ECLI:DE:BFH:2025:B.180225.VB54.23.0
BFH V. Senat
FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 116 Abs 3 S 3
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 04. August 2023, Az: 1 K 64/23
Leitsätze
NV: Fragen, deren Beantwortung wesentlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig ist, sind grundsätzlich nicht klärungsbedürftig und vermögen daher die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung nicht zu rechtfertigen.
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 04.08.2023 - 1 K 64/23 wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
1. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat den von ihr geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) nicht entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt.
a) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärbar sein (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 03.02.2014 - VI B 111/13, BFH/NV 2014, 696; vom 18.07.2014 - XI B 37/14, BFH/NV 2014, 1779).
b) Wird die Beschwerde mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache begründet, hat der Beschwerdeführer zur Erfüllung der Darlegungsanforderungen eine hinreichend bestimmte, für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herauszustellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll, sowie schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen darzulegen, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 16.05.2008 - VII B 118/07, BFH/NV 2008, 1440; vom 09.01.2014 - XI B 11/13, BFH/NV 2014, 915).
c) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
aa) Die Klägerin wirft sinngemäß die Fragen auf,
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ob ein Steuerpflichtiger damit rechnen muss, dass in einer Sendung mehrere Bescheide enthalten sind, insbesondere auch dann, wenn kein Anschreiben beigefügt ist, weder ein Vermerk auf dem Umschlag noch eine Hervorhebung oder Strukturierung der übersandten Seiten erfolgt ist und die lose übersandten Seiten mit schwer lesbarer Maschinenschrift in grauer Schrift auf grauem Grund gestaltet sind,
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ob, wenn eine Sendung des Finanzamts so vorgenommen wird, dass in der Art und Weise eine Gefahr des Übersehens angelegt ist, wenigstens eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden muss, sowie
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aus welchem Grund Rechtsanwälte gehalten sind, in gleich gelagerten Fällen wie beispielsweise Sammelsendungen an Gerichte diese als solche zu kennzeichnen, und aus welchem Grund falsche Bezeichnungen wie zum Beispiel ein als Anlage deklarierter Schriftsatz im elektronischen Postverkehr als nicht erfolgter Zugang gelten.
bb) Aus welchen Gründen diese Fragen im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig sein sollen, ergibt sich aus der Beschwerdebegründung nicht. Ungeachtet des Umstandes, dass sich aus dem Vorbringen der Klägerin, das weder Entscheidungen des BFH oder von Finanzgerichten noch im Schrifttum vertretene Auffassungen in Bezug nimmt, bereits nicht ergibt, aus welchen Gründen die Beantwortung der von der Klägerin aufgeworfenen Fragen zweifelhaft oder umstritten sein sollte, sind die ersten beiden von der Klägerin formulierten Fragestellungen, die ‑‑wie etwa das Fehlen eines Begleitschreibens und der formalen Gestaltung der Bescheide‑‑ wesentliche Punkte ihres Vorbringens im finanzgerichtlichen Verfahren aufnehmen, im Kern auf die Überprüfung der vorinstanzlichen Entscheidung auf ihre materiell-rechtliche Richtigkeit im Einzelfall gerichtet. Mit solchen Ausführungen kann die grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht dargelegt werden (vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 20.09.2024 - V B 15/23, BFH/NV 2024, 1424; vom 03.02.2016 - V B 122/15, BFH/NV 2016, 1062; BFH-Beschluss vom 28.09.2009 - XI B 103/08, BFH/NV 2010, 73).
Vergleichbares gilt, soweit die Klägerin den Anforderungen, welche an die Pflichten von Rechtsanwälten bei der Übersendung mehrerer verschiedener Schriftstücke zu stellen sind, grundsätzliche Bedeutung beimisst. Auch insoweit wirft die Klägerin keine abstrakte Rechtsfrage auf, sondern wendet sich im Ergebnis ‑‑in Form eines Gleichheitsschlusses auf die dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ‑‑FA‑‑) obliegenden Pflichten bei der Übersendung mehrerer Bescheide‑‑ gegen die Rechtsanwendung des Finanzgerichts (FG) im Streitfall als Einzelfall, das davon ausgegangen ist, dass der streitgegenständliche Umsatzsteuerbescheid der Klägerin zusammen mit einem anderen Umsatzsteuerbescheid desselben Datums zugegangen ist und es die Klägerin bei der Durchsicht der an sie gerichteten Postsendungen des FA an der erforderlichen Sorgfalt habe fehlen lassen.
