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Beschluss vom 29. September 2010, XI S 23/10 (PKH)

Keine umsatzteuerfreie Vermietung bei nur kurzfristiger Überlassung von Wohnungen an Prostituierte - Zulassung der Revision durch das FG wegen Divergenz für Erfolgsaussichten des PKH-Verfahrens unbeachtlich

BFH XI. Senat

FGO § 142 Abs 1, UStG § 4 Nr 12 Buchst a, ZPO § 114, EWGRL 388/77 Art 13 Teil B Buchst b, UStG § 4 Nr 12 Buchst a, FGO § 115 Abs 2 Nr 2

Leitsätze

1. NV: Die Würdigung des FG zu den besonderen Umständen von Mietverhältnissen liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und kann im Revisionsverfahren nur darauf überprüft werden, ob Verstöße gegen die Verfahrensordnung, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze vorgekommen sind; die Würdigung muss denkgesetzlich möglich, nicht jedoch die allein in Betracht kommende sein.

2. NV: Der Umstand, dass das FG bei seiner Würdigung ganz wesentlich auf die kurze Dauer der Raumüberlassungen an Prostituierte zur Ausübung deren Gewerbes abgestellt hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

3. NV: Für die Prüfung der Erfolgsaussicht im PKH-Verfahren unerheblich ist der Umstand, dass das FG die Revision wegen Abweichung zu einer anderen finanzgerichtlichen Entscheidung zugelassen hat.

Tatbestand

  1. I. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage der Antragstellerin wegen der begehrten Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (UStG) betreffend die Vermietung von Wohnungen in verschiedenen Gebäuden an Prostituierte zur Ausübung deren Gewerbes ab. Das FG ließ wegen Abweichung von der Entscheidung eines anderen FG (FG Düsseldorf, Urteil vom 9. Oktober 1996  5 K 7121/92 U, Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 1997, 506) nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Revision zu.

  2. Die durch ihren Prozessbevollmächtigten vertretene Antragstellerin beantragte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten und begründete die zuvor eingelegte Revision mit der Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe insbesondere § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG bzw. Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) unzutreffend ausgelegt.

  3. Im Streitfall seien entgegen der Auffassung des FG die Voraussetzungen für eine steuerfreie Vermietung erfüllt. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei nur dann kein Mietvertrag, sondern ein Vertrag eigener Art anzunehmen, wenn der Hausbesitzer durch Maßnahmen oder Einrichtungen eine Organisation schaffe und unterhalte, die die gewerbsmäßige Unzucht der Bewohnerinnen fördere (BFH-Urteil vom 10. August 1961 V 111/60, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 1962, 145). Demgegenüber habe das FG festgestellt, dass sie, die Antragstellerin, "keine bordellartige Organisation zur Verfügung" gestellt, sondern "nur geringfügige weitere Leistungen" erbracht habe. Die Zeitdauer der Nutzung könne ein wesentliches Kriterium der Grundstücksvermietung sein, allein entscheidend sei sie auch bei richtlinienkonformer Auslegung nicht (z.B. Klenk in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 4 Nr. 12 Rz 28, m.w.N.). In der zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) finde sich lediglich ein allgemeiner Hinweis, dass die Dauer der Grundstücksnutzung ein Hauptelement des Mietvertrages bilde und dies im Zusammenhang mit der Überlassung eines Golfplatzes an Kunden aber nicht das allein entscheidende Kriterium sei (EuGH-Urteil vom 18. Januar 2001 Rs. C-150/99 ‑‑Stockholm Lindöpark‑‑, Slg. 2001, I-493, Rz 27). Weil aber im Streitfall weitere Aspekte nicht hinzugetreten seien, bleibe es dabei, dass die Vermietung so lange steuerfrei sei, wie nicht die erbrachten Nebenleistungen nach dem Gesamtbild der Verhältnisse die Vermietungsleistungen überlagerten und ihnen ein anderes Gepräge geben würden (FG Düsseldorf in EFG 1997, 506). Da die vermieteten Wohnungen auf verschiedene Häuser verteilt gewesen seien, habe es keine organisatorische Zusammenfassung und erst recht keine bordellartigen Strukturen gegeben.

  4. Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 142 FGO i.V.m. § 117 Abs. 2 der Zivilprozessordnung ‑‑ZPO‑‑) hat die Antragstellerin innerhalb der Beschwerdefrist vorgelegt.

Entscheidungsgründe

  1. II. Der Antrag auf PKH ist nicht begründet.

  2. 1. Gemäß § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 ZPO wird einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

  3. 2. Die von der Antragstellerin mit ihrer Revision beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Denn das FG hat bei der gebotenen summarischen Prüfung rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Überlassung der Wohnungen an die Prostituierten zur Ausübung deren Gewerbes keine steuerfreie Leistung i.S. von § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG sowie von Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG ist.

