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Urteil vom 07. November 2023, VIII R 5/22

Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteilen vom 07.11.2023 VIII R 7/21 und VIII R 16/22 - Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags

ECLI:DE:BFH:2023:U.071123.VIIIR5.22.0

BFH VIII. Senat

AO § 38, EStG § 20 Abs 1 Nr 7, EStG § 22 Nr 3, BGB § 346, BGB § 348, BGB § 357b, EStG § 2 Abs 1 S 1 Nr 5, EStG § 2 Abs 1 S 1 Nr 7, EStG VZ 2018

vorgehend FG Münster, 13. Januar 2022, Az: 3 K 2991/19 E

Leitsätze

1. NV: Der Bezug eines Nutzungsersatzes im Rahmen der reinen Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags nach Widerruf (vor Anwendbarkeit des § 357a Abs. 3 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ‑‑BGB‑‑ a.F.; jetzt § 357b BGB) begründet keinen steuerbaren Kapitalertrag, da er nicht auf einer erwerbsgerichteten Tätigkeit beruht und mithin nicht innerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre erzielt wird.

2. NV: Das infolge des Widerrufs entstandene Rückgewährschuldverhältnis ist bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln.

3. NV: Der bezogene Nutzungsersatz ist auch nicht gemäß § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes steuerbar.

Tenor

Auf die Revision der Kläger werden das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 13.01.2022 - 3 K 2991/19 E und die Einspruchsentscheidung vom 04.09.2019 aufgehoben.

Der Einkommensteuerbescheid 2018 vom 13.06.2019 wird dahingehend geändert, dass bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 32d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes ein Betrag von 15.000 € nicht bei den laufenden Kapitalerträgen angesetzt wird.

Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten aufgegeben.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Beteiligten streiten darüber, ob es sich bei der von einer Bank aufgrund widerrufener Darlehensverträge gezahlten Nutzungsentschädigung für bereits erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen um steuerbare Einkünfte handelt.

  2. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden für das Jahr 2018 (Streitjahr) als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie schlossen im Jahr 2004 mit der X-Bank drei Wohnungsbaudarlehen über insgesamt 197.000 € zur Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie ab. Die Darlehenszinsen waren bis zum 31.12.2019 festgeschrieben. Die X-Bank kehrte die Darlehensvaluta aus und die Kläger leisteten in der Folge monatliche Annuitäten. Im Jahr 2014 kündigten die Kläger die Darlehensverträge und zahlten den von der X-Bank abgerechneten Betrag zurück.

  3. Mit Schreiben vom 27.05.2015 widerriefen die Kläger unter Verweis auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung ihre auf den Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen. Nachdem die Kläger vor dem Landgericht Z Klage gegen die X-Bank unter anderem auf Zahlung von Nutzungsersatz für erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen erhoben hatten, schlossen sie mit der X-Bank am 21.02.2018 vor dem Oberlandesgericht Y einen gerichtlichen Vergleich. Das Gericht wies dabei die Kläger und die X-Bank darauf hin, dass aufgrund des Widerrufs eine Rückabwicklung der Darlehensverträge zu erfolgen habe. In dem sodann geschlossenen Vergleich verpflichtete sich die X-Bank, an die Kläger einen Betrag in Höhe von 15.000 € zu zahlen. Im Vergleich wird unter anderem ausgeführt: "Mit der Erfüllung der Verpflichtung (...) sind sämtliche wechselseitigen Ansprüche aus und im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Darlehensverhältnis und dem ausgeübten Widerruf erledigt und abgegolten (...). Die Kläger verzichten hiermit auf sämtliche Ansprüche aus und im Zusammenhang mit dem ausgeübten Widerruf."

  4. In der Folgezeit zahlte die X-Bank die Vergleichssumme unter Einbehalt von Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag und unter Erteilung einer Steuerbescheinigung aus.

  5. Der Kläger erklärte in der gemeinsamen Steuererklärung für das Streitjahr Kapitalerträge, die dem inländischen Steuerabzug unterlegen haben, in Höhe von insgesamt 15.111 €, wobei er darauf hinwies, dass lediglich ein korrigierter Betrag von 111 € der Besteuerung zu unterwerfen sei, und beantragte für bestimmte Kapitalerträge die Überprüfung des Steuereinbehalts gemäß § 32d Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr anzuwendenden Fassung (EStG).

  6. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) folgte dem nicht und berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 13.06.2019 die Vergleichssumme von 15.000 € zusammen mit weiteren Kapitalerträgen in Höhe von 111 € bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 32d Abs. 1 EStG, wobei er den gesamten Sparer-Pauschbetrag für zusammen veranlagte Ehegatten in Abzug brachte.

