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Urteil vom 13. April 2010, IX R 41/09

Bindung des BFH an Vertragsauslegung durch das FG - Kein Erwerb eines Rückübertragungsanspruchs bei bestandskräftiger Ablehnung der Restitution

BFH IX. Senat

EStG § 22 Nr 2, EStG § 23 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst a, VermG § 4, VermG § 31 Abs 5, BGBEG Art 233 §§ 11ff, BGBEG Art 233 § 11, FGO § 118 Abs 2

vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt , 04. March 2009, Az: 5 K 861/05

Leitsätze

1. NV: Die Vertragsauslegung durch das FG bindet den Bundesfinanzhof nach § 118 Abs. 2 FGO nicht, wenn das FG den Vertrag rechtlich nicht richtig eingeordnet hat.

2. NV: Ist der Rückübertragungsanspruch des Restitutionsberechtigten in Bezug auf ein Grundstück nach § 4 VermG ausgeschlossen und bestandskräftig abgelehnt, so kommt ein Erwerb des Rückübertragungsanspruchs im Rahmen einer gütlichen Einigung (§ 31 Abs. 5 VermG) nicht mehr in Betracht.

3. NV: Zum Eigentumserwerb im Rahmen der Abwicklung der DDR-Bodenreform.

Tatbestand

  1. I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Erbengemeinschaft in der Rechtsform der GbR. Ihre Gesellschafter sind Erben nach einem Agrarindustriellen, dessen (landwirtschaftliches) Vermögen nach der sowjetischen Besatzung in den Bodenfonds überführt worden war.

  2. Das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen … (Landesamt) erkannte die Berechtigung der Klägerin nach § 1 Abs. 6 des Vermögensgesetzes (VermG) an. Zum land- und forstwirtschaftlichen Vermögen gehörte auch eine Wirtschaftseinheit, die in den Bodenfonds fiel und aufgesiedelt wurde. Darunter befanden sich die Flurstücke … mit einer Größe von 1,9 ha, die als Ackerland genutzt und im Jahr 1965 Frau A zugeteilt wurden. Neben ihrem Eintrag im Grundbuch als Eigentümerin stand ein Bodenreformvermerk. Nach dem Tode der A (1991) wurde ihre Tochter, B, im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen und der Bodenreformvermerk gelöscht.

  3. Das Landesamt hatte durch Teilbescheid vom 2. September 1994 die Rückübertragung des Grundstücks, um das es hier geht, gemäß § 4 Abs. 2 VermG abgelehnt, da A redlich erworben habe. Zugleich wurde zugunsten der Klägerin ein Vorkaufsrecht nach § 20a VermG eingetragen. Am 19. November 1995 wurde zugunsten des Landes eine Auflassungsvormerkung eingetragen.

  4. Mit notariellem Kaufvertrag vom 12. August des Streitjahres (1997) verkaufte B auch das Grundstück, um das es hier geht, neben weiteren Flurstücken zu einem Preis von insgesamt 46.500 DM an die Klägerin. Diese wiederum verkaufte das Grundstück am 20. November 1997 für 392.300 DM.

  5. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) unterwarf einen Veräußerungsgewinn von 370.970 DM (unstreitig) der Einkommensteuer. Die Klage hiergegen hatte Erfolg.

  6. Das Finanzgericht (FG) würdigte den Kaufvertrag als gütliche Einigung zwischen der Klägerin als Berechtigten und der Verfügungsberechtigten (B) in Form eines Kaufvertrages. Denn das Restitutionsverfahren sei nicht durch den Ablehnungsbescheid abgeschlossen gewesen. Insbesondere mit der Eintragung der Auflassungsvormerkung habe der Anspruch der Klägerin trotz des Ablehnungsbescheids eine neue Qualität erhalten.

  7. Hiergegen richtet sich die Revision des FA, die es auf die Verletzung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG) und des § 4 Abs. 2 VermG stützt. Das Restitutionsverfahren sei bereits abgeschlossen gewesen. Die Klägerin habe das Grundstück von B erworben und innerhalb des maßgeblichen Zeitraums wieder veräußert.

  8. Das FA beantragt,

    das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

  9. Die Klägerin beantragt,

    die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Revision ist begründet, die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

  2. 1. Indem das FG die Voraussetzungen für ein steuerbares Veräußerungsgeschäft verneint, verletzt es § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG.