  4. a) Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH kann anstelle eines Mietverhältnisses i.S. von § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG ein Vertrag eigener Art vorliegen, wenn der Hausbesitzer durch Maßnahmen oder Einrichtungen eine Organisation schafft und unterhält, die die gewerbsmäßige Unzucht der Bewohnerinnen fördert (BFH-Urteile in HFR 1962, 145, und vom 10. August 1961 V 95/60 U, BFHE 73, 714, BStBl III 1961, 525). Eine steuerfreie Grundstücksvermietung liegt hingegen vor, wenn ein Hausbesitzer Zimmer an Prostituierte überlässt, jedoch weder ein Bordell oder bordellartiger Betrieb noch eine vom Hausbesitzer geschaffene und unterhaltene Organisation zur Förderung der gewerbsmäßigen Unzucht der Bewohnerinnen feststellbar ist, die ‑‑zum Teil schon seit vielen Jahren‑‑ in dem Haus ihren festen Wohnsitz haben (BFH-Urteil vom 10. August 1961 V 31/61 U, BFHE 73, 717, BStBl III 1961, 526).

  5. Der EuGH hat zwischenzeitlich zu dem der nationalen Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG zugrunde liegenden Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG geklärt, dass "die Dauer der Grundstücksnutzung ein Hauptelement eines Mietvertrags" bildet (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 2001, I-493, Rz 27).

  6. b) Die Würdigung des FG, im Streitfall hätten aufgrund der besonderen Umstände keine Mietverhältnisse, sondern Verträge eigener Art vorgelegen, liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. Diese Würdigung des FG kann im Revisionsverfahren nur darauf überprüft werden, ob Verstöße gegen die Verfahrensordnung, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze vorgekommen sind; die Würdigung des FG muss denkgesetzlich möglich, nicht jedoch die allein in Betracht kommende sein (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 19. Mai 2010 XI R 78/07, nicht veröffentlicht, juris).

  7. Im Streitfall hat das FG seine Überzeugung anhand der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen gewonnen. Danach erfolgten die Raumüberlassungen "sämtlich für kurze Zeiträume, also zumindest für einige Tage, meistens aber für mehrere Wochen, nicht aber für die Dauer mehrerer Monate oder zur Begründung von Wohnsitzen". Die Mietforderungen der Antragstellerin von täglich 100 DM bzw. 50 € hätten deutlich über den Preisen von reinen Wohnungsmieten in vergleichbarer Lage, Art und Ausstattung der Räume gelegen. Schließlich habe die Antragstellerin Nebenleistungen in Gestalt der Gestellung von Bettzeug und Handtüchern sowie Reinigungsleistungen erbracht. An diese tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gebunden, da die Antragstellerin dagegen keine zulässigen und begründeten Rügen erhoben hat (§ 118 Abs. 2 FGO).

  8. Vor diesem Hintergrund ist die vom FG getroffene Entscheidung, dass diese Umstände bei einer Gesamtbetrachtung der Wohnraumüberlassung der Antragstellerin ein Gepräge eigener Art geben, die nicht mehr als reine Vermietung oder Verpachtung angesehen werden kann, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

  9. Der Hinweis der Antragstellerin auf die Tatsache, dass sie im Streitfall keine "Organisation" im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung des BFH geschaffen und unterhalten habe, die "die gewerbsmäßige Unzucht der Bewohnerinnen gefördert" habe, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn das FG hat bei seiner Würdigung zutreffend ganz wesentlich auf die kurze Dauer der Raumüberlassungen abgestellt. Das entspricht auch der Rechtsprechung des BFH beispielsweise in den Urteilen vom 20. April 1988 X R 5/82 (BFHE 153, 451, BStBl II 1988, 795), vom 13. September 1988 V R 46/83 (BFHE 154, 280, BStBl II 1988, 1021), und vom 26. Oktober 1989 V R 88/86 (BFH/NV 1990, 810). Da § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG richtlinienkonform auszulegen ist (vgl. z.B. Klenk, a.a.O., § 4 Nr. 12 Rz 28, m.w.N.), hat das FG zu Recht dieses vom EuGH für besonders bedeutsam erachtete Element (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 2001, I-493, Rz 27) neben den bisher von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien als ganz entscheidend gewichtet.

  10. c) Für die Prüfung der Erfolgsaussicht gemäß § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 ZPO unerheblich ist der Umstand, dass das FG die Revision wegen Abweichung zu einer anderen finanzgerichtlichen Entscheidung (FG Düsseldorf in EFG 1997, 506) nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zugelassen hat. Denn dieser Zulassungsgrund enthält grundsätzlich keine Aussage darüber, ob das Rechtsmittel auch (mutmaßlich) erfolgreich sein wird, sondern nur darüber, dass zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsordnung eine Entscheidung des BFH für erforderlich gehalten wird (vgl. auch BFH-Beschluss vom 28. Januar 1988 IV S 8/86, BFH/NV 1988, 730).

  11. 3. Die Entscheidung ergeht gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2, § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes i.V.m. dem Kostenverzeichnis der Anlage 1 ‑‑auch hinsichtlich des Antrags auf Beiordnung eines Bevollmächtigten (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Februar 1997 X S 29/96, BFH/NV 1997, 489; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 62a Rz 21)‑‑ gerichtsgebührenfrei.

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