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Beschluss vom 21. Juni 2010, III B 133/09

Zeitlicher Regelungsumfang eines Kindergeldfestsetzungsbescheides - Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache

BFH III. Senat

AufenthG § 23 Abs 1, AufenthG § 26 Abs 4, FGO § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 116 Abs 3 S 3, EStG § 70 Abs 1, EStG § 70 Abs 1

vorgehend FG Düsseldorf, 20. July 2009, Az: 10 K 3528/08 Kg

Leitsätze

NV: Aus der verfahrensrechtlichen Vorgeschichte kann herzuleiten sein, dass ein Bescheid, durch den Kindergeld ab einem bestimmten Monat festgesetzt wird, eine (negative) Regelung dahingehend enthält, dass für den vorhergehenden Zeitraum kein Anspruch auf Kindergeld besteht  .

Tatbestand

  1. I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) reiste im Jahr 1990 aus … in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nach erfolglosen Asylverfahren war er zunächst ausländerrechtlich geduldet. Im Februar 2001 erhielt er eine Aufenthaltsbefugnis, im Februar 2005 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) und ab Januar 2007 eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG. Von Februar 2005 bis Dezember 2005 bezog er Kindergeld für seine drei in den Jahren 2000, 2001 und 2003 geborenen Kinder.

  2. Im April und im August 2006 beantragte der erwerbstätige Kläger erneut Kindergeld. Mit Schreiben vom 25. Januar 2007 wies die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) auf die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen hin und darauf, dass aus dem Antrag nicht hervorgehe, ob diese erfüllt seien. Mit Bescheid vom 29. Januar 2007 setzte die Familienkasse Kindergeld ab Januar 2007 fest. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger sei nunmehr im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Ihr Schreiben vom 25. Januar 2007 sei gegenstandslos, weil auch nach den darin geschilderten Voraussetzungen ein Kindergeldanspruch erst ab Januar 2007 bestehe. Gegen den Bescheid legte der fachkundig vertretene Kläger Einspruch ein, den er allerdings nicht begründete und den die Familienkasse zurückwies.

  3. Im Juni 2008 beantragte der Kläger Kindergeld für den Zeitraum ab Geburt der Kinder bis Dezember 2004. Die Familienkasse lehnte den Antrag ab, Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

  4. Das Finanzgericht (FG) führte im Wesentlichen aus, der bestandskräftige Bescheid vom 29. Januar 2007 sei zwar rechtswidrig, weil der Kläger seit Februar 2001 im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis gewesen sei und damit die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld erfüllt habe. Die Bestandskraft stehe jedoch der Gewährung von Kindergeld für den Zeitraum, für den der Kläger die Festsetzung begehre, entgegen. Die Familienkasse habe Kindergeld ab Januar 2007 festgesetzt. Unter Berücksichtigung des eigenen Antrags und des Antragsformulars habe der Kläger den Bescheid vom 29. Januar 2007 nur dahin verstehen können, dass eine Festsetzung für die vor 2007 liegenden Zeiträume habe abgelehnt werden sollen. Der Kläger selbst habe noch im April 2006 die Festsetzung ab Geburt der Kinder beantragt. Im Antragsvordruck, den der Kläger von der Familienkasse erhalten habe, sei er u.a. zu einer Erwerbstätigkeit in den letzten fünf Jahren befragt worden. Vor diesem Hintergrund habe der Kläger den Bescheid vom 29. Januar 2007 nur als Ablehnung der Festsetzung für zurückliegende Zeiträume verstehen können. Auch der Einspruch des Klägers zeige, dass dieser den Bescheid ebenso verstanden habe.

  5. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger geltend, das angefochtene Urteil weiche von Entscheidungen des FG Rheinland-Pfalz, des Bundesfinanzhofs (BFH) sowie des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) ab. Außerdem habe die Streitsache grundsätzliche Bedeutung.

  6. Das FG Rheinland-Pfalz habe im Urteil vom 10. Juni 2009 2 K 1807/08 (Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2009, 1573) entschieden, dass die Festsetzung von Kindergeld ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht zugleich als Ablehnung einer Festsetzung für vorhergehende Zeiträume anzusehen sei. Dazu bedürfe es der Willenserklärung und Willensäußerung der Behörde. Demgegenüber habe das FG im angefochtenen Urteil den Rechtssatz aufgestellt, dass zur Auslegung des Inhalts eines Bescheids nicht nur dieser selbst, sondern auch außerhalb des Bescheids liegende Umstände heranzuziehen seien. Das angefochtene Urteil weiche somit von dem des FG Rheinland-Pfalz ab. Das FG habe die Tatsache, dass er, der Kläger, Einspruch gegen den Bescheid vom 29. Januar 2007 eingelegt habe, zu Unrecht zu seinen Lasten gewertet. Der nicht begründete Einspruch hätte nicht nur deshalb, weil kein Kindergeld für frühere Zeiträume festgesetzt worden sei, eingelegt worden sein können, auch die Höhe des Kindergeldes oder auch nur einzelne Zeiträume hätten Gegenstand des Einspruchs sein können.

