BFH VII. Senat
ZK Art 202 Abs 3, EWGV 2913/92 Art 202 Abs 3
vorgehend FG Düsseldorf, 07. May 2009, Az: 4 K 3971/08 Z,EU
Leitsätze
NV: Wird wegen "Beteiligung" am vorschriftswidrigen Verbringen einer Ware in das Zollgebiet der Europäischen Union gemäß Artikel 202 Absatz 3 Anstrich 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften Zollschuldner, wer ohne an dem Verbringen unmittelbar mitzuwirken den Abschluss der Kaufverträge über die betreffenden Waren vermittelt und dabei in Betracht zieht, dass der Verkäufer die Waren oder einen Teil der Waren möglicherweise unter Hinterziehung der Einfuhrabgaben liefern wird? Reicht es gegebenenfalls aus, dass er dies für denkbar hält, oder wird er nur dann Zollschuldner, wenn er fest damit rechnet, dass dies geschehen wird?
Tatbestand
I. Der Kläger des bei dem beschließenden Senat anhängigen Revisionsverfahrens wird vom beklagten Hauptzollamt (HZA) auf Zoll von rund 10.000 € und Einfuhrumsatzsteuer von rund 21.000 € in Anspruch genommen. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, daran beteiligt gewesen zu sein, dass zahlreiche Waren aus China vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Union verbracht worden sind.
Diesem Vorwurf liegt zugrunde, dass der Kläger über die Internetplattform X, auf der er zwei Shops unter seinem Namen unterhalten hatte, die betreffenden Waren in Auktionen eingestellt und nach einem Vertragsabschluss das Entgelt vereinnahmt hat. Die Preisgestaltung, die Beschaffung der Waren und deren Versand in die Union wurden hingegen von einem chinesischen Lieferanten besorgt, der sich seiner mangelhaften Kenntnis der deutschen Sprache wegen nur für den Internetauftritt, den Vertragsabschluss und das Inkasso der Hilfe des Klägers bedient hat.
Die Waren, auf die sich dieser Beschluss bezieht, sind von dem chinesischen Lieferanten direkt an die in Deutschland ansässigen Besteller geliefert und an diese durch die Deutsche Post AG ‑‑offenbar aufgrund falscher Inhalts- und Wertangaben des Lieferanten‑‑ ausgeliefert worden, ohne dass sie zuvor gestellt und die Einfuhrabgaben erhoben worden wären. Ob der Kläger damit von vornherein gerechnet hat oder ‑‑wie er offenbar behaupten will‑‑ auf die zollrechtlich ordnungsgemäße Abwicklung der Einfuhren trotz gewisser Zweifel, die ihm daran anscheinend gekommen sind, vertraut hat, ist bislang nicht abschließend geklärt.
Der Kläger beruft sich gegenüber dem Abgabenbescheid des HZA darauf, der Abschluss der Kaufverträge in X und die Übermittlung von Namen und Adressen der Käufer an den chinesischen Lieferanten stellten als zeitlich bereits weit vor der Beförderung der Ware liegende und lediglich auf das Kausalgeschäft bezogene Handlungen keine Beteiligung am vorschriftswidrigen Verbringen der Waren im Sinne des Artikels 202 Absatz 3 Anstrich 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften dar.
Entscheidungsgründe
II. Der beschließende Senat hält es für zweifelhaft, ob nach vorgenannter Vorschrift Zollschuldner wird, wer ‑‑ohne an dem vorschriftswidrigen Verbringen einer Ware unmittelbar mitzuwirken‑‑ den Abschluss eines Kaufvertrags über die betreffende Ware vermittelt; er hält dies selbst dann für zweifelhaft, wenn der Betreffende in Betracht zieht oder sogar fest damit rechnet, dass der Verkäufer die Ware unter Hinterziehung der Einfuhrabgaben liefern wird.
