ECLI:DE:BFH:2024:U.211124.VIR9.22.0
BFH VI. Senat
EStG § 9 Abs 1 S 3 Nr 4a S 1, EStG § 9 Abs 1 S 3 Nr 4a S 2, EStG § 11 Abs 2 S 1, BRKG 2005 § 5, EStG VZ 2019
vorgehend FG München, 12. Oktober 2021, Az: 2 K 667/21
Leitsätze
1. Zur Ermittlung der tatsächlichen Kosten für sonstige berufliche Fahrten nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 1 des Einkommensteuergesetzes ist eine Leasingsonderzahlung den einzelnen Veranlagungszeiträumen während der Laufzeit des Leasingvertrags zuzuordnen (Änderung der Rechtsprechung).
2. Auch andere (Voraus-)Zahlungen, die sich wirtschaftlich auf die Dauer des Leasingvertrags erstrecken, sind periodengerecht auf die einzelnen Veranlagungszeiträume während der Laufzeit des Leasingvertrags zu verteilen.
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts München vom 12.10.2021 - 2 K 667/21 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht München zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte im Streitjahr (2019) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Im Hinblick auf ein zum 1. Januar des Streitjahres neu aufgenommenes Beschäftigungsverhältnis als Außendienstmitarbeiter leaste der Kläger im Dezember 2018 einen Personenkraftwagen (PKW) … der Marke BMW. Ebenfalls im Jahr 2018 leistete er eine Leasingsonderzahlung in Höhe von 15.000 € und zahlte die Fahrzeugzubehörkosten, Zusatzleistungen sowie einen Satz Reifen.
Für das Veranlagungsjahr 2018 ermittelte der Kläger die Gesamtkosten für das Kraftfahrzeug (Kfz) wie folgt:
Leasingsonderzahlung für den Leistungszeitraum vom 20.12.2018 bis zum 19.12.2021 und einer Fahrleistung von 40 000 km pro Jahr
15.000,00 €
Zubehör
2.504,89 €
Zusatzleistungen
719,00 €
Reifen
1.357,31 €
Steuer
449,00 €
ADAC
109,00 €
Versicherung
1.252,97 €
Leasingraten (12 x 457,67 €)
5.492,04 €
Reifenwechsel (2 x 59,00 €)
118,00 €
Verbrauch (6,96 l/km)
3.416,00 €
Gesamtkosten
30.418,21 €
Den bei einer Jahresfahrleistung von 32 717 km ermittelten Kilometersatz von 0,93 €/km wandte der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 2018 auf die anteilige Jahresfahrleistung (1 025 km) für berufliche Fahrten des Klägers im Zeitraum 20.12.2018 bis 31.12.2018 mit dem Kfz laut Fahrtenbuch an.
Für das Streitjahr zog der Kläger den Kilometersatz von 0,93 €/km erneut heran und machte auf dieser Grundlage ‑‑und nach Abzug der Arbeitgebererstattung‑‑ Fahrtkosten für seine Außendiensttätigkeit in Höhe von 15.763 € als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend.
Das FA erkannte die Fahrtkosten der Höhe nach nicht an. Der für 2018 ermittelte Kilometersatz sei im Streitjahr nicht anwendbar, da sich die Verhältnisse gegenüber dem Vorjahr wesentlich geändert hätten. Mangels anderweitiger Berechnung für das Streitjahr sei der pauschale Kilometersatz von 0,30 €/km anzuwenden.
Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos. Der im Anschluss erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt,
das Urteil des FG München vom 12.10.2021 - 2 K 667/21 aufzuheben und die Klage abzuweisen.Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat bei der Ermittlung der tatsächlichen Kosten für die sonstigen beruflichen Fahrten des Klägers zu Unrecht den unter Einbeziehung unter anderem der im Vorjahr geleisteten Leasingsonderzahlung ermittelten Kilometersatz zugrunde gelegt. Die Feststellungen der Vorinstanz reichen allerdings nicht aus, um abschließend beurteilen zu können, in welcher Höhe dem Kläger durch die Benutzung des BMW abziehbare Werbungskosten im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) entstanden sind. Die Sache muss deshalb an die Vorinstanz zurückverwiesen werden.
