BFH I. Senat
EStG § 6 Abs 1 Nr 3, EStG § 52 Abs 16 S 3, EStG § 52 Abs 16 S 4, EStG § 52 Abs 16 S 5, EStG § 52 Abs 16 S 6, EStG § 52 Abs 16 S 7, EStG § 52 Abs 16 S 8
vorgehend FG Köln, 31. August 2009, Az: 13 K 93/07
Leitsätze
Werden Darlehen, die bereits in der Bilanz zum 31. Dezember 1998 enthalten waren, erstmals im Wege der Bilanzberichtigung in der Bilanz zum 31. Dezember 2002 abgezinst, kann für den hierbei entstehenden Gewinn eine den Gewinn mindernde Rücklage in Höhe von sechs Zehnteln gebildet werden .
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, wies in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1998 vier Darlehen ihrer beiden Gesellschafter aus. Diese Darlehen waren ‑‑zum Teil in unveränderter Höhe‑‑ auch noch in der Bilanz zum 31. Dezember 2002 enthalten. Für die Veranlagungszeiträume 1999 bis 2001 wurde die Klägerin bestandskräftig veranlagt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA-) forderte die Klägerin im Jahr 2004 auf, die diesen Verbindlichkeiten zu Grunde liegenden Darlehensverträge mit den Gesellschaftern zu übersenden. Die Klägerin teilte dazu mit, dass Verträge nicht greifbar seien und eine Verzinsung nicht vereinbart worden sei.
Das FA zinste daraufhin unter Berufung auf § 6 Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) ‑‑EStG 1997‑‑ die Darlehen ab und erließ entsprechende Steuerbescheide für die Jahre 2002 und 2003 und Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember 2004 sowie der gesonderten Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts auf den 31. Dezember 2002 bis 31. Dezember 2004 (Streitjahre). Dabei ging es davon aus, dass es sich um unverzinsliche Gesellschafterdarlehen von unbestimmter Dauer handele, und legte der Berechnung des Abzinsungsbetrags unter Hinweis auf § 13 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes das 9,3fache des nach einem Zinsfuß von 5,5 % bemessenen Jahreszinses zu Grunde. Die Berücksichtigung einer gewinnmindernden Rücklage in Höhe von neun Zehnteln des Abzinsungsbetrags gemäß § 52 Abs. 16 Satz 8 EStG 1997 i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes vom 23. Oktober 2000 (BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428) ‑‑EStG 1997 n.F.‑‑ lehnte es ab.
Mit ihrer dagegen gerichteten Klage wandte sich die Klägerin gegen die Abzinsung der Darlehen mit der Begründung, § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997 sei auf Gesellschafterdarlehen nicht anwendbar. Hilfsweise beantragte sie, im Wege der Bilanzänderung neun Zehntel des Abzinsungsbetrags gemäß § 52 Abs. 16 Satz 8 EStG 1997 n.F. in eine Rücklage zu stellen. Das Finanzgericht (FG) Köln gab mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 318 veröffentlichtem Urteil vom 1. September 2009 13 K 93/07 (13 K 94/07) der Klage hinsichtlich des Hilfsantrags zum Teil statt. Der Gewinn des Jahres 2002 sei gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 52 Abs. 16 Satz 8 EStG 1997 n.F. im Wege der Bilanzänderung um Rücklagen in Höhe von sechs Zehnteln der zum 31. Dezember 2002 zu erfassenden Abzinsungsbeträge zu mindern.
Mit seiner Revision rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, dass für die sich aus der erstmaligen Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997 ergebenden Gewinne zu sechs Zehnteln eine den Gewinn mindernde Rücklage gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 52 Abs. 16 Satz 8 EStG 1997 n.F. gebildet werden kann.
1. Nach § 52 Abs. 16 Satz 2 EStG 1997 n.F. ist § 6 Abs. 1 EStG 1997 erstmals für das erste nach dem 31. Dezember 1998 endende Wirtschaftsjahr (Erstjahr) anzuwenden. § 52 Abs. 16 Satz 7 EStG 1997 n.F. bestimmt, dass § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997 auch für Verbindlichkeiten gilt, die bereits zum Ende eines vor dem 1. Januar 1999 endenden Wirtschaftsjahres angesetzt worden sind. Für den Gewinn, der sich aus der erstmaligen Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997 bei den in Satz 7 genannten Verbindlichkeiten ergibt, kann jeweils in Höhe von neun Zehnteln eine den Gewinn mindernde Rücklage gebildet werden, die in den folgenden neun Wirtschaftsjahren jeweils mit mindestens einem Neuntel gewinnerhöhend aufzulösen ist (Auflösungszeitraum).
a) Nach den Feststellungen des FG handelt es sich bei den streitbefangenen Darlehen sämtlich um solche, die bereits zum Ende des vor dem 1. Januar 1999 endenden Wirtschaftsjahres in der Bilanz enthalten waren. Da sie zinslos gewährt wurden und § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997 auch auf Gesellschafterdarlehen anwendbar ist, selbst wenn diese eigenkapitalersetzend sind (Senatsurteil vom 27. Januar 2010 I R 35/09, BFHE 228, 250, BStBl II 2010, 478; Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2009 I R 4/08, BFHE 226, 347, BStBl II 2010, 177), waren die Darlehen mit einem Zinssatz von 5,5 % abzuzinsen. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht mehr im Streit, so dass der Senat insoweit von weiteren Ausführungen absieht. Da die Darlehen bereits in der Bilanz der Klägerin zum 31. Dezember 1998 enthalten waren, kann für die Abzinsungsbeträge gemäß § 52 Abs. 16 Satz 8 EStG 1997 n.F. eine den Gewinn mindernde Rücklage gebildet werden.
