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Urteil vom 04. Februar 2010, II R 25/08

Kein Erlass der Erbschaftsteuer wegen insolvenzbedingter Veräußerung des begünstigt erworbenen Betriebsvermögens

BFH II. Senat

AO § 227, ErbStG § 13a Abs 5

vorgehend FG Münster, 27. February 2008, Az: 3 K 3877/07 Erb

Leitsätze

Der Wegfall der Vergünstigungen nach § 13a Abs. 5 ErbStG a.F. infolge einer insolvenzbedingten Veräußerung des Betriebsvermögens ist kein sachlicher Grund für einen Erlass gemäß § 227 AO .

Tatbestand

I.

  1. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden neben ihrer Schwester je zu einem Drittel Erben ihres am 6. August 1996 verstorbenen Vaters. Zum Nachlass gehörten u.a. alle Anteile an einer GmbH & Co. KG mit einem Wert von ca. 3 Mio. DM. Über das Vermögen der Gesellschaft wurde am 1. März 2001 das Insolvenzverfahren eröffnet. Im Mai 2001 verkaufte der Insolvenzverwalter das Betriebsvermögen an einen Investor.

  2. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) setzte zuletzt mit bestandskräftig gewordenen Bescheiden vom 2. September 2004 gegen den Kläger zu 1. Erbschaftsteuer in Höhe von 109.585 € sowie gegen den Kläger zu 2. in Höhe von 108.979 € fest und versagte die Vergünstigungen des § 13a des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der vor dem Erbschaftsteuerreformgesetz 2009 geltenden Fassung (ErbStG), weil das Betriebsvermögen innerhalb der fünfjährigen Behaltensfrist des § 13a Abs. 5 Nr. 1 ErbStG veräußert worden sei.

  3. Die Kläger beantragten am 9. Oktober 2006, die auf den Erwerb des Betriebsvermögens entfallende und bereits bezahlte Erbschaftsteuer in Höhe von 64.559,07 € bzw. 64.112,75 € aus sachlichen und persönlichen Billigkeitsgründen zu erlassen. Das FA lehnte die Anträge mit Bescheiden vom 8. November 2006 ab.

  4. Die Einsprüche blieben ohne Erfolg. Zur Begründung führte das FA aus, dass ein Ausnahmefall der sachlichen Unbilligkeit nicht vorliege. Die Vergünstigungen des § 13a ErbStG entfielen unabhängig davon, aus welchen Gründen das Betriebsvermögen veräußert worden sei (unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 16. Februar 2005 II R 39/03, BFHE 209, 143, BStBl II 2005, 571). Deshalb stelle die insolvenzbedingte Veräußerung keinen Billigkeitsgrund dar. Der Einsatz privater Gelder zur Rettung des Unternehmens sei eine unternehmerische Entscheidung gewesen, für die der Staat nicht das Risiko trage. Das geringfügige Unterschreiten der fünfjährigen Behaltensfrist sei ebenfalls kein Erlassgrund; die starre Anwendung der Frist auch auf Insolvenzfälle sei nicht unbillig, sondern solle die Gesetzesanwendung erleichtern. Eine persönliche Unbilligkeit sei ebenfalls nicht gegeben. Durch die Steuerzahlung sei die Existenz der Kläger nicht gefährdet. Sie hätten weiteres Vermögen geerbt und verfügten über eigene Einkünfte.

  5. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1049 veröffentlichtem Urteil ab, weil das FA einen Erlass der Erbschaftsteuer ermessensfehlerfrei abgelehnt habe.

  6. Mit der Revision rügen die Kläger fehlerhafte Anwendung des § 227 der Abgabenordnung (AO). Der Wegfall der Vergünstigungen nach § 13a Abs. 5 ErbStG wegen insolvenzbedingter Veräußerung des Betriebsvermögens führe zu einer dem Zweck der Steuerermäßigung widersprechenden Besteuerung. Dies sei jedenfalls im Erlassverfahren zu berücksichtigen, da hier dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck ein stärkeres Gewicht zukomme als im Steuerfestsetzungsverfahren.

  7. Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung und die Ablehnungsbescheide vom 8. November 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 12. September 2007 aufzuheben sowie das FA zu verpflichten, dem Kläger zu 1. die Erbschaftsteuer in Höhe von 64.559,07 € und dem Kläger zu 2. in Höhe von 64.112,75 € zu erlassen.

  8. Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG war zu Recht der Auffassung, dass das FA einen Billigkeitserlass der Erbschaftsteuer ermessensfehlerfrei abgelehnt hat. Der Wegfall der Vergünstigungen nach § 13a Abs. 5 ErbStG infolge einer insolvenzbedingten Veräußerung des Betriebsvermögens stellt keinen sachlichen Grund für einen Erlass nach § 227 AO dar. Persönliche Billigkeitsgründe sind ebenfalls nicht gegeben.

  2. Nach § 227 AO können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Beim Erlass handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Die Entscheidung darf gemäß § 102 FGO gerichtlich (nur) daraufhin überprüft werden, ob das FA die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder es von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.

