ECLI:DE:BFH:2024:B.111124.VB52.23.0
BFH V. Senat
GG Art 103 Abs 1, FGO § 96 Abs 2, ZPO § 139 Abs 2, ZPO § 139 Abs 4, ZPO § 139 Abs 5, FGO § 155 S 1
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 27. Februar 2023, Az: 11 K 176/19
Leitsätze
NV: Erteilt das Finanzgericht (FG) einen Hinweis auf entscheidungserhebliche Erwägungen und Gesichtspunkte, mit denen die Beteiligten erkennbar nicht gerechnet haben und auch nicht rechnen mussten, entgegen § 155 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 139 Abs. 4 der Zivilprozessordnung (ZPO) erstmals in der mündlichen Verhandlung und ist einem Beteiligten eine sofortige Erklärung zu diesem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, soll das FG auf Antrag der Partei Schriftsatznachlass gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 139 Abs. 5 ZPO gewähren. Verstößt das FG hiergegen, verletzt es den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs.
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 27.02.2023 - 11 K 176/19 aufgehoben.
Die Sache wird an das Niedersächsische Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) kaufte im Jahr 2015 (Streitjahr) Nutzfahrzeuge von der M-GmbH und der B-GmbH, die beide ihren Sitz im Inland hatten. Die Klägerin veräußerte diese und andere Nutzfahrzeuge überwiegend an Abnehmer, die als Unternehmer im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässig waren.
Im Rahmen von Ermittlungen der Steuerfahndung gelangte diese zu der Auffassung, die M-GmbH und die B-GmbH seien sogenannte Missing Trader, die die von ihnen geschuldete Umsatzsteuer nicht angemeldet oder über einen Vorsteuerabzug aus Scheinrechnungen gemindert hätten. Die Klägerin habe gewusst oder hätte wissen müssen, dass sie sich mit dem Erwerb der Fahrzeuge an Umsätzen beteiligt habe, die in einen Umsatzsteuerbetrug einbezogen gewesen seien.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt ‑‑FA‑‑) erließ daraufhin zunächst Bescheide über Umsatzsteuer für die Voranmeldungszeiträume des Streitjahres, in denen er den zuvor von der Klägerin erklärten Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der M-GmbH und B-GmbH versagte, wie auch in ‑‑während der hiergegen gerichteten Einspruchsverfahren‑‑ ergangenen Umsatzsteuerjahresbescheiden. Mit seiner Einspruchsentscheidung änderte das FA die Umsatzsteuerfestsetzung für 2015 erneut. Dabei versagte es den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der M-GmbH und der B-GmbH erst ab dem 01.06.2015, da die Klägerin spätestens ab diesem Zeitpunkt bezüglich des Umsatzsteuerbetrugs in der Lieferkette bösgläubig gewesen sei. Allerdings führe die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auch dazu, dass sich die Klägerin in Bezug auf die streitbefangenen Fahrzeuge auf Grund ihrer Bösgläubigkeit insoweit nicht auf die ‑‑bisher unstreitig anerkannte‑‑ Steuerbefreiung der von ihr nachfolgend durchgeführten innergemeinschaftlichen Lieferungen dieser Fahrzeuge an Abnehmer im übrigen Gemeinschaftsgebiet berufen könne, insoweit sei die Bemessungsgrundlage der steuerpflichtigen Umsätze zulasten der Klägerin zu erhöhen.
Im anschließenden Klageverfahren stritten die Beteiligten darüber, ob die Klägerin wusste oder hätte wissen müssen, dass sie sich mit den Fahrzeugerwerben an einer im Rahmen einer Lieferkette begangenen Steuerhinterziehung beteiligt habe. Die mündliche Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) vom 26.01.2023 wurde unterbrochen und am 27.02.2023 fortgesetzt. Dem Protokoll vom 27.02.2023 ist der Hinweis des Vorsitzenden zu entnehmen, "dass das Gericht festgestellt habe, dass die zum Belegnachweis vorgelegten Gelangensbestätigungen nach den §§ 17a, 17b UStDV für den Zeitraum ab 06.05.2015 bis zum Jahresende 2015 in einer Vielzahl von Fällen nicht ordnungsgemäß sind". Es fehle das Datum für das Ende der Beförderung und der Ausstellung dieser Gelangensbestätigungen. Der Vorsitzende unterbreitete den Beteiligten einen Erledigungsvorschlag, nach dem das FA "die bisher nicht berücksichtigten Vorsteuerbeträge berücksichtigen möge, die Klägerseite andererseits ihr Vorbringen zur Steuerpflicht der innergemeinschaftlichen Lieferungen fallen lässt". Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin stimmte ‑‑ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 27.02.2023‑‑ dem Vorschlag nicht zu, da "das Thema der 'Gelangensbestätigung' heute zum ersten Mal in der mündlichen Verhandlung thematisiert worden sei" und beantragte am Ende der mündlichen Verhandlung "zum Ergebnis der Beweisaufnahme und zum Umfang der Gelangensbestätigung bzw. zum Nachweis der Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferungen einen Schriftsatznachlass bis zum 20.03.2023".
