ECLI:DE:BFH:2024:B.220424.IIIB82.23.0
BFH III. Senat
GG Art 103 Abs 1, FGO § 96 Abs 2, FGO § 91, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 119 Nr 3, ZPO § 227
vorgehend Sächsisches Finanzgericht , 22. Februar 2023, Az: 1 K 1879/18 (Kg)
Leitsätze
1. NV: Die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung wegen eines in der Privatsphäre liegenden Vorhabens setzt die Darlegung und (gegebenenfalls) die Glaubhaftmachung von Umständen voraus, wonach das Vorhaben in seiner Planung bereits vor Zugang der Ladung so ausgestaltet war, dass die Wahrnehmung des gerichtlichen Termins während dieser Zeit unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist.
2. NV: Ein vor Zugang der Ladung gefasster Entschluss zu einem Kurzurlaub "ins Blaue" ist kein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung, sofern nicht im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten.
Tenor
Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 22.02.2023 - 1 K 1879/18 (Kg) wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
I.
Das Verfahren befindet sich im zweiten Rechtsgang. Im ersten Rechtsgang hatte der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluss vom 11.11.2022 - III B 38/22 die Vorentscheidung aufgehoben und das Verfahren gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, da das Finanzgericht (FG) trotz eines dargelegten und glaubhaft gemachten wichtigen Grundes für eine Terminsverlegung in der Sache verhandelt und entschieden hatte.
Im zweiten Rechtsgang stellte der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) zunächst erfolgreich zwei weitere Anträge auf Terminsverlegung. Bei der streitgegenständlichen dritten Ladung im zweiten Rechtsgang (der vierten Ladung unter Berücksichtigung des ersten Rechtsgangs) wurde der Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 22.02.2023 (Aschermittwoch) bestimmt. Der ordnungsgemäß geladene Prozessbevollmächtigte, ein selbständiger Rechtsanwalt (Einzelanwalt) mit Kanzleisitz in X, beantragte mit Schreiben vom 31.01.2023 Terminsverlegung mit der Begründung, dass er sich vom 16.02.2023 bis zum 22.02.2023 im Urlaub befinde.
Das FG lehnte diesen Antrag mit Schreiben vom 03.02.2023 unter Hinweis auf den BFH-Beschluss vom 16.10.2020 - VI B 13/20 (BFH/NV 2021, 434) ab, da der Prozessbevollmächtigte nicht dargetan ‑‑und erst recht nicht glaubhaft gemacht‑‑ habe, dass der Klägervertreter infolge eines bereits vor Anberaumung des Termins geplanten Urlaubs ortsabwesend sei.
Mit Schreiben vom 08.02.2023 erwiderte der Prozessbevollmächtigte, dass der Urlaub schon vor der Terminierung geplant und festgesetzt gewesen sei. Denn es handele sich um eine in X sehr ausgeprägte Karnevalszeit; nahezu alle Firmen arbeiteten nicht. Wenn gewünscht, könnten hier noch weitere Ausführungen erfolgen.
Er (der Prozessbevollmächtigte) sei seit 25 Jahren verheiratet und habe mit seiner Frau über die Karnevalstage vom Donnerstag, den 16.02.2023, bis einschließlich Mittwoch, den 22.02.2023, "Urlaub genommen". Der Entschluss sei in der Weihnachtszeit 2022 gefallen. Hierüber könne dem FG auch die Ehefrau berichten.
Wohin man fahren werde, stehe noch nicht fest. Es gebe Menschen, die am Anfang des Urlaubs einfach losführen.
Das FG verlegte den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht. Weder der Kläger noch der Prozessbevollmächtigte erschienen zur mündlichen Verhandlung. Das FG verhandelte in Abwesenheit der Klägerseite und wies die Klage ab. In den Urteilsgründen legte es die hierfür maßgeblichen Gründe dar.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision (§ 116 Abs. 1 FGO), die er mit einer Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ‑‑GG‑‑, § 96 Abs. 2 FGO) und damit mit einem Verfahrensfehler im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO begründet.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision (§ 116 Abs. 1 FGO) ist nicht begründet. Die Vorentscheidung leidet unter keinem Verfahrensfehler im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Das FG hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) nicht verletzt, indem es dem Antrag auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung nicht entsprochen und in Abwesenheit des Klägers und des Prozessbevollmächtigten verhandelt und in der Sache entschieden hat. Der rechtskundig vertretene Kläger hat gegenüber dem FG keinen eine Terminsverlegung rechtfertigenden, erheblichen Grund im Sinne des § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) dargelegt.