Was Artikel 202 Absatz 3 Anstrich 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften mit dem Begriff Beteiligung meint, ist weder dort noch anderswo in jener Verordnung näher beschrieben. Die Vorschrift dürfte in erster Linie das Ziel verfolgen, durch eine Erweiterung der Zollschuldnerschaft über den im ersten Anstrich jenes Absatzes erfassten Kreis der Verbringer hinaus Probleme bei dem Nachweis und der rechtlichen Einordnung zu vermeiden, die sich mitunter daraus ergeben, dass beim Zusammenwirken mehrerer insbesondere an einem bandenmäßig organisierten Einfuhrschmuggel nicht leicht feststellbar ist, wer die Ware in das Zollgebiet "verbracht" hat, wer also dafür ‑‑etwa als "Herr" des Geschehens‑‑ verantwortlich zu machen ist, dass die Ware ohne die vorgeschriebene Zollbehandlung in das Zollgebiet gelangt ist, und wer dem im ersten Anstrich benannten eigentlichen Verbringer dabei nur geholfen hat. Insofern zielt die Vorschrift also auf diejenigen, die, ohne die Ware selbst nachweislich in das Zollgebiet der Union verbracht zu haben, zu dem vorschriftswidrigen Verbringen einen Beitrag geleistet haben, der dafür mitursächlich geworden ist oder es dem Verbringer objektiv erleichtert hat, dass die Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Union verbracht werden konnte. Mithin wäre aus dieser Sicht eine bloße Beteiligung beim Abschluss von Verträgen, die durch Schmuggel erfüllt werden, nicht geeignet, die Zollschuldnerschaft zu begründen.
Der Begriff Beteiligung ist allerdings in der deutschen Rechtssprache der Oberbegriff unter anderem für den Begriff der Beihilfe, der in erster Linie in strafrechtlichem Zusammenhang gebraucht und in § 27 des deutschen Strafgesetzbuchs definiert wird. Auch wenn das Strafrecht gewiss andere Zwecke verfolgt als das Zollschuldrecht, ist deshalb in Betracht zu ziehen, für die Auslegung und Anwendung des Artikels 202 Absatz 3 Anstrich 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften auf Kriterien zurückzugreifen, die bei der Beurteilung einer Handlung als strafbare Beihilfe angewandt werden. Tut man dies, käme es aus der Sicht der Rechtsprechung der deutschen Strafgerichtsbarkeit auf einen objektiv kausalen Beitrag zu dem Verbringen nicht an. Vielmehr könnte die Vermittlung eines Kaufvertrags, der von einem Dritten durch Schmuggel erfüllt wird, als Beteiligung an dem vorschriftswidrigen Verbringen bewertet werden, wenn bei dem vermeintlichen Gehilfen ein von der Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs als "deliktischer Sinnbezug" bezeichnetes subjektives Moment vorliegt und dieses der an sich "neutralen" Handlung der Vermittlung des Kaufvertrags den Charakter eines deliktischen Verhaltens verleiht. Das würde vom Bundesgerichtshof angenommen, wenn das Handeln des Verbringers ausschließlich darauf abzielt, eine strafbare Handlung zu begehren, und der Hilfeleistende dies weiß; dessen Tatbeitrag sei dann, so hat der Bundesgerichtshof geurteilt, als Beihilfehandlung zu werten, weil sein Tun den "Alltagscharakter" verliere und als "Solidarisierung" mit dem Täter zu deuten sei (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 1. August 2000 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107).
Der beschließende Senat ist allerdings in der Beurteilung der Frage, ob ein so weitreichender Begriff der Beihilfe unter Berücksichtigung des Rechtsverständnisses anderer Mitgliedstaaten dem Unionsrecht entspräche, ebenso unsicher wie in der vorrangigen Frage, ob der Begriff der "Beteiligung", wie in Artikel 202 Absatz 3 Anstrich 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften gebraucht, überhaupt im Sinne einer strafrechtlich relevanten "Beihilfe" verstanden werden kann. Er setzt deshalb das vorliegende Verfahren aus (§ 74 der Finanzgerichtsordnung entsprechend) und ersucht den Gerichtshof um eine Entscheidung folgender Fragen gemäß Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union:
Wird wegen "Beteiligung" am vorschriftswidrigen Verbringen einer Ware in das Zollgebiet der Europäischen Union gemäß Artikel 202 Absatz 3 Anstrich 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften Zollschuldner, wer ohne an dem Verbringen unmittelbar mitzuwirken den Abschluss der Kaufverträge über die betreffenden Waren vermittelt und dabei in Betracht zieht, dass der Verkäufer die Waren oder einen Teil der Waren möglicherweise unter Hinterziehung der Einfuhrabgaben liefern wird?
Reicht es gegebenenfalls aus, dass er dies für denkbar hält, oder wird er nur dann Zollschuldner, wenn er fest damit rechnet, dass dies geschehen wird?