserwartung des Schenkers kommt lediglich dann nicht in Betracht, wenn am Bewertungsstichtag bei objektiver Betrachtung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorauszusehen ist, dass die Lebenserwartung des Leistungsempfängers geringer sein würde als allgemein für Personen gleichen Alters (BFH-Urteil vom 17. Oktober 2001 II R 72/99, BFHE 196, 296, BStBl II 2002, 25, unter II.4.).
Im Streitfall durfte das FG den Verkehrswert des aufgegebenen Nießbrauchs anhand der Anlage 9 zu § 14 BewG bestimmen. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das FG dabei das Stichtagsprinzip (§ 11 ErbStG) beachtet. Es ist insoweit zu Recht von der Berechnung des FA abgewichen, das den Nießbrauchswert aus dem Sachverständigengutachten zugrunde gelegt hat, obwohl dort der Nießbrauch auf den Zeitpunkt der über 1 1/2 Jahre zurückliegenden Grundstücksschenkung bewertet wurde. Die Klägerin hat keine Berechnung des Verkehrswerts auf der Grundlage der (abgekürzten) Sterbetafel des Statistischen Bundesamtes verlangt. Anhaltspunkte für eine kürzere Lebenserwartung der Mutter der Klägerin bestanden nicht.
§ 16 BewG ist bei der Ermittlung des Verkehrswerts von Nutzungen nicht anzuwenden (R 17 Abs. 5 Satz 3 Halbsatz 2 der Erbschaftsteuer-Richtlinien ‑‑ErbStR‑‑ 2003; Moench in Moench/ Weinmann, § 7 ErbStG Rz 98; Schuck in Viskorf/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 3. Aufl. 2009, § 7 ErbStG Rz 52; Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG, Rz 80.13; Fischer in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG Kommentar, 2. Aufl. 2010, § 7 Rz 363; Gebel in Troll/Gebel/ Jülicher, ErbStG, § 7 Rz 211). Die Vorschrift enthält eine bewertungsrechtliche Sonderregelung zur Ermittlung des Steuerwerts einer Nutzung. Sie ist zur Bestimmung von deren Verkehrswert ungeeignet, da sie auf die Vorschriften des BewG und somit ‑‑bei grundstücksbezogenen Nutzungen‑‑ auf die Bedarfsbewertung von Grundstücken verweist.
b) Der Verkehrswert der dauernden Last beträgt gemäß § 14 Abs. 1 BewG i.V.m. der Anlage 9 zu § 14 BewG 323.640 € (jährliche Versorgungsleistungen von 36.000 € x 8,990). Auf die Klägerin entfällt hiervon ein Anteil von 107.880 €.
Die Wertsicherungsklausel berücksichtigte das FG zu Recht nicht. Solche Klauseln sind ‑‑auch bei der Verkehrswertermittlung‑‑ erst zu beachten, soweit die Änderungen der wiederkehrend zu entrichtenden Beträge bis zur Steuerfestsetzung oder während eines Rechtsbehelfsverfahrens eingetreten sind (§ 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. §§ 6 und 5 Abs. 2 BewG). Spätere Erhöhungen der laufenden Zahlungen führen als rückwirkendes Ereignis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung zu einer entsprechenden Änderung des Schenkungsteuerbescheids (BFH-Urteil in BFHE 213, 102, BStBl II 2006, 475, m.w.N.). Die Höhe der dauernden Last ist im Streitfall jedoch nicht aufgrund der Wertsicherungsklausel angepasst worden.
c) Den Steuerwert des aufgegebenen Nießbrauchs hat das FG zutreffend mit 797.700 € (Anteil der Klägerin: 265.900 €) berechnet, indem es ‑‑insoweit übereinstimmend mit der Verkehrswertermittlung‑‑ den Jahreswert der Nutzung mit dem Vervielfältiger nach Anlage 9 zu § 14 BewG multiplizierte. Der dabei nach § 15 Abs. 3 BewG anzusetzende Jahreswert der Nutzung von 88.732 € (Jahreskaltmiete) war nicht nach § 16 BewG zu begrenzen, weil der Höchstwert darüber lag (90.456 €). Bei dessen Berechnung durfte das FG den Mindestwert des Grundstücks nach § 146 Abs. 6 BewG ohne Nießbrauchsbelastung (1.682.500 €) zugrunde legen, ohne dass gemäß § 138 Abs. 5 Satz 1 BewG eine gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts auf den Zeitpunkt des Nießbrauchsverzichts erforderlich war.