  3. a) Ein Erlass kommt aus sachlichen Gründen in Betracht, wenn die Einziehung der Steuer zwar dem Gesetz entspricht, aber infolge eines Gesetzesüberhangs den Wertungen des Gesetzgebers derart zuwiderläuft, dass sie unbillig erscheint (BFH-Urteile vom 23. März 1998 II R 41/96, BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396, und II R 26/96, BFH/NV 1998, 1098). Dies setzt voraus, dass der Gesetzgeber die mit der Einziehung der Steuer verbundene Härte nicht bewusst in Kauf genommen hat. § 227 AO stellt keine Ermächtigung zur Korrektur des Gesetzes dar. Die Billigkeitsmaßnahme darf nicht auf Erwägungen gestützt werden, die die vorgesehene Besteuerung allgemein oder für bestimmte Fallgruppen außer Kraft setzen würde. Ein Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit ist nur insoweit durch die Vorschrift gedeckt, wie angenommen werden kann, der Gesetzgeber würde die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage ‑‑hätte er sie geregelt‑‑ im Sinne des vorgesehenen Erlasses entscheiden (BFH-Urteile in BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396, und in BFH/NV 1998, 1098).

  4. Gesichtspunkte, die bereits im Steuerfestsetzungsverfahren vorzubringen waren oder noch sind, können im Billigkeitsverfahren regelmäßig nicht berücksichtigt werden (BFH-Urteil vom 13. Mai 1998 II R 98/97, BFH/NV 1998, 1376).

  5. b) Das FA hat ermessensfehlerfrei angenommen, dass die Erbschaftsteuer nicht deshalb wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen ist, weil das begünstigte Betriebsvermögen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens veräußert wurde. Ein Gesetzesüberhang liegt insoweit nicht vor.

  6. Nach § 13a ErbStG werden u.a. beim Erwerb eines Gewerbebetriebs, eines Teilbetriebs oder eines Anteils an einer Gesellschaft i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes ein Freibetrag und ein verminderter Wertansatz gewährt. Diese Vergünstigungen fallen jedoch gemäß § 13a Abs. 5 Nr. 1 ErbStG mit Wirkung für die Vergangenheit weg, soweit das begünstigte Betriebsvermögen innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb veräußert wird ("Nachversteuerung"); als Veräußerung gilt nach § 13a Abs. 5 Nr. 1 Satz 1 Halbsatz 2 ErbStG auch die Aufgabe des Gewerbebetriebs. Durch den rückwirkenden Wegfall der Vergünstigungen wird im Ergebnis die im Zeitpunkt des Erwerbs tatsächlich vorhandene Bereicherung besteuert.

  7. Der Senat hat bereits entschieden, dass der Wegfall der Vergünstigungen selbst dann mit dem Gesetzeszweck im Einklang steht, wenn das Betriebsvermögen krisen- oder insolvenzbedingt veräußert wird (zu § 13 Abs. 2a Satz 3 ErbStG in der in den Jahren 1994 und 1995 geltenden Fassung: BFH-Urteil in BFHE 209, 143, BStBl II 2005, 571; zu § 13a Abs. 5 Nr. 4 ErbStG: BFH-Urteil vom 21. März 2007 II R 19/06, BFH/NV 2007, 1321), wobei die Veräußerung durch den Insolvenzverwalter dem Insolvenzschuldner zugerechnet wird (vgl. zum Konkursverwalter: BFH-Beschluss vom 7. Juli 2004 II B 32/04, BFHE 206, 370, BStBl II 2004, 747, unter II.2.). Hierauf hat das FA im Rahmen seiner Ermessensentscheidung zu Recht Bezug genommen und aus den Überlegungen des Senats den richtigen Schluss gezogen, dass damit auch der für einen Billigkeitserlass erforderliche Gesetzesüberhang über die Wertungen des Gesetzgebers nicht besteht. Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber im Rahmen seiner Typisierungsbefugnis die Vergünstigungen bei jeder Betriebsveräußerung und Betriebsaufgabe versagt und die Umstände des jeweiligen Einzelfalls, die dazu geführt haben, bewusst nicht berücksichtigt.

  8. c) Ein atypischer Einzelfall kann entgegen der Ansicht der Kläger auch nicht darin gesehen werden, dass sie durch die Unternehmensinsolvenz in erheblichem Umfang Privatvermögen verloren haben. Das FA hat seiner Entscheidung zutreffend die Erwägung zugrunde gelegt, dass der Einsatz privater Gelder zur Rettung des Unternehmens eine unternehmerische Entscheidung im Verantwortungsbereich der Kläger gewesen ist. Eine Unternehmensinsolvenz ist häufig mit einem Verlust von Privatvermögen ‑‑insbesondere durch Bürgschaften oder Darlehen‑‑ verbunden. Dieser Umstand rechtfertigt regelmäßig keinen Erlass aus sachlichen Gründen.

  9. d) Das geringfügige Unterschreiten der Fünf-Jahres-Frist begründet in Übereinstimmung mit dem FA ebenfalls keinen Billigkeitserlass. Der Gesetzgeber hat in § 13a ErbStG den Erwerb von Betriebsvermögen nur für den Fall begünstigt, dass das begünstigte Vermögen zumindest fünf Jahre beim Erwerber verbleibt. Mit dieser eindeutigen gesetzlichen Behaltensfrist hat er klar zu erkennen gegeben, dass bei einer Veräußerung oder Aufgabe des Betriebsvermögens vor Ablauf der Frist grundsätzlich auch aus Billigkeitsgründen die Vergünstigungen nicht zu gewähren sind (vgl. zur Ablehnung von Billigkeitsmaßnahmen bei Versäumen von Antragsfristen: BFH-Urteil vom 26. Mai 1994 IV R 51/93, BFHE 174, 482, BStBl II 1994, 833).

  10. e) Die Entscheidung des FA erweist sich auch als richtig, soweit es einen Erlass wegen persönlicher Unbilligkeit abgelehnt hat. Zu den Erwägungen äußern sich die Kläger in der Revisionsbegründung nicht mehr. Ermessensfehler des FA sind nicht ersichtlich.

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