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Urteil vom 28. Juli 2010, I R 111/09

Rückwirkende Begründung einer körperschaftsteuerlichen Organschaft nach Einbringung einer Mehrheitsbeteiligung

BFH I. Senat

UmwStG § 2 Abs 1, UmwStG § 4 Abs 2 S 3, UmwStG § 12 Abs 3 S 1, UmwStG § 20 Abs 1, UmwStG § 20 Abs 7, UmwStG § 20 Abs 8 S 1, UmwStG § 22 Abs 1, KStG § 14 Abs 1 Nr 1, KStG § 17, GewStG § 2 Abs 2 S 2

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 24. November 2009, Az: 3 K 157/06

Leitsätze

NV: Die Voraussetzungen einer Organschaft gemäß §§ 14 ff. KStG 2002 sind infolge der in § 12 Abs. 3 Satz 1 UmwStG 1995 angeordneten Gesamtrechtsnachfolge der übernehmenden Gesellschaft in die Position der übertragenden Gesellschaft auch nach Einbringung einer Mehrheitsbeteiligung mit steuerlicher Rückwirkung gem. § 20 Abs. 1 Satz 2 UmwStG von Beginn des Wirtschaftsjahr der Organgesellschaft an erfüllt .

Tatbestand

  1. I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH. Ihre Alleingesellschafterin war ursprünglich eine Kommanditgesellschaft, die A-KG. Diese brachte die Beteiligung an der Klägerin durch "Übertragungs- und Anteilsabtretungsvertrag" vom 29. August 2005 (dem Streitjahr) mit steuerlicher Rückwirkung zum 31. Dezember 2004 gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten nach § 20 Abs. 1 Satz 2 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG 1995) zum Buchwert in eine andere Tochtergesellschaft, die (seinerzeitige) B-GmbH, ein. Zugleich schlossen die B-GmbH und die Klägerin einen Ergebnisabführungsvertrag, in welchem sich die Klägerin verpflichtete, erstmals für ihr ab dem 1. Januar 2005 beginnendes Geschäftsjahr ihren gesamten Gewinn an die B-GmbH abzuführen. Der Vertrag sollte "rückwirkend für die Zeit vom 1. Januar 2005, 0:00 Uhr" gelten. Die Klägerin stimmte dem Ergebnisabführungsvertrag durch Gesellschafterbeschluss zu.

  2. Die Klägerin legte ihren Steuererklärungen für das Streitjahr eine körperschaftsteuer- und gewerbesteuerrechtliche Organschaft zwischen ihr und der B-GmbH zugrunde. Dem folgte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) nicht. Er bezog sich auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 26. August 2003 (BStBl I 2003, 437 Tz. 12) und ging davon aus, es fehle die erforderliche finanzielle Eingliederung.

  3. Die Klage gegen die hiernach ergangenen Steuerbescheide war erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg gab ihr durch Urteil vom 25. November 2009  3 K 157/06 statt; das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 820 veröffentlicht.

  4. Seine Revision stützt das FA auf Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

  5. Das dem Verfahren beigetretene BMF unterstützt das FA in der Sache, hat jedoch keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanz hat im Ergebnis zu Recht angenommen, die Klägerin sei im Streitjahr in die B-GmbH finanziell eingegliedert gewesen und es fehle infolgedessen nicht an einer Voraussetzung für das Vorliegen einer körperschaftsteuer- und gewerbesteuerrechtlichen Organschaft.

  2. 1. Verpflichtet sich eine GmbH mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland (Organgesellschaft) durch einen Gewinnabführungsvertrag i.S. des § 291 Abs. 1 des Aktiengesetzes, ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, so ist das Einkommen der Organgesellschaft, soweit sich aus § 16 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 2002) nichts anderes ergibt und überdies die Eingliederungsvoraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 zweiter Satzteil Nr. 1 bis 5 KStG 2002 erfüllt sind, dem Träger des Unternehmens (Organträger) zuzurechnen. Das folgt aus § 14 Abs. 1 Satz 1 erster Satzteil und § 17 KStG 2002. Unter denselben Voraussetzungen gelten nach § 2 Abs. 2 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes 2002 Organgesellschaften i.S. der §§ 14, 17 oder 18 KStG 2002 als Betriebsstätten des anderen Unternehmens.

  3. Das alles ist nach den Feststellungen des FG, die den erkennenden Senat binden (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑), im Streitfall gegeben und ist unter den Beteiligten im Grundsatz auch nicht streitig.

