100 Jahre RFH/BFH
Erfahren Sie mehr über die Geschichte des Bundesfinanzhofes ab Ende des 15. Jahrhunderts bis in die Gegenwart sowie über das historische Gebäude.
Bereits seit Ende des 15. Jahrhunderts hatte das Reichskammergericht die Kompetenz zur Schlichtung von Finanzstreitigkeiten über die erste allgemeine Reichssteuer.
Nach Auflösung des alten Reichs im Jahre 1806 kam es im Zuge der konstitutionellen Veränderungen allmählich zur getrennten Entwicklung der ordentlichen und der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dies führte in den meisten Ländern zur grundsätzlichen Steuerkompetenz der Verwaltungsgerichte. Auch wurde seitdem eine Verselbständigung der Finanzgerichtsbarkeit angestrebt.
Erste Schritte zu einer eigenständigen Steuergerichtsbarkeit
In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Gedanke einer eigenständigen Steuergerichtsbarkeit erstmals in Baden gesetzlich verwirklicht. Im Jahre 1848 wurden dort Gesetze betreffend die Aufstellung der Kataster und die Errichtung von Steuerschwurgerichten erlassen. Die darin vorgesehenen Steuergerichte waren von der Finanzverwaltung unabhängig und hatten als letzte Instanz in Steuersachen zu entscheiden.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte sich sodann in fast allen deutschen Ländern der Gedanke der gerichtlichen Kontrolle der Tätigkeit der Finanzverwaltung durch. Es wurden Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtshöfe) als oberste Instanz für alle Verwaltungsstreitigkeiten und damit auch für das Gebiet der Steuern, die weitgehend Ländersache waren, geschaffen. Für die Reichssteuern nach dem Erbschaftsteuergesetz, dem Reichsstempelgesetz und dem Gesetz über Personen- und Güterverkehrsabgaben war allerdings als letzte Instanz das Reichsgericht zuständig. Für weitere wichtige Abgaben, nämlich den Wehrbeitrag, die Kriegssteuern und Besitzabgaben, wurde die Regelung über die gerichtliche Kontrolle den jeweiligen Landesgesetzen überlassen. Deshalb hatten insoweit zum Teil die Landesverwaltungsgerichte und zum Teil das Reichsgericht letztinstanzlich zu entscheiden. Der Rechtsschutz in Steuersachen war also uneinheitlich und unübersichtlich geregelt.
Während des Ersten Weltkriegs mussten die Steuerquellen des Reiches erheblich vermehrt werden, unter anderem durch die Erhebung einer allgemeinen indirekten Steuer, der Umsatzsteuer, die 1916 zunächst in Form eines Umsatzsteuerstempels eingeführt wurde. Hieraus ergab sich die Notwendigkeit, einen obersten Gerichtshof zu schaffen, der durch seine Entscheidungen die Einheitlichkeit der Handhabung wichtiger Reichssteuergesetze für das ganze Reichsgebiet wahren sollte. Folglich wurde noch in der Kaiserzeit das Gesetz vom 26.07.1918 über den Reichsfinanzhof erlassen, das diesen in jeder Beziehung dem Reichsgericht gleichstellte.
Zuständigkeit des Reichsfinanzhofs
Mit Wirkung vom 01.10.1918 wurden dem Reichsfinanzhof nicht nur die letztinstanzliche Entscheidung über Umsatzsteuersachen, sondern auch über andere Reichsabgaben, so den Wehrbeitrag, die Besitzsteuern, die Kriegsabgaben, die Erbschaftsteuer, die Verkehrsteuern und die Kohlensteuer, übertragen. Dagegen unterlagen die Zölle und Verbrauchsabgaben noch nicht der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs.
Bildung von Finanzgerichten als "untere Instanz"
Durch die im Jahre 1919 in Kraft getretene Reichsabgabenordnung wurden die Finanzgerichte als untere Instanz gebildet. Ihren Mitgliedern war die richterliche Unabhängigkeit garantiert. Sie hatten indessen neben der Rechtsprechung Verwaltungsaufgaben wahrzunehmen. Organisatorisch blieben die Finanzgerichte in die Landesfinanzämter eingegliedert.
