Zum Hauptinhalt springen Zur Hauptnavigation springen Zum Footer springen
auf der Richterbank liegen Barett und Arbeitsmappe, dahinter ein Richterstuhl, auf dem eine Robe hängt

Decisions
of the Federal Fiscal Court

Decisions online

Zur Hauptnavigation springen Zum Footer springen

Urteil vom 15. September 2010, X R 13/09

Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen: Notwendigkeit schriftlicher Änderung des Versorgungsvertrags - kein Sonderausgabenabzug nach Wiederaufnahme willkürlich ausgesetzter Zahlungen - Prognose zur Erfüllung der Versorgungsleistungen - Rechtsbindungswillen der Vertragsparteien

BFH X. Senat

EStG § 10 Abs 1 Nr 1a, EStG § 12, EStG § 10 Abs 1 Nr 1a, EStG § 12, FGO § 118 Abs 2, BGB § 125, BGB § 761, EStG § 22 Nr 1a, EStG § 22 Nr 1a, EStG § 22 Nr 1, EStG § 22 Nr 1

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 27. August 2008, Az: 3 K 219/06

Leitsätze

1. Änderungen eines Versorgungsvertrags können nur dann steuerlich berücksichtigt werden, wenn sie von den Vertragsparteien schriftlich fixiert worden sind .

2. Werden die auf der Grundlage eines Vermögensübergabevertrags geschuldeten Versorgungsleistungen "willkürlich" ausgesetzt, so dass die Versorgung des Übergebers gefährdet ist, sind die weiteren Zahlungen auch nach Wiederaufnahme der ursprünglich vereinbarten Leistungen nicht als Sonderausgaben abziehbar .

Tatbestand

I.

  1. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die in den Streitjahren 2001 bis 2003 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Vater des Klägers übertrug diesem mit notariellem Vertrag vom 23. Oktober 1998 (Übergabevertrag) im Wege der vorweggenommenen Erbfolge zum 1. Januar 1999 das Eigentum an einem Grundstück sowie an dem auf dem Grundstück befindlichen Bäckereibetrieb. Im Gegenzug verpflichtete sich der Kläger, seinen Eltern jeweils zum ersten eines Monats eine monatliche Rente in Höhe von 4.000 DM ab dem 1. Februar 1999 zu bezahlen. Im Übergabevertrag war die Abänderbarkeit der Rente gemäß § 323 der Zivilprozessordnung (ZPO) vorgesehen. Im Grundbuch wurde eine abänderbare Reallast eingetragen.

  2. Der Kläger führte den Bäckereibetrieb im Rahmen einer GmbH fort und vermietete dieser die betrieblichen Grundstücke. Die monatliche Pacht betrug bis Ende des Jahres 2001  44.080 DM. Wegen der schlechten Ertragslage des Bäckereibetriebs wurde die Pacht ab 2002 auf 16.000 € monatlich vermindert. Zwischen dem Streitjahr 2003 und dem Jahr 2005 traf der Kläger weitere Maßnahmen zur Reduzierung der Ausgaben des Bäckereibetriebs (z.B. Wegfall des Weihnachtsgelds und freiwilliger Lohnzuschläge, Schließung einzelner Filialen, Minderung der Pacht angemieteter Ladengeschäfte). Mit den Banken vereinbarte er eine Tilgungsaussetzung. Sein Geschäftsführergehalt (2001  111.600 DM; 2002  55.224 €; 2003  57.480 €) wurde ab Juli 2004 auf 1.600 € monatlich gekürzt.

  3. In den Streitjahren 2001 bis 2003 leistete der Kläger folgende Rentenzahlungen:

  4.   