  4. 2. Da der B-GmbH als Organträgerin die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der Klägerin als Organgesellschaft zustand, gilt Letzteres prinzipiell auch für das Erfordernis der finanziellen Eingliederung i.S. des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG 2002. Umstritten ist allerdings, ob diese Eingliederung ‑‑wie hiernach ebenfalls erforderlich‑‑ "vom Beginn ihres Wirtschaftsjahrs an ununterbrochen" bestand. Die Finanzverwaltung (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 437 Tz. 12; Oberfinanzdirektion Frankfurt, Verfügung vom 21. November 2005, Deutsches Steuerrecht ‑‑DStR‑‑ 2006, 41; anders noch im sog. Umwandlungssteuererlass, BMF-Schreiben vom 25. März 1998, BStBl I 1998, 268, Tz. Org. 05) verneint das, weil es sich bei der gebotenen finanziellen Eingliederung um ein tatsächliches Merkmal handele, das einer fiktiven Rückbeziehung nicht zugänglich sei. Die rückwirkende Begründung eines Organschaftsverhältnisses sei deswegen nicht zulässig. Das Schrifttum ist demgegenüber einhellig anderer Auffassung: Die finanzielle Eingliederung sei rechtlicher, nicht tatsächlicher Natur und könne deshalb auch auf den fiktiven Übertragungsstichtag rückbezogen werden (z.B. Neumann in Gosch, KStG, 2. Aufl., § 14 Rz 159 f.; Dötsch, Der Konzern 2004, 273; 2005, 695, 697; derselbe in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, UmwStG Anh. [SEStEG] Rz 16 ff.; Patt, daselbst, § 20 UmwStG [SEStEG] Rz 33; Blumenberg in Herzig [Hrsg.], Organschaft, S. 250, 255; Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, Anh. 3 Rz 36 ff., Rz 39; van Lishaut, daselbst, § 2 Rz 40; Kolbe in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 14 KStG Rz 116; Walter in Ernst & Young, KStG, § 14 Rz 351.1, 357.1, 366; Sinewe, GmbH-Rundschau 2002, 481, 483; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 14 KStG Rz 88a; Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, 5. Aufl., § 2 UmwStG Rz 86; Schmitt, daselbst, § 23 UmwStG Rz 33; Bilitewski in Haritz/Menner, UmwStG, 3. Aufl., § 23 Rz 28; Slabon, daselbst, § 2 Rz 85; Erle/Heurung in Erle/Sauter, KStG, 3. Aufl., § 14 Rz 700 ff., 704; Schumacher, DStR 2006, 124; Orth, Der Konzern 2005, 79, 93; Gosch, Steuerberater-Jahrbuch 2004/2005, 325, 327 ff.; Plewka/Schienke, Der Betrieb ‑‑DB‑‑ 2005, 1703). Der Senat lässt im Ergebnis (abermals, s. bereits Senatsurteil vom 17. September 2003 I R 55/02, BFHE 203, 329, BStBl II 2004, 534) dahinstehen, welche Auffassung er für richtig hält. Er gibt der Klägerin schon aus anderen Gründen Recht:

  5. a) Die Anteile an der Klägerin wurden von der A-KG als übertragender Gesellschaft gegen Gewährung von Geschäftsanteilen am 29. August 2005 in die B-GmbH eingebracht. Steuerlich wurde diese Einbringung nach § 20 Abs. 1 i.V.m. Abs. 7 und 8 Satz 1 UmwStG 1995 auf den 31. Dezember 2004 rückbezogen, und es wurde sodann am 29. August 2005 zwischen der B-GmbH und der Klägerin mit Wirkung ab dem 1. Januar 2005 ein Ergebnisabführungsvertrag geschlossen. Damit wurden die Voraussetzungen für eine organschaftliche Eingliederung der Klägerin in die B-GmbH nicht erst ab dem 29. August 2005, sondern "vom Beginn des Wirtschaftsjahres" an erfüllt.

  6. b) Grund hierfür ist § 12 Abs. 3 Satz 1 (i.V.m. § 22 Abs. 1 und § 4 Abs. 2 Satz 3) UmwStG 1995, wonach im Falle der Kapitaleinbringung die übernehmende Körperschaft in die steuerliche Rechtsstellung der übertragenden Körperschaft eintritt. Das gilt für jegliche Gewinnermittlungsvorschriften und damit auch (vgl. § 15 KStG 2002) für die körperschaftsteuerlichen Organschaftsvoraussetzungen: Die Ausgliederung einer Mehrheitsbeteiligung mit nachfolgender erstmaliger Begründung einer Organschaft ist möglich, wenn seit dem Beginn des Wirtschaftsjahres eine finanzielle Eingliederung zunächst zum übertragenden Rechtsträger und anschließend zum übernehmenden Rechtsträger besteht und dieses Erfordernis bis zum Ende des Wirtschaftsjahres aufrechterhalten bleibt. Sind diese Voraussetzungen bei der übertragenden Körperschaft (hier: der A-KG) erfüllt, setzt sich dies für die übernehmende Körperschaft (hier: die B-GmbH als nunmehriger Organträgerin) fort. Das betrifft auch und gerade die im Streitfall in Rede stehende Anteilseinbringung, ohne dass es auf die Frage danach, ob die einzelnen Organschaftsvoraussetzungen ‑‑hier diejenige der finanziellen Eingliederung‑‑ bei isolierter Betrachtung einer Rückwirkung zugänglich sind, noch ankäme. Insbesondere bedarf es keiner Begründung eines Organschaftsverhältnisses zur übertragenden Gesellschaft. Die Rechtsnachfolge der übernehmenden Körperschaft in die Position der übertragenden Körperschaft ist vielmehr eine umfassende (sog. Fußstapfentheorie).