Beweggründe für die Namensgebung, Sitz des Gerichts
Der Name "Reichsfinanzhof" wurde wegen des gegenüber "Reichssteuergerichtshof" "besseren und volleren Klangs" gewählt. Auch sollte mit dem Wortteil "Finanz" zum Ausdruck gebracht werden, dass nicht nur "Steuer-", sondern auch andere Abgabensachen vor dieses Gericht gebracht werden konnten. Auf den Wortteil "Gericht" hatte man auch deshalb verzichtet, weil der Reichsfinanzhof auf Verlangen des Reichskanzlers und der obersten Finanzbehörden auch Gutachten außerhalb von Rechtsstreitigkeiten zu erstatten hatte. Dies galt bis 1963 auch für den Bundesfinanzhof.
Als Sitz des Gerichts waren Berlin, München, Stuttgart, Leipzig und Straßburg im Gespräch. Man entschied sich schließlich für München.
Errichtung weiterer Senate beim Reichsfinanzhof
Beim Reichsfinanzhof wurden am 12.10.1918 zwei Senate gebildet. Zum Präsidenten des Gerichts und Vorsitzenden des II. Senats wurde der Wirkliche Geheime Rat Exzellenz Gustav Jahn ernannt (vorher Unterstaatssekretär im Reichsschatzamt). In den Jahren 1920 bis 1922 wurden noch vier weitere Senate eingerichtet.
Der I. Senat entfaltete seine Rechtsprechungstätigkeit vorwiegend auf dem Gebiet der Körperschaftsteuer, der II. Senat auf dem Gebiet der Verkehrsteuern, der III. Senat im Bewertungs- und Vermögensteuerrecht, der V. Senat im Umsatzsteuerrecht, der IV. und der VI. Senat im Einkommensteuer- und Gewerbesteuerrecht.
Das dunkle Kapitel in der Geschichte des Reichsfinanzhofs begann mit der nationalsozialistischen Machtübernahme. Der zweite Präsident des Reichsfinanzhofs, der international hoch angesehene Prof. Dr. Herbert Dorn, wurde aufgrund seiner jüdischen Abstammung aus dem Amt gedrängt und emigrierte über die Schweiz und Kuba in die USA. Weitere Richter mussten das Gericht aus dem gleichen Grund verlassen. Die Richter Rolf Grabower und Franz Oppens wurden in Konzentrationslager deportiert.
Nach dem unerwarteten Versterben des dritten Gerichtspräsidenten Dr. Richard Kloss, der dieses Amt nicht einmal ein Jahr ausüben konnte, wurde mit Dr. Ludwig Mirre am 01.04.1935 der vierte Gerichtspräsident ernannt. Nach dem Kriegsende wurde er verhaftet, degradiert und aus dem Amt entlassen.
In den Jahren ab 1933 bestand die erforderliche Bindung an Gesetz wie auch Recht nur noch eingeschränkt. Nach dem Steueranpassungsgesetz war der Beurteilung gesetzlicher Tatbestände die nationalsozialistische Weltanschauung zugrunde zu legen. Auf dieser Grundlage sah das Reichsfinanzministerium den Reichsfinanzhof als seinen Gehilfen an. Er sollte bei den vor 1933 in Kraft getretenen Vorschriften prüfen, ob sie der nationalsozialistischen Weltanschauung entsprachen und wenn nicht entsprechend der nationalsozialistischen Weltanschauung uminterpretieren.
Der Reichsfinanzhof – als von Gesetzes wegen eigentlich unabhängiges Organ der Steuerrechtspflege – ordnete sich zunehmend dem Willen des Reichsfinanzministeriums unter. Als verlängerter Arm des Reichsfinanzministeriums wurde vor allem Unrecht gegenüber Steuerpflichtigen jüdischer Abstammung wie auch gegenüber Kirchen, Religionsgemeinschaften und geistlichen Orden Unrecht gesprochen. Für die Steuerangelegenheiten von Kirchen, Religionsgemeinschaften und geistlichen Orden richtete Mirre einen speziellen Senat VIa ein, dem er selbst vorsaß. Mögen auch viele Urteile des Reichsfinanzhofs aus damaliger Zeit fachlich nicht zu beanstanden sein, ist es zugleich unfassbar und beschämend, wie andere Entscheidungen getroffen und zudem begründet wurden. Bis heute fehlt es an einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der Tätigkeit des Reichsfinanzhofs in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.
