BFH VII. Senat
FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 62 Abs 3, FGO § 62 Abs 2, ZPO § 45 Abs 1
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 22. October 2009, Az: 11 K 23/08
Leitsätze
1. NV: Wird ein Prozessbevollmächtigter erst nach Stellung eines Befangenheitsantrags gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO zurückgewiesen, bleibt die Prozesshandlung nach § 62 Abs. 3 Satz 2 FGO dennoch wirksam.
2. NV: Wird ein Einzelrichter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, hat über den Antrag grundsätzlich derjenige Senat als Kollegialgericht zu entscheiden, dem der abgelehnte Richter angehört.
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), die alleinige Geschäftsführerin einer in Insolvenz geratenen GmbH war, wurde vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ‑‑FA‑‑) wegen rückständiger Lohnsteuern nebst Solidaritätszuschlägen sowie rückständiger Umsatzsteuer gemäß § 69 i.V.m. § 34 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Im Termin zur mündlichen Verhandlung traten für die Klägerin ein Herr A sowie ein Rechtsanwalt auf. Ausweislich des Sitzungsprotokolls behauptete A, eine Prozessvollmacht der Klägerin zu haben. Im Termin legte er ein Schreiben vom 23. Oktober 2009 vor, in dem er den Berichterstatter, auf den der Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss des FG vom 13. August 2009 als Einzelrichter übertragen worden war, wegen Befangenheit ablehnte. Nachdem A auf wiederholte Ermahnung durch Richter N Äußerungen in der Sache nicht unterließ, gab ihm dieser auf, den Sitzungssaal zu verlassen, was A auch tat. Die mündliche Verhandlung wurde ohne die Anwesenheit des A fortgeführt. In der Urteilsbegründung wies das FG darauf hin, dass A in der mündlichen Verhandlung deshalb nicht zugelassen wurde, weil ihm die Zulassung als Steuerberater durch Bescheid vom 24. August 2001 entzogen worden und sein Auftreten als Bevollmächtigter als weitere geschäftsmäßige Hilfe in Steuersachen anzusehen sei.
Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Finanzgericht (FG) hat die Klägerin Beschwerde eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, dass das erstinstanzliche Urteil auf einem Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) beruhe. Ein Verfahrensmangel liege darin, dass die Entscheidung durch einen als befangen abgelehnten Richter getroffen worden sei. Über den Befangenheitsantrag habe das FG bis heute nicht entschieden. Darüber hinaus habe das FG verfahrensfehlerhaft A des Raumes verwiesen, ohne einen Beschluss nach § 62 Abs. 3 FGO zu fassen. Aufgrund seiner Kenntnis des Sach- und Streitstandes hätte A zu den Vorwürfen vortragen können, so dass das FG mit der Zurückweisung den Gehörsanspruch der Klägerin verletzt habe. Im Übrigen komme der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten. Es weist darauf hin, dass die Bestellung des A als Steuerberater wegen Vermögensverfalls widerrufen worden sei. Das FG habe den Widerruf mit Urteil vom 28. Mai 2002 bestätigt. Darüber hinaus habe das FG A bereits in anderen Verfahren (6 K 288/05 und 6 K 445/06) gemäß § 80 Abs. 5 AO als Bevollmächtigten zurückgewiesen. Da A somit nicht befugt gewesen sei, einen Befangenheitsantrag zu stellen, sei eine Entscheidung über diesen Antrag durch das FG nicht erforderlich gewesen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Rechtssache an das FG (§ 116 Abs. 6 FGO).
1. Die Revision ist nicht deswegen zuzulassen, weil Richter N die Zurückweisung des A als Bevollmächtigten nicht in einem gesonderten Beschluss sondern im Urteil begründet hat.
Gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO hat das Gericht Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des § 62 Abs. 2 FGO vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurückzuweisen. Im Streitfall hat das FG einen solchen Beschluss nicht gefasst, sondern die Zurückweisung des A als Bevollmächtigten in den Urteilsgründen näher erläutert. Dabei hat es das Auftreten des A als ‑‑infolge des Widerrufs der Bestellung als Steuerberater‑‑ nunmehr unbefugte geschäftsmäßige Hilfe in Steuersachen angesehen. Der Senat lässt offen, ob die Zurückweisung eines Bevollmächtigten auch in anderer geeigneter Weise ‑‑z.B. durch mündliche Anordnung im Termin und schriftlicher Begründung im Urteil selbst‑‑, erfolgen kann. Selbst wenn das vom FG gewählte Verfahren fehlerhaft gewesen sein sollte, hätte die Klägerin insoweit einen zur Revisionszulassung führenden Verfahrensfehler nicht in der den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise gerügt. Denn die Klägerin legt nicht schlüssig dar, dass das Urteil auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruhen kann. Der Behauptung, dass A über den Sach- und Streitstand informiert gewesen sei und hierzu hätte vortragen können, lässt sich nicht entnehmen, dass das erstinstanzliche Urteil bei einer gesonderten Beschlussfassung anders ausgefallen wäre. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass hinsichtlich der Zurückweisung nach § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO auch durch Beschluss nicht anders hätte entschieden werden können. Nach den Feststellungen des FG in der Urteilsbegründung, gegen die keine Verfahrensrügen erhoben worden sind, steht der Widerruf der Bestellung von A als Steuerberater außer Zweifel.