  7. Das angefochtene Urteil weiche außerdem vom Urteil des BFH vom 4. Oktober 1988 VIII R 161/84 (BFH/NV 1989, 758) ab. Darin habe dieser den Rechtssatz aufgestellt, dass im Zweifel das für einen Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen sei, da der Empfänger einer missverständlichen Willenserklärung der Verwaltung nicht benachteiligt werden dürfe. Aus Umständen, die erst nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu Tage getreten seien, könne nicht der Schluss gezogen werden, dass der Empfänger den Verwaltungsakt in einem anderen als in dem zum Zeitpunkt des Zugangs erkennbaren Sinn habe verstehen müssen. Verwaltungsakte seien in erster Linie aus sich heraus auszulegen, ihr Inhalt könne nicht durch eine spätere Behördenerklärung geändert werden. Das FG Düsseldorf habe demgegenüber im angefochtenen Urteil festgestellt, dass auch Umstände außerhalb des Verwaltungsakts zu berücksichtigen seien, so der spätere unspezifizierte Einspruch und ein vorheriges Schreiben der Behörde.

  8. Darüber hinaus sei die Abweichung von der Entscheidung des Hessischen VGH vom 26. April 1988  11 UE 219/84 (Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht ‑‑NVwZ‑‑ 1989, 165) zu rügen. Dieser habe den Rechtssatz aufgestellt, dass der lediglich betragsmäßige Widerruf mehrerer Bewilligungsbescheide nicht den Anforderungen an den Bestimmtheitsgrundsatz genüge, wenn sich weder aus dem Bescheid selbst noch aus anderen mit dem Erlass des Bescheids im Zusammenhang stehenden objektiven Umständen mit hinreichender Klarheit ermitteln lasse, welche Bewilligungsbescheide aufgehoben worden seien bzw. in welchem Umfang dies der Fall sei. Im Streitfall ergebe sich nicht eindeutig aus sonstigen Umständen und erst Recht nicht aus dem Bescheid vom 29. Januar 2007 die Ablehnung eines Kindergeldantrages für Zeiträume vor Januar 2007. Damit weiche das angefochtene Urteil auch von der Entscheidung des Hessischen VGH ab.

  9. Die Rechtssache habe außerdem grundsätzliche Bedeutung. Die Familienkasse habe in der Einspruchsentscheidung nicht die Festsetzung von Kindergeld für den vorangegangenen Zeitraum abgelehnt. Die Frage, ob die streitigen Entscheidungen im Lichte der Einspruchsentscheidung zu werten seien, sei nicht nur im Steuerrecht, sondern auch im Kindergeldrecht von grundsätzlicher Bedeutung. Der BFH habe die Möglichkeit klarzustellen, dass ein Verwaltungsakt aus sich heraus im Tenor verständlich sein müsse. Schließlich bedürfe es auch der grundsätzlichen Klärung, ob das Verhalten der Behörde im Prozess zur Auslegung der eigenen Willenserklärung herangezogen werden könne. Die Familienkasse habe in einem Schriftsatz vom 15. Dezember 2008 erwähnt, dass ein Bescheid vom 16. Februar 2005, mit dem Kindergeld ab Februar 2005 festgesetzt worden sei, bestandskräftig geworden sei. Die Familienkasse selbst habe somit nicht den Bescheid vom 29. Januar 2007, sondern den vom 16. Februar 2005 als Hinderungsgrund für eine Festsetzung für frühere Zeiträume angesehen. Es bedürfe der grundsätzlichen Klärung, ob die Willenserklärung einer Behörde durch das FG anders bewertet werden dürfe als durch die Behörde selbst.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Die vom Kläger vorgebrachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

  2. 1. Es bedarf keiner Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung wegen Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO).

