BFH X. Senat
FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 74, AO § 180 Abs 1 Nr 2 Buchst b, AO § 180 Abs 1 Nr 2 Buchst a, AO § 90 Abs 2 S 1, AO § 179 Abs 2 S 2, AO § 181 Abs 5
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz , 17. June 2009, Az: 4 K 1957/07
Leitsätze
1. NV: Ein Verfahren zur gesonderten und einheitlichen Feststellung muss bereits dann durchgeführt werden, wenn ernstlich zweifelhaft ist, ob überhaupt einkommensteuerpflichtige Einkünfte erzielt werden und/oder ob diese mehreren Personen zuzurechnen sind .
2. NV: Eine Gütergemeinschaft führt nicht unmittelbar und zwangsläufig zur Annahme einer Mitunternehmerschaft. Es bedarf einer Gesamtwürdigung im Einzelfall, die im Rahmen des Erlasses eines Feststellungsbescheids im einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsverfahren nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO vorzunehmen ist .
3. NV: Hinsichtlich des Nachweises einer ausländischen Gütergemeinschaft trifft den Steuerpflichtigen eine gesteigerte Mitwirkungspflicht .
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) und die Beigeladene sind nach niederländischem Recht mit dem im Regelfall vereinbarten Güterstand des sog. Gesamtguts verheiratet.
Der Kläger meldete im Jahr 1983 die Übernahme des Chinarestaurants "X" in A an. Sowohl den Fragebogen zur Gewerbeanmeldung als auch alle folgenden mit dem Betrieb des Restaurantgewerbes zusammenhängenden Steuererklärungen, in denen der Kläger als Einzelunternehmer bezeichnet wurde, wurden von ihm allein unterzeichnet. Zum 31. März 1998 meldete der Kläger den Gewerbebetrieb ab und verlegte mit seiner Ehefrau den Wohnsitz nach Belgien.
1993 erwarb der Kläger zum Gesamtgut der mit der Beigeladenen bestehenden Gütergemeinschaft ein unbebautes Grundstück, auf dem eine 1994 fertiggestellte Doppelhaushälfte in einer Ferienanlage errichtet wurde, die durch die GbR B, einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, zu der sich die Eigentümer der Ferienanlage zusammengeschlossen hatten, verwaltet und bewirtschaftet wurde.
Die Gewinne aus dem Restaurantbetrieb wurden gesondert festgestellt und in den Jahren 1986 bis 1997 jeweils allein dem Kläger zugerechnet. In den Streitjahren berücksichtigte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) die im Rahmen des Restaurantbetriebs geltend gemachten Verluste aus dem Objekt B nicht und nahm im Jahr 1994 zusätzlich wegen ungeklärter Privateinlagen Zuschätzungen zum Gewinn vor. Die Bescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Der Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg, der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen. Im Klageverfahren, in dem es im Wesentlichen um die Frage ging, inwieweit eine Zuordnung der Aktivitäten der Ferienanlage B zum Restaurantbetrieb möglich sei, trug der Kläger mit Schriftsatz vom 25. Januar 2002 vor, seine Ehefrau werde nicht dadurch zur Mitunternehmerin, dass im Falle der Gütergemeinschaft die dem Gewerbebetrieb dienenden Gegenstände zum Gesamtgut gehörten und die erzielten Einnahmen in diese Vermögensmasse fielen; trotz des zivilrechtlichen Erwerbs der Doppelhaushälfte zum Gesamtgut sei er der wirtschaftliche Eigentümer des Feriengrundstücks geworden.
Der Rechtsstreit wurde zunächst mit Beschluss des Finanzgerichts (FG) vom 29. Januar 2002 im Hinblick auf das Verfahren zur einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte der Verwaltungsgesellschaft "B" ausgesetzt. Dieses Verfahren wurde durch den Erlass inzwischen bestandskräftiger Änderungsbescheide unter dem 14. Mai 2007 über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Verwaltungsgesellschaft "B" abgeschlossen.