aa) § 16 BewG enthält eine Sondervorschrift für die Ermittlung des Kapitalwerts wiederkehrender Nutzungen eines Wirtschaftsguts. Danach kann der Jahreswert solcher Nutzungen nicht höher angesetzt werden als mit dem Wert, der sich für das genutzte Wirtschaftsgut nach den Vorschriften des BewG geteilt durch 18,6 ergibt. Mit der Einführung des § 16 BewG hat der Gesetzgeber die Überlegungen des Reichsfinanzhofs aufgegriffen, dass der Wert des Nutzungsrechts an einem Wirtschaftsgut nicht größer sein könne als der Wert des genutzten Wirtschaftsguts selbst, weil das Eigentum an einem Wirtschaftsgut das Recht auf seine Nutzung mit einschließe und der Wert des Nutzungsrechts als Teilrecht nicht größer sein könne als das Eigentum selbst (vgl. zur Historie: Eisele in Rössler/Troll, BewG, § 16 Rz 1; Viskorf in Viskorf/Knobel/Schuck, a.a.O., § 16 BewG Rz 3). Dies erreicht § 16 BewG durch den Divisor 18,6, da der Jahreswert eines lebenslänglich eingeräumten Nutzungsrechts an einem Wirtschaftsgut nach der Anlage 9 zu § 14 BewG maximal mit dem Faktor 18,239 multipliziert werden kann bzw. bei zeitlich beschränkten Nutzungen nach der Anlage 9a zu § 13 BewG erst bei einer Laufzeit über 101 Jahre der Faktor 18,6 erreicht wird und auch bei einer längeren Laufzeit nicht mehr steigt.
bb) Das FG durfte den ‑‑auch im angefochtenen Schenkungsteuerbescheid vom 15. Juli 2005 genannten‑‑ Mindestwert des Grundstücks von 1.682.500 DM (als unbebautes Grundstück) heranziehen. Denn § 16 BewG verweist ("nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes") für die Ermittlung des Werts bebauter Grundstücke nicht nur auf das Ertragswertverfahren (§ 146 Abs. 2 BewG), sondern auf den gesamten § 146 BewG und damit auch auf den ‑‑im Streitfall höheren‑‑ Mindestwert des Grundstücks (§ 146 Abs. 6 BewG). Das ist auch sachgerecht. § 16 BewG soll den Jahreswert bezogen auf den steuerlichen Wert eines Wirtschaftsguts begrenzen. Das kann auch der Mindestwert sein, wenn das Ertragswertverfahren nach § 146 Abs. 2 BewG den steuerlichen Wert nicht zutreffend abbildet.
Von diesem Mindestwert war die Nießbrauchsbelastung nicht abzuziehen (vgl. BFH-Urteil vom 23. Juli 1980 II R 62/77, BFHE 131, 394, BStBl II 1980, 748, unter II.2.). Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 16 BewG ist von dem Wert des genutzten Wirtschaftsguts auszugehen, der sich nach den Vorschriften des BewG ergibt. Bei allen in § 146 BewG vorgesehenen Werten für bebaute Grundstücke ‑‑Ertragswert, Mindestwert oder Gutachtenwert‑‑ bleiben aber Nutzungsrechte unberücksichtigt (BFH-Urteile vom 8. Oktober 2003 II R 27/02, BFHE 204, 306, BStBl II 2004, 179; vom 11. Juni 2008 II R 71/05, BFHE 222, 57, BStBl II 2009, 132). Der Abzug der Belastung durch einen Nießbrauch würde zudem dem Zweck des § 16 BewG widersprechen, nach dem das Nutzungsrecht an einem Wirtschaftsgut nicht höher bewertet werden darf als das Eigentum an dem Wirtschaftsgut. Dieser Vergleich stellt dem Wert des Nutzungsrechts gerade den Wert des unbelasteten Eigentums gegenüber.
