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Urteil vom 26. August 2010, III R 47/09

Anspruch auf Kindergeld bei einer Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG - Verfassungsgemäße Neuregelung der Kindergeldberechtigung von Ausländern - Antrag nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO im Revisionsverfahren unzulässig

BFH III. Senat

AufenthG § 4 Abs 2, AufenthG § 34 Abs 3, EStG § 62 Abs 2 Nr 2, EStG § 52 Abs 61a S 2, GG Art 3 Abs 1, GG Art 6, FGO § 139 Abs 3 S 3

vorgehend Sächsisches Finanzgericht , 07. June 2009, Az: 5 K 1541/07 (Kg)

Leitsätze

Ein Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG hat nur dann Anspruch auf Kindergeld, wenn die Ausübung einer Erwerbstätigkeit in dem Aufenthaltstitel ausdrücklich erlaubt wird .

Tatbestand

I.

  1. Die aus der Ukraine stammende Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) reiste im Jahr 2004 im Wege des Kindernachzugs in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ein. Ihr war nach der am 25. Mai 2004 erteilten Aufenthaltserlaubnis eine selbständige oder vergleichbare unselbständige Erwerbstätigkeit nicht gestattet, eine arbeitsgenehmigungspflichtige Erwerbstätigkeit nur gemäß gültiger Arbeitsgenehmigung. Seit dem 8. September 2006 war die Klägerin im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. vom 30. Juli 2004 ‑‑AufenthG‑‑ (BGBl I 2004, 1950); eine selbständige Erwerbstätigkeit war ihr nicht gestattet, eine Beschäftigung nur mit Erlaubnis der Ausländerbehörde. Am 7. August 2007 wurde die Beschäftigung uneingeschränkt erlaubt.

  2. Mit Bescheid vom 2. März 2007 lehnte die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) den Antrag der Klägerin auf Kindergeld für ihren im Oktober 2006 geborenen Sohn ab. Den Einspruch wies sie mit der Begründung zurück, dass ein Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nur bestehe, wenn die Aufenthaltserlaubnis zu einer Erwerbstätigkeit berechtige. Bei einer Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG, also in Fällen des Familiennachzugs, müsse eine Beschäftigung durch die Ausländerbehörde aber ausdrücklich genehmigt werden.

  3. Mit der Klage berief sich die Klägerin auf die Materialien im Gesetzgebungsverfahren zur Neuregelung der Kindergeldberechtigung von Ausländern. Danach habe der Bundesrat vorgeschlagen, den Kreis der Berechtigten um die Inhaber eines Aufenthaltstitels nach §§ 32 bis 34 AufenthG zu erweitern, weil diese Aufenthaltstitel von jungen Migranten regelmäßig nicht mit einem Erwerbstätigkeitsvermerk versehen würden, ihnen aber ‑‑dem Zweck des Gesetzesentwurfs entsprechend‑‑ ein voraussichtlich dauerhafter Aufenthalt nicht abgesprochen werden könne (BTDrucks 16/1368, S. 12).

  4. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit Urteil vom 8. Juni 2009  5 K 1541/07 (Kg) ab. Es entschied, eine Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG berechtige nur dann zum Bezug von Kindergeld, wenn die Ausübung der Erwerbstätigkeit ausdrücklich erlaubt sei. Die der Klägerin im Streitzeitraum Oktober 2006 bis März 2007 erteilte Aufenthaltserlaubnis habe eine selbständige Tätigkeit aber ausdrücklich nicht und die Aufnahme einer Beschäftigung nur mit Erlaubnis der Ausländerbehörde gestattet. Dem Vorschlag des Bundesrates, den Kreis der Berechtigten um die Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 32, 33, 34 AufenthG zu erweitern, sei der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG ausweislich des Wortlauts der Norm nicht gefolgt.

