BFH V. Senat
UStG § 15 Abs 1, UStG § 15 Abs 4
vorgehend Sächsisches Finanzgericht , 09. July 2007, Az: 2 K 14/06
Leitsätze
1. NV: Verwendet der Unternehmer ein Grundstück für steuerpflichtige eigenbetriebliche Umsätze und eine steuerfreie Vermietung, bestimmt sich die Vorsteueraufteilung nach § 15 Abs. 4 UStG, nicht aber nach § 15 Abs. 1 UStG.
2. NV: Hat der Unternehmer in einer Steuererklärung für das Kalenderjahr des Leistungsbezugs einen sachgerechten Maßstab für die Aufteilung von Vorsteuern gewählt und wird diese Steuerfestsetzung formell bestandskräftig, ist er sowohl für das Erstjahr als auch für die Folgejahre an diese Wahl gebunden.
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Rechtsanwalts-GbR. Im Streitjahr (2000) sanierte die Klägerin ihr Gebäude (K-Straße), in dem sie auch ihre Kanzlei unterhielt. Eine Wohnung in dem Gebäude war an ihren Gesellschafter, Rechtsanwalt R, vermietet. Mit diesem schloss die Klägerin ab Oktober 2000 einen Mietvertrag, in dem sie die Umsatzsteuer gesondert auswies.
Im Anschluss an eine bei der Klägerin durchgeführte Umsatzsteuersonderprüfung versagte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) den vollen Vorsteuerabzug aus den das Gebäude K-Straße betreffenden Eingangsumsätzen mit der Begründung, zwischen Personengesellschaften und ihren Gesellschaftern sei ein Leistungsaustausch möglich, daher sei die Vermietung an R steuerbar. Die Vermietung sei aber steuerfrei gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) und insoweit der Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Dem Verzicht auf die Steuerbefreiung gemäß § 9 Abs. 1 UStG stehe entgegen, dass R die Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt habe.
Eine Aufteilung nach dem grundsätzlich sachgerechten Umsatzschlüssel sei im Streitfall nicht möglich, weil die Klägerin keine Unterlagen eingereicht habe, die eine Aufteilung nach dem jeweiligen Umsatzschlüssel ermöglichten.
Die gegen den Umsatzsteuerbescheid 2000 sowie den Abrechnungsbescheid 2000 erhobene Klage hatte Erfolg. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen aus, die Kürzung der Vorsteuern gemäß § 15 Abs. 4 UStG sei nicht zulässig, weil die Klägerin das gesamte Gebäude ‑‑auch den nichtunternehmerischen Bereich‑‑ ihrem Unternehmen zugeordnet habe. Dazu sei sie nach den Grundsätzen des sog. Seeling-Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft (jetzt Gerichtshof der Europäischen Union ‑‑EuGH‑‑, Urteil vom 8. Mai 2003 C-269/00, Seeling, Slg. 2003, I-4101, BStBl II 2004, 378) auch berechtigt gewesen.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Zu Unrecht gehe das FG davon aus, dass § 15 Abs. 4 UStG nur den Fall der teilweisen nichtunternehmerischen Verwendung von Eingangsumsätzen betreffe; dieser Fall werde jedoch von § 15 Abs. 1 UStG erfasst.
Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Das FA hat die Revision, soweit sie den Abrechnungsbescheid 2000 betraf, gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) am 28. Juli 2009 zurückgenommen. Der Senat hat deshalb das Verfahren mit Beschluss vom 18. März 2010 gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2, § 121 Satz 1 FGO abgetrennt und mit Beschluss vom 18. März 2010 (V R 13/10) eingestellt.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA wegen Umsatzsteuer 2000 ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG geht zu Unrecht davon aus, die Klägerin habe das Gebäude zum Teil für eine "nichtunternehmerische" Nutzung verwendet. Die Feststellungen des FG erlauben keine abschließende Entscheidung zur Aufteilung der Vorsteuer nach § 15 Abs. 4 UStG.
1. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die Vorsteuerbeträge für Leistungen abziehen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind.
Das FG geht im Ergebnis zu Recht davon aus, dass die Klägerin das bebaute Grundstück insgesamt dem Unternehmen zuordnen konnte, die Leistungen zu dessen Sanierung für Zwecke ihres Unternehmens bezogen hat und daher jedenfalls grundsätzlich die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG erfüllt sind. Zu Unrecht stützt sich das FG allerdings insoweit auf die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) im Anschluss an die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Seeling in Slg. 2003, I-4101, BStBl II 2004, 378 (z.B. BFH-Urteile vom 11. November 1993 V R 52/91, BFHE 173, 239, BStBl II 1994, 335; zuletzt vom 23. September 2009 XI R 14/08, BFHE 227, 218, BStBl II 2010, 243; vom 8. Oktober 2008 XI R 58/07, BFHE 223, 487, BStBl II 2009, 394, m.w.N.), wonach der Unternehmer auch dann einen Gegenstand ganz seinem Unternehmen zuordnen kann, wenn er ihn nur teilweise für Zwecke seines Unternehmens, und im Übrigen für nichtunternehmerische Zwecke nutzt. Denn im Streitfall hat die Klägerin, die GbR, das Gebäude insgesamt für ihr Unternehmen verwendet, zum einen für ihre Rechtsanwaltskanzlei, zum anderen durch Vermietung an einen ihrer Gesellschafter, Rechtsanwalt R.
2. Nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG ist der Vorsteuerabzug jedoch ausgeschlossen für die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen sowie für die sonstigen Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet. Diese Voraussetzungen liegen vor, soweit die Klägerin das Gebäude für die steuerfreien Vermietungsumsätze an ihren Gesellschafter verwendet hat.
a) Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) hat die Klägerin eine Wohnung des Gebäudes an ihren Gesellschafter, Rechtsanwalt R, zu nichtunternehmerischen Zwecken vermietet und daher nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG steuerfreie Umsätze ausgeführt, die den Vorsteuerabzug ausschließen.
b) Nach § 9 Abs. 1 UStG kann allerdings der Unternehmer u.a. einen Umsatz, der nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG steuerfrei ist, als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird. Die Klägerin hat zwar über diese Vermietungsumsätze mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer abgerechnet. Auch wenn darin die schlüssige Erklärung eines Verzichts auf die Steuerbefreiung (§ 9 Abs. 1 und Abs. 2 UStG) zu sehen sein kann (vgl. BFH-Urteil vom 16. Juli 1997 XI R 94/96, BFHE 183, 301, BStBl II 1997, 670), liegen bei einer Vermietung zu Wohnzwecken ‑‑wie im Streitfall‑‑ die Voraussetzungen für einen wirksamen Verzicht nicht vor.
3. Verwendet der Unternehmer eine für sein Unternehmen bezogene Leistung nur zum Teil für Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen ‑‑wie im Streitfall die Klägerin mit der steuerfreien Vermietung an ihren Gesellschafter zu Wohnzwecken‑‑, ist nach § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist. Nach Satz 2 der Vorschrift ist der Unternehmer berechtigt, die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung zu ermitteln. Hierzu erlauben die Feststellungen des FG keine abschließende Entscheidung.
a) Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteile vom 10. Dezember 2009 V R 13/08, BFH/NV 2010, 960; vom 25. März 2009 V R 9/08, BFHE 225, 230, BFH/NV 2009, 1337; vom 13. August 2008 XI R 53/07, BFH/NV 2009, 228; vom 22. November 2007 V R 43/06, BFHE 219, 450, BStBl II 2008, 770; vom 28. September 2006 V R 43/03, BFHE 215, 335, BStBl II 2007, 417), der sich die Finanzverwaltung angeschlossen hat (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 30. September 2008, BStBl I 2008, 896), ist bei Baumaßnahmen zwischen der Herstellung eines neuen Gebäudes und Erhaltungsaufwendungen andererseits zu differenzieren. Liegen Herstellungskosten i.S. des § 255 des Handelsgesetzbuches vor, ist für den Vorsteuerabzug unter Berücksichtigung von § 15 Abs. 4 UStG auf die Verwendungsverhältnisse des gesamten Gebäudes abzustellen. Für den Vorsteuerabzug aus Erhaltungsaufwendungen kommt es demgegenüber darauf an, wie der Gebäudeteil genutzt wird, für den die Erhaltungsaufwendungen entstehen. Ob die "Sanierung" des Gebäudes durch die Klägerin als Erhaltungs- oder als Herstellungsaufwendungen zu beurteilen sind, lässt sich den Feststellungen des FG nicht entnehmen. Die Sache geht deshalb zu deren Nachholung an das FG zurück. Der Senat verweist zur Abgrenzung insoweit auf die Grundsätze der zuvor zitierten Rechtsprechung.
b) Hinsichtlich der Aufteilung der Vorsteuerbeträge wird das FG bei seiner Entscheidung weiter zu beachten haben, dass nicht nur der Flächenschlüssel, sondern auch die Aufteilung der Vorsteuern im Verhältnis der Ausgangsumsätze grundsätzlich eine sachgerechte Schätzung i.S. des § 15 Abs. 4 UStG darstellt (z.B. BFH-Urteile in BFH/NV 2009, 228; vom 17. August 2001 V R 1/01, BFHE 196, 345, BStBl II 2002, 833; BFH-Beschluss vom 29. Juli 2003 V B 170/02, BFH/NV 2004, 234). Hat der Steuerpflichtige in einer Steuererklärung für das Kalenderjahr des Leistungsbezugs jedoch einen sachgerechten Maßstab für die Aufteilung von Vorsteuern gewählt und wird diese als Steuerfestsetzung formell bestandskräftig, ist er sowohl für das Erstjahr als auch für die Folgejahre an diese Wahl gebunden (z.B. BFH-Urteile in BFH/NV 2010, 960; vom 22. November 2007 V R 35/06, BFH/NV 2008, 628; vom 2. März 2006 V R 49/05, BFHE 213, 249, BStBl II 2006, 729; in BFHE 215, 335, BStBl II 2007, 417).