ECLI:DE:BFH:2025:B.220125.VIIIB124.23.0
BFH VIII. Senat
EStG § 50d Abs 1 S 2, EStG § 50d Abs 2 S 1, EStG § 50d Abs 3
vorgehend FG Köln, 15. März 2023, Az: 2 K 1501/20
Leitsätze
NV: Ein gegenstandslos gewordener Antrag auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung gemäß § 50d Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) enthält auch unter Berücksichtigung der Vorgaben des unionsrechtlichen Äquivalenz- und Effektivitätsprinzips weder zugleich einen formlosen Erstattungsantrag nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG für potenziell einzubehaltende Kapitalertragsteuer aufgrund (etwaiger) künftiger Ausschüttungen noch ist der Antrag in einen Erstattungsantrag umzudeuten.
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 15.03.2023 - 2 K 1501/20 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine in Österreich ansässige GmbH, die als Gründungsgesellschafterin seit dem Jahr 2007 zu 33,33 % an der inländischen M-GmbH mit Sitz in A beteiligt ist. Gesellschafter der Klägerin sind zu jeweils 50 % B und C, beide wohnhaft in Z.
Mit Antrag vom 17.09.2013 begehrte die Klägerin die Freistellung von der deutschen Abzugsteuer auf Kapitalerträge nach § 50d Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) im Hinblick auf eine Ausschüttung der M-GmbH. Mit Datum vom 12.03.2014 gewährte der Beklagte und Beschwerdegegner (Bundeszentralamt für Steuern ‑‑BZSt‑‑) eine Freistellungsbescheinigung gemäß § 50d Abs. 2 EStG für Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, die in der Zeit vom 17.09.2013 bis zum 31.08.2016 zufließen, bis zu einem Reststeuersatz von 15 %. Eine volle Freistellung sei gemäß § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes (‑‑BeitrRLUmsG‑‑ vom 07.12.2011, BGBl I 2011, 2592; anzuwenden mangels spezieller zeitlicher Anwendungsregel ab dem 01.01.2012, vgl. Art. 25 Abs. 1 BeitrRLUmsG und Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 10.11.2021 - I R 27/19 BFH/NV 2022, 708, Rz 24; ‑‑im Folgenden: § 50d Abs. 3 EStG a.F.‑‑) nicht zu gewähren, da Personen an der Klägerin beteiligt seien, denen die Steuerentlastung nicht oder nicht in voller Höhe zustünde, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten und weil die Klägerin eine eigene Wirtschaftstätigkeit nicht anhand geeigneter Unterlagen eindeutig nachgewiesen habe. Hiergegen erhob die Klägerin Einspruch.
In der Gesellschafterversammlung der M-GmbH vom 19.12.2013 wurde eine Ausschüttung zum 23.12.2013 über 5.100.000 € beschlossen. Auf die Klägerin entfiel ein Ausschüttungsbetrag von 1.700.000 €. Die M-GmbH reichte am 27.12.2013 eine Kapitalertragsteueranmeldung über 0 € ein, da sie der Auffassung war, dass keine Kapitalertragsteuer einzubehalten sei. Da bis zum 19.12.2013 und 23.12.2013 die Freistellungsbescheinigung vom BZSt noch nicht erteilt worden war, beschlossen die Gesellschafter der M-GmbH, die Auszahlung der Ausschüttung zu verschieben. Am 29.12.2014 wurde von der M-GmbH im Vorgriff auf die Auszahlung eine weitere Kapitalertragsteueranmeldung zu der am 19.12.2013 beschlossenen Ausschüttung eingereicht, in der 1.700.000 € (1/3 der Ausschüttung für die Klägerin) dem Steuerabzug vom Kapitalertrag unterworfen wurden. Am 02.01.2015 wurden die Ausschüttungsbeträge ausgezahlt. Es wurde für die Ausschüttung an die Klägerin von der M-GmbH 15 % Kapitalertragsteuer (255.000 €) einbehalten. Hinsichtlich der restlichen 2/3 des Ausschüttungsbetrags wurde keine Kapitalertragsteuer einbehalten, da für die anderen inländischen Gesellschafter der M-GmbH Nichtveranlagungs-Bescheinigungen vorlagen. Ein Änderungsantrag zu der Kapitalertragsteueranmeldung vom 29.12.2014 wurde in der Folge von der M-GmbH nicht eingereicht.