  5. Zur Begründung der Revision trägt die Klägerin vor, aus dem Aufenthaltstitel ergebe sich nicht eindeutig, ob ihr die Erwerbstätigkeit gestattet sei. Die eingeschränkte Erlaubnis ‑‑"Beschäftigung nur mit Erlaubnis der Ausländerbehörde gestattet"‑‑ sei verfassungskonform als Erlaubnis der Erwerbstätigkeit auszulegen. Im Gesetzgebungsverfahren sei der Gesetzgeber dem Vorschlag des Bundesrates auf Erweiterung der einen Kindergeldanspruch begründenden Aufenthaltstitel nicht gefolgt, weil er mit Verweis auf §§ 8, 9 der Beschäftigungsverfahrensverordnung i.d.F. vom 22. November 2004 ‑‑BeschVerfV‑‑ (BGBl I 2004, 2934) angenommen habe, es seien kaum Konstellationen denkbar, in denen jugendliche Eltern mit einer Bleibeperspektive vom Bezug der Familienleistungen ausgeschlossen würden (BTDrucks 16/1368, S. 14). Dabei habe er jedoch übersehen, dass jugendliche Migranten, die sich noch in einer schulischen Ausbildung befänden oder nach Beendigung der schulischen Ausbildung noch keine Arbeitsstelle oder Berufsausbildung gefunden hätten, nicht von § 8 BeschVerfV erfasst würden. Die Ausgrenzung dieser Personengruppe widerspreche dem in Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verankerten besonderen Schutz der Familie und der in Art. 6 Abs. 4 GG normierten besonderen Fürsorge des Staates gegenüber jungen Müttern. Sollte auch eine analoge Anwendung des § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG nicht in Betracht kommen, stelle der Ausschluss der Klägerin aus dem Bezug von Kindergeld eine Ungleichbehandlung i.S. des Art. 3 Abs. 1 GG dar.

  6. Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil, den Ablehnungsbescheid vom 2. März 2007 sowie die Einspruchsentscheidung vom 9. Juli 2007 aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, von Oktober 2006 bis März 2007 Kindergeld in Höhe von 154 € monatlich zu gewähren.

  7. Die Familienkasse beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Die Klägerin hat für den streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Kindergeld.

  2. 1. Die Neuregelung der Kindergeldberechtigung von Ausländern in § 62 Abs. 2 EStG ist mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft getreten und erfasst gemäß § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG alle Sachverhalte, bei denen das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist.

  3. Die Neuregelung ist verfassungsgemäß. Die verfassungsrechtlichen Zweifel des Bundessozialgerichts an der wortgleichen Regelung der Berechtigung von Ausländern zur Inanspruchnahme von Erziehungsgeld nach § 1 Abs. 6 des Gesetzes zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (BErzGG) kommen im steuerrechtlichen Kindergeld nicht zum Tragen, da das Kindergeld, anders als das Erziehungsgeld (s. § 8 Abs. 1 Satz 1 BErzGG), als Einkommen auf Sozialleistungen angerechnet wird (Senatsurteil vom 28. April 2010 III R 1/08, BFHE 229, 262, BFH/NV 2010, 1540, m.w.N.).

  4. 2. Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis erhält nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG Kindergeld nur, wenn die Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, es handelt sich um eine ‑‑im Streitfall nicht vorliegende‑‑ Aufenthaltserlaubnis i.S. des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a bis c EStG.

  5. 3. Die Klägerin war weder im streitigen Zeitraum noch davor im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG).

  6. a) Ein Aufenthaltstitel berechtigt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, sofern es nach dem AufenthG bestimmt ist oder der Aufenthaltstitel die Ausübung der Erwerbstätigkeit ausdrücklich erlaubt (§ 4 Abs. 2 Satz 1 AufenthG).

  7. b) Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG, wie sie die Klägerin besaß, berechtigt nicht kraft Gesetzes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Auch erlaubten ihr weder die am 25. Mai 2004 erteilte Aufenthaltserlaubnis noch diejenige vom 8. September 2006 die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ausdrücklich. Im Gegenteil war eine selbständige Erwerbstätigkeit gerade nicht gestattet, eine Beschäftigung nur mit Erlaubnis der Ausländerbehörde.

