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Urteil vom 06. November 2024, X K 3/23 (X K 1/22)

Entschädigungsklage - einseitige Erledigungserklärung

ECLI:DE:BFH:2024:U.061124.XK3.23.0

BFH X. Senat

FGO § 41, FGO § 138, GVG § 198, GVG § 198ff

Leitsätze

NV: Mit der einseitigen Erledigungserklärung nimmt der Kläger von seinem bisherigen Klagebegehren Abstand und beantragt stattdessen die Feststellung, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist. Hat sich der Rechtsstreit nicht in der Hauptsache erledigt, muss das Gericht die nunmehr auf Feststellung der Erledigung gerichtete Klage als unbegründet abweisen. Ob die Klage nach dem ursprünglichen Sachantrag begründet war, ist jedenfalls dann unerheblich, wenn der Kläger an diesem nicht hilfsweise festhält. Die dazu von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs entwickelten Grundsätze gelten auch für das Entschädigungsklageverfahren nach §§ 198 ff. des Gerichtsverfassungsgesetzes.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Der Kläger hatte ursprünglich Entschädigung gemäß § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) wegen unangemessener Dauer des Klageverfahrens 3 K 1119/16 beziehungsweise 4 K 1119/16 beim Finanzgericht (FG) beansprucht. Für den Nichtvermögensnachteil hat der Senat bereits Entschädigung zuerkannt. Hinsichtlich des Vermögensnachteils (Zinsschaden) ist nur noch streitig, ob sich der Rechtsstreit durch Fortfall des Schadens in der Hauptsache erledigt hat.

  2. Nach einer Außenprüfung hatte das Finanzamt (FA) Steuerbescheide erlassen, die zu Nachforderungen führten. Das FG wies die Klage mit Urteil vom 11.11.2015 - 3 K 1046/09 wegen Verfristung ab. Auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hob der Senat mit Beschluss vom 16.03.2016 - X B 202/15 (BFH/NV 2016, 1050) das Urteil auf und verwies den Rechtsstreit wegen eines Verfahrensmangels an das FG zurück. Dieser Rechtsstreit wurde später (unter dem Aktenzeichen 3 K 362/16) einvernehmlich erledigt.

  3. Da der Kläger die Steuernachforderungen erst nach Fälligkeit gezahlt hatte, waren Säumniszuschläge in Höhe von 52.379,50 € entstanden. Der Kläger beantragte erfolglos deren Erlass und erhob am 15.11.2016 Klage (Aktenzeichen 3 K 1119/16 beziehungsweise 4 K 1119/16). Im Verlauf dieses Verfahrens erhob der Kläger mehrere Verzögerungsrügen (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG). Nach einer Zusage des FA, den Erlassantrag erneut zu bescheiden, erklärten die Beteiligten am 27.07.2020 auch diesen Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt.

  4. Mit Bescheid vom 14.10.2020 lehnte das FA den Erlassantrag erneut ab. Der Kläger legte Einspruch ein.

  5. Am 26.11.2020 erhob der Kläger beim Bundesfinanzhof (BFH) eine Entschädigungsklage (Aktenzeichen X K 6/20) wegen unangemessener Dauer des Verfahrens 3 K 1119/16 beziehungsweise 4 K 1119/16. Er verlangte Entschädigung für einen immateriellen Nachteil sowie für einen behaupteten materiellen Nachteil in Höhe von 4.714,15 € aufgrund eines Zinsschadens aus einem Darlehen, das er zur Begleichung der Säumniszuschläge und zur Abwehr der Zwangsvollstreckung aufgenommen habe. Hierzu legte der Kläger einen am 13.01.2016 mit seinem Prozessbevollmächtigten geschlossenen Darlehensvertrag vor und machte geltend, die Zinslast wäre geringer ausgefallen, hätte das FG im Ausgangsverfahren ohne Verzögerungen entschieden.

  6. Mit Urteil vom 23.03.2022 - X K 6/20 (BFHE 276, 308, BStBl II 2022, 811) sprach der Senat dem Kläger eine Entschädigung für den Nichtvermögensnachteil zu. Das "Verfahren wegen Entschädigung betreffend einen materiellen Nachteil (4.714,15 €)" hatte er mit Beschluss vom selben Tage abgetrennt (neues Aktenzeichen X K 1/22), da eine Entscheidung über den Zinsschaden erst nach bestandskräftiger Entscheidung über den Erlass möglich gewesen wäre. Nachdem kurz zuvor der Einspruch wegen des zweiten Erlassantrags erfolglos gewesen war, erhob der Kläger am 31.03.2022 auch dagegen Klage (Aktenzeichen 4 K 202/22).

  7. Mit Beschluss vom 16.11.2022 setzte der Senat das abgetrennte Verfahren X K 1/22 bis einen Monat nach Erledigung der den Erlass betreffenden Klage aus, weil bis dahin die Höhe des Schadens noch nicht bezifferbar sei.