Das FG gab im Anschluss an die mündliche Verhandlung der Klage ‑‑unter Ablehnung eines Schriftsatznachlasses nach § 155 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 283 der Zivilprozessordnung (ZPO)‑‑ teilweise statt. Der Vorsteuerabzug aus den Lieferungen der M-GmbH und der B-GmbH sei zu gewähren, da das FG nicht habe feststellen können, dass die Klägerin wusste oder hätte wissen müssen, dass die von der M-GmbH und der B-GmbH erworbenen Fahrzeuge in eine Steuerhinterziehung einbezogen waren. Nunmehr sei die Steuerbefreiung jedoch für alle innergemeinschaftlichen Lieferungen insoweit abzulehnen, als sich anhand der in den Akten befindlichen Unterlagen nicht zweifelsfrei feststellen lasse, dass die Fahrzeuge in das "innergemeinschaftliche Ausland" versendet oder befördert worden seien, da die Gelangensbestätigungen zu einem Großteil unvollständig seien oder nicht vorlägen.
Mit ihrer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision rügt die Klägerin Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Das Urteil des FG stelle eine gegen den Grundsatz des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 119 Nr. 3, § 76 Abs. 2, § 96 Abs. 2 FGO und Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ‑‑GG‑‑) verstoßende Überraschungsentscheidung dar. Es habe im Rahmen seiner Entscheidung überraschend auf Mängel der bereits im Jahr 2015 beschlagnahmten Gelangensbestätigungen abgestellt. Diese Mängel seien erstmalig in der mündlichen Verhandlung vom 27.02.2023 angesprochen worden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde der Klägerin ist begründet. Ein von der Klägerin geltend gemachter Verfahrensmangel im Sinne von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegt vor. Die Vorentscheidung des FG ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO). Erteilt das FG einen Hinweis auf entscheidungserhebliche Erwägungen und Gesichtspunkte, mit denen die Beteiligten erkennbar nicht gerechnet haben und auch nicht rechnen mussten, entgegen § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 139 Abs. 4 ZPO erstmals in der mündlichen Verhandlung und ist einem Beteiligten eine sofortige Erklärung zu diesem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, soll das FG auf Antrag der Partei Schriftsatznachlass gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 139 Abs. 5 ZPO gewähren. Verstößt das FG hiergegen, verletzt es den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs.
1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) umfasst das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern, und die Pflicht des Gerichts, sich mit dem entscheidungserheblichen Vorbringen auseinanderzusetzen.
a) Rechtliches Gehör wird den Beteiligten dadurch gewährt, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem Sachverhalt zu äußern, der einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden soll. Das rechtliche Gehör bezieht sich vor allem auf Tatsachen und Beweisergebnisse (§ 96 Abs. 2 FGO). Darüber hinaus darf das FG seine Entscheidung nur auf einen ‑‑von den Beteiligten erkennbar übersehenen oder für unerheblich gehaltenen‑‑ rechtlichen Gesichtspunkt stützen, wenn die Beteiligten zuvor gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 139 Abs. 2 ZPO Gelegenheit hatten, dazu Stellung zu nehmen (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 29.09.2022 - VI R 34/20, BFHE 278, 319, BStBl II 2023, 142, Rz 31; ebenso BFH-Beschlüsse vom 01.07.2003 - III B 94/02, BFH/NV 2003, 1591, unter II.1.a; vom 25.02.2005 - III B 90/04, BFH/NV 2005, 1329, unter II.; vom 22.09.2005 - X B 58/05, BFH/NV 2005, 2193, unter II.2.a aa; vom 21.04.2006 - III B 153/05, BFH/NV 2006, 1644, unter II.1.a; vom 22.06.2006 - V B 155/05, BFH/NV 2006, 2093, unter 4.; vom 15.09.2006 - III B 197/05, BFH/NV 2007, 28, unter II.3.a; vom 29.01.2007 - III B 137/06, BFH/NV 2007, 893, unter 2.a cc; vom 21.11.2007 - XI B 101/06, BFH/NV 2008, 396, unter b aa und vom 07.09.2007 - VII B 127/07, BFH/NV 2007, 2244, unter II.1.). Deshalb kann eine Verletzung des Rechts auf Gehör vorliegen, wenn das Gericht die Beteiligten nicht auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt hinweist, den es seiner Entscheidung zu Grunde legen will und der dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit dem auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht hat rechnen müssen (BFH-Beschluss vom 21.12.2016 - III B 97/16, BFH/NV 2017, 472, Rz 6; ebenso BFH-Beschlüsse vom 30.05.2005 - VII B 293/04, BFH/NV 2005, 1874, unter II.; vom 05.07.2005 - VII B 14/05, BFH/NV 2005, 2026, unter II.2.a; vom 02.11.2012 - III B 88/12, BFH/NV 2013, 234, Rz 7 und vom 28.03.2017 - III B 139/16, BFH/NV 2017, 920, Rz 9).