Präsidenten des Reichsfinanzhofs waren:
- Jahn, Gustav, Wirklicher Geheimer Rat, vom 01.10.1918 bis 31.12.1930
- Prof. Dr. Dorn, Jul. Herbert, vom 22.01.1931 bis 31.12.1933
- Dr. Kloss, Richard, vom 01.01.1934 bis 01.12.1934
- Dr. Mirre, Ludwig, vom 01.04.1935 bis April 1945
Oberster Finanzgerichtshof übernimmt die Rechtsprechung in Steuer- und Zollsachen
Der Gedanke einer gesonderten obersten Gerichtsinstanz für das Steuerrecht blieb auch nach dem Zweiten Weltkrieg lebendig. Der Freistaat Bayern knüpfte an die Tradition des alten Reichsfinanzhofs an und führte dessen Organisation in der Form des Obersten Finanzgerichtshofs unter Beschränkung auf die Steuern, die im Rahmen der bayerischen Zuständigkeit und seiner territorialen Gebietshoheit lagen, fort. Damit waren die Voraussetzungen geschaffen, möglichst bald wieder ein oberstes Gericht in Steuer- und Zollsachen zu gründen.
Dr. Heinrich Schmittmann Präsident des Obersten Finanzgerichtshofs
Bereits am 25.07.1945 wurde der ehemalige Senatspräsident des Reichsfinanzhofs Dr. Heinrich Schmittmann zum Präsidenten des Obersten Finanzgerichtshofs ernannt. Ab 1947 bildete dieser Gerichtshof auch das oberste Steuergericht für die gesamte amerikanische Zone.
Beschränkte Zuständigkeit des Obersten Finanzgerichtshofs
Hingegen war in der britischen und französischen Zone kein oberster Gerichtshof in Abgabensachen vorhanden. In der britischen Zone hatte vielmehr die seinerzeitige Leitstelle der Finanzverwaltung als Rechtsbeschwerdeinstanz zu entscheiden.
(Gesetzliche) Grundlagen
Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde es wieder möglich, ein bundesweit zuständiges oberstes Steuergericht zu errichten.
Nach Artikel 108 Abs. 6 des Grundgesetzes wird die Finanzgerichtsbarkeit durch Bundesgesetz einheitlich geregelt. Da eine solche Regelung, unter anderem wegen der Zuständigkeit der Bundesländer für die Landesfinanzgerichtsbarkeit, erhebliche Zeit in Anspruch nahm, wurde vorweg das Gesetz vom 29.06.1950 (lediglich) über den Bundesfinanzhof erlassen. Der Bundesfinanzhof hat danach seine Tätigkeit mit Wirkung vom 01.10.1950 aufgenommen. Er wurde als erster der in Artikel 95 des Grundgesetzes genannten Obersten Gerichtshöfe des Bundes errichtet.
Bezeichnung und Sitz des Gerichtshofs
Die Bezeichnung "Bundesfinanzhof" wurde in Anlehnung an die bisherige Bezeichnung "Reichsfinanzhof" gewählt. Als Standort beließ man es bei München, weil hier das vorhandene Gebäude zweckmäßig eingerichtet war und eine hervorragend ausgestattete Bibliothek bot.
Ressortzugehörigkeit des Bundesfinanzhofs
Der Bundesfinanzhof unterstand vor 1970 organisatorisch dem Bundesminister der Finanzen, was seiner Rechtsprechung manches Mal den – unberechtigten – Vorwurf der "Hausgerichtsbarkeit" einbrachte. Er ist nunmehr – wie der Bundesgerichtshof und das Bundesverwaltungsgericht – ressortmäßig dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zugeordnet (das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales).
Präsidentin und Präsidenten des Bundesfinanzhofs waren:
- Dr. Schmittmann, Heinrich vom 21.10.1950 bis 30.04.1951
- Dr. Müller, Hans vom 01.05.1951 bis 31.12.1954
- Dr. Heßdörfer, Ludwig vom 01.03.1955 bis 31.01.1962
- Dr. h.c. Mersmann, Wolfgang vom 21.05.1962 bis 30.06.1970
- Prof. Dr. von Wallis, Hugo vom 01.07.1970 bis 30.04.1978
- Prof. Dr. List, Heinrich vom 01.05.1978 bis 31.03.1983
- Prof. Dr. Klein, Franz vom 01.04.1983 bis 30.09.1994
- Prof. Dr. Offerhaus, Klaus vom 01.10.1994 bis 31.10.1999
- Dr. Ebling, Iris vom 05.11.1999 bis 31.05.2005
- Dr. h.c. Spindler, Wolfgang vom 01.06.2005 bis 31.03.2011
- Prof. Dr. h.c. Mellinghoff, Rudolf vom 31.10.2011 bis 31.07.2020
- Dr. Thesling, Hans-Josef seit 25.01.2022