  7. c) Aus gleichem Grund ist auch dem Einwand des dem Revisionsverfahren beigetretenen BMF, die in § 12 Abs. 3 Satz 1 UmwStG 1995 angeordnete Rechtsnachfolge verlange im Hinblick auf die Organschaftsvoraussetzungen des § 14 Abs. 1 KStG 2002 und hierbei namentlich im Hinblick auf das Merkmal der finanziellen Eingliederung ein einschränkendes Rechtsverständnis, weil jenes Eingliederungsmerkmal ein personenbezogenes, als solches nachfolgefeindliches Merkmal sei, nicht beizupflichten. Es trifft zwar zu, dass die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft eine systematische Durchbrechung des steuerlichen Subjektprinzips darstellt und deswegen von bestimmten tatbestandlichen Voraussetzungen abhängt (vgl. auch Senatsurteil vom 3. März 2010 I R 68/09, BFH/NV 2010, 1132). Indem das Umwandlungssteuerrecht für seinen Regelungsbereich jedoch eine letztlich vorbehaltlose Rechtsnachfolge in die Position des Rechtsvorgängers gewährt, wird diese Durchbrechung und werden deren Voraussetzungen einbezogen. Dadurch, dass Umwandlungen in Anlehnung an die handelsrechtlichen Vorgaben und abweichend von den tatsächlichen Gegebenheiten zudem auch steuerlich prinzipiell rückwirkend beschlossen werden können, wird dies bestärkt. In beidem liegt gerade der Unterschied zu jener Situation der sog. Verlustvererbung nach § 10d des Einkommensteuergesetzes, über welche der Große Senat des Bundesfinanzhofs in seinem Beschluss vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04 (BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608) zu entscheiden hatte und auf welchen sich das BMF deshalb zu Unrecht bezieht.

  8. d) Auch dass die Rückwirkungsfiktion des § 2 Abs. 1 i.V.m. § 20 Abs. 7 und 8 UmwStG 1995 beim Anteilstausch seit der Novellierung des Umwandlungssteuergesetzes durch das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften vom 7. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2782, BStBl I 2007, 4) gänzlich ausgeschlossen ist (vgl. § 21 UmwStG 2006; Rabback in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, a.a.O., § 21 Rz 52), rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Es handelt sich hierbei um eine konstitutive Neuregelung, die im Streitjahr noch nicht galt.

  9. e) Die daraus abzuleitenden Konsequenzen entsprechen gleichermaßen der (ursprünglichen) Verwaltungspraxis (im sog. Umwandlungssteuererlass in BStBl I 1998, 268, dort Tz. Org. 08 i.V.m. Org. 04) wie der zwischenzeitlich geänderten Regelungslage in § 23 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 3 und § 12 Abs. 3 UmwStG 2006 (im Ergebnis ebenso z.B. Herlinghaus in Rödder/ Herlinghaus/van Lishaut, a.a.O., Anh. 3 Rz 39 und 48 f.; Ritzer, daselbst, § 23 Rz 54; Dötsch, Der Konzern 2005, 695, 698; derselbe in Dötsch/Jost/Pung/Witt, a.a.O., UmwStG Anh. [SEStEG] Rz 11 und Rz 21/6; Bilitewski in Haritz/Menner, a.a.O., § 23 Rz 28; Frotscher in Frotscher/Maas, a.a.O., § 14 KStG Rz 89; Mutscher, daselbst, § 23 UmwStG Rz 79 ff.; Plewka/ Schienke, DB 2005, 1703; Schumacher, DStR 2006, 124; Erle/ Heurung in Erle/Sauter, a.a.O., § 14 Rz 708; Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, a.a.O., § 23 UmwStG Rz 33; Neumann in Gosch, a.a.O., § 14 Rz 281; im Ergebnis ebenso Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 23 UmwStG Rz 46). Sie sind auch im Streitfall zugrunde zu legen und bedeuten für die hier zu beurteilende Situation, dass die Klägerin wie vordem in die A-KG ‑‑vor der Einbringung der Kapitalbeteiligung‑‑ fortan in die B-GmbH ‑‑nach jener Einbringung‑‑ i.S. von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG 2002 finanziell eingegliedert war. Das körperschaftsteuer- und gewerbesteuerrechtliche Organschaftsverhältnis zu der B-GmbH als Organträgerin bestand mithin am 1. Januar 2005 und dauerte während des gesamten Wirtschaftsjahres an.

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