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1918
– 1933

Gründung und Aufbau: Der Reichsfinanzhof in der Weimarer Republik

Pionierarbeit auf dem Gebiet des modernen Steuerrechts

Historische Gebäudeansicht des "Fleischerschlösschens" an der Ismaninger Straße in München

Der Reichsfinanzhof prägte durch seine Rechtsprechung das moderne Steuerrecht. Fundamental und bis heute fortwirkend waren seine Leistungen bei der Definition der steuerrechtlichen Grundbegriffe  und bei der Entwicklung spezieller steuerrechtlicher Rechtsinstitute. Dem Gericht gelang es zudem, sich als eine allgemein anerkannte Rechtsschutzinstanz für den Bürger zu etablieren.

RFH-Gesetz 1918

Der Reichsfinanzhof wurde mit dem vom Reichstag beschlossenen „Gesetz über die Errichtung eines Reichsfinanzhofs und über die Reichsaufsicht für Zölle und Steuern vom 26. Juli 1918“ (RFH-Gesetz) errichtet.

Im Reichsgesetzblatt wurde am 26.07.1918 die Gründung des Reichsfinanzhofs beschlossen.
Im Reichsgesetzblatt wurde am 26.07.1918 die Gründung des Reichsfinanzhofs beschlossen.
Das RFH-Gesetz bestimmt Aufbau und Arbeitsweise des Reichsfinanzhofs.
Das RFH-Gesetz bestimmt Aufbau und Arbeitsweise des Reichsfinanzhofs.

Namensgebung und Dienstsitz

Der Name "Reichsfinanzhof" wurde wegen des gegenüber "Reichssteuergerichtshof" "besseren und volleren Klangs" gewählt. Auch sollte mit dem Wortteil "Finanz" zum Ausdruck gebracht werden, dass nicht nur "Steuer-", sondern auch andere Abgabensachen vor dieses Gericht gebracht werden konnten. Auf den Wortteil "Gericht" hatte man auch deshalb verzichtet, weil der Reichsfinanzhof auf Verlangen des Reichskanzlers und der obersten Finanzbehörden auch Gutachten außerhalb von Rechtsstreitigkeiten zu erstatten hatte. Dies galt bis 1963 auch für den Bundesfinanzhof.

Mehrere Städte, unter anderen Stuttgart, Berlin, Straßburg und Leipzig, bewarben sich um den Sitz des neuen Gerichts. Der Bundesrat, das Vertretungsorgan der 25 Bundesstaaten des Deutschen Kaiserreichs, wählte schließlich München aus.

Gustav Jahn wird erster Präsident des RFH

Kaiser Wilhelm II ernannte den bisherigen Unterstaatssekretär im Reichsschatzamt Wirklichen Geheimen Rat Exzellenz Gustav Jahn zum Kaiserlichen Präsidenten des Gerichtshofs. Dieser nahm am 1. Oktober 1918 – kriegsbedingt ohne jede Feierlichkeit – seine Arbeit als Vorsitzender der II. Senats auf.

Der erste Präsident des Reichsfinanzhofs Gustav Jahn steht nach rechts gewandt vor dunklem Hintergrund.
Der erste Präsident des Reichsfinanzhofs Gustav Jahn steht nach rechts gewandt vor dunklem Hintergrund. Kopf und Frack sind in Öl gemalt. Hemd, Kragen, Handschuhe und Hose sind in Kreide gemalt. Das Gemälde ist nicht fertiggestellt worden.
dienstlicher Gehrock von Gustav Jahn, ca. 1918
dienstlicher Gehrock von Gustav Jahn, ca. 1918

RFH zieht ins "Fleischerschlösschen"

Im September 1923 konnte der Reichsfinanzhof das eigens für ihn erworbene und umgebaute – heute vom Bundesfinanzhof genutzte – „Fleischerschlösschen“ in der Ismaninger Straße 109 im Münchener Stadtteil Bogenhausen als Dienstgebäude beziehen.

Mehr zur Baugeschichte

Ausführungszeichnung zum Dientgebäude des Reichfinanzhofs des Architekturbüros Heilmann und Littmann, 1921–1923
Ausführungszeichnung zum Dientgebäude des Reichfinanzhofs des Architekturbüros Heilmann und Littmann, 1921–1923
Ausführungszeichnung zum Dientgebäude des Reichfinanzhofs des Architekturbüros Heilmann und Littmann, 1921–1923
Ausführungszeichnung zum Dientgebäude des Reichfinanzhofs des Architekturbüros Heilmann und Littmann, 1921–1923

Sechs Senate entscheiden

Beim Reichsfinanzhof wurden am 12.10.1918 zwei Senate gebildet. Bis zum Jahr 1922 wurden in rascher Folge vier weitere Senate eingerichtet. Bei diesen sechs Senaten blieb es nach einer vorübergehenden Reduzierung auf fünf Senate bis zum Ende der Weimarer Republik im Jahre 1933.

Der I. Senat entfaltete seine Rechtsprechungstätigkeit vorwiegend auf dem Gebiet der Körperschaftsteuer, der II. Senat auf dem Gebiet der Verkehrsteuern, der III. Senat im Bewertungs- und Vermögensteuerrecht, der V. Senat im Umsatzsteuerrecht, der IV. und der VI. Senat im Einkommensteuer- und Gewerbesteuerrecht.