      2001 20022003
    RateBetrag in DMBetrag in €Betrag in €
    Januar19.01.014.00021.01.022.045,17
    Februar29.01.014.00022.02.022.045,17
    März27.02.011.000
    April01.04.014.000
    Mai30.04.014.000
    Juni16.05.014.000
    Juli
    August16.08.014.00031.07.032.045,17
    September28.08.032.045,17
    Oktober12.10.014.00029.09.032.045,17
    November30.10.014.00031.10.032.045,17
    Dezember29.11.014.00011.12.032.045,17
    Summe37.0004.090,3410.225,85

                                                                                                                                                                                                                     

  5. Die GmbH und das Vermietungseinzelunternehmen erzielten in den Streitjahren folgende ‑‑um die Absetzung für Abnutzung (AfA) und den Erhaltungsaufwand korrigierte‑‑ Ergebnisse:

  6.   

    GmbHVermietungseinzelunternehmen
    JahrErgebnis in € Ergebnis in €
    2001+ 69.205+ 156.563
    2002+ 15.769+ 104.544
    2003  - 36.175 + 105.645

                                                                                                                                                                                                              

  7. In ihren Einkommensteuererklärungen machten die Kläger die Rentenzahlungen, die sie teilweise überwiesen und teilweise bar geleistet hatten, als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der in den Streitjahren gültigen Fassung geltend.

  8. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) erkannte lediglich Rentenzahlungen in Höhe von 24.000 DM für die Monate Januar bis Juni 2001 als Sonderausgaben an und versagte für die Streitjahre 2002 und 2003 den Sonderausgabenabzug vollständig. Die Einsprüche der Kläger hiergegen blieben erfolglos.

  9. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Versorgungsleistungen der zweiten Jahreshälfte 2001 sowie die Zahlungen im Januar und Februar 2002 seien trotz der Abweichung von den Vereinbarungen im Versorgungsvertrag als Sonderausgaben abziehbar. Der Kläger habe die Rente in den Jahren 1999 und 2000 vollständig und zeitnah bezahlt. Die vereinzelte Nichtzahlung der Rente in den Jahren 2001 und 2002 sei durch die finanziell verschlechterte betriebliche Lage der Bäckerei bedingt und daher nicht willkürlich. Zudem könne vernachlässigt werden, dass die Zahlungen gelegentlich verspätet geleistet worden seien. Auch die Versorgungsleistungen für die Monate August bis Dezember 2003 seien als Sonderausgaben zu berücksichtigen. Zwar habe bei Übergabe des Vermögens im Jahr 1998/1999 ein Versorgungsvertrag nach dem sog. Typus 2 vorgelegen, da der Ertrag des von den Eltern übergebenen Vermögens nicht zur Deckung der Versorgungsleistungen ausgereicht habe. Die Wiederaufnahme der Zahlungen ab August 2003 sei jedoch wegen der völligen Einstellung der Zahlungen im Vorjahr als Vertragsänderung anzusehen. Der Kläger habe sich mit seinen Eltern auf ein neues Vertragskonzept geeinigt und beschlossen, nach der begonnenen Sanierung die Rentenzahlungen in der ursprünglich vereinbarten Höhe wieder aufzunehmen. Deshalb sei zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Zahlungen eine neue Ertragsprognose zu stellen. Diese falle zugunsten des Klägers aus, da die Rentenzahlungen aus dem Betriebsergebnis der GmbH und des Vermietungsunternehmens hätten bedient werden können.

  10. Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a i.V.m. § 12 EStG. Es liege ein Übergabevertrag nach dem sog. Typus 2 vor. Die Versorgungsleistungen seien nicht durch die laufenden Nettoerträge des übernommenen Vermögens gedeckt. Daher seien die in den Jahren 2001 und 2002 gezahlten Renten nicht als dauernde Last abziehbar, sondern stellten Unterhaltsleistungen oder Leistungen aufgrund freiwillig begründeter Rechtspflicht i.S. des § 12 EStG dar. Zwar habe es ‑‑das FA‑‑ sich auf Antrag des Klägers im Einspruchsverfahren damit einverstanden erklärt, dass im Streitfall die Grundsätze des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 26. August 2002 IV C 3 -S 2255- 420/02 (BStBl I 2002, 893) weiter anzuwenden seien, weil die Eltern dem Kläger eine existenzsichernde und ihrem Wesen nach ertragbringende Wirtschaftseinheit ‑‑wenn auch ohne ausreichende Erträge‑‑ überlassen hätten (vgl. hierzu Tz 74 des BMF-Schreibens vom 16. September 2004 IV C 3 -S 2255- 354/04, BStBl I 2004, 922). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 15. November 2006 X B 11/06, BFH/NV 2007, 209) habe das FG diese auf Billigkeitsgründen beruhende Übergangsregelung aber nicht anwenden dürfen.