Im Einspruchsverfahren zur Änderung der Freistellungsbescheinigung legte die Klägerin beim BZSt Unterlagen zum Nachweis ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit vor. Das BZSt teilte der Klägerin mit, dass es von einer schädlichen passiven Vermögensverwaltung ausgehe und kündigte eine ablehnende Einspruchsentscheidung an. Diese erging in der Folge jedoch nicht.
Auf Nachfrage der Klägerin vom 18.09.2017, wann mit einer Entscheidung über den Einspruch zu rechnen sei, teilte das BZSt der Klägerin am 20.09.2018 ‑‑nach Ergehen der Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Deister Holding und Juhler Holding vom 20.12.2017 - C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009; GS vom 14.06.2018 - C-440/17, EU:C:2018:437 und des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen vom 04.04.2018 (BStBl I 2018, 589)‑‑ mit, dass ein Rechtsschutzinteresse an der Erteilung einer vollumfänglichen Freistellungsbescheinigung nicht mehr bestehe, da diese keine Rechtswirkung zugunsten der Klägerin mehr entfalten könne.
Das BZSt verwarf den Einspruch gegen die Ablehnung der Erteilung der Freistellungsbescheinigung durch Einspruchsentscheidung vom 22.01.2019 mit dieser Begründung als unzulässig. Das Finanzgericht (FG) hat die unter dem Aktenzeichen 2 K 754/19 im Parallelverfahren hiergegen geführte Klage auf Erteilung einer vollständigen Freistellungsbescheinigung hinsichtlich des gestellten Haupt- und Hilfsantrags als unzulässig abgewiesen. Die Nichtzulassungsbeschwerde gegen diese Entscheidung hat der Senat mit Beschluss vom 22.01.2025 - VIII B 123/23 als unbegründet zurückgewiesen.
Die Klägerin stellte nach Abschluss des Einspruchsverfahrens im Verfahren auf Erteilung der Freistellungsbescheinigung am 13.07.2019 unter Verwendung des amtlichen Vordrucks einen Antrag auf Freistellung und Erstattung der Kapitalertragsteuer in Höhe von 255.000 € beim BZSt. Diesen Antrag lehnte das BZSt mit Bescheid vom 13.02.2020 ab und wies den hiergegen erhobenen Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 09.06.2020 als unbegründet zurück. Die anschließend erhobene Klage hat das FG als unbegründet abgewiesen. Die Entscheidung des FG ist Gegenstand der vorliegenden Beschwerde.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Zudem seien dem FG Verfahrensfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO unterlaufen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Revision zuzulassen.Das BZSt beantragt,
die Beschwerde als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.
a) Die Klägerin wirft als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf, ob ein Antrag auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung als Erstattungsantrag auszulegen oder in einen solchen umzudeuten ist, wenn das Verfahren auf Erteilung der Freistellungsbescheinigung gegenstandslos werde. Dies müsse jedenfalls gelten, wenn es in einem Freistellungsbescheinigungsverfahren wegen einer unionsrechtswidrigen Anwendung der Regelung in § 50d Abs. 3 EStG a.F. zu langjährigen Verfahrensverzögerungen durch das BZSt komme und hierdurch der einer ausländischen Kapitalgesellschaft zustehende Entlastungsanspruch von der Kapitalertragsteuer nach Art. 5 der Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30.11.2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (Amtsblatt der Europäischen Union ‑‑ABLEU‑‑ 2011, Nr. L 345, 8) i.d.F. der Richtlinie 2013/13/EU des Rates vom 13.05.2013 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich Steuern anlässlich des Beitritts der Republik Kroatien (ABlEU 2013, Nr. L 141, 30) ‑‑Mutter-Tochter-Richtlinie‑‑ i.V.m. § 43b EStG vereitelt werde. Das Äquivalenz- und Effektivitätsprinzip verlange eine verfahrensrechtliche Auslegung von Anträgen an das BZSt in der Weise, dass ein Antrag auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung entweder einen Erstattungsantrag mitumfasse oder sich nach dem Einbehalt der Kapitalertragsteuer rückwirkend in einen Antrag auf Erstattung der abgeführten Kapitalertragsteuern umwandle.