1. Aufwendungen des Arbeitnehmers für beruflich veranlasste Fahrten, die nicht Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 4 EStG sowie keine Familienheimfahrten sind (sonstige berufliche Fahrten), sind gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 1 EStG in ihrer tatsächlichen Höhe als Werbungskosten zu berücksichtigen. Anstelle der tatsächlichen Aufwendungen, die dem Arbeitnehmer durch die persönliche Benutzung eines Beförderungsmittels entstehen, können die Fahrtkosten mit den pauschalen Kilometersätzen angesetzt werden, die für das jeweils benutzte Beförderungsmittel (Fahrzeug) als höchste Wegstreckenentschädigung nach dem Bundesreisekostengesetz (BRKG) festgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 2 EStG).
a) Aufgrund dessen kann ein Arbeitnehmer bei Benutzung eines nicht regelmäßig verkehrenden Beförderungsmittels ‑‑wie insbesondere eines eigenen Kfz‑‑ (hierzu s. Senatsurteil vom 11.02.2021 - VI R 50/18, BFHE 272, 46, BStBl II 2021, 440, Rz 36 f. und 39) für den durch sonstige berufliche Fahrten veranlassten Anteil an den jährlichen Gesamtkosten dieses Fahrzeugs und abzüglich vom Arbeitgeber geleisteter Erstattungen die tatsächlichen Wegekosten nach seiner Wahl entweder ohne Einzelnachweis nach pauschalierten Kilometersätzen (§ 5 BRKG) oder nach individuellen ‑‑anhand der nachgewiesenen Fahrzeugaufwendungen ermittelten‑‑ Kilometersätzen berechnen (s. z.B. Senatsurteil vom 14.06.2012 - VI R 89/10, BFHE 238, 55, BStBl II 2012, 835, Rz 11 für Wegekosten Behinderter).
b) Bei der Ermittlung der tatsächlichen Wegekosten anhand von individuellen Kilometersätzen sind die gesamten Fahrzeugkosten zu berücksichtigen (Senatsurteil vom 14.06.2012 - VI R 89/10, BFHE 238, 55, BStBl II 2012, 835, Rz 12, m.w.N.). Zu diesen Gesamtkosten gehören die Kosten, die unmittelbar dem Halten und dem Betrieb des Kfz dienen und in Zusammenhang mit dessen Nutzung typischerweise entstehen; dazu rechnen insbesondere die Kosten für Betriebsstoffe, Wartung und Reparaturen sowie die regelmäßig wiederkehrenden festen Kosten, etwa für die Haftpflichtversicherung, die Kfz-Steuer, Absetzung für Abnutzung (AfA) oder Leasing- und Leasingsonderzahlungen und Garagenmiete (Senatsurteil vom 03.09.2015 - VI R 27/14, BFHE 251, 5, BStBl II 2016, 174, Rz 16).
aa) Verwendet ein Arbeitnehmer einen geleasten PKW für sonstige berufliche Zwecke und macht er dafür die tatsächlichen Kosten geltend, so gehörte eine bei Leasingbeginn zu erbringende Sonderzahlung in Höhe des auf die Auswärtstätigkeiten entfallenden Nutzungsanteils nach der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Senats grundsätzlich zu den sofort abziehbaren Werbungskosten (ausführlich s. Senatsurteil vom 05.05.1994 - VI R 100/93, BFHE 174, 359, BStBl II 1994, 643). Etwas anderes galt nur, wenn es sich bei der Leasingsonderzahlung um Anschaffungskosten für den Eigentumserwerb beziehungsweise um Anschaffungskosten eines Nutzungsrechts handelte, die nur in Form von AfA berücksichtigt werden können (Senatsurteile vom 05.05.1994 - VI R 100/93, BFHE 174, 359, BStBl II 1994, 643 und vom 15.04.2010 - VI R 20/08, BFHE 229, 203, BStBl II 2010, 805, Rz 18).
Ein Sofortabzug der Leasingsonderzahlung schied auch aus, soweit der Arbeitnehmer während der Laufzeit des Leasingvertrags die Fahrzeugkosten nach pauschalen Kilometersätzen als Werbungskosten geltend machte. Denn durch die Pauschalbetragsrechnung sind regelmäßig sämtliche mit dem Betrieb des Fahrzeugs verbundenen Aufwendungen einschließlich einer Leasingsonderzahlung abgegolten (s. Senatsurteil vom 15.04.2010 - VI R 20/08, BFHE 229, 203, BStBl II 2010, 805, Rz 14).
Insoweit kam es für die Frage des Abzugs der Leasingsonderzahlung im Abflussjahr (§ 11 Abs. 2 Satz 1 EStG) auf die beabsichtigte zukünftige Nutzung im Vertragszeitraum maßgeblich an, wozu es der Feststellung des auf die Auswärtstätigkeiten entfallenden Nutzungsanteils im fraglichen Zeitraum bedurfte (s. Senatsurteil vom 15.04.2010 - VI R 20/08, BFHE 229, 203, BStBl II 2010, 805, Rz 16 f.).
bb) An dieser Rechtsprechung hält der Senat nicht länger fest. Die zutreffende Ermittlung des durch die sonstigen beruflichen Fahrten veranlassten Anteils an den jährlichen Gesamtkosten verlangt nicht nur, die Gesamtkosten dem Grunde nach zutreffend zu erfassen, sondern auch, diese Gesamtkosten periodengerecht den jeweiligen Nutzungszeiträumen zuzuordnen (so bereits Senatsurteil vom 03.09.2015 - VI R 27/14, BFHE 251, 5, BStBl II 2016, 174, Rz 17 betreffend die Ermittlung des geldwerten Vorteils anhand der Fahrtenbuchmethode).
