ECLI:DE:BFH:2024:B.090124.XS31.23.0
BFH X. Senat
FGO § 133a Abs 1, FGO § 133a Abs 4 S 2, GG Art 103 Abs 1
vorgehend BFH , 12. Juli 2023, Az: X R 14/21
Leitsätze
1. NV: Auch wenn in der Besetzung des Senats zwischen dem Ergehen der angegriffenen Entscheidung und der Beschlussfassung über eine erhobene Anhörungsrüge ein Wechsel stattgefunden hat, ist über die Anhörungsrüge in der Senatsbesetzung zu entscheiden, die sich aus dem aktuellen Geschäftsverteilungsplan ergibt.
2. NV: Ein Gericht ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den Beteiligten die einzelnen für seine Entscheidung maßgebenden Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten.
Tenor
Die Anhörungsrüge der Kläger gegen das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 12.07.2023 - X R 14/21 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
1. Der Senat entscheidet über die Anhörungsrüge in derjenigen Besetzung, die sich aus dem aktuellen Geschäftsverteilungsplan ergibt.
Zwar hat in der Person der Senatsvorsitzenden zwischen dem Ergehen des angegriffenen Urteils und dem heutigen Beschluss ein Wechsel stattgefunden. Dies führt aber nicht dazu, dass die neue Senatsvorsitzende von der Mitwirkung an der vorliegenden Entscheidung ausgeschlossen wäre. Der über die Anhörungsrüge befindende Spruchkörper muss nicht personenidentisch mit demjenigen sein, der die Entscheidung in der Hauptsache getroffen hat (Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 14.06.2023 - XI S 2/23, BFH/NV 2023, 1095, Rz 13; vgl. auch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 28.07.2005 - III ZR 443/04, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2006, 206, unter II.1.; Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10.04.2018 - 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217, Rz 160).
Nach dem Wortlaut des § 133a Abs. 4 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) weist "das Gericht" eine unbegründete Anhörungsrüge zurück. Daraus ergibt sich nicht, dass das Gericht in einer anderen als seiner aktuellen geschäftsplanmäßigen Besetzung zu entscheiden hätte. Auch aus dem Normzweck und dem Rechtscharakter des Anhörungsrügeverfahrens folgt nichts anderes. Denn für die Beurteilung einer Anhörungsrüge kommt es allein auf rechtliche Erwägungen im Hinblick auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs an, die nach Aktenlage zu beurteilen sind. Demgegenüber ist nicht erforderlich, dass die an der Entscheidung über die Anhörungsrüge mitwirkenden Richter einen persönlichen Eindruck von den vorangegangenen Verfahrensabschnitten haben. Insoweit verhält es sich anders als bei der Entscheidung über einen Antrag auf Berichtigung eines Urteilstatbestands, an der nach § 108 Abs. 2 Satz 3 FGO allein diejenigen Richter mitwirken, die auch bei dem Urteil mitgewirkt haben.
Entscheidungsgründe
2. Die Anhörungsrüge ist unbegründet.
a) Gemäß § 133a Abs. 1 FGO ist das Verfahren auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
b) Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Senat hat mit seinem Urteil vom 12.07.2023 - X R 14/21 den Anspruch der Kläger, Revisionskläger und Rügeführer (Rügeführer) auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht verletzt.
aa) Der Senat hatte im Revisionsverfahren am 22.02.2023 zunächst einen Gerichtsbescheid erlassen, mit dem die von den Rügeführern erhobene Revision zurückgewiesen worden war. Gegen den Gerichtsbescheid stellten die Rügeführer einen Antrag auf mündliche Verhandlung. Im verfahrensabschließenden Urteil vom 12.07.2023 wies der Senat die Revision erneut zurück.
bb) Die Begründung des mit der Anhörungsrüge angegriffenen Urteils entspricht im Wesentlichen der Begründung des Gerichtsbescheids. In dieser Form noch nicht im Gerichtsbescheid enthalten war aber die von den Rügeführern als Gehörsverletzung beanstandete Formulierung im Gliederungspunkt II.1.f bb des Urteils (Rz 44) ‑‑von den Rügeführern unzutreffend als Gliederungspunkt II.1.e bb bezeichnet‑‑, wonach der Senat den von den Rügeführern aufgezeigten Normwiderspruch zwischen § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes und § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung in einer bestimmten Weise aufgelöst habe.
Der Sache nach handelt es sich hierbei jedoch lediglich um eine Zusammenfassung der vorangehenden ‑‑ebenso bereits im Gerichtsbescheid enthaltenen‑‑ Argumentation des Senats. Dies folgt schon aus der Formulierung "Dieser Normwiderspruch ist vom Senat … dahingehend aufgelöst worden, …" (kursive Hervorhebung nur hier). Die Auflösung des Normwiderspruchs hat damit nicht erst ‑‑und erstmalig‑‑ in dem "Ergebnissatz" in Rz 44 des Urteils stattgefunden, sondern bereits in den vorangestellten Erwägungen. Im Übrigen stellt die vom Senat gefundene, im Vergleich zum Gerichtsbescheid geschärfte Formulierung in Rz 44 des Urteils eine Reaktion des Senats auf das Vorbringen der Rügeführer in der Begründung ihres Antrags auf mündliche Verhandlung und auf das ausführliche Rechtsgespräch in der mündlichen Verhandlung selbst dar.
Beide in Rz 44 des Urteils bezeichneten Vorschriften waren bereits im Gerichtsbescheid erwähnt worden; in der Sache ist der Normwiderspruch schon im Gerichtsbescheid in derselben Weise aufgelöst worden wie im angegriffenen Urteil.
cc) Darüber hinaus verpflichtet der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) das Gericht nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ohnehin grundsätzlich nicht, den Beteiligten die einzelnen für seine Entscheidung maßgebenden Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten (BFH-Beschluss vom 20.07.2022 - IX B 9/21, BFH/NV 2022, 1061, Rz 17, m.w.N.). Erst recht muss das Gericht nicht ‑‑wie es hier von den Rügeführern angestrebt wird‑‑ den Beteiligten bereits jede Einzelheit der erst noch zu beratenden und zu fällenden Entscheidung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung mitgeteilt haben.
3. Die Entscheidung über die Kosten dieses Verfahrens beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Gerichtskosten richten sich nach Nr. 6400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz ‑‑GKG‑‑ (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG). Es fällt eine Festgebühr von 66 € an.