  8. Nachdem der für die Klage 4 K 202/22 gestellte Antrag auf Prozesskostenhilfe erfolglos geblieben war, nahm der Kläger seine Klage am 07.12.2022 zurück.

  9. Der Senat hat das ausgesetzte Entschädigungsklageverfahren X K 1/22 unter dem vorliegenden Aktenzeichen X K 3/23 wieder aufgenommen. Der Kläger hat daraufhin den Rechtsstreit X K 3/23 für erledigt erklärt und zunächst beantragt, dem Beklagten die bis zum Zeitpunkt der Erledigung entstandenen Kosten des Verfahrens zu 83 % aufzuerlegen. Der Beklagte hat dem widersprochen.

  10. Der Kläger trägt nunmehr vor, ihm sei ursprünglich tatsächlich ein Zinsschaden in Höhe von 3.928,46 € entstanden. Es komme nicht darauf an, ob er Zinsen gezahlt habe. Zu Recht habe der erkennende Senat in seinem Beschluss vom 16.11.2022 festgestellt, dass bereits die Entstehung einer Zinszahlungsverpflichtung rechtlich einen Schaden darstelle, da sie nach der Differenztheorie zu einer Vermögensminderung führe. Der Senat sei an diese Beurteilung gebunden, da sie Voraussetzung für die Aussetzung des Rechtsstreits gewesen sei. Die Klagerücknahme in dem FG-Verfahren 4 K 202/22 stelle ein erledigendes Ereignis dar. Sie habe zu einem rückwirkenden Fortfall des Zinsschadens geführt, denn damit habe festgestanden, dass sein Prozessbevollmächtigter für den Schaden aufzukommen habe.

  11. Der Kläger beantragt nunmehr
    die Feststellung, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.

  12. Der Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.

  13. Es sei kein erledigendes Ereignis eingetreten. Zum einen sei die behauptete Zinszahlungspflicht nach den vertraglichen Regelungen tatsächlich nicht entfallen. Zum anderen sei die Klage mangels Zinsschadens von Anfang an unbegründet gewesen. Weder sei die behauptete Zinsverpflichtung nach dem Darlehensvertrag fällig geworden noch seien Zinsen jemals gezahlt worden.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Klage ist unbegründet.

  2. Aufgrund der einseitigen Erledigungserklärung des Klägers beschränkt sich der Rechtsstreit nunmehr auf die Erledigungsfrage (unter 1.). Dem Feststellungsantrag des Klägers kann nicht entsprochen werden, weil sich der Rechtsstreit nicht in der Hauptsache erledigt hat (2.). Der ursprüngliche Antrag ist, da es an einem entsprechenden Hilfsantrag fehlt, nicht mehr zu bescheiden (3.).

  3. 1. Erklärt der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt, nimmt er damit von seinem bisherigen Klagebegehren Abstand und behauptet nunmehr, dieses Begehren sei durch ein nachträglich eingetretenes Ereignis gegenstandslos geworden, so dass nur noch nach § 138 der Finanzgerichtsordnung (FGO) über die Kosten entschieden werden müsse.

  4. Bestreitet der Beklagte die Erledigung und beantragt Klageabweisung, beschränkt sich der Rechtsstreit auf die Erledigungsfrage. An die Stelle des durch den ursprünglichen Klageantrag bestimmten Streitgegenstands tritt der Streit über die Behauptung des Klägers, seinem Klagebegehren sei durch ein die Hauptsache erledigendes Ereignis die Grundlage entzogen worden (vgl. BFH-Urteile vom 25.03.2021 - VIII R 1/18, BFHE 272, 469, BStBl II 2021, 655, Rz 13 und vom 25.10.2023 - I R 9/18, BFH/NV 2024, 497, Rz 10, jeweils m.w.N.; Senatsbeschluss vom 27.11.2013 - X B 162/12, Rz 12).

  5. In einem solchen Fall hat das Gericht nur noch über den Feststellungsantrag zu entscheiden. Hat sich der Rechtsstreit nicht in der Hauptsache erledigt, muss das Gericht die nunmehr auf Feststellung der Erledigung gerichtete Klage als unbegründet abweisen, selbst wenn sie nach dem ursprünglichen Sachantrag begründet war. Über diesen Antrag kann nicht mehr entschieden werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Kläger an diesem hilfsweise festhält (BFH-Urteil vom 23.02.2012 - IV R 32/09, BFH/NV 2012, 1479, Rz 23, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 22.02.2013 - V B 72/12, BFH/NV 2013, 984, Rz 9, m.w.N.).

  6. Diese Grundsätze gelten auch für das Entschädigungsklageverfahren nach §§ 198 ff. GVG und damit auch für den vorliegenden Rechtsstreit.