b) Die aufgeworfene Rechtsfrage ist auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung des BFH aus Sicht des Senats so zu beantworten, wie es das FG getan hat. Gesichtspunkte, die für eine Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren sprechen könnten, führt die Klägerin nicht an.
aa) Der Senat sieht es als geklärt an, dass das zweigeteilte Verfahren, also die Hinnahme des Kapitalertragsteuerabzugs ‑‑ungeachtet objektiv gegebener Steuerfreiheit‑‑ im ersten Schritt und die spätere Erstattung der Quellensteuer in einem zweiten Schritt, unionsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, insbesondere werden beschränkt körperschaftsteuerpflichtige Steuersubjekte hierdurch nicht in ungerechtfertigter Weise benachteiligt (vgl. zum Steuerabzug nach § 50a EStG das EuGH-Urteil FKP Scorpio Konzertproduktionen vom 03.10.2006 - C-290/04, EU:C:2006:630, BStBl II 2007, 352; dies auf den Kapitalertragsteuerabzug übertragend BFH-Urteil vom 13.03.2024 - I R 1/20, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz 84 mit Bezugnahme auf BFH-Urteile vom 24.04.2007 - I R 39/04, BFHE 218, 89, BStBl II 2008, 95; vom 11.01.2012 - I R 25/10, BFHE 236, 318; vom 25.10.2023 - I R 35/21, BStBl II 2024, 343). Im ersten Schritt bilden die Kapitalertragsteueranmeldungen ‑‑auch unionsrechtlich‑‑ den Rechtsgrund für das Vereinnahmen und das "Behaltendürfen" der Steuerbeträge. Es ist im zweiten Schritt Sache des Steuerpflichtigen, den Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Steuerbeträge durch die (zeitnahe) Beantragung eines auf Erstattung gerichteten Freistellungsbescheids zu beseitigen (vgl. BFH-Urteil vom 13.03.2024 - I R 1/20, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz 85 mit Verweis auf das BFH-Urteil vom 25.04.2018 - I R 59/15, BFHE 261, 406, BStBl II 2018, 624).
bb) Der Antrag auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung gemäß § 50d Abs. 2 Satz 1 EStG, die den Steuerentrichtungspflichtigen (hier: die M-GmbH) von der Abzugspflicht befreien würde, zielt nach der Rechtsprechung des BFH innerhalb des "zweigeteilten Systems" darauf ab, eine Abstandnahme vom Steuerabzug zu erreichen, so dass ein späteres Erstattungsverfahren obsolet wird (s. BFH-Urteile vom 25.04.2018 - I R 59/15, BFHE 261, 406, BStBl II 2018, 624, Rz 41 mit Bezugnahme auf BFH-Urteil vom 11.10.2000 - I R 34/99, BFHE 193, 336, BStBl II 2001, 291; vom 29.01.2015 - I R 11/13, BFH/NV 2015, 950).
Der Antrag auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung wird aufgrund dieser Zielrichtung gegenstandslos, wenn einbehaltene und abgeführte Steuern bereits gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG erstattet worden sind oder den einbehaltenen und abgeführten Beträgen nicht mehr änderbare Steueranmeldungen zugrunde liegen oder bei Nichteinbehaltung, Nichtanmeldung und Nichtabführung der Kapitalertragsteuer die Festsetzungsfristen für Nachforderungen und Haftungsinanspruchnahmen ausgeschlossen sind (BFH-Urteil vom 25.04.2018 - I R 59/15, BFHE 261, 406, BStBl II 2018, 624, Rz 36, 37, 43).