cc) Dem Ansatz des ungekürzten Mindestwerts stand auch der bestandskräftige Feststellungsbescheid vom 22. Oktober 2003 nicht entgegen. Zwar stellt dieser einen ‑‑geringeren‑‑ Grundbesitzwert einschließlich Nießbrauchsbelastung (850.000 €) fest, dies jedoch auf den Zeitpunkt der Grundstückszuwendung am 28. Dezember 2002. Er bindet das FA nur bei der Besteuerung dieses Erwerbs, nicht aber bei der Besteuerung des Nießbrauchsverzichts am 15. Juli 2004, bei dem es sich um einen neuen Steuerfall handelt (Lindberg in Kreutziger/Lindner/ Schaffner, Bewertungsgesetz, 2002, § 138 Rz 30, in der 2. Auflage, 2009, nicht mehr enthalten; zur Neuregelung in § 151 BewG, aber auch für § 138 BewG gültig: Halaczinsky in Rössler/Troll, BewG, § 151 Rz 45).
dd) Das FA brauchte schließlich keine gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts auf den 15. Juli 2004 nach § 138 Abs. 5 Satz 1 BewG (in der Fassung des Jahressteuergesetzes ‑‑JStG‑‑ 1997 vom 20. Dezember 1996, BGBl I 1996, 2049; seit 1. Januar 2007 geändert und übernommen in § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG durch das JStG 2007 vom 13. Dezember 2006, BGBl I 2006, 2878) durchzuführen, weil es den maßgeblichen Mindestwert (1.682.500 €) bereits ermittelt hatte.
Nach § 138 Abs. 5 Satz 1 BewG sind die Grundbesitzwerte gesondert festzustellen, wenn sie für die Erbschaftsteuer erforderlich, d.h. für die Veranlagung zur Erbschaft- und Schenkungsteuer von Bedeutung sind (BFH-Beschluss vom 2. Dezember 2003 II B 76/03, BFHE 203, 507, BStBl II 2004, 204). Das war im Streitfall aufgrund der hier vorliegenden besonderen Umstände nicht der Fall. Das FA M hatte den Mindestwert bereits im Feststellungsbescheid für den Grundstückserwerb berechnet. Dieser blieb bis zum Nießbrauchsverzicht wegen der Fortführung der Bodenrichtwerte unverändert (vgl. § 138 Abs. 4 BewG). Das FA konnte auch davon ausgehen, dass kein niedrigerer gemeiner Wert ermittelt worden wäre. Das von der Klägerin für die Besteuerung des Grundstückserwerbs vorgelegte Gutachten gab einen höheren Wert an (1.765.000 €). Anhaltspunkte für einen zwischenzeitlichen Wertverlust bestanden nicht und wurden auch von der Klägerin nicht geltend gemacht, obwohl das FA den Mindestwert auch im streitgegenständlichen Steuerbescheid bei der Berechnung des Höchstwerts nach § 16 BewG angesetzt hat. Eine gesonderte Feststellung auf den Stichtag hätte daher denselben Grundbesitzwert ergeben.
Der Senat hat daher nicht zu entscheiden, ob bei der Ermittlung des Kapitalwerts von Nutzungen wegen der Begrenzung des Jahreswerts in § 16 BewG stets eine gesonderte Feststellung des Werts des genutzten Wirtschaftsguts erforderlich ist (bejahend: Esskandari in Gürsching/Stenger, Bewertungsrecht, § 16 BewG Rz 36; Christoffel in Gürsching/Stenger, Bewertungsrecht, § 151 BewG Rz 15, 22; Halaczinsky in Rössler/Troll, BewG, § 151 Rz 36; Maier/Ohletz in Wilms/Jochum, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 151 BewG Rz 50; Eisele, in Rössler/Troll, BewG, § 16 Rz 5; ders., Deutsches Steuerrecht 2004, 851, 853; ebenso bejahend für Besteuerungszeitpunkte nach dem 31. Dezember 2006 unter Aufgabe der früheren Verwaltungsauffassung in R 124 Abs. 8 Satz 2 ErbStR 2003: gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 2. April 2007, BStBl I 2007, 314 Tz 73 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2; verneinend für § 138 Abs. 5 Satz 1 BewG: FG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Januar 2005 4 V 5361/04 A (Erb), Entscheidungen der Finanzgerichte 2005, 1211).