b) Will das FG daher sein Urteil auf einen Gesichtspunkt stützen, den ein Beteiligter erkennbar übersehen oder für unwesentlich gehalten hat, muss es diesen nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 139 Abs. 2 ZPO zuvor auf den Gesichtspunkt hinweisen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben (BFH-Beschlüsse vom 02.08.2005 - IV B 185/03, BFH/NV 2005, 2224, unter 3.d; vom 16.05.2012 - IV B 48/11, BFH/NV 2012, 1462, Rz 14 und vom 24.05.2012 - IV B 58/11, BFH/NV 2012, 1466, Rz 11).
c) Nach dem gemäß § 155 Satz 1 FGO auch im finanzgerichtlichen Verfahren zu beachtenden § 139 Abs. 4 ZPO (BFH-Beschluss vom 30.09.2013 - XI B 69/13, BFH/NV 2014, 166, Rz 14) sind Hinweise "nach dieser Vorschrift" so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Erteilt das FG einen solchen Hinweis entgegen dieser Vorschrift erstmals in der mündlichen Verhandlung und ist einem Beteiligten eine sofortige Erklärung zu diesem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, "soll" das FG auf Antrag der Partei Schriftsatznachlass gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 139 Abs. 5 ZPO gewähren (vgl. auch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 10.03.2011 - VII ZR 35/08, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2011, 877, unter II.2.a). Verstößt das FG gegen diese Verpflichtung, so verletzt es hierdurch das verfassungsrechtlich geschützte Recht eines Beteiligten auf Gehör (Wendl in Gosch, FGO § 93 Rz 76). Dies gilt auch im Verhältnis zu einem Beteiligten, der ‑‑wie im Streitfall die Klägerin‑‑ im gerichtlichen Verfahren von einem rechtskundigen Berater vertreten wird (vgl. zur Überraschungsentscheidung BFH-Beschlüsse vom 03.02.2003 - I B 49/02, BFH/NV 2003, 1058, unter II.1.; vom 25.04.2001 - V B 208/00, BFH/NV 2001, 1566, unter II.1. und vom 02.04.2002 - X B 56/01, BFH/NV 2002, 947, unter 2.c).
2. Danach hat das FG im Streitfall den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.
a) Das FG hat sich zutreffend als verpflichtet angesehen, darauf hinzuweisen, dass die gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) i.V.m. § 17a und § 17b der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) zum Belegnachweis vorgelegten Gelangensbestätigungen in einer Vielzahl von Fällen nicht ordnungsgemäß seien, da es sich hierbei um einen von den Beteiligten erkennbar im Sinne von § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 139 Abs. 2 ZPO für unerheblich gehaltenen rechtlichen Gesichtspunkt handelte. Denn streitig war im Klageverfahren bis zur mündlichen Verhandlung vom 27.02.2023 allein, ob die Klägerin gewusst hat oder hätte wissen müssen, dass sie sich mit dem Erwerb der Fahrzeuge an Umsätzen beteiligt hat, die in einen Umsatzsteuerbetrug einbezogen gewesen sind, und infolgedessen die von der Klägerin geltend gemachten Vorsteuerbeträge aus dem Erwerb der Fahrzeuge nicht abzugsfähig sind sowie ein Berufen der Klägerin auf die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen (Weiter-)Lieferungen dieser Fahrzeuge nicht möglich ist. Aufgrund dieses Streitstandes und der zunächst vom FA im Verwaltungsverfahren anerkannten Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferungen bestand für die Klägerin somit kein Anlass, sich auf eine Stellungnahme zum Nachweis der Steuerfreiheit nach § 6a Abs. 3 UStG, § 17a und § 17b UStDV vorzubereiten.