Mit Schriftsatz vom 11. Juli 2007 trug der Klägervertreter vor, in dem Erörterungstermin am 29. Januar 2002 habe der damalige Vorsitzende des 4. Senats des FG die Auffassung vertreten, es ergäben sich für die gewerbesteuerliche Beurteilung daraus Konsequenzen, dass der Kläger mit seiner Ehefrau in einem Güterstand verheiratet sei, der nach deutschem Recht der Gütergemeinschaft entspreche. Das Chinarestaurant sei dann von dem Kläger und seiner Ehefrau in der Rechtsform einer GbR betrieben worden; die dem Kläger gegenüber ergangenen Gewinnfeststellungsbescheide seien demgemäß aufzuheben. Dieser Auffassung schloss sich der Kläger uneingeschränkt an.
Mit Beschluss des FG vom 18. Dezember 2008 wurde die Ehefrau des Klägers als mögliche Beteiligte einer mit dem Kläger bestehenden Mitunternehmerschaft gemäß § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigeladen. Das FA hatte bereits mit Schriftsatz vom 20. November 2002 die Beiladung der Ehefrau des Klägers beantragt.
Das FG hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Es war der Auffassung, der Kläger habe in den Streitjahren das Chinarestaurant "X" als Einzelunternehmer geführt. Eine Mitunternehmerschaft des Klägers zusammen mit der Beigeladenen liege nicht vor. Bei der Würdigung der Gesamtumstände des Falles sei für das FG nicht zu erkennen, dass die Beigeladene in ausreichendem Maße Mitunternehmerinitiative und -risiko getragen habe. Zudem diene der diesbezügliche Vortrag missbräuchlichen Zielen. Der Kläger versuche durch sein geändertes Vorbringen die Eliminierung der allein dem Kläger gegenüber ergangenen Gewinnfeststellungsbescheide zu erreichen, verbunden mit der Erwartung, dass wegen des Eintritts von Festsetzungsverjährung gegenüber der behaupteten Mitunternehmergemeinschaft keine Steuerbescheide mehr erlassen werden könnten. Die angegriffenen Gewinnfeststellungsbescheide seien im Übrigen nicht zu beanstanden; die auf den Kläger entfallenden Verluste aus der Verwaltungsgesellschaft "B" könnten nicht im Rahmen des vom Kläger betriebenen Restaurantbetriebs berücksichtigt werden.
Mit seiner wegen der Nichtzulassung der Revision eingelegten Beschwerde macht der Kläger geltend, das FG habe im Rahmen dieses Rechtsstreits nicht darüber entscheiden dürfen, ob der Kläger und die Beigeladene, wie von ihm behauptet, Mitunternehmer einer GbR waren. Das FG hätte vielmehr das Verfahren bis zum Ergehen einer abschließenden Entscheidung über einen (positiven oder negativen) Feststellungsbescheid dieser GbR nach § 74 FGO aussetzen müssen. Wegen der Kompetenzverteilung zwischen den für die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen und den für die Festsetzung der Steuer zuständigen Finanzbehörden sei ein Feststellungsbescheid schon dann zu erlassen, wenn ‑‑wie hier‑‑ das Bestehen einer Mitunternehmerschaft behauptet werde oder aufgrund des (gegebenenfalls streitigen) Sachverhalts möglich erscheine. Das Feststellungsverfahren müsse nachgeholt werden, deswegen sei die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA hat auf die Abgabe einer Stellungnahme verzichtet.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Das angefochtene Urteil des FG wird aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 116 Abs. 6 FGO).
Das Urteil beruht i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO auf einem Verfahrensfehler. Das FG hat gegen die Verpflichtung verstoßen, das Verfahren gemäß § 74 FGO auszusetzen, bis eine bestands- oder rechtskräftige Entscheidung in einem positiven oder negativen Feststellungsbescheid vorliegt, ob bzw. in welcher Höhe der Kläger Einkünfte aus einer Mitunternehmerschaft mit seiner Ehefrau erzielt hat.