2. Das Urteil des FG ist jedenfalls deshalb aufzuheben, weil weder Richter N noch der Senat, dem er angehört, über den wirksam gestellten Befangenheitsantrag entschieden hat. Nach § 62 Abs. 3 Satz 2 FGO bleiben Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Diese Regelung dient der Rechtssicherheit; sie will verhindern, dass die fehlende Vertretungsbefugnis bis zur Entscheidung über die Zurückweisung verfahrensrechtliche Folgen nach sich zieht (BTDrucks 16/3655, S. 89). Die Zurückweisung des A als Prozessbevollmächtigter erfolgte erst, nachdem dieser zu Beginn der mündlichen Verhandlung dem Berichterstatter ein Schreiben vorgelegt hat, in dem Richter N wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt wird. Damit hat A trotz seiner fehlenden Vertretungsbefugnis einen wirksamen Befangenheitsantrag gestellt. Wird, wie im Streitfall, der Einzelrichter als befangen abgelehnt, so hat, sofern nicht in Fällen offensichtlicher Unzulässigkeit oder rechtsmissbräuchlicher Ablehnung der Einzelrichter selbst über das Ablehnungsgesuch befinden darf, über den Antrag derjenige Senat als Kollegialgericht zu entscheiden, dem der abgelehnte Richter angehört (Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 26. Juli 1996 VI B 15/96, BFH/NV 1997, 130). Im Streitfall hat der Berichterstatter das Verfahren als Einzelrichter fortgeführt und ein Urteil erlassen, das der Klägerin auch zugestellt worden ist. Dass die Entscheidung über die Ablehnung des Befangenheitsantrags eine Vertagung der Verhandlung erforderlich gemacht hätte, so dass der Termin nach § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 47 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) hätte fortgesetzt werden können, geht weder aus dem Sitzungsprotokoll noch aus den Urteilsgründen hervor. Der weitere Verfahrensgang und die Zustellung des Urteils ohne eine weitere Befassung des FG mit dem Ablehnungsgesuch belegen, dass Richter N eine Bescheidung des Antrags durch den Senat offensichtlich nicht für erforderlich gehalten und auch nicht veranlasst hat.
Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass die von der Klägerin erhobene Rüge, das FG habe über einen gestellten Befangenheitsantrag nicht entschieden, mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann (BFH-Beschluss vom 11. April 2002 I B 56/01, BFH/NV 2002, 1164, m.w.N.). Im Übergehen des Befangenheitsantrags durch Richter N liegt ein von der Beschwerde hinreichend dargelegter Verfahrensmangel, der zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils führt. An einer eigenen Prüfung des von der Klägerin gestellten Befangenheitsantrags ist der BFH gehindert, denn zuständig für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ist nach § 45 Abs. 1 ZPO das Gericht, dem der abgelehnte Richter angehört; dies gilt auch bei Ablehnung eines Einzelrichters (Senatsbeschluss vom 26. August 1997 VII B 80/97, BFH/NV 1998, 463). Daher lassen sich die Grundsätze, die der BFH in seinem Beschluss vom 3. Mai 2000 IV B 46/99, BFHE 191, 235, für den Fall aufgestellt hat, dass das FG das Ablehnungsgesuch nicht durch Beschluss, sondern im Urteil selbst beschieden hat, nicht auf den Streitfall übertragen. Denn eine eigene Beurteilung, ob die Klägerin im Schreiben vom 23. Oktober 2009 einen Befangenheitsgrund hinreichend dargelegt hat, ist dem beschließenden Senat verwehrt.
3. An dem Ergebnis vermag auch der Vortrag des FA nichts zu ändern, dass A bereits in anderen Verfahren vor dem FG als Prozessbevollmächtigter zurückgewiesen worden sei. Ausweislich der angeführten Aktenzeichen erfolgte die Zurückweisung in anderen Verfahren und vor einem anderen Senat. Auch hat Richter N auf die vom FA angeführten Urteile keinen Bezug genommen, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, er habe eine erneute förmliche Zurückweisung als eine entbehrliche Wiederholung bereits getroffener Entscheidungen angesehen und angenommen, A sei bereits wirksam zurückgewiesen worden. Gegen eine solche Annahme spricht die Begründung der Zurückweisung in den Entscheidungsgründen. Dem Argument des FA kann somit nicht gefolgt werden, dass eine Entscheidung über den Befangenheitsantrag allein aufgrund des Widerrufs der Bestellung als Steuerberater nicht erforderlich gewesen sei.