  11. Die ursprünglich zwischen den Parteien des Vermögensübergabevertrags getroffenen Vereinbarungen seien nicht wie unter fremden Dritten durchgeführt worden. Ein Fremder hätte nicht die völlige Aussetzung der Zahlungen hingenommen, sondern allenfalls eine Minderung akzeptiert. Hinzu komme, dass der Kläger auch mit fremden Gläubigern (Arbeitnehmern, Vermietern) und sich selbst (als Vermieter und Geschäftsführer) nur eine Minderung der ursprünglich vereinbarten Zahlungsansprüche vereinbart habe. Fremde Dritte hätten zudem auch bei einer Sanierungsbedürftigkeit des übertragenen Betriebs im Voraus klare, eindeutige und einklagbare Vereinbarungen über den Charakter der Aussetzung (endgültiger Erlass oder nur vorübergehende Stundung) sowie über deren vorgesehene Dauer bzw. über eine Wiederaufnahme der Zahlungen getroffen. Die Bezugnahme auf § 323 ZPO im Übergabevertrag hätte allenfalls eine Minderung der künftigen Leistungen gerechtfertigt.

  12. In den letzten drei Jahren vor Betriebsübergabe habe der Durchschnittsgewinn des Einzelunternehmens des Vaters des Klägers 113.000 DM betragen. Dieser Gewinn hätte zwar ausgereicht, um die Zahlung der zugesagten Altenteilsleistungen in Höhe von 48.000 DM zu ermöglichen. Da der Vater jedoch noch vor der Betriebsübergabe am 1. Januar 1999 erhebliche Beträge in neue Maschinen und Geräte investiert habe, seien die früheren Betriebsergebnisse für Prognosezwecke um die bereits absehbaren Finanzierungskosten zu bereinigen. Der bisherige Durchschnittsertrag wäre davon aufgezehrt worden, während die erhoffte Steigerung der Umsätze und des Gewinns völlig ungewiss gewesen und auch nicht eingetreten sei. Deshalb habe das FG den Übergabevertrag zutreffend dem sog. Typus 2 zugeordnet.

  13. Die Anerkennung der im Jahr 2003 wiederaufgenommenen Rentenzahlungen als Sonderausgaben stehe in Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH zur willkürlichen Aussetzung und Wiederaufnahme von Zahlungen (vgl. Senatsurteil vom 3. März 2004 X R 14/01, BFHE 205, 261, BStBl II 2004, 826). Aus dem Senatsurteil vom 13. Dezember 2005 X R 61/01 (BFHE 212, 195, BStBl II 2008, 16) könne nicht gefolgert werden, dass nach jeder Vertragsänderung eine erneute Ertragsprognose anzustellen sei und ursprünglich wegen ihrer Zuordnung zum sog. Typus 2 nicht als Sonderausgaben abziehbare Zahlungen für die Zukunft steuerlich anzuerkennen seien.

  14. Das Finanzamt beantragt,

    das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

  15. Die Kläger beantragen,

    die Revision zurückzuweisen.

  16. Die Entscheidung des FG stehe in Einklang mit der Rechtsprechung des BFH und enthalte keinen Rechtsanwendungsfehler.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist teilweise begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑), soweit das FG die wiederkehrenden Zahlungen der Kläger in Höhe von 10.225,85 € im Streitjahr 2003 als Sonderausgaben anerkannt hat. Keinen Erfolg hat die Revision des FA, soweit sie die Streitjahre 2001 und 2002 betrifft.