  7. Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 480 mitgeteilten Gründen keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, der von der X-Bank aufgrund des Widerrufs der Darlehensverträge im Vergleichswege als Nutzungsersatz für die erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen gezahlte Betrag in Höhe von 15.000 € sei gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu besteuern. Die Vergleichssumme sei nicht auf einzelne, sich aus dem Rückgewährschuldverhältnis ergebende Ansprüche aufzuteilen, sondern entfalle allein auf den Nutzungsersatzanspruch der Kläger.

  8. Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Bundesrechts.

  9. Die Kläger beantragen,
    das Urteil des FG Münster vom 13.01.2022 - 3 K 2991/19 E und die Einspruchsentscheidung vom 04.09.2019 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2018 vom 13.06.2019 dahingehend zu ändern, dass ein Betrag in Höhe von 15.000 € als nicht steuerbar behandelt wird.

  10. Das FA beantragt,
    die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Der im Rahmen der Rückabwicklung der Darlehensverträge von der Bank an die Kläger geleistete Nutzungsersatz in Höhe von 15.000 € ist kein steuerbarer Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG (unter II.1.). Die Rückabwicklung der Darlehensverträge führt bei den Klägern auch nicht zu Einkünften aus Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG, sodass sich die Vorentscheidung auch nicht gemäß § 126 Abs. 4 FGO im Ergebnis als richtig darstellt (unter II.2.). Die Sache ist spruchreif (unter II.3.). Der Senat gibt der Klage wie beantragt statt.

  2. 1. Die Entscheidung des FG, dass der im Rahmen der Rückabwicklung der Darlehensverträge von der X-Bank an die Kläger geleistete Nutzungsersatz für Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 15.000 € zu einem Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG führt, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Nutzungsersatz ist nicht steuerbar. Er beruht nicht auf einer erwerbsgerichteten Tätigkeit der Kläger und ist mithin nicht innerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre angefallen.

  3. a) Im Streitfall hat das FG den zwischen den Klägern und der X-Bank geschlossenen Vergleich für den Senat bindend dahingehend ausgelegt, dass in ihm ausschließlich die wechselseitigen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens erledigt werden sollten und der Vergleichsbetrag von 15.000 € ausschließlich als Zahlung von Nutzungsersatz anzusehen sei. Dagegen sind keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben worden. Die Auslegung des FG verstößt auch nicht gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze oder Denk- und Erfahrungssätze und ist daher für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs vom 09.10.2001 - VIII B 30/01, BFH/NV 2002, 191, m.w.N.; vom 05.12.2006 - VIII B 4/06, BFH/NV 2007, 490, unter 2.c [Rz 10]).

  4. b) Der von den Klägern vereinnahmte Nutzungsersatz in Höhe von 15.000 € ist nicht steuerbar. Im Streitfall ist die Rückabwicklung der Darlehensverträge nach den in den Urteilen des Senats vom 07.11.2023 - VIII R 7/21 und VIII R 16/22 (BFHE 282, 555) dargelegten Maßstäben keine steuerbare erwerbsgerichtete Tätigkeit. Das Rückgewährschuldverhältnis ist bei wirtschaftlicher Betrachtung ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln. Dies gilt unabhängig davon, ob die Rückabwicklung einvernehmlich, durch Vergleich, durch zivilgerichtliches Urteil oder auf andere Weise vollzogen wird und ob die Parteien des ursprünglichen Darlehensvertrags ‑‑wie im Streitfall‑‑ anstelle der Leistung von Wertersatz an die Bank auf eine Rückabwicklung der vom Darlehensnehmer geleisteten Zinsen verzichten. Die Kläger und die X-Bank haben im Rahmen ihrer vergleichsweisen Einigung über die Rückabwicklung der Darlehensverträge hinaus auch keine weiteren Vereinbarungen getroffen, die zu steuerbaren Kapitalerträgen führen könnten.

  5. 2. Die Entscheidung des FG stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 126 Abs. 4 FGO). Der von der X-Bank geleistete Nutzungsersatz ist nicht nach der allein in Betracht kommenden Regelung zu den Einkünften aus Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG steuerbar, da es sich bei der Rückabwicklung der Darlehensverträge nicht um einen Leistungsaustausch in der Erwerbssphäre handelt. Wegen der weiteren Begründung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auch insoweit auf seine Urteile vom 07.11.2023 - VIII R 7/21 und VIII R 16/22 (BFHE 282, 555) Bezug.

  6. 3. Das FG ist von anderen Rechtsgrundlagen ausgegangen. Sein Urteil ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Senat gibt der Klage statt.

  7. Der von der X-Bank an die Kläger geleistete Nutzungsersatz für Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 15.000 € ist kein steuerbarer Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG und keine steuerbare Leistung im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 13.06.2019 ist wie beantragt dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 32d Abs. 1 EStG ein Betrag in Höhe von 15.000 € nicht bei den laufenden Kapitalerträgen angesetzt wird, die dem gesonderten Tarif unterliegen. Der Abzug des Sparer-Pauschbetrags ist entsprechend anzupassen.

  8. Die Berechnung der Steuer wird dem FA aufgegeben (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).

  9. 4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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