1. a) Der Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs kann durch eine unzutreffende Behandlung eines Antrags auf Verlegung des anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung verletzt werden (ständige Rechtsprechung, s. z.B. Senatsbeschluss vom 18.01.2022 - III B 108/21, BFH/NV 2022, 606, Rz 5). Hat das Gericht aufgrund einer verfahrensfehlerhaft ohne den Rechtsmittelführer durchgeführten mündlichen Verhandlung entschieden, so wird die Ursächlichkeit dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs für die angefochtene Entscheidung gemäß § 119 Nr. 3 FGO unwiderlegbar vermutet. Die Rüge dieses Verfahrensmangels gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO oder § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO erfordert daher nicht die Darlegung, was der Rechtsmittelführer in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hätte und inwieweit dies die Entscheidung hätte beeinflussen können (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 03.09.2001 - GrS 3/98, BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802, Rz 52).
b) Nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO kann das Gericht aus erheblichen Gründen einen Termin aufheben oder verlegen sowie eine Verhandlung vertagen. Wenn ein Beteiligter erhebliche Gründe im Sinne des § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO geltend und (gegebenenfalls) glaubhaft macht (§ 227 Abs. 2 ZPO), verdichtet sich das in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessen zu einer Rechtspflicht, das heißt der Termin muss in diesen Fällen zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert würde (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 18.01.2022 - III B 108/21, BFH/NV 2022, 606, Rz 5).
aa) Welche Gründe als erheblich anzusehen sind und deshalb von demjenigen, der eine Verlegung des Termins beantragt, darzulegen sind, richtet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles. Der Prozessstoff und die persönlichen Verhältnisse der Beteiligten und der Prozessbevollmächtigten sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass das FG im steuergerichtlichen Verfahren die einzige Tatsacheninstanz ist und die Beteiligten ein Recht darauf haben, ihre Sache in einer mündlichen Verhandlung vorzutragen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 08.07.2015 - X R 41/13, BFHE 250, 397, BStBl II 2016, 525, Rz 28). Im Hinblick auf den Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung (vgl. BFH-Urteil vom 08.07.2015 - X R 41/13, BFHE 250, 397, BStBl II 2016, 525, m.w.N.) kommt eine Terminsverlegung wegen einer durch eine anderweitige Verpflichtung bedingten Ortsabwesenheit eines Beteiligten oder einen Urlaub des Prozessbevollmächtigten allerdings grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die andere Sache vorrangig ist (vgl. zu anderweitigen Gerichtsterminen BFH-Beschlüsse vom 15.11.2016 - VI R 48/15, BFH/NV 2017, 284 und vom 14.01.2016 - III B 73/15, BFH/NV 2016, 584; zu einem Termin im Ehrenamt s. BFH-Beschluss vom 10.03.2020 - VII B 206/18, BFH/NV 2020, 917) oder der Urlaub oder ein sonstiges in der Privatsphäre liegendes Vorhaben in seiner Planung bereits vor Zugang der Ladung so ausgestaltet war, dass dem Prozessbevollmächtigten unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls die Wahrnehmung des gerichtlichen Termins während dieser Zeit nicht zumutbar ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 21.10.2020 - VII B 121/19, BFH/NV 2021, 326, Rz 29 f.; vom 10.03.2020 - VII B 206/18, BFH/NV 2020, 917, Rz 22; vom 14.03.2012 - V B 89/11, BFH/NV 2012, 1157, Rz 11; vom 23.02.2011 - V B 85/10, BFH/NV 2011, 1365, Rz 4 und vom 16.08.1999 - VIII B 63/99, BFH/NV 2000, 209, Rz 3). Der Vortrag eines Beteiligten, er habe (gegebenenfalls auch zusammen mit einer anderen Person) vor Zugang der Ladung den Entschluss gefasst, am Tag der mündlichen Verhandlung Urlaub zu machen, genügt nicht. Andernfalls hätten es die Beteiligten in der Hand, nahezu nach Gutdünken Terminsänderungen herbeizuführen.
bb) Gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 2 ZPO sind die erheblichen Gründe auf Verlangen des Vorsitzenden oder des Einzelrichters (§ 6 Abs. 1, § 5 Abs. 3 Satz 1 FGO oder § 79a Abs. 3 und 4 FGO) glaubhaft zu machen.