  2. 1. Als Sonderausgaben abziehbar sind die auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhenden Renten und dauernden Lasten, die nicht mit Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG). Hierzu hat die Rechtsprechung des BFH im Wesentlichen die folgenden Grundsätze entwickelt:

  3. a) Nach Maßgabe des § 12 EStG sind nicht abziehbar u.a. freiwillige Zuwendungen und Zuwendungen aufgrund einer freiwillig begründeten Rechtspflicht (§ 12 Nr. 2 EStG). Dies gilt auch für die im Einleitungssatz des § 12 EStG nicht erwähnten Renten und dauernden Lasten (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG), soweit diese ‑‑außerhalb der für die Vermögensübergabe geltenden Sonderregelung‑‑ Unterhaltsleistungen oder Leistungen aufgrund freiwillig begründeter Rechtspflicht sind (Senatsurteil vom 27. Februar 1992 X R 139/88, BFHE 167, 381, BStBl II 1992, 612).

  4. b) Die steuerrechtliche Behandlung der Versorgungsleistungen als dauernde Last/wiederkehrende Bezüge "beruht auf dem Umstand, dass sich der Vermögensübergeber in Gestalt der Versorgungsleistungen typischerweise Erträge seines Vermögens vorbehält, die nunmehr allerdings vom Vermögensübernehmer erwirtschaftet werden müssen" (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 5. Juli 1990 GrS 4-6/89, BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847). Dem liegt nach dem Beschluss des Großen Senats des BFH vom 12. Mai 2003 GrS 1/00 (BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95) die normleitende Vorstellung zugrunde, dass der Übergeber das Vermögen ‑‑ähnlich wie beim Nießbrauchsvorbehalt‑‑ ohne die vorbehaltenen Erträge, die nunmehr als Versorgungsleistungen zufließen, übertragen hat. Maßgebendes Kriterium für die Frage, ob ein Wirtschaftsgut Gegenstand einer Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen sein kann, ist, so der Große Senat, "die Vergleichbarkeit mit dem Vorbehaltsnießbrauch. Die Vermögensübergabe muss sich so darstellen, dass die vom Übernehmer zugesagten Leistungen ‑‑obwohl sie von ihm erwirtschaftet werden müssen‑‑ als zuvor vom Übergeber vorbehaltene ‑‑abgespaltene‑‑ Nettoerträge vorstellbar sind". Dies ist für die Abziehbarkeit und materiell-rechtlich korrespondierend für die Steuerbarkeit der privaten Versorgungsrente konstituierend (Senatsurteil vom 16. Juni 2004 X R 50/01 BFHE 207, 114, BStBl II 2005, 130, unter II.1.b der Gründe).

  5. 2. Die Annahme des FG, der im Oktober 1998 geschlossene Übergabevertrag sei dem sog. Typus 2 (sog. 1. Rentenerlass vom 23. Dezember 1996 IV B 3 -S 2257- 54/96, BStBl I 1996, 1508; Anerkennung als Versorgungsleistungen bei deren mindestens 50 %iger Deckung durch das übertragene Vermögen) zuzuordnen, ist rechtsfehlerhaft.