1. Der Kläger hat schlüssig einen Verstoß gegen § 74 FGO gerügt, indem er vorgetragen hat, das FG habe ihm als Einzelunternehmer die Einkünfte aus dem Betrieb des Chinarestaurants zugerechnet, obwohl er ausdrücklich die Auffassung vertreten habe, er und seine Ehefrau hätten das Restaurant in der Rechtsform einer GbR betrieben. Die Zurechnung sei erfolgt, ohne dass ein Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung ergangen sei.
a) Gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO) werden die einkommensteuerpflichtigen Einkünfte gesondert festgestellt, wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen zuzurechnen sind. Die vorstehende Regelung gilt nach Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 der Vorschrift nicht, wenn es sich lediglich um einen Fall von geringfügiger Bedeutung handelt.
b) Das ‑‑gegenüber mehreren Personen durchzuführende‑‑ einheitliche und gesonderte Feststellungsverfahren nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO geht dem Verfahren zur gesonderten Feststellung gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO vor (vgl. § 179 Abs. 2 Satz 2 AO; Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 29. Juli 1992 IV B 44/91, BFH/NV 1993, 2). Das FG hätte im Verfahren betreffend die gesonderte Feststellung (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO) nicht über die mögliche Mitunternehmerstellung des Klägers entscheiden dürfen; vielmehr war es verpflichtet, das Klageverfahren nach § 74 FGO bis zum Abschluss des ‑‑vorgreiflichen‑‑ einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsverfahrens auszusetzen (BFH-Beschluss vom 4. April 2008 IV R 91/06, BFH/NV 2008, 1298, m.w.N.).
Ein Verfahren zur einheitlichen und gesonderten Feststellung muss bereits dann durchgeführt werden, wenn ernstlich zweifelhaft ist, ob überhaupt einkommensteuerpflichtige Einkünfte erzielt werden und/oder ob diese mehreren Personen zuzurechnen sind. Grund dafür ist, dass über diese (Vor-)Fragen ‑‑entsprechend dem materiell-rechtlichen Zweck des Verfahrens, eine inhaltlich identische Sachbehandlung gegenüber allen potentiell betroffenen Steuerpflichtigen sicherzustellen‑‑ nur einheitlich gegenüber allen (potentiell) an den Einkünften Beteiligten entschieden werden kann (BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 1298, m.w.N.).
c) Unterlässt das FG eine nach § 74 FGO gebotene Verfahrensaussetzung, liegt darin nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ein Verfahrensfehler im Sinne eines Verstoßes gegen die Grundordnung des Verfahrens (BFH-Entscheidungen vom 9. Mai 1984 I R 25/81, BFHE 141, 252, BStBl II 1984, 726; vom 1. Juli 1992 X B 143/91, BFH/NV 1992, 762; vom 8. März 1994 IX R 37/90, BFH/NV 1994, 868; vom 17. Dezember 2003 I R 47/02, BFH/NV 2004, 771; vom 9. Februar 2005 X R 52/03, BFH/NV 2005, 1235, und vom 16. November 2006 XI B 156/05, BFH/NV 2007, 401).
d) Der geltend gemachte Verfahrensfehler liegt im Streitfall vor. Die Annahme einer Mitunternehmerschaft musste ernstlich in Betracht gezogen werden.
aa) Die Möglichkeit einer Mitunternehmerschaft ergab sich zum einen aus der Rechtsprechung des BFH, wonach Ehegatten regelmäßig Mitunternehmer eines Betriebs werden, wenn zum Vermögen eines Ehegatten bei vereinbarter Gütergemeinschaft ein Gewerbebetrieb mit einem ins Gewicht fallenden Betriebskapital gehört (BFH-Urteil vom 4. November 1997 VIII R 18/95, BFHE 185, 153, BStBl II 1999, 384, m.w.N.).