  7. 2. Die Feststellungsklage ist abzuweisen, da sich der Rechtsstreit nicht in der Hauptsache erledigt hat.

  8. a) Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist ein Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, wenn ein Ereignis, das nach Rechtshängigkeit eingetreten ist, alle streitbefangenen Sachfragen gegenstandslos gemacht hat (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 05.03.1979 - GrS 4/78, BFHE 127, 147, BStBl II 1979, 375, unter II.2., m.w.N.; s.a. BFH-Urteil vom 25.03.2021 - VIII R 1/18, BFHE 272, 469, BStBl II 2021, 655, Rz 13 und Senatsbeschluss vom 23.05.2016 - X R 54/13, BFH/NV 2016, 1457, Rz 19, jeweils m.w.N.; ebenso für den Zivilprozess Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17.07.2003 - IX ZR 268/02, BGHZ 155, 392, 395, m.w.N.; Zöller/Althammer, ZPO, 35. Aufl., § 91a Rz 3, m.w.N.).

  9. Dass der Kläger kein Interesse mehr an der Fortführung des Rechtsstreits hat, genügt hingegen nicht (BFH-Urteil vom 25.03.2021 - VIII R 1/18, BFHE 272, 469, BStBl II 2021, 655, Rz 13, m.w.N.).

  10. b) Nach diesen Maßstäben fehlt es an einem erledigenden Ereignis.

  11. Der Kläger hat mit seiner Klage, soweit der Senat darüber nicht bereits mit Urteil vom 23.03.2022 - X K 6/20 (BFHE 276, 308, BStBl II 2022, 811) entschieden hat, von dem Beklagten die Zahlung von 4.714,15 € als Entschädigung für einen Zinsschaden beantragt. Dieses Klagebegehren ist nicht gegenstandslos geworden. Soweit der Kläger vorträgt, seine Zinszahlungspflicht sei "auf Grund der Vereinbarung in dem Darlehensvertrag" vom 13.01.2016 "rückwirkend entfallen", kann der erkennende Senat dies nicht nachvollziehen.

  12. In § 3 Abs. 2 des Darlehensvertrags ist das Entfallen von Zinsansprüchen nur für den Fall einer ‑‑vollständigen oder teilweisen‑‑ Verrechnung der Darlehensforderung mit Schadensersatzansprüchen des Klägers gegen seinen Prozessbevollmächtigten nach § 3 Abs. 1 des Darlehensvertrags vorgesehen. Dass eine entsprechende Verrechnung stattgefunden hat, was wiederum nach der letztgenannten Regelung eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung über Schadensersatzansprüche oder eine Einigung zwischen dem Kläger und seinem Prozessbevollmächtigten über eine Schadensersatzzahlung vorausgesetzt hätte, hat der Kläger nicht vorgetragen. Ohnehin ist der mögliche Grund etwaiger Schadensersatzansprüche des Klägers gegen seinen Prozessbevollmächtigten mit der Aufhebung des Urteils des FG vom 11.11.2015 - 3 K 1046/09, auf das in der Vorbemerkung zum Darlehensvertrag ausdrücklich Bezug genommen wird, durch den Senatsbeschluss vom 16.03.2016 - X B 202/15 (BFH/NV 2016, 1050) beseitigt worden. Daher ist nicht ersichtlich, wie es auf der Grundlage des Darlehensvertrags zu einem nachträglichen Wegfall der Zinszahlungspflicht hätte kommen sollen.

  13. Der Beklagte hat eine Zahlung der von dem Kläger begehrten Entschädigung bis zu der Erledigungserklärung durch den Kläger weiterhin abgelehnt, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt der Rechtsstreit nicht gegenstandslos geworden ist.

  14. Der Umstand, dass der Kläger an der weiteren Rechtsverfolgung offenbar kein Interesse mehr hat, führt ‑‑wie bereits dargelegt‑‑ nicht zur Erledigung des vorliegenden Rechtsstreits.

  15. 3. Ob der Kläger tatsächlich Anspruch auf die Zahlung von 3.928,46 € beziehungsweise ‑‑wie ursprünglich geltend gemacht‑‑ 4.714,15 € als Entschädigung für einen Zinsschaden gehabt hätte, muss hier nicht mehr entschieden werden. Denn der fachkundig vertretene Kläger hat seinen ursprünglichen Antrag nicht hilfsweise aufrechterhalten, obwohl er durch die schriftsätzlich erhobenen Einwände des Beklagten auf Zweifel am Eintritt der Erledigung des vorliegenden Rechtsstreits hingewiesen worden ist. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass es dem Kläger nur noch um die Klärung der Erledigungsfrage geht, während er in der Hauptsache sein Rechtsschutzbegehren endgültig aufgegeben hat (vgl. BFH-Beschluss vom 22.02.2013 - V B 72/12, BFH/NV 2013, 984, Rz 15).

  16. 4. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.

  17. 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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