(1) Die Glaubhaftmachung erfordert zwar nicht den vollen Beweis, wohl aber die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Umstände, aus denen der erhebliche Grund abgeleitet wird, tatsächlich vorliegen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 14.10.2013 - III B 58/13, BFH/NV 2014, 356 und vom 21.10.2020 - VII B 121/19, BFH/NV 2021, 326, Rz 29, jeweils m.w.N.; Beschlüsse des Bundessozialgerichts vom 16.02.2023 - B 7 AS 123/22 B, juris, Rz 4 und vom 19.08.2021 - B 11 AL 39/21 B, juris, Rz 4).
(2) Das Fehlen dieser Glaubhaftmachung kann nach der Regelung in § 227 Abs. 2 FGO den Beteiligten nur nach entsprechender erfolgloser Aufforderung durch den Vorsitzenden oder den Einzelrichter entgegengehalten werden, es sei denn, dass eine derartige Aufforderung insbesondere wegen der Kurzfristigkeit des Verlegungsantrags zeitlich nicht möglich war (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 18.01.2022 - III B 108/21, BFH/NV 2022, 606, Rz 6; BFH-Beschlüsse vom 16.11.2006 - IX B 83/06, BFH/NV 2007, 476, Rz 6 und vom 27.01.2010 - VIII B 221/09, juris, Rz 13).
2. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann das Vorgehen des FG, die mündliche Verhandlung in Abwesenheit der Klägerseite durchzuführen und eine verfahrensabschließende Entscheidung zu treffen, nicht beanstandet werden. Der rechtskundig vertretene Kläger hat gegenüber dem FG schon keinen erheblichen Grund im Sinne des § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO dargelegt, der eine Terminsverlegung gerechtfertigt hätte, obwohl er hierzu Anlass hatte.
a) Der Kläger hat vor der mündlichen Verhandlung weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass die Urlaubsplanung des Prozessbevollmächtigten bereits vor Zugang der Ladung so ausgestaltet war, dass diesem unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls die Wahrnehmung des gerichtlichen Termins während dieser Zeit nicht zumutbar ist.
Der Vortrag im Schreiben vom 08.02.2023, der Prozessbevollmächtigte habe sich vor Zugang der Ladung mit seiner Frau darauf verständigt, am Sitzungstag Urlaub zu machen, sie wüssten aber nicht, wohin die Reise gehen solle, genügt nicht, um eine Terminsverlegung zu erreichen. Bei einem derartigen Urlaub "ins Blaue" liegt die Erheblichkeit des Grundes im Sinne des § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht auf der Hand, sondern kann sich nur unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls ergeben.
b) Weitere zu seinen Gunsten zu berücksichtigende Umstände hat der Kläger jedoch nicht vorgetragen und erst recht nicht glaubhaft gemacht, obwohl das FG mit Schreiben vom 03.02.2023 deutlich gemacht hatte, dass es den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht (ein weiteres Mal) wegen eines nicht näher präzisierten Urlaubs verlegen werde und obwohl sich aus diesem Schreiben in Zusammenschau mit dem vorangegangenen Schriftwechsel ergab, dass das FG auch eine Glaubhaftmachung der erheblichen Gründe verlangt. Dies war dem Prozessbevollmächtigten auch klar, denn er kritisiert, dass der Richter durchwegs Nachweise haben wollte, ob seine (des Prozessbevollmächtigten) Aussagen wahr seien.
Als Rechtsanwalt musste dem Prozessbevollmächtigten bekannt sein, dass er in einem derartigen Fall zusätzlich zu dem angegebenen Verlegungsgrund ‑‑dem beabsichtigten Urlaub‑‑ Umstände vortragen und glaubhaft machen muss, wonach die Wahrnehmung des gerichtlichen Termins nach den Gesamtumständen des Einzelfalls als nicht zumutbar erscheint. Auch dem BFH-Beschluss vom 16.10.2020 - VI B 13/20 (BFH/NV 2021, 434, dort insbesondere Rz 28), auf den sich das FG bezogen hatte, ließ sich dies entnehmen.
c) Auch aus den Akten ergeben sich keine Umstände, wonach sich dem FG die Unzumutbarkeit der Terminswahrnehmung geradezu aufdrängen musste.
3. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.