b) Dem steht nicht entgegen, dass die Darlehen nicht bereits im Erstjahr der Geltung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997, sondern erstmals im Streitjahr 2002 abgezinst wurden (gleicher Ansicht Schmidt/Glanegger, EStG, 26. Aufl., § 6 Rz 409; Neu, EFG 2009, 976; anderer Ansicht Oberfinanzdirektion Koblenz, Verfügung vom 25. Januar 2006, Az. S 2138 A; möglicherweise anderer Ansicht Blümich/Ehmcke, § 6 EStG Rz 956; Kiesel/Görner in Herrmann/Heuer/Raupach, § 6 EStG Rz 1150). Denn der Wortlaut des § 52 Abs. 16 Satz 8 EStG 1997 n.F. enthält keinerlei Einschränkungen dahingehend, dass das mit dieser Vorschrift eingeräumte Wahlrecht nur im ersten nach dem 31. Dezember 1998 endenden Wirtschaftsjahr ausgeübt werden kann. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Zusammenschau mit § 52 Abs. 16 Satz 7 EStG 1997 n.F. Hieraus folgt nur, dass das Wahlrecht nicht für alle nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997 abzuzinsenden Verbindlichkeiten, sondern nur für solche gelten soll, die bereits vor Einführung der Neuregelung bestanden haben.
Während § 52 Abs. 16 Satz 3 EStG 1997 n.F. die Möglichkeit einräumt, in Höhe von vier Fünfteln des im "Erstjahr" durch die Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG 1997 entstehenden Gewinns im "Erstjahr" eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage zu bilden, die in den dem Erstjahr folgenden vier Wirtschaftsjahren jeweils mit mindestens einem Viertel gewinnerhöhend aufzulösen ist (Auflösungszeitraum), enthalten § 52 Abs. 16 Sätze 7 und 8 EStG 1997 n.F. keine entsprechenden Einschränkungen für die Bildung der Rücklage auf das Erstjahr. Da sich nicht feststellen lässt, dass diese unterschiedliche Wortwahl auf ein Versehen des Gesetzgebers zurückzuführen ist, kann in Fällen, in denen die Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997 im Erstjahr unterblieben ist, für Gewinne, die sich aus der erstmaligen Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997 in einem dem Erstjahr nachfolgenden Wirtschaftsjahr ergeben, gemäß § 52 Abs. 16 Satz 8 EStG 1997 n.F. eine Rücklage gebildet werden.
Entgegen der Auffassung des FA gilt § 52 Abs. 16 Satz 3 EStG 1997 n.F. und die darin enthaltene Einschränkung der Bildung der Rücklage auf das Erstjahr nicht auch für Verbindlichkeiten. Zwar bestimmt § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997, dass Verbindlichkeiten unter sinngemäßer Anwendung der Vorschriften der Nr. 2 anzusetzen und mit einem Zinssatz von 5,5 % abzuzinsen sind. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Anwendungsregelung für die eine Vorschrift sinngemäß auch für die andere gilt. Vielmehr enthält § 52 Abs. 16 Sätze 3 bis 6 EStG 1997 n.F. ausschließlich Regelungen für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG 1997. Die dort enthaltenen Beschränkungen für die Bildung einer Rücklage auf das Erstjahr gelten daher nicht entsprechend für die Abzinsung von Verbindlichkeiten.
Dieses Ergebnis entspricht auch dem Ziel des § 52 Abs. 16 Satz 8 EStG 1997 n.F. Die Übergangsregelung bezweckt, Härten zu mildern, die sich aus der erstmaligen Anwendung des Abzinsungsgebots ergeben können. Von diesem Zweck werden auch Fälle erfasst, in denen Darlehen nicht im Erstjahr, sondern in einem anderen Jahr innerhalb des Auflösungszeitraums abgezinst werden. Denn auch hieraus können sich Härten ergeben.
c) Allerdings hat das FG zu Recht angenommen, dass sich die Höhe der Rücklage für jedes Jahr, das dem Erstjahr folgt, um ein Neuntel mindert. Dies folgt zum einen daraus, dass das Gesetz ersichtlich davon ausgeht, dass nach Ablauf von 10 Jahren die sich aus der Abzinsung von Altverbindlichkeiten ergebenden Härten von den Steuerpflichtigen hinzunehmen sind. Zum anderen ist die einschränkende Auslegung der Übergangsvorschrift ‑‑wie das FG zu Recht ausführt‑‑ deshalb geboten, weil die verspätete Befolgung des Abzinsungsgebots nicht zu einer Besserstellung des säumigen Steuerpflichtigen führen darf.
2. Das FG hat auch zutreffend entschieden, dass die Rücklage im Wege der Bilanzänderung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG 1997 gebildet werden kann.
Die Bilanz der Klägerin für das Streitjahr 2002 ist fehlerhaft, weil entgegen der Vorgaben des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997 die zinslos gewährten Gesellschafterdarlehen nicht abgezinst wurden. Soweit die Änderung reicht, kann die Bilanz gegenläufig geändert werden. Der enge zeitliche und sachliche Zusammenhang mit der Bilanzberichtigung ist gegeben, da sich die Bilanzänderung auf die sich durch die Bilanzberichtigung geänderte Bilanzposition bezieht. Die Klägerin musste, nachdem das FA eine Bilanzänderung abgelehnt hatte, auch nicht eine geänderte bzw. berichtigte Bilanz einreichen. Vielmehr ist sie hierzu erst nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung verpflichtet (Senatsurteil vom 17. Juli 2008 I R 85/07, BFHE 222, 418, BStBl II 2008, 924; Urteile des Bundesfinanzhofs vom 27. September 2006 IV R 7/06, BFHE 215, 172, BStBl II 2008, 600; vom 31. Mai 2007 IV R 54/05, BFHE 218, 188, BStBl II 2008, 665).