ECLI:DE:BFH:2024:B.131224.IXB101.24.0
BFH IX. Senat
FGO § 78, ZPO § 299 Abs 1, ZPO § 299 Abs 2, FGO § 155 S 1
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 25. September 2024, Az: 1451 E - 1 (5 K 12076/24)
Leitsätze
1. NV: Über einen beim Finanzgericht (FG) gestellten Antrag auf Akteneinsicht gemäß § 78 der Finanzgerichtsordnung hat der zuständige Spruchkörper des FG trotz einer bereits in der Sache ergangenen Entscheidung auch dann noch zu befinden, wenn das Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist.
2. NV: Eine Beschwerde gegen die Versagung der Akteneinsicht ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, wenn gegen die Entscheidung des FG ein Rechtsmittel eingelegt wurde und die Akten, deren Einsicht begehrt wird, dem Bundesfinanzhof vorliegen.
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen das Schreiben des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 25.09.2024 - 1451 E - 1 (5 K 12076/24) wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
I.
Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) führte gegen den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ‑‑FA‑‑) beim Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg ein Klageverfahren (5 K 12076/24). Die während des Verfahrens beantragte Akteneinsicht gewährte das FG in der Form, dass es die vorgelegten Verwaltungsakten des FA einscannte und dem Kläger elektronisch zur Verfügung stellte. Das FG wies die Klage mit Urteil vom 03.09.2024 ab.
Mit Schreiben vom 21.09.2024 beantragte der Kläger wiederum Einsichtnahme in die dem FG vorliegenden Akten und begründete dies damit, seine Rechtsanwältin wolle eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen das klageabweisende Urteil vorbereiten.
Das FG behandelte den Antrag als Verwaltungsangelegenheit. Der Präsident des FG (P) lehnte den Antrag mit Schreiben vom 25.09.2024 ab. P führte aus, sämtliche der vom FA vorgelegten Akten seien dem Kläger elektronisch zur Verfügung gestellt worden. Für eine erneute Akteneinsicht bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis.
Mit der hiergegen gerichteten Beschwerde bringt der Kläger vor, das Akteneinsichtsrecht nach § 78 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erschöpfe sich nicht in der Möglichkeit, Einsicht in die Verwaltungsvorgänge des FA zu nehmen. Es beziehe sich ebenso auf die Gerichtsakten, in die ihm noch keine Einsicht gewährt worden sei.
Zeitgleich legte der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des FG vom 03.09.2024 ein (IX B 100/24). Hierüber hat der Senat noch nicht entschieden.
Mit Schreiben der Senatsgeschäftsstelle vom 05.11.2024 wurde die Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hingewiesen, dass das FG die Gerichtsakte zum Verfahren 5 K 12076/24 an den Bundesfinanzhof (BFH) übersandt habe.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung leidet zwar an einem Verfahrensfehler (dazu unter 1.). Dieser Fehler ist allerdings nicht erheblich, da dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis für eine Entscheidung über seine Beschwerde fehlt (unter 2.).
1. Für die Entscheidung über den Antrag auf Akteneinsicht war nicht P als Präsident des FG, sondern der mit der Entscheidung über das Verfahren 5 K 12076/24 betraute Spruchkörper zuständig.
Das Akteneinsichtsrecht nach § 78 FGO erlischt erst, sobald das betreffende Verfahren endgültig, das heißt rechtskräftig, abgeschlossen ist (BFH-Beschluss vom 20.10.2005 - VII B 207/05, BFHE 211, 15, BStBl II 2006, 41, unter II.; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 78 Rz 6). Erst nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss muss der Vorstand des Gerichts nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 299 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung eine Entscheidung darüber treffen, ob einem Beteiligten Akteneinsicht gewährt werden soll (BFH-Beschlüsse vom 23.03.2006 - VII B 212/05, BFH/NV 2006, 1322, unter II. sowie vom 01.03.2016 - VI B 89/15, Rz 9). Im Streitfall war dieses Verfahrensstadium noch nicht erreicht. Der zuständige FG-Senat hatte zwar bereits über die Klage entschieden, endgültig abgeschlossen war (und ist) das Verfahren aber noch nicht.
2. Dieser Verfahrensfehler ist allerdings nicht entscheidungserheblich. Denn die Beschwerde des Klägers, die sich ausweislich ihrer Begründung vom 15.10.2024 ausschließlich dagegen richtet, dass dem Kläger keine Einsichtnahme in die beim FG geführte Gerichtsakte gewährt wurde, ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
a) Es entspricht allgemein anerkannten Grundsätzen in der Rechtsprechung des BFH, dass Ziel einer Beschwerde gegen die Verweigerung der Gewährung von Akteneinsicht durch das FG nicht die Klärung der Frage sein kann, ob dem FG insoweit ein Verfahrensfehler unterlaufen ist. Hierfür stehen allein die Nichtzulassungsbeschwerde oder die Revision zur Verfügung. Ziel einer Akteneinsichtsbeschwerde ist nur, das FG anzuweisen, die Einsicht (in der beantragten Art) zu gewähren. Eine solche Anweisung wird sinnlos, wenn das FG-Verfahren durch eine Entscheidung über die Sache abgeschlossen ist und die Akten, deren Einsicht begehrt wird, wegen eines dagegen eingelegten Rechtsmittels dem BFH vorliegen (BFH-Beschlüsse vom 14.08.1998 - X B 4/98, BFH/NV 1999, 209, unter II.; vom 09.09.2003 - VI B 63/02, BFH/NV 2004, 207, unter 2. und vom 29.09.2005 - III B 106/05, BFH/NV 2006, 110, unter II.2.; ebenso Brandis in Tipke/Kruse, § 78 FGO Rz 21 sowie Stalbold in Gosch, FGO § 78 Rz 59).
b) So liegen die Dinge im Streitfall. Die Gerichtsakte des Verfahrens 5 K 12076/24, dessen Einsichtnahme der Kläger begehrt, liegt dem BFH im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens IX B 100/24 vor. Hierüber wurde die Prozessbevollmächtigte des Klägers in Kenntnis gesetzt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.