  6. a) Im Streitfall greift die vom Großen Senat in BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95 (unter C.II.6.d bb) formulierte "Beweiserleichterung". Danach besteht bei der Übertragung eines gewerblichen Unternehmens gegen wiederkehrende Bezüge im Zuge der vorweggenommenen Erbfolge eine nur in seltenen Ausnahmefällen widerlegliche Vermutung dafür, dass die Beteiligten im Zeitpunkt der Übertragung angenommen haben, der Betrieb werde auf Dauer ausreichende Gewinne erwirtschaften, um die wiederkehrenden Leistungen abzudecken. Das FG hat keinerlei Feststellungen getroffen, die diese Beweiserleichterung entkräften könnten. Vielmehr reichte der in den Jahren vor der Vermögensübergabe erzielte Durchschnittsgewinn des Einzelunternehmens des Vaters des Klägers zur Erfüllung der Versorgungsleistungen selbst dann aus, wenn er nicht ‑‑wie von den Klägern im finanzgerichtlichen Verfahren vorgetragen‑‑ bei ca. 300.000 DM, sondern bei 113.000 DM jährlich ‑‑so die Einlassung des FA in der Revisionsbegründungsschrift‑‑ gelegen hätte. Werden ‑‑wie vom FA in der Revisionsbegründung berechnet‑‑ für Prognosezwecke die jährlichen Mehrbelastungen des Besitzunternehmens berücksichtigt, die aus den fremdfinanzierten Investitionen zwischen dem Abschluss des Übergabevertrags (23. Oktober 1998) und dem Tag der Betriebsübergabe (1. Januar 1999) resultieren, ist diesen die Ertragssteigerung entgegenzusetzen, die die Investitionen nach Auffassung der Beteiligten zur Folge haben sollten. Dass die erhoffte Steigerung der Umsätze und Gewinne nicht sicher war und tatsächlich auch nicht eingetreten ist, ändert hieran schon deshalb nichts, weil die Versorgungsleistungen selbst in den Streitjahren 2001 bis 2003 nach den Feststellungen des FG (vgl. die Entscheidungsgründe unter 2.b) trotz der finanziellen Schwierigkeiten in diesen Jahren aus dem Ertragsüberschuss des Besitz- und des Betriebsunternehmens hätten bedient werden können. Im Übrigen rechnet nach der Rechtsprechung bei der Übertragung einer wesentlichen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft auch die Tätigkeitsvergütung für die Geschäftsführung zum erzielbaren Nettoertrag des überlassenen Vermögens (Senatsurteil vom 21. Juli 2004 X R 44/01, BFHE 207, 179, BStBl II 2005, 133). Nichts anderes kann gelten in Fällen, in denen der Vermögensübergeber ein Einzelunternehmen überträgt, der Vermögensübernehmer dieses als GmbH fortführt und ein Geschäftsführergehalt bezieht.

  7. b) Der Senat ist an die vom FG vorgenommene Wertung des Versorgungsvertrags (Typus 2 im Zeitpunkt der Vermögensübergabe) nicht gebunden. Zwar gehört die Auslegung von Verträgen grundsätzlich zum Bereich der tatsächlichen Feststellungen i.S. des § 118 Abs. 2 FGO. Die Bindungswirkung entfällt jedoch, wenn die Auslegung des FG anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt (BFH-Urteil vom 23. Januar 2003 IV R 75/00, BFHE 201, 278, BStBl II 2003, 467, m.w.N.). Das FG hat im Streitfall den Versorgungsvertrag nicht ausgelegt. Es hat aus dem Umstand, dass der Ertragsüberschuss der Jahre 2001 bis 2003 die Versorgungsleistungen deckt, lediglich gefolgert, die neue Ertragsprognose im Jahr 2003 falle zugunsten der Kläger aus (Entscheidungsgründe des FG unter 2.b). Es hat nicht geprüft, ob die übereinstimmende Einschätzung der Kläger und des FA, bei Vertragsschluss habe ein Übergabevertrag des sog. Typus 2 vorgelegen, zutreffend ist.

  8. 3. Zu Recht hat das FG die in der zweiten Jahreshälfte 2001 und im Januar bzw. Februar 2002 gezahlten wiederkehrenden Leistungen als Sonderausgaben anerkannt.

  9. a) Zutreffend ging das FG davon aus, dass die vereinbarten Leistungen als abänderbar anzusehen sind. Da im Versorgungsvertrag auf § 323 ZPO Bezug genommen wurde, konnten die Beteiligten den Vertrag und damit auch die Höhe der wiederkehrenden Leistungen nicht nur im Hinblick auf eine veränderte Bedarfslage der Berechtigten, sondern auch auf eine verbesserte bzw. verschlechterte Leistungsfähigkeit des Verpflichteten anpassen.