Insgesamt wurden 114 Personen, ausnahmslos Männer, zu Richtern am RFH ernannt. Diese führten ursprünglich die Amtsbezeichnung Reichsfinanzrat, später Reichsrichter. Nach dem Ende der Monarchie sah das Gesetz vor, dass die Richter vom Reichspräsidenten zu ernennen waren. Entsprechende Personalvorschläge unterbreitete der Reichsminister der Finanzen.

Die Bewerber mussten mindestens 35 Jahre alt sein. Die Befähigung zum Richteramt war nicht zwingend vorgeschrieben; allerdings musste die Hälfte der Mitglieder des RFH diese Befähigung erlangt haben. Somit konnten zum Beispiel auch Volkswirte, Wissenschaftler oder Beamte mit der Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst Richter des RFH werden. Tatsächlich setzte sich das richterliche Personal im Wesentlichen aus ehemaligen Zivil- und Verwaltungsrichtern und höheren Finanzbeamten zusammen.

Im Unterschied zu den Richtern an den Finanzgerichten, bei denen es sich um Angehörige der Finanzverwaltung handelte, genossen die Mitglieder des RFH richterliche Unabhängigkeit. Die Unabhängigkeit des RFH war gesetzlich zwar verbrieft, jedoch in der Hinsicht unvollkommen, dass faktisch der Reichsfinanzminister die Stellenbesetzung vornahm. Als Vertreter des Reichsfiskus war er zugleich Partei in den meisten der vor dem RFH geführten Gerichtsverfahren. Das Präsidium des RFH war in keiner Weise in das Ernennungsverfahren eingebunden. Das alles rief bereits unter Zeitgenossen Kritik hervor.

RFH überprüft Urteile der Finanzgerichte

Nach den umfassenden Steuerreformen der Jahre 1919/1920 war der RFH als oberste Spruch- und Beschlussbehörde für sämtliche Abgabenstreitigkeiten nach den Reichssteuergesetzen zuständig. Durch die im Jahre 1919 in Kraft getretene Reichsabgabenordnung waren  in erster Instanz bei den Landesfinanzämtern eingerichtete Finanzgerichte zur Entscheidung berufen. Ihren Mitgliedern war die richterliche Unabhängigkeit garantiert. Sie hatten indessen neben der Rechtsprechung Verwaltungsaufgaben wahrzunehmen. Organisatorisch blieben die Finanzgerichte in die Landesfinanzämter eingegliedert.

Im Rahmen der Überprüfung der finanzgerichtlichen Urteile (Rechtsbeschwerdeverfahren) sollte der RFH in erster Linie garantieren, dass die Steuergesetze im gesamten Reich einheitlich angewendet werden, damit eine gleichmäßige steuerrechtliche Behandlung aller Bürger im Reich gewährleistet war.

Als Rechtsbeschwerdegericht war der RFH eine reine Rechtsinstanz. Im Rechtsbeschwerdeverfahren selbst fand keine neue Tatsachenfeststellung, das heißt eine Überprüfung des entscheidungserheblichen Sachverhalts, statt. Den Sachverhalt, zum Beispiel durch die Vernehmung von Zeugen oder die Auswertung von Urkunden festzustellen, war Sache der dem RFH untergeordneten Finanzgerichte.

Steuerrechtsprechung 1918–1933

Im Rahmen der Erzberger'schen Steuerreform von 1919/1920 wurde das Gebiet des Steuerrechts nahezu vollständig umgestaltet. Die zahlreichen neuen Steuergesetze (zum Beispiel Umsatzsteuergesetz 1918, Reichsabgabenordnung 1919, Einkommensteuergesetz 1920, Körperschaftsteuergesetz 1920) repräsentierten das moderne Steuerrecht und der RFH als das zur letztinstanzlichen Interpretation dieses Rechts berufene Gericht hatte fortan Pionierarbeit zu leisten.

Die Ergebnisse seiner Arbeit in der Zeit der Weimarer Republik waren derart fundamental, dass sie Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung auf dem Gebiet des Steuerrechts bis heute prägen.

Zu den fortwirkenden rechtsschöpferischen Leistungen des RFH gehören vor allem die Emanzipation des Steuerrechts vom Zivilrecht, die Entwicklung und Festlegung der steuerrechtlichen Grundbegriffe und die Ausbildung spezieller steuerrechtlicher Rechtsinstitute und Rechtstheorien.

Beispiele der Pionierarbeit

Richterpersönlichkeiten 1918–1933

Neben dem Chefpräsidenten Gustav Jahn bestand der RFH zunächst aus einem Senatspräsidenten, also einem Vorsitzenden Richter, und sieben Reichsfinanzräten, die zusammen zwei Senate bildeten. Der Kaiser hatte folgende Herren ernannt:

Robert Evers Robert Evers

Robert Evers

Dr. Max Hecker Dr. Max Hecker

Dr. Max Hecker

Rudolf Hochstetter Rudolf Hochstetter

Rudolf Hochstetter

Dr. Albrecht Hoffmann Dr. Albrecht Hoffmann

Dr. Albrecht Hoffmann

Exzellenz Gustav Jahn, erster Präsident des RFH (10.1918–12.1930) Exzellenz Gustav Jahn

Exzellenz Gustav Jahn

Erster Präsident des RFH (10.1918–12.1930)
Dr. Richard Kloß Dr. Richard Kloß

Dr. Richard Kloß

Dr. Friedrich Schlutius Dr. Friedrich Schlutius

Dr. Friedrich Schlutius

Hermann von Schmidt Hermann von Schmidt

Hermann von Schmidt

Dr. Georg Strutz Dr. Georg Strutz

Dr. Georg Strutz