Die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung kann ferner eine Erstattung der Kapitalertragsteuer bewirken, wenn sie nachträglich ‑‑nach Vornahme des Steuerabzugs‑‑ erteilt wird. Die einbehaltene Kapitalertragsteuer kann dann gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) außerhalb des in § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG geregelten Verfahrens erstattet werden, soweit die dem Steuerabzug zugrunde liegenden Kapitalertragsteueranmeldungen noch geändert werden können (BFH-Urteil vom 29.01.2015 - I R 11/13, BFH/NV 2015, 950; zum Streitzeitraum Gosch in Kirchhof, EStG, 15. Aufl., § 50d Rz 19, 20).
cc) Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat das FG zutreffend entschieden, dass ein Antrag auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung gegenüber einem Antrag auf Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer ein grundlegend anderes Begehren ("Aliud") darstellt. Wegen der unterschiedlichen Zielsetzungen der Verfahren hat das FG es zutreffend als ausgeschlossen angesehen, dass ein Antrag auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung ‑‑auch unter Berücksichtigung der Vorgaben des unionsrechtlichen Äquivalenz- und Effektivitätsprinzips‑‑ zugleich einen formlosen (vorsorglich gestellten unbestimmten und rückwirkenden) Erstattungsantrag nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG für die potenziell einzubehaltende Kapitalertragsteuer (etwaiger) künftiger Ausschüttungen mitumfasst oder nach dem Einbehalt in einen Erstattungsantrag umzudeuten ist, wenn die beantragte Freistellungsbescheinigung gegenstandslos wird.
Gegen ein vom Antrag auf Erteilung der Freistellungsbescheinigung mitumfasstes (vorsorglich gestelltes unbestimmtes) Erstattungsbegehren oder eine Umdeutung des Freistellungsbescheinigungsantrags in einen Erstattungsantrag spricht aus Sicht des Senats entscheidend, dass im Zeitpunkt des Freistellungsbescheinigungsantrags die künftigen ‑‑noch zu beschließenden‑‑ Leistungen der Kapitalgesellschaft (hier: der M-GmbH) samt des Kapitalertragsteuereinbehalts weder dem Grunde noch der Höhe nach absehbar sind. Dass der Anspruch des Gläubigers der Kapitalerträge nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG auf Erstattung von "einbehaltenen und abgeführten" Abzugsteuern nach Wortlaut, Regelungszweck und Sachzusammenhang eine (vorhergehende) Abführung der Abzugsteuer voraussetzt (BFH-Urteile vom 24.08.2011 - I R 85/10, BFH/NV 2012, 559, Rz 12; vom 02.02.2022 - I R 22/20, BFHE 276, 20, BStBl II 2022, 324, Rz 22, 63) und sich damit auf eine konkrete Ausschüttung beziehen muss, spricht ebenfalls gegen die Auffassung der Klägerin.
dd) Die Klägerin macht zwar geltend, dass es das unionsrechtliche Äquivalenz- und Effektivitätsprinzip gebieten würden, Anträge auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung zugleich als (vorsorglich gestellte unbestimmte) Erstattungsanträge auszulegen oder in Erstattungsanträge umzudeuten, um die Fristerfordernisse gemäß § 50d Abs. 1 Satz 9 EStG zu wahren. Dem kann sich der Senat auf der Grundlage der vorgebrachten Argumente aber nicht anschließen.
aaa) Da es im zweigeteilten Verfahren aus Steuerabzug und anschließender Erstattung unionsrechtskonform ist, dem Gläubiger der Kapitalerträge zuzumuten, nach der Ausschüttung einen Erstattungsantrag zu stellen (s. unter b aa) und es nach Art. 8 der Mutter-Tochter-Richtlinie den Mitgliedstaaten zusteht, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie in Kraft zu setzen, ist nicht ersichtlich, dass und warum es das Äquivalenz- und Effektivitätsprinzip gebieten könnten, Anträge auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung als vorsorgliche "Blankoanträge" auf Erstattung etwaiger künftig einzubehaltender Kapitalertragsteuer anzuerkennen. Die Klägerin liefert hierzu auch keine substantiierte Begründung.
bbb) Soweit sich die Klägerin darauf stützt, das BZSt habe ihr die zutreffende Freistellungsbescheinigung zu Unrecht vorenthalten, indem es sich auf § 50d Abs. 3 EStG a.F. in einer nicht unionsrechtskonformen Fassung gestützt habe, und es deshalb das Äquivalenz- und Effektivitätsprinzip verletze, wenn sie an ihrem ausdrücklich gestellten Freistellungsbescheinigungsantrag festgehalten werde, vermag sie ebenfalls nicht durchzudringen. Die Klägerin begründet nicht schlüssig, dass der behauptete Unionsrechtsverstoß für die fehlgeschlagene Erstattung der Kapitalertragsteuer überhaupt kausal geworden ist. Daher hat der Senat durchgreifende Zweifel an der Entscheidungserheblichkeit und Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen unionsrechtlichen Rechtsfrage.