  10. b) Unschädlich ist im Streitfall, dass der Kläger und seine Eltern die Abweichung des tatsächlich Vollzogenen vom Vereinbarten nicht dokumentiert haben.

  11. aa) Zwar ist nach § 761 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zur Gültigkeit eines Vertrags, durch den eine Leibrente versprochen wird, die schriftliche Erteilung des Versprechens (ggf. auch in elektronischer Form) erforderlich. Änderungen der Verpflichtungsermächtigung bedürfen der Form jedoch nur bei Verpflichtungserweiterungen (Erman/M. Terlau, BGB, 12. Aufl., § 761 Rz 1); nachträgliche Einschränkungen oder bloße Erläuterungen unterliegen nicht dem Formerfordernis (Staudinger/ Jörg Mayer (2008), § 761 Rz 4).

  12. bb) Das FG hat nicht festgestellt, ob die Vertragsparteien im Übergabevertrag geregelt haben, dass Vertragsänderungen formbedürftig sind. Der Senat muss das Verfahren aus diesem Grund jedoch nicht zurückverweisen. Vertragsparteien können einen vereinbarten Formzwang jederzeit aufheben. Als actus contrarius zur formfreien Begründung des Formzwangs ist die Aufhebung der Formabrede gleichfalls formfrei (Erman/H. Palm, a.a.O., § 125 Rz 8; Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 69. Aufl., § 125 Rz 19; vgl. auch BFH-Urteil vom 20. April 1999 VIII R 81/94, BFH/NV 1999, 1452). Selbst wenn im Streitfall im Übergabevertrag die Formbedürftigkeit einer Vertragsänderung vereinbart sein sollte, müsste von deren stillschweigender Aufhebung ausgegangen werden, da die Parteien nach den Feststellungen des FG die Maßgeblichkeit der mündlichen Vereinbarung zur zeitweisen Aussetzung der Versorgungsleistungen übereinstimmend gewollt haben.

  13. cc) Versorgungsleistungen sind nach der gesetzlichen Systematik (Einleitungssatz des § 10 Abs. 1 EStG) stets privat veranlasst. Der Bezugsberechtigte erhält Unterhaltsleistungen (vgl. § 22 Nr. 1a EStG), die im Anwendungsbereich der privaten Versorgungsrente (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG) steuerlich begünstigt sind. Bei Abweichungen vom Vereinbarten ist deshalb stets zu prüfen, ob die Aussetzung und anschließende Wiederaufnahme der Zahlungen, aber auch Schwankungen in der Höhe des Zahlbetrags durch eine Änderung der Verhältnisse gerechtfertigt oder willkürlich ist. Diese Prüfung setzt voraus bzw. wird jedenfalls erleichtert, wenn die Vertragsparteien die Aussetzung oder Änderung der Höhe der Versorgungsleistungen schriftlich niederlegen und begründen (Änderung des Versorgungsbedürfnisses/Änderung des Nettoertrags). Der Senat hält es deshalb für geboten, dass künftig über das Formerfordernis in § 761 BGB hinaus auch nachträgliche Einschränkungen der Rentenverpflichtung schriftlich belegt werden. Andernfalls können derartige mündliche oder konkludente Vereinbarungen, die nach Bekanntwerden dieser Entscheidung getroffen worden sind, steuerlich nicht mehr berücksichtigt werden. Eine schriftliche Fixierung der Änderungen des Versorgungsvertrags ermöglicht es im Übrigen den Beteiligten auch, bei Meinungsverschiedenheiten den Inhalt der abweichenden Regelung nachzuweisen.