  3. a) Nach § 22 Nr. 2 EStG steuerbare Spekulationsgeschäfte sind gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG Veräußerungsgeschäfte über Grundstücke, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zwei Jahre beträgt. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Klägerin erwarb das Grundstück von B im August des Streitjahres und veräußerte es schon im November des Streitjahres mit einem zwischen den Beteiligten unstreitigen Gewinn von 370.970 DM weiter. Damit erfüllt die Klägerin die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG.

  4. b) Der Kaufvertrag der Klägerin mit B bildet die Grundlage für die Anschaffung i.S. von § 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches. Es handelt sich dabei entgegen der Auffassung des FG nicht um eine gütliche Einigung zwischen der Klägerin als Berechtigten und der Verfügungsberechtigten (B). Eine derartige Auslegung des Kaufvertrags durch das FG bindet den Bundesfinanzhof (BFH) nach § 118 Abs. 2 FGO nicht. Das FG hat den Vertrag mit Blick auf die Vorschriften des VermG rechtlich nicht richtig eingeordnet (vgl. dazu Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 118 FGO Rz 197, m.w.N.).

  5. Eine Auslegung dieses Vertrags als "gütliche Einigung" ist schon deshalb nicht vertretbar, weil daran das Landesamt hätte teilnehmen müssen (vgl. § 31 Abs. 5 VermG). Da der Restitutionsanspruch überdies bereits abgelehnt worden war, konnte es zu keiner gütlichen Einigung mehr kommen und es bedurfte eines Kaufvertrages, damit die Klägerin Eigentümerin des Grundstücks werden konnte.

  6. aa) Zwar ist der Hoheitsakt der Rückübertragung nach dem VermG kein Anschaffungsgeschäft (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 22. Februar 2006 I R 61/04, BFH/NV 2006, 1807, m.w.N.). Indes ist der Restitutionsanspruch der Klägerin bezogen auf dieses Grundstück mit Bescheid des Landesamtes vom 2. September 1994 abgelehnt worden, weil die Verfügungsberechtigte B nach § 4 Abs. 2 VermG redlich erworben hatte. Damit hatte die Klägerin nicht nach dem VermG hoheitlich erworben, sondern erst aufgrund des Kaufvertrags mit B.

  7. bb) Die Auflassungsvormerkung, die zugunsten des Landes eingetragen war, verlieh dem Restitutionsanspruch keine "neue Qualität", wie das FG meint. Sie hatte mit der Restitution nichts zu tun, sondern hing ‑‑wie die Bezugnahme auf Art. 233 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) erkennen lässt‑‑ mit der Eigenschaft des Grundstücks als Bodenreformgrundstück zusammen. Solche Grundstücke sind nach Art. 233 §§ 11 ff. EGBGB nur eingeschränkt veräußer- und vererbbar (vgl. dazu Palandt/Bassenge, Bürgerliches Gesetzbuch, 62. Aufl., Art. 233 § 11 Rz. 1 ff. EGBGB; in späteren Aufl. nicht mehr kommentiert). Wenn das FG die Besitzwechselverordnung der DDR als maßgebend ansieht, wendet es implizit Art. 233 § 11 Abs. 1 EGBGB an. Tatsächlich ist aber Art. 233 § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB einschlägig. Nach dieser Vorschrift war, wovon zutreffend auch das Landesamt im Teilabhilfebescheid ausgeht, die Erblasserin A Volleigentümerin geworden, weil sie bei Ablauf des 15. März 1990 als noch lebende natürliche Person als Eigentümerin eingetragen war. Die Rechtsgrundlage für die Auflassungsvormerkung zugunsten des Landes findet sich in Art. 233 §§ 13, 13a EGBGB. Gesichert werden damit Ansprüche von Berechtigten i.S. von Art. 233 § 12 Abs. 1 EGBGB (z.B. bisherige Nutzer als Zuweisungsempfänger aus der Bodenreform) auf unentgeltliche Auflassung nach Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB. Da es einen Berechtigten in Bezug auf das Grundstück indes nicht gab A bewirtschaftete es selbst), war die Auflassungsvormerkung zu Unrecht eingetragen worden und das Land hatte deren Löschung bewilligt (s. § 6 des Kaufvertrags zwischen der Klägerin und B).

  8. 2. Da das angefochtene Urteil diesen Maßstäben widersprechend einen Kaufvertrag als Erwerbsgrund verneint hat, ist es aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen. Das FA hat den zwischen den Beteiligten unstreitigen Veräußerungsgewinn zutreffend der Besteuerung unterworfen.

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