  8. c) Unerheblich ist, ob die Klägerin Anspruch auf einen Aufenthaltstitel hatte, der zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt hätte. Für den Bezug von Kindergeld kommt es allein auf den tatsächlichen "Besitz" aufenthaltsrechtlicher Titel an und nicht darauf, ob ein Ausländer einen Anspruch auf einen Titel hat, der zum Bezug von Kindergeld berechtigt (Senatsurteil in BFHE 229, 262, BFH/NV 2010, 1540).

  9. 4. Auch die Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung des § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG liegen entgegen der Auffassung der Klägerin nicht vor.

  10. a) Eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus. Eine solche Regelungslücke liegt vor, wenn eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, d.h. ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 2. Juni 2005 III R 86/03, BFHE 210, 137, BStBl II 2005, 756).

  11. b) § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG enthält keine zu einer Analogie berechtigende ungewollte Regelungslücke hinsichtlich der Voraussetzungen für den Kindergeldanspruch von jungen Migranten, die im Wege des Kindernachzugs in die Bundesrepublik eingereist sind. Der Vorschlag des Bundesrates, bei Aufenthaltserlaubnissen nach den §§ 32, 33, 34 AufenthG (Fälle des Kindernachzugs oder der Geburt im Bundesgebiet) den Anspruch auf Kindergeld nicht an die Berechtigung zu einer Erwerbstätigkeit zu knüpfen (BTDrucks 16/1368, S. 12), ist nicht Gesetz geworden. Ausländer, die nicht über eine in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a bis c EStG aufgeführte Aufenthaltserlaubnis verfügen, sollen nur dann Anspruch auf Kindergeld haben, wenn die Aufenthaltserlaubnis ausdrücklich zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat.

  12. Eine Gesetzeslücke ist auch nicht deshalb anzunehmen, weil in der Gegenäußerung der Bundesregierung zu dem Vorschlag des Bundesrates unter Hinweis auf §§ 8, 9 BeschVerfV ausgeführt wurde, es seien kaum Konstellationen denkbar, bei denen Kinder mit Aufenthaltserlaubnissen i.S. der §§ 32 bis 34 AufenthG vom Bezug von Familienleistungen ausgeschlossen würden (vgl. BTDrucks 16/1368, S. 14), dabei aber ‑‑wie die Klägerin meint‑‑ übersehen worden sei, dass jugendliche Migranten, die sich noch in einer schulischen Ausbildung befänden oder nach Beendigung der schulischen Ausbildung noch keine Arbeitsstelle oder Berufsausbildung gefunden hätten, nicht von § 8 BeschVerfV erfasst würden.

  13. § 8 BeschVerfV bestimmt nur, dass bei Ausländern, die vor Vollendung des 18. Lebensjahres eingereist sind und eine Aufenthaltserlaubnis besitzen, unter ‑‑hier offensichtlich nicht vorliegenden‑‑ Voraussetzungen die Zustimmung zur Ausübung einer Beschäftigung ohne Prüfung nach § 39 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (keine nachteiligen Wirkungen auf den Arbeitsmarkt, keine bevorrechtigten Arbeitnehmer) erteilt werden kann. Auch wenn die Klägerin nicht die Voraussetzungen des § 8 BeschVerfV erfüllt, ist die Zustimmung zur Ausübung einer Beschäftigung daher nicht ausgeschlossen. Die Klägerin hat eine Erlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit nach den Feststellungen des FG auch gar nicht beantragt.

  14. 5. Der Antrag, die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO), ist im Revisionsverfahren unzulässig. Die Entscheidung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO gehört sachlich zum Kostenfestsetzungsverfahren; zuständig ist deshalb das Gericht des ersten Rechtszuges, im Streitfall das FG (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 14. Mai 2009 IV R 47/07, BFHE 225, 116, BStBl II 2009, 900).

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