  14. dd) Dem stehen die Rechtsprechungsgrundsätze zur steuerlichen Anerkennung von Verträgen unter nahen Angehörigen nicht entgegen, wonach u.a. Verträge lediglich bürgerlich-rechtlich wirksam vereinbart, also nicht in jedem Fall schriftlich abgefasst werden müssen. Im Unterschied zu Miet- oder Arbeitsverträgen unter nahen Angehörigen liegen einem Versorgungsvertrag keine "entgeltlichen" Leistungen zugrunde; der Versorgungsvertrag wird nicht nach dem Wert von Leistung und Gegenleistung ausgehandelt. Die Änderung eines Versorgungsvertrags ist steuerrechtlich daher nur anzuerkennen, wenn die veränderte Bedarfslage des Berechtigten oder eine verbesserte bzw. verschlechterte Leistungsfähigkeit des Verpflichteten dies erfordert. Diese Voraussetzungen müssen für eine spätere Überprüfung festgehalten werden. So kann auch ein ertragloses Wirtschaftsgut nur dann Gegenstand einer Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen sein, wenn sich der Übernehmer im Übergabevertrag ‑‑und damit schriftlich‑‑ zur Veräußerung des übertragenen Objekts und zum Erwerb einer ihrer Art nach bestimmten Vermögensanlage verpflichtet (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95, unter C.II.6.a).

  15. c) Den Abzug der in der zweiten Jahreshälfte 2001 und in den Monaten Januar und Februar 2002 gezahlten Versorgungsleistungen als Sonderausgaben hindert nicht eine fehlende Fremdüblichkeit.

  16. aa) Die Funktion des anzustellenden Fremdvergleichs in Fällen der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen unterscheidet sich von derjenigen des Fremdvergleichs bei sonstigen Vertragsverhältnissen zwischen Angehörigen: Bei Letzteren geht es um die Frage, ob eine Vereinbarung in dem einkommensteuerrechtlich vorausgesetzten sachlichen Zusammenhang mit der Erzielung von Einkünften (§ 2 Abs. 1, § 4 Abs. 4, § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG) oder mit dem nach § 12 EStG unbeachtlichen privaten Bereich steht (BFH-Urteil vom 28. Juni 2002 IX R 68/99, BFHE 199, 380, BStBl II 2002, 699).

  17. bb) Diese Zuordnungsentscheidung entfällt bei der Anerkennung einer dauernden Last, da diese nach der gesetzlichen Systematik ohnehin stets privat veranlasst ist (vgl. oben II.3.b cc). Hier sollen durch den Fremdvergleich Versorgungsverträge, denen beide Parteien ‑‑durch äußere Merkmale erkennbar‑‑ rechtliche Bindungswirkung beimessen, von Vereinbarungen abgegrenzt werden, die zwar der äußeren Form nach als bindend erscheinen, für die Parteien selbst jedoch den Charakter der Beliebigkeit haben und von denen sie nur Gebrauch machen, wenn es ihnen opportun erscheint (Senatsurteil in BFHE 205, 261, BStBl II 2004, 826). Entscheidend ist deshalb, ob die Vertragsparteien mit dem erforderlichen Rechtsbindungswillen handeln.

  18. cc) Im Streitfall haben die Kläger im Zeitraum zwischen Juli 2001 bis einschließlich Februar 2002 in zwei Monaten (Juli 2001 und September 2001) keine Versorgungsleistungen erbracht. Angesichts der Tatsache, dass im Übergabevertrag auf § 323 ZPO Bezug genommen wurde und den wirtschaftlichen Schwierigkeiten des übernommenen Bäckereibetriebs in dieser Zeit, die auch zu finanziellen Zugeständnissen Dritter (Vermieter, Arbeitnehmer, ab 2004 auch der Banken) führte, lässt diese Abweichung vom vertraglich Vereinbarten nicht den Schluss zu, die Parteien hätten ihren vertraglichen Pflichten insgesamt nicht mehr nachkommen wollen.

  19. (1) Der Senat hat im Hinblick auf den Rechtsbindungswillen bei Vermögensübergabe- und Versorgungsverträgen bereits in seinem Vorlagebeschluss an den Großen Senat des BFH vom 10. November 1999 X R 46/97 (BFHE 189, 497, BStBl II 2000, 188, unter II.) die Auffassung vertreten, lediglich die Unregelmäßigkeit der Zahlungen hindere für sich allein die Anerkennung einer dauernden Last nicht.