Bei Ehegatten niederländischer Staatsangehörigkeit, die ‑‑wie hier der Kläger und die Beigeladene in den Streitjahren‑‑ in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig sind, reicht als steuerrechtlich notwendige Grundlage für die Mitunternehmerschaft regelmäßig auch das Bestehen der allgemeinen Gütergemeinschaft nach niederländischem Recht aus (vgl. BFH-Urteil in BFHE 185, 153, BStBl II 1999, 384). Dabei ist aber zu beachten, dass hinsichtlich des Nachweises einer solchen ausländischen Gütergemeinschaft den Steuerpflichtigen eine erhöhte Mitwirkungspflicht trifft (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 1 AO).
Eine Gütergemeinschaft führt jedoch nicht unmittelbar und zwangsläufig zur Annahme einer Mitunternehmerschaft. Vielmehr bleibt stets für das Bejahen der Merkmale des Mitunternehmerrisikos und der Mitunternehmerinitiative eine Gesamtwürdigung im Einzelfall erforderlich, die dann im Rahmen des Erlasses eines positiven oder negativen Feststellungsbescheids im einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsverfahren nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO vorzunehmen ist.
bb) Auch den Beteiligten des vorliegenden Verfahrens erschien eine Mitunternehmerschaft möglich. Der Kläger hat auf das Bestehen einer Mitunternehmerschaft hingewiesen, indem er spätestens ab Juli 2007 behauptete, die Einkünfte aus dem Betrieb des Chinarestaurants seien nicht allein von ihm erzielt worden, sondern von der mit seiner Frau betriebenen GbR. Dass auch das FA die Möglichkeit einer Mitunternehmerschaft in Betracht gezogen hat, ergibt sich aus seinem Antrag an das FG vom 20. November 2002, die Ehefrau des Klägers beizuladen.
e) Ein Fall von offensichtlich geringer Bedeutung, bei dem die Durchführung eines Feststellungsverfahrens gemäß § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO entbehrlich wäre, liegt nicht vor. Ob allein der Kläger die in Frage stehenden Einkünfte erzielt hat, war ausweislich der Gründe des angefochtenen Urteils einer der Streitpunkte des Verfahrens vor dem FG.
f) Für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs durch den Kläger besteht ‑‑entgegen der Auffassung des FG‑‑ kein Anlass. Der Kläger konnte seine Rechtsauffassung im Laufe des Rechtsstreits ändern und von dem Vorliegen einer Mitunternehmerschaft ausgehen, ohne sich rechtsmissbräuchlich zu verhalten. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sowohl der damalige Vorsitzende Richter des Senats im Termin am 29. Januar 2002 als auch das FA eine Mitunternehmerschaft als möglich ansahen.
Das FG wird daher das Verfahren gemäß § 74 FGO auszusetzen haben, damit das FA die Gelegenheit hat, die notwendige Durchführung des einheitlichen und gesonderten Feststellungsverfahrens zu veranlassen.
2. Klarstellend weist der angerufene Senat auf § 181 Abs. 5 AO hin. Danach kann eine gesonderte Feststellung auch noch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist. Entsprechend der dienenden Funktion des Feststellungsverfahrens gilt § 181 Abs. 5 AO über seinen Wortlaut hinaus auch, wenn die gesonderte Feststellung zwar nicht für eine Steuerfestsetzung, sondern für eine weitere Feststellung von Bedeutung ist (BFH-Urteil vom 6. Juli 2005 XI R 27/04, BFH/NV 2006, 16, m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung).
Die Voraussetzungen des § 181 Abs. 5 AO sind in dem Streitfall gegeben. Hinsichtlich der gesonderten Feststellungsbescheide für 1994 und 1995 ist noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten. Das Verfahren zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO mit der positiven oder negativen Feststellung einer Mitunternehmerschaft des Klägers und der Beigeladenen ist im Verhältnis zum gesonderten Verfahren nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO vorrangig durchzuführen, da in diesem gesonderten Feststellungsbescheid die Einkünfte nicht einbezogen werden, die der Kläger gemeinschaftlich mit seiner Ehefrau erzielt hat.