Die Ablehnung der Erstattung wegen eines gemäß § 50d Abs. 1 Satz 9 EStG verfristeten Antrags ist nach den festgestellten Umständen maßgeblich durch die im Verfahren getroffenen Entscheidungen der Klägerin verursacht worden.
So hat die Klägerin zunächst ausschließlich das Verfahren auf Erteilung der unbeschränkten Freistellungsbescheinigung verfolgt. Dies mag angesichts des angestrebten Zeitraums der Freistellungsbescheinigung, der noch weitere Ausschüttungen der M-GmbH umfassen sollte, verständlich sein. Es musste sich der Klägerin für die am 19.12.2013 beschlossene Ausschüttung aber spätestens nach dem Einbehalt der Kapitalertragsteuer und deren Anmeldung durch die M-GmbH am 29.12.2014 sowie der Auszahlung am 02.01.2015 jedoch aufdrängen, dass sie zur vollständigen Wahrung ihrer Rechte einen Erstattungsantrag gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG hätte stellen müssen. Denn ab diesem Zeitpunkt konnte eine nachträglich erteilte Freistellungsbescheinigung nach dem ‑‑auch in diesem Zeitraum bekannt gewordenen‑‑ BFH-Urteil vom 29.01.2015 - I R 11/13 (BFH/NV 2015, 950) nur dann zu einer Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 AO (außerhalb des Verfahrens gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG) führen, solange die Festsetzung der Kapitalertragsteuer in Gestalt der Steueranmeldung der M-GmbH vom 29.12.2014 noch gemäß § 164 Abs. 2 AO hätte aufgehoben werden können (s. unter b bb).
Dem erst im Jahr 2019 beim BZSt angebrachten, auf § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG gestützten, Erstattungsbegehren liegt die ‑‑unzutreffende‑‑ Auffassung der Klägerin zugrunde, sich noch innerhalb der Vierjahresfrist des § 50d Abs. 1 Satz 9 EStG zu bewegen. Ihr war es insbesondere im Jahr 2015 nach Auszahlung und Einbehalt der Kapitalertragsteuer unbenommen, neben dem Antrag im Freistellungsbescheinigungsverfahren, einen noch fristgerechten Erstattungsantrag gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG beim BZSt zu stellen. Dieser Antrag hätte verfahrensrechtlich zur Wahrung ihres Erstattungsbegehrens ausgereicht. Die fehlgeschlagene Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer beruht damit maßgeblich auf dieser Fehlbeurteilung der Klägerin und nicht auf einer dem Äquivalenz- und Effektivitätsprinzip nicht genügenden Ausgestaltung der gesetzlichen Regelungen zum Erstattungsverfahren. Die Klägerin erläutert auch nicht schlüssig, warum die fehlgeschlagene Kapitalertragsteuererstattung gleichwohl maßgeblich auf einer Verletzung des Äquivalenz- und Effektivitätsprinzips beruhen könnte.
2. Es liegt kein Verfahrensmangel darin, dass das FG das Klageverfahren nicht gemäß § 74 FGO ausgesetzt und kein Vorabentscheidungsverfahren zum EuGH nach Art. 267 Abs. 1 Buchst. a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) eingeleitet hat. Das FG ist als erstinstanzliches Gericht gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV im Fall unionsrechtlicher Auslegungsfragen (Art. 267 Abs. 1 Buchst. a AEUV) zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, weshalb grundsätzlich kein Verfahrensmangel anzunehmen ist, wenn es davon absieht (BFH-Beschlüsse vom 11.08.1999 - VII B 162/99, BFH/NV 2000, 77, m.w.N.; vom 15.10.2019 - VIII B 70/19, BFH/NV 2020, 212, Rz 21).
3. Das weitere Vorbringen der Klägerin in der Beschwerdebegründung vom 04.07.2023 zielt auf die Vorentscheidung des FG im Parallelverfahren ab. Der Senat hat dieses Vorbringen der Klägerin im Beschluss zum Verfahren VIII B 123/23 gewürdigt.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.