  20. (2) Auch wenn in einer finanziell schwierigen Situation des übergebenen Unternehmens einzelne Versorgungsleistungen ausgesetzt werden, ist nach Auffassung des Senats nicht der Schluss gerechtfertigt, die Parteien würden dem Versorgungsvertrag keine rechtliche Bindungswirkung mehr beimessen. Solange in solchen Fällen der Übernehmer seine ‑‑sich aus dem Sinn und Zweck des Versorgungsvertrags ergebende‑‑ Hauptpflicht, nämlich die Sicherung des finanziellen Unterhalts des Vermögensübergebers, erfüllt, sind die geleisteten Rentenzahlungen als Sonderausgaben abziehbar.

  21. 4. Zu Unrecht hat das FG jedoch die ab August 2003 gezahlten wiederkehrenden Leistungen in Höhe von 10.225,85 € als Sonderausgaben anerkannt.

  22. Mag der Kläger auch subjektiv der Meinung gewesen sein, die Versorgungsleistungen zwischen März 2002 und Juli 2003 nicht erbringen zu können, ohne den Bestand des übernommenen Vermögens zu gefährden, stehen dieser Annahme doch die objektiven Zahlen entgegen. Nach den Feststellungen des FG überstiegen die Nettoerträge der GmbH und des Vermietungseinzelunternehmens in allen Streitjahren die Versorgungsleistungen. Hinzu kommt, dass auch die Tätigkeitsvergütung als GmbH-Geschäftsführer zum erzielbaren Nettoertrag des überlassenen Vermögens rechnet. Der Kläger selbst hat bis 2004 keine Vermögenseinbuße in Form eines Gehaltsverzichts als Geschäftsführer der GmbH erbracht. Dieses Verhalten lässt darauf schließen, dass er sich nicht mehr an den Versorgungsvertrag gebunden fühlte. Ein am Versorgungsvertrag festhaltender Vermögensübernehmer würde die Versorgungszahlungen nicht über einen so langen Zeitraum (insgesamt 17 Monate) vollkommen aussetzen und so die Versorgung desjenigen gefährden, der ihm Vermögen ‑‑wirtschaftlich betrachtet‑‑ jedenfalls teilweise unentgeltlich übertragen hat. Würde man die Zahlungen steuerlich berücksichtigen, stünde es im Belieben der Vertragsparteien eines Vermögensübergabevertrags, in welchem Umfang sie den Vertrag als bindend anerkennen und erfüllen wollen.

  23. Auch wenn die Beteiligten den Versorgungsvertrag ab August 2003 stets vertragsgerecht erfüllt haben sollten (nach dem Vortrag des FA wurden jedenfalls auch im Jahr 2004 zwei Rentenzahlungen nicht erbracht), kommt eine Rückkehr zum vertragsgerechten Verhalten nach einer Phase einer schwerwiegenden Abweichung vom Vereinbarten nicht in Betracht (so auch BMF-Schreiben vom 11. März 2010 IV C 3 - S 2221/09/10004, BStBl I 2010, 227, Tz 63, bzw. in BStBl I 2004, 922, Tz 39). Das gravierende vertragswidrige Verhalten während eines längeren Zeitraums (im Streitfall 17 Monate) zeigt den fehlenden Rechtsbindungswillen der Parteien und lässt den Übergabevertrag als Ganzes deshalb nicht unberührt (a.A. Schönfelder, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge 2005, 223). Erfüllt der Übernehmer in späteren Jahren die vereinbarten Versorgungsleistungen vertragsgemäß, sind deshalb auch diese Aufwendungen nicht als Sonderausgaben abziehbar. Andererseits hat der Vermögensübergeber, der über einen längeren Zeitraum vertragswidrig keine Versorgungsleistungen erhalten hat, auch bei Wiederaufnahme der Zahlungen keine sonstigen Einkünfte zu versteuern.

Print Page