b) Diesen Hinweis erteilte das FG erst in der mündlichen Verhandlung vom 27.02.2023, so dass es gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 139 Abs. 5 ZPO verpflichtet war, einen Schriftsatznachlass zu gewähren.
aa) Entgegen dem Vortrag des FA in seiner Beschwerdeerwiderung hat das FG nicht bereits in der mündlichen Verhandlung vom 26.01.2023 darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, für einen Teil der von der Klägerin getätigten Lieferungen die Steuerfreiheit zu versagen; insoweit handelt es sich offenbar um einen Übertragungsfehler. Dies ergibt sich bereits daraus, dass das FA insoweit auf den Einigungsvorschlag und den Beschluss des FG über die Ablehnung einer Protokollberichtigung Bezug nimmt. Den Einigungsvorschlag hat das Gericht nach den Protokollen zur mündlichen Verhandlung vom 26.01.2023 und vom 27.02.2023 den Beteiligten jedoch erst am 27.02.2023 unterbreitet. Auch die Beschlüsse des FG vom 27.09.2023, mit denen es eine Protokollberichtigung und -ergänzung abgelehnt hat, beziehen sich ausschließlich auf das Protokoll vom 27.02.2023.
bb) Der Klägerin war eine sofortige Erklärung zu dem ihr erteilten gerichtlichen Hinweis nicht möglich. Es war ihr ‑‑trotz der knapp halbstündigen Unterbrechung der mündlichen Verhandlung vom 27.02.2023‑‑ bereits aufgrund der hohen Anzahl von Lieferungen, bei denen das FG von einem fehlenden Belegnachweis ausging, nicht möglich, sich zu der Frage des Belegnachweises zu erklären. Indem das FG davon ausging, dass es trotz des durch das FG erst in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweises auf der Grundlage des vom FG als maßgeblich angesehenen § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 283 ZPO berechtigt sei, den Antrag auf Schriftsatznachlass abzulehnen, während es nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 139 Abs. 5 ZPO verpflichtet war, dem Antrag stattzugeben, hat es den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Umstände, die es rechtfertigen konnten, von dieser Sollvorschrift abzuweichen, sind im Streitfall nicht erkennbar.
cc) Betrifft die Verletzung rechtlichen Gehörs nur einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte, hat der Beschwerdeführer darzulegen, was er im Falle der Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwiefern bei Berücksichtigung dieses Vorbringens eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre (BFH-Beschluss vom 08.05.2017 - X B 150/16, BFH/NV 2017, 1185, Rz 17).
Diesen Anforderungen hat die Klägerin genügt. In ihrer Beschwerdebegründung führt sie ‑‑im Rahmen ihres Vorbringens zu einem Verstoß des FG gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO)‑‑ aus, dass sie andere Belege über das Gelangen der Fahrzeuge in das übrige Gemeinschaftsgebiet hätte vorlegen können. Dies ist auch nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des FG entscheidungserheblich.
Im Übrigen hat die Klägerin ihr Recht, die Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu rügen, auch nicht gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 295 ZPO verloren, da sie ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 27.02.2023 am Ende der mündlichen Verhandlung ausdrücklich im Hinblick auf den erstmaligen richterlichen Hinweis beantragt hat, zum Umfang der Gelangensbestätigung sowie zum Nachweis der Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferungen weiter Stellung nehmen zu können. Dies genügt, um eine Rüge anzunehmen, wie sie auch das FG in seinem Urteil verstanden hat (Urteil S. 17, Entscheidungsgründe unter I.).
3. Ebenso wie in Fällen einer Verletzung von § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 139 Abs. 2 ZPO (vgl. hierzu BFH-Beschlüsse vom 02.11.2012 - III B 88/12, BFH/NV 2013, 234, Rz 5 und vom 21.12.2016 - III B 97/16, BFH/NV 2017, 472, Rz 8) ist es auch bei einer Verletzung von § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 139 Abs. 4 ZPO sachgerecht, gemäß § 116 Abs. 6 FGO das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Auf die weitere von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensrüge (Verletzung der Sachaufklärungspflicht, § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) kommt es danach nicht an.
4. Von einer weitergehenden Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.
5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.