  3. a) Das FG ist nicht von der Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz in EFG 2009, 1573 abgewichen. Eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung liegt vor, wenn das FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung als der BFH oder ein anderes Gericht vertritt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 31. Juli 2009 III B 178/07, BFH/NV 2009, 1809, m.w.N.). Die Sachverhalte, die den Entscheidungen der Vorinstanz und des FG Rheinland-Pfalz zugrunde lagen, sind allerdings nicht vergleichbar. Das FG Rheinland-Pfalz hatte über einen Fall zu urteilen, in dem die Familienkasse aufgrund des Antrags eines Kindergeldberechtigten Kindergeld ab dem Monat der Antragstellung zahlte, ohne einen schriftlichen Festsetzungsbescheid zu erlassen (§ 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes in der vor 2007 geltenden Fassung). Das FG Rheinland-Pfalz war der Ansicht, die Familienkasse habe für Zeiträume vor der Auszahlung des Kindergeldes keine Regelung getroffen, weil hierfür keine (konkludente) Willensäußerung vorliege. Demgegenüber kam das FG im vorliegenden Fall aufgrund einer Würdigung der Umstände des Falles zu der Auffassung, die Familienkasse habe für Zeiträume vor 2007 einen Ablehnungsbescheid erlassen und der Kläger habe den Bescheid auch so verstanden. Für das FG war insbesondere die verfahrensrechtliche Vorgeschichte ausschlaggebend. Der vorliegende Streitfall weicht somit in erheblicher Weise von dem im Urteil in EFG 2009, 1573 wiedergegebenen Sachverhalt ab. Die vom Kläger geltend gemachte Divergenz liegt nicht vor.

  4. b) Ebenso ist eine Divergenz zum BFH-Urteil in BFH/NV 1989, 758 zu verneinen. Der BFH führte in dieser Entscheidung aus, aus Umständen, die erst nach der Bekanntgabe eines Verwaltungsakts zutage getreten seien, dürfe nicht der Schluss gezogen werden, dass der Empfänger den Verwaltungsakt in einem anderen als in dem zum Zeitpunkt der Entscheidung erkennbaren Sinn habe verstehen müssen; im Zweifel sei das den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da der Empfänger einer missverständlichen Willenserklärung der Verwaltung nicht durch Unklarheiten aus ihrer Sphäre benachteiligt werden dürfe. Das FG hat im Streitfall nicht aus Umständen, die erst nach Bekanntgabe des Bescheids vom 29. Januar 2007 zutage getreten sind, für den Kläger nachteilige Schlussfolgerungen gezogen, vielmehr hat es sich auf die verfahrensrechtliche Vorgeschichte gestützt. Es hatte deshalb keine Zweifel am zeitlichen Regelungsumfang dieses Bescheids und hat keinen Rechtssatz aufgestellt, der von einem Rechtssatz des BFH-Urteils in BFH/NV 1989, 758 abweicht.

  5. c) Schließlich ist das FG auch nicht von der Entscheidung des Hessischen VGH in NVwZ 1989, 165 abgewichen. Dieser hat in der zitierten Entscheidung den Rechtssatz aufgestellt, dass es einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot darstellt, wenn sich weder aus einem Widerrufsbescheid noch aus sonstigen Umständen ermitteln lässt, welche und ggf. in welchem Umfang vorhergehende Bewilligungsbescheide aufgehoben wurden. Eine Divergenz ist schon deshalb zu verneinen, weil es im vorliegenden Fall nicht um den Widerruf (bzw. die Aufhebung) eines Bewilligungsbescheids (bzw. eines Festsetzungsbescheids) geht, sondern um den zeitlichen Regelungsumfang eines Kindergeld-Festsetzungsbescheids. Im Übrigen war für das FG im Streitfall aus "sonstigen Umständen" ersichtlich, dass der Bescheid vom 29. Januar 2007 auch eine Regelung für Zeiträume vor 2007 treffen sollte.

  6. 2. Soweit der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), erfüllt die Beschwerde nicht die Darlegungserfordernisse nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Der Kläger hat die Rechtsfragen aufgeworfen, ob die streitigen Entscheidungen im Lichte der Einspruchsentscheidung zu werten seien und ob die Willenserklärung einer Behörde durch das FG anders bewertet werden könne als durch die Behörde selbst.

  7. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss der Beschwerdeführer aufzeigen, aus welchen Gründen und in welchem Umfang die Beantwortung einer Rechtsfrage zweifelhaft und strittig ist und sich hierzu mit den in der Rechtsprechung und Literatur zu dieser Frage vertretenen Auffassungen auseinandersetzen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 32). Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers nicht.

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