(1) Bei einer Leasingsonderzahlung handelt es sich um ein vorausgezahltes Nutzungsentgelt, das dem Zweck dient, die Leasingraten während der Gesamtlaufzeit des Leasingvertrags zu mindern. Die Leasingsonderzahlung finanziert daher maßgeblich auch die Nutzung des Fahrzeugs für ‑‑im Streitfall‑‑ sowohl sonstige berufliche Fahrten als auch Privatfahrten in den Folgejahren (s. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 12.03.2024 - VIII R 1/21, BStBl II 2024, 633, Rz 26 betreffend betriebliche Fahrten).
(2) Der auf das Jahr der Zahlung entfallende Anteil einer Leasingsonderzahlung an den tatsächlichen Gesamtaufwendungen für die sonstigen beruflichen Fahrten ist wegen des wirtschaftlichen Zusammenhangs der Leasingsonderzahlung zu allen Fahrten während des vertraglich bestimmten Leasingzeitraums und des damit vorliegenden multikausalen Veranlassungszusammenhangs im Rahmen einer wertenden Betrachtung typisierend nach dem Verhältnis der auf das jeweilige Jahr entfallenden vollen Monate zum Gesamtleasingzeitraum zu bestimmen. Mindert eine Leasingsonderzahlung nach dem Leasingvertrag die Höhe der monatlichen Leasingraten über die gesamte Vertragslaufzeit, ist sie daher bei der Ermittlung der jährlichen Gesamtaufwendungen für die sonstigen beruflichen Fahrten unabhängig vom Abflusszeitpunkt linear auf den Vertragszeitraum zu verteilen (s. BFH-Urteil vom 12.03.2024 - VIII R 1/21, BStBl II 2024, 633, Rz 27 betreffend betriebliche Fahrten).
(3) Soweit die Leasingsonderzahlung Fahrten in den folgenden Veranlagungszeiträumen nach dem Abflussjahr finanziert, die in den Leasingzeitraum fallen, zählt sie dort ebenfalls zeitanteilig zu den jährlichen Gesamtaufwendungen für die sonstigen beruflichen Fahrten des jeweiligen Veranlagungszeitraums. Der Zuordnung zu den jährlichen Gesamtaufwendungen für die sonstigen beruflichen Fahrten in den Folgejahren steht nicht entgegen, dass jeweils kein Abfluss der Zahlung erfolgt ist, da auch insoweit eine wertende Zuordnung der Leasingsonderzahlung zu erfolgen hat (s. BFH-Urteil vom 12.03.2024 - VIII R 1/21, BStBl II 2024, 633, Rz 28 betreffend betriebliche Fahrten).
cc) Die vorstehenden Grundsätze sind auch auf andere (Voraus-)Zahlungen anzuwenden, die sich wirtschaftlich auf die Dauer des Leasingvertrags erstrecken. Da zu den jährlichen Gesamtaufwendungen für das Fahrzeug neben sämtlichen fixen Kosten zudem die AfA zählt, sind beispielsweise auch Aufwendungen für einen weiteren Satz Reifen nicht sofort im Jahr der Zahlung als Fahrzeugkosten zu berücksichtigen, sondern in Höhe der AfA in die jährlichen Gesamtaufwendungen für die sonstigen beruflichen Fahrten des jeweiligen Veranlagungszeitraums einzubeziehen.
2. Bei Heranziehung dieser Grundsätze hat das FG den unter Einbeziehung der im Vorjahr geleisteten Leasingsonderzahlung sowie weiterer zu verteilender Kosten ermittelten Kilometersatz zu Unrecht auch im Streitjahr zugrunde gelegt. Die Sache ist aber nicht spruchreif. Das FG hat die zur Ermittlung der anteilig abzugsfähigen Aufwendungen für die sonstigen beruflichen Fahrten des Klägers erforderliche Fahrleistung im Streitjahr nicht festgestellt. Es hat auch nicht festgestellt, ob das Zubehör und die Zusatzleistungen auf die Dauer des Leasingvertrags bezogen sind. Dies hat es im zweiten Rechtsgang nachzuholen und auf dieser Grundlage unter Berücksichtigung der unter II.1.b bb und cc dargestellten Rechtsgrundsätze den Teilbetrag der jährlichen Gesamtkosten des BMW zu ermitteln, der dem Anteil der zu berücksichtigenden Fahrten an der Jahresfahrleistung entspricht.
3. Die Übertragung der Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.