Soweit sich die Fragen der Klägerin auf die Anforderungen, die an eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Sinne des § 110 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung zu stellen sind, beziehen, hätte sich die Klägerin zudem zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit damit auseinander setzen müssen, dass jemand ‑‑was im Streitfall allein fraglich ist‑‑ nur dann "ohne Verschulden" verhindert ist, eine gesetzliche Frist einzuhalten, wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat (z.B. BFH-Urteil vom 11.08.1993 - II R 6/91, BFH/NV 1994, 440). Da sich das Verschulden damit (auch) nach den persönlichen Umständen und Fähigkeiten des Steuerpflichtigen richtet (vgl. etwa BFH-Urteile vom 03.02.1983 - IV R 153/80, BFHE 137, 547, BStBl II 1983, 324; vom 04.03.1998 - XI R 44/97, BFH/NV 1998, 1056) und Fragen, deren Beantwortung wesentlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig ist, regelmäßig nicht klärungsbedürftig im Sinne von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO sind (z.B. BFH-Beschlüsse vom 07.09.2012 - IX B 125/11, BFH/NV 2012, 2001; vom 25.03.2013 - I B 26/12, BFH/NV 2013, 1061), wären Ausführungen dazu erforderlich gewesen, aus welchen Gründen die Beantwortung der von der Klägerin aufgeworfenen Fragen dennoch im allgemeinen Interesse liegen sollte. Insbesondere die Behauptung der Klägerin, einem "durchschnittlichen Bürger" könne nicht abverlangt werden, in einer "Loseblattsammlung behördlicher Übersendungen alles abzugrasen" und für Rechtsanwälte könne nichts anderes gelten wie für jeden anderen Steuerpflichtigen, genügt dem nicht. Vielmehr richtet sich die Klägerin auch insoweit ‑‑womit die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht erreicht werden kann‑‑ gegen die Rechtsanwendung des FG im Einzelfall.
2. Soweit die Klägerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) und damit das Vorliegen eines Verfahrensfehlers im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend macht, genügt die Beschwerdebegründung nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.
a) Bei der Rüge von Gehörsverletzungen, die ‑‑wie im Streitfall‑‑ nur einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte des angegriffenen Urteils betreffen, muss der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung substantiiert darlegen, was er bei aus seiner Sicht ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch zusätzlich vorgetragen hätte und dass bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des FG eine andere Entscheidung in der Sache möglich gewesen wäre (z.B. BFH-Urteile vom 19.12.2006 - VI R 59/02, BFH/NV 2007, 866; vom 09.04.2008 - I R 43/07, BFH/NV 2008, 1848).
b) Diese Darlegungsanforderungen sind nicht erfüllt. So beschränkt sich die Klägerin insoweit auf die Behauptung, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht angemessen thematisiert worden. Aus ihrem Verweis auf die "unterschiedlichen Anforderungen an anwaltliche Pflichten und solche des Finanzamts hinsichtlich der Art und Weise der Bekanntgabe von Schriftsätzen bzw. Verfügungen" lässt sich weder hinreichend deutlich entnehmen, was sie bei ‑‑aus ihrer Sicht‑‑ ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte, noch, dass bei Berücksichtigung dieser "unterschiedlichen Anforderungen" eine andere Entscheidung des FG, mit dessen Begründung sich die Klägerin insoweit nicht auseinander setzt, möglich gewesen wäre. Vielmehr wendet sie sich im Kern gegen die aus ihrer Sicht "unangemessene Würdigung" ‑‑und damit die fehlerhafte materielle Rechtsanwendung‑‑ durch das FG. Hierdurch kann die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers nicht erreicht werden (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 28.05.2009 - VI B 84/08, BFH/NV 2009, 1657; vom 22.03.2011 - X B 151/10, BFH/NV 2011, 1165; vom 12.05.2016 - III B 5/16, BFH/NV 2016